Vier Jugendliche, vier Glaubensrichtungen, eine Weltreise
Die französische Organisation "Coexister" schickt alle zwei Jahre junge Menschen mit verschiedenen Glaubensüberzeugungen auf Weltreise. Damit soll gezeigt werden, dass auch ein friedliches Zusammenleben verschiedener Religionen weltweit möglich ist.
Ariane, Lucie, Lea und Samir. Wieder einmal stehen die vier Globetrotter vor einem überwiegend jungen Publikum, stellen sich kurz vor: Alter und Bekenntnis, nur darum geht es. Auch sie sind jung, zwischen 20 und 28 Jahre, und sie haben jeweils einen anderen Glauben: Ariane ist Atheistin, Lucie Katholikin, Lea Jüdin, Samir Muslim. Seit Anfang Mai touren sie nun quer durch Frankreich, halten Vorträge in 70 Städten. Um weiterzugeben, was sie zuvor bei ihrer Weltreise erfahren haben. Ariane Julien erklärt, warum das Projekt "InterFaith Tour" heißt.
"Wichtigstes Ziel dieser Reise ist es, zu beweisen, dass interreligiöse Begegnungen zum Frieden beitragen. Das haben wir persönlich mit unserer Weltreise gezeigt, bei der wir auch mit schwierigen Bedingungen zurechtgekommen sind. Und jetzt wollen wir es beweisen, indem wir in ganz Frankreich über die unzähligen Initiativen berichten, die wir besucht haben."
350 religionsübergreifende Initiativen entdeckt
Zehn Monate lang waren die jungen Leute unterwegs. In dieser Zeit haben sie 32 Länder auf allen Kontinenten bereist, stets bei Einheimischen gewohnt, und 350 religionsübergreifende Initiativen entdeckt. Einige Kontakte konnten sie schon im Vorfeld knüpfen, andere hätten sie erst vor Ort aufgetan, sagt Samir Akacha.
"Wir arbeiten mit zwei großen Nichtregierungsorganisationen zusammen: 'United Religions Initiative' und 'Religions for Peace'. Deren Mitglieder vor Ort waren unsere ersten Anlaufstellen. Weil es nicht überall Internet gab, haben wir uns dann oft SIM-Karten gekauft und telefonisch durchgefragt. So haben wir auch Akteure gefunden, die fast niemand kennt. Uns ist bewusst geworden, dass der Religionsdialog von Land zu Land sehr unterschiedlich aussieht. In Südafrika, Singapur oder Indien findet man nicht die gleichen Initiativen."
Schwer beeindruckt habe sie beispielsweise ein Versöhnungsprojekt in Ruanda, das dazu beiträgt, die Folgen des Völkermords zu überwinden. Die anglikanische und die muslimische Gemeinde organisieren dort einen Tauschhandel unter Nachbarn - beispielsweise Hühner gegen Schafe, Tischdecken gegen Geschirr. Dadurch soll es Angehörigen von Tätern und Opfern des Massenmords erleichtert werden, Kontakt aufzunehmen.
Kontrapunkt zu Hiobsbotschaften aus aller Welt
Auf ihrer Weltreise habe sie das eine oder andere Projekt auch befremdet, sagt Samir, aber enttäuscht oder missfallen habe ihnen nichts. Das liegt daran, dass sich die Weltreisenden von Haus aus nur mit Initiativen beschäftigt haben, die funktionieren. In der Absicht, mit ihrer positiven Berichterstattung einen Kontrapunkt zu setzen zu den vielen Hiobsbotschaften aus der ganzen Welt.
Die Vier haben alle Aktionen mit Filmen, Fotos und Berichten im Internet dokumentiert. Sie hoffen nun, dass die eine oder andere Initiative auch nach Frankreich importiert wird. Lucie Neumann hat schon eine konkrete Idee.
"Ich denke an das 'Ramadan tent'. Die britischen Muslime stellen während des Fastenmonats im Herzen von London ein Zelt auf, wo sie sich mit anderen Religionsgemeinschaften treffen, um gemeinsam das Fasten zu brechen. Das würde auch gut für Frankreich passen."
Bei der jüngsten Reise handelte es sich schon um die zweite "InterFaith Tour". Die erste Weltreise dieser Art fand vor drei Jahren statt, die dritte Tour wird gerade vorbereitet. Treibende Kraft des Projekts ist der Verein "Coexister", was so viel wie "miteinander leben" heißt. In dem Verband haben sich 2000 junge Menschen unter 35 Jahren zusammengeschlossen, um, wie sie sagen, "aktive Koexistenz" zu leben.
"Einzelkämpfer miteinander verbinden"
Das Konzept der "aktiven Koexistenz" bestehe darin, nicht nur tolerant zu sein, sondern gezielt auf Menschen, die eine andere Religion praktizieren oder Atheisten sind, zuzugehen und gemeinsam zu handeln, sagt Samuel Grzybowski, 24 Jahre alt, der den Verein 2009 ins Leben gerufen hat.
Inzwischen gibt es 30 Ortsgruppen in Frankreich und bereits erste Gruppen in England, Belgien und der Schweiz. Die Mitglieder organisieren Stadtteilaktionen und leisten Überzeugungsarbeit in Schulen. Samuel Grzybowski war bei der ersten interreligiösen Weltreise dabei.
"Uns ist damals aufgefallen, dass den meisten Akteuren in interreligiösen Projekten gar nicht bewusst ist, wie viele sie sind. Sie fühlen sich ziemlich allein. Wir sind wahrscheinlich die Ersten, die dazu beitragen, diese Einzelkämpfer miteinander zu verbinden."
Samuel Grzybowski berichtet, dass sein Team von einer Initiative in Berlin begeistert war: der langen Nacht der Religionen, bei der verschiedene religiöse Gruppen an einem bestimmten Abend gleichzeitig ihre Kirchen, Synagogen, Moscheen, Tempel und sonstigen Gotteshäuser öffnen.
"Wir haben versucht, diese Initiative zu exportieren. Durch unsere Vermittlung wurde sie tatsächlich schon in Kanada kopiert, in der Stadt Montreal, und bald soll bald die 'Lange Nacht der Religionen' auch in Frankreich stattfinden, voraussichtlich nächsten September in Bordeaux. Marseille und Straßburg sind auch sehr interessiert."
Leid in positive Projekte umwandeln
Nach der Frankreichtournee mit etwa 100 Vorträgen über die "InterFaith Tour" wollen Lucie und Lea ihr Studium wieder aufnehmen. Samir und Ariane suchen einen Job. Sie alle seien von den Menschen, denen sie auf ihrer Weltreise begegnet sind, schwer beeindruckt und wollten ihrem Leben in Zukunft neue Akzente geben, sagt Léa Frydman.
"Ich habe vor allem eins gelernt: Entscheidend ist nicht, was uns in unserem Leben widerfährt, sondern das, was wir daraus machen. Viele Menschen, die sich für Friedensarbeit engagieren, haben zuvor Schlimmes durchgemacht, aber sie haben beschlossen, ihr Leid in positive Projekte umzuwandeln. In diese Richtung möchte ich nun auch arbeiten."
Die dritte "InterFaith Tour" beginnt im Juli 2017 und wird jetzt schon vorbereitet. Unter den zahlreichen Kandidaten hat der Vorstand von Coexister zwei Frauen und zwei Männer ausgewählt. Entscheidendes Kriterium war, dass das Team untereinander starke Bindungen hat - und natürlich: vier verschiedene Glaubensüberzeugungen.