Die Ukraine und Israel werben um Touristen
Urlaub machen, wo Krieg oder Katastrophen herrschen? Das wirkt erst einmal makaber, doch Touristen können Krisenregionen auch unterstützen. Reisewillige sollten sich aber über die teils erheblichen Risiken im Klaren sein.
Wenn Menschen in die Ukraine reisen, obwohl - oder vielleicht sogar weil - dort gerade Krieg herrscht, spricht man von "Dark Tourism". Unter den Begriff fällt aber noch mehr: Alle Besuche von Orten, die mit Tod, Tragödien oder Leid verbunden waren oder sind, würden so bezeichnet, sagt der Tourismusforscher Heinz-Dieter Quack. Also auch Reisen zu KZ-Gedenkstätten oder historischen Schlachtfeldern.
Zu Orten mit leidvoller Geschichte reisen viele Menschen, um sich mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen oder der Opfer zu gedenken. Wenn Krisen noch akut sind, werden Touristen oft von Nervenkitzel, Abenteuer- oder Schaulust angezogen. Doch auch die Unterstützung des Reiselandes kann ein Ziel sein. Wer aktuell trotz der Risiken in die Ukraine fahre, demonstriere damit schließlich auch Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern, sagt Quack.
Welche Risiken nehmen Touristen in Kauf, die in Krisengebiete reisen?
Historische Orte lassen sich teilweise ohne jegliche Risiken besuchen. Selbst in die Sperrzone rund um das explodierte Atomkraftwerk in Tschernobyl konnten Touristen bis zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit nur geringen Risiken reisen.
Wer hingegen in akute Krisengebiete fährt oder fliegt, nimmt damit teils erhebliche Risiken auf sich. In Ländern, für die eine Reisewarnung besteht, kann das Auswärtige Amt meist keine direkte konsularische Hilfe für deutsche Staatsangehörige im Fall des Falles leisten. Reisewillige sollten dringend abklären, was ihre Versicherungen in den Zielländern abdecken.
Gefahr durch Luftangriffe
Wer in die Ukraine reise, müsse sich bewusst sein, dass ihm etwas zustoßen könne, sagt Tourismusforscher Quack. Das gelte für das gesamte Land. Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen in die Ukraine und fordert deutsche Staatsangehörige auf, das Land „dringend“ zu verlassen.
Gefahren drohen direkt durch Kampfhandlungen und Raketen- oder Luftangriffe. Im gesamten Land bestehe zudem Gefahr durch nicht explodierte Munition - und auch das Gewalt- und Kriminalitätsrisiko habe sich im Zuge des Krieges erhöht. Evakuierungen durch deutsche Behörden sind nicht möglich.
Die Ukraine bemühe sich, Touristen Sicherheit zu bieten, sagt die ukrainische Journalistin Karina Beigelzimer. Alle touristischen Angebote in der Ukraine müssten ein Sicherheitskonzept haben, Hotels Schutzkeller bereitstellen. Touristen seien oft besser geschützt als Einheimische, betont Beigelzimer. Für sie persönlich beispielsweise sei der nächste Luftschutzbunker eine Viertelstunde zu Fuß entfernt.
Drei tote Touristen bei Anschlag in Afghanistan
Auch anderswo leben Reisende gefährlich. Mitte Mai 2024 wurden in Afghanistan sechs Menschen erschossen, darunter waren drei spanische Touristen. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag. Das Auswärtige Amt rät von Reisen nach Afghanistan ab und fordert deutsche Staatsangehörige auf, das Land zu verlassen.
Der britische Reiseunternehmer Joe Sheffer, der Reisen nach Afghanistan anbietet, schätzt die Lage naturgemäß anders ein. Er verweist darauf, dass die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Taliban und ehemaliger Regierung seit 2021 beendet ist, seitdem sei das Land relativ sicher. Der Anschlag von Mai 2024 ist allerdings kein Einzelfall, die meisten Anschläge reklamiert der IS für sich.
Was erhofft man sich in Krisenländern von Touristen?
Viele Regierungen von Ländern, die sich akut in Krisen oder Kriegen befinden, werben trotz oder gerade wegen dieser Lage um Touristen. So betreibt die staatliche Reiseagentur der Ukraine eine umfangreiche Webseite mit Informationen rund um Versicherungen und Sicherheit.
Ein Ziel: Die Menschen im Ausland sollen die Ukraine nicht nur mit Krieg und Leid assoziieren, sondern auch andere Aspekte des Landes wahrnehmen. Tourismus ist zudem ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Israel: Tourismusbranche unter Druck
In Odessa habe der Tourismus wieder etwas Fahrt aufgenommen, berichtet die Journalistin Karina Beigelzimer, noch kämen fast alle Touristen allerdings aus dem Inland. In Afghanistan verzeichnen die Behörden inzwischen einen Anstieg ausländischer Touristen.
In Israel liegt der Tourismus hingegen seit dem 7. Oktober nahezu brach, viele Fluggesellschaften fliegen das Land nicht mehr oder kaum noch an. Im Januar 2023 reisten nach staatlichen Angaben 271.000 Menschen nach Israel ein, im Januar 2024 waren es nur 59.000. Für die Tourismusbranche und auch für viele lokale Händler ist das eine wirtschaftliche Katastrophe.
Die israelische Regierung versucht nun, gezielt christliche Pilgergruppen anzulocken, die die Ruhe an den historisch-religiösen Orten wie der Grabeskirche schätzen. Dabei hat man allerdings bisher keine deutschen Touristen im Blick, denn durch die geltende Reisewarnung des Auswärtigen Amtes sind Reisen dorthin versicherungstechnisch schwierig. Auch in Israel sieht man den Tourismus nicht nur als Wirtschaftsfaktor, es geht auch um das Image des Landes.
Sind Reisen in Krisenländer ethisch vertretbar?
Das ist eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss. Touristen können mit ihren Reisen Länder und Regierungen unterstützen, das fängt schon bei Flughafen- und Visagebühren an. Manche Staaten sind selbst aktiv im Tourismus und betreiben zum Beispiel Hotels - wie in Sri Lanka oder Bangladesch. Ob das für oder gegen eine Reise spricht, hängt von der individuellen Haltung zur jeweiligen Regierung ab.
Auch wenn Länder durch eine Naturkatastrophe in eine Krise geraten, muss das Reisewillige nicht zwingend abhalten, sagt der Tourismusforscher Pascal Mandelartz. Doch unmittelbar nach einer Katastrophe anzureisen, nur um zu gucken, das störe Nothilfe und Aufräumarbeiten und bringe Touristen eventuell selbst in Gefahr.
Vulkanausbruch auf La Palma
Als 2021 auf La Palma ein Vulkan ausbrach und zahlreiche Dörfer zerstörte, kamen auch viele Touristen, um das Spektakel anzuschauen. Die Hotels auf der Insel waren fast ausgebucht. Gerade in Katastrophenzeiten sei das Geld knapp, sagt Mandelartz, Touristen seien als Einkommensquelle gern gesehen. Es komme dann darauf an, die Touristenströme zu steuern.
Auch nach der Ahrtal-Flut im Jahr 2021 kamen viele Menschen in das Gebiet. Die Winzer konnten so noch einigen Wein verkaufen. Zudem wurde durch die Augenzeugen auch das Ausmaß der Katastrophe deutschlandweit nachempfunden - und nicht zuletzt wurden im Ahrtal aus manchen Touristen auch Helfer.
pto