Die letzten Bergmänner sehen
Wenn noch in diesem Jahr die Zeche Prosper Haniel in Bottrop schließt, endet der Steinkohle-Bergbau in Deutschland. Während die Kumpel ihre letzten Monate arbeiten, kommen bereits Touristen. Sie wollen sehen, was bald Geschichte ist.
Nassgeschwitzt, das Gesicht rußverschmiert und den Helm ein wenig schief verrutscht auf dem Kopf, steht Angela Rabaszynski am Ausgang von Schacht 10 der Zeche Prosper Haniel – und ist glücklich: "Toll, ja, kann ich gar nicht sagen. Also, es fällt mir schwer, da jetzt …." Rabaszynski, vor mehr als 53 Jahren hier, in Bottrop geboren, sucht nach Worten. Gut vier Stunden war sie gerade selbst unter Tage.
"Ja, die Hitze, das war ja an dieser einen Stelle. Das habe ich vorher nicht gewusst, dass das da wirklich original 42-45 Grad sind, wenn da diese Belüftung nicht wär." Ihre einst weiße, nun auch rußverschmierte Baumwolljacke, über dem blau-weißen gestreiften Bergmannshemd, ist immer noch offen. Rabaszynski ist einfach glücklich, dass es doch noch geklappt, mit ihrer Fahrt unter Tage.
"Als ich mitbekommen habe vor ein paar Jahren, dass hier 2018 dann endgültig Schicht im Schacht ist, habe ich überlegt, wie kann man es anstellen und dann war vor ein paar Wochen so ein Gewinnspiel in so einer Wochenbeilage ‚Mittendrin‘ und tatsächlich habe ich das gewonnen. Das war für mich, als hätte ich eine Reise nach Mallorca gewonnen, also, vom Feeling her, weil ich ja da immer überlegt habe, wie stellst Du das an? Du bist Kind… hier in Bottrop geboren, Kind des Ruhrpotts und warst noch nie da unten gewesen. Das kann doch nicht wahr sein."
Einst arbeiteten hier 600.000 Menschen bald sind es noch 500
Gut sechs Stunden vorher am Werkstor von Prosper Haniel. Es ist eine von noch zwei Zechen, die im Ruhrgebiet im Betrieb sind. Am Jahresende ist dann Schluss – und über 200 Jahre Industriegeschichte vorbei. Zwei Besuchergruppen täglich, jeweils zwölf Personen, können bis zum Jahresende noch das Gefühl bekommen, einmal unter Tage gewesen zu sein. Mittlerweile, fünf Monate vor Ende, kommen auf einen Platz 50 Interessenten, Änderungen werden im Vorstand der RAG, einst Ruhrkohle AG, beschlossen. Auf der WDR-Liste, der 50 Dinge, die ein Nordrhein-Westfale getan haben muss, steht auf Platz eins: Einmal in ein Bergwerk einfahren – und zwölf Menschen, acht Männer und vier Frauen, haben heute die Möglichkeit dazu.
Siddik Eminoglu, einst selbst Revier-Steiger, nun für die Besuchergruppen zuständig, begrüßt die zwölf in einem schmucklosen Raum. Kaffeetassen und Wasser gibt es, dazu eine Sicherheitseinweisung und Geschichtsunterricht: Im Jahr 1957 arbeiteten rund 600.000 Menschen in und um die 141 Steinkohlezechen damals im Revier. Im nächsten Jahr – dem ersten ohne den aktiven Bergbau – werden es knapp 500 Mitarbeiter sein, die sich um die Folgeschäden kümmern sollen. Doch vieles aus den Jahrzehnten wird bleiben, das wird auch jetzt, im Besprechungsraum mit Siddik Eminoglu deutlich: "Auf dem Bergwerk wir duzen uns. Es kann ja sein, wenn ihr damit einverstanden seid. So, ich habe auch einen Spitznamen für Euch, damit das auch einfach ist. Man nennt mich auch Siggi."
Väter, die ihren Töchtern das Bergwerk zeigen
"So, kommen sie rein… die Sachen liegen in den Kabinen schon." Für viele Gespräche ist jetzt aber keine Zeit mehr, eingefahren wird pünktlich. In der Waschkaue, also der Umkleide, gibt es die weiße Arbeitskleidung, Helm, Schutzbrille, Knieschoner und Arbeitsschuhe für alle.
"Ich bin hier, weil ich es vor allem meinen Tochter nochmal zeigen sollte: Wir wohnen in Kamp-Lintfort, Bergbaustadt. Da hat die Zeche schon zugemacht und sie konnte damals noch nicht mit runterfahren und ich bin schon mal unten gewesen."
"Genau, ich bin die Tochter."
"Aufgeregt?"
"Gerade, wenn man jetzt so im letzten Jahr, wo das hier noch möglich ist, im Ruhrgebiet. Das man das nochmal ausnutzt, das ist schon gut, glaub ich."
Und los geht’s.
"Und dann kommen Sie mal bitte hierhin."
Siggi ruft. Es geht Richtung Schacht:
"Jeder nimmt die Lampe mal in die Hand. Und hier ist ein Rädchen. Wenn man nach unten leuchtet, einmal drehen und dann sieht man ganz genau, ob die Lampe funktioniert."
Die Bergmänner machen Feierabend, die Touristen kommen
Die Bergmänner, die die Frühschicht hatten, kommen ihnen bereits entgegen. Die Besuchergruppe läuft – jetzt ausgestattet – zum Förderkorb.
"Und los."
Das Gittertor wird geschlossen.
"Wir fahren gleich auf die siebte Sohle. Die Sohle ist Etage, kann man sagen."
Ungefähr zweieinhalb Minuten dauert die Fahrt. Endstation in exakt 1229 Metern Tiefe.
"So dann herzlich willkommen auf der siebten Sohle."
Siggi geht voran, führt die Gruppe vom Förderkorb weg. Hier, direkt am Schacht, ist alles befestigt: Boden, Decke, Wände.
"Alles, was sie hier sehen, kam mit dem Schacht unter Tage."
Siggi zeigt umher.
Mit Knieschonern ins Innerste des Bergwerks
"Wenn hier Schluss ist, wenn wir fertig sind... Alles, was nicht fest eingebaut ist, so wie die Teile hier, die Schränke, die Rohrleitungen, was da liegt, das kommt wieder hier mit dem Schacht… Wenn eine Maschine hier unter Tage bleibt, die hat einen Schrottwert, sage ich mal, lohnt sich nicht, man weiß nicht wohin damit, dann muss wenigstens das Öl abgelassen werden, alles das, was der Umwelt schaden kann."
Der Luftzug ist spürbar, es ist wärmer als oben – aber noch ein gutes Stück bis Streb, dem Bereich, wo die Kohle abgebaut wird. Gut eine halbe Stunde laufen, dann auf die sogenannte Dieselkatze, eine Art Hängebahn, auf der die Kumpel, nun die Besuchergruppe, hintereinander sitzend, durch die Stollen fahren.
Fast 30 Minuten, dauert es, mit etwa 10 km/h. Dann ruckelt es, die Dieselkatze bleibt stehen. Nun geht es, wieder zu Fuß, weiter – auf matschigem Untergrund. Am Streb angekommen, gibt es die letzten Anweisungen:
"Wir machen die Lampe hier drauf…"
"Helm auflassen. Nicht den Helm absetzen."
Auch die Knieschoner werden angelegt – und dann geht es rein, gebückt, teilweise auf Knien. Nach ein paar Metern ist Schluss, die Besuchergruppe liegt jetzt entlang Abbaukante, unter einem sogenannten Schild, erklärt Siggis Kollege, Klaus Pütz, ebenfalls Bergmann.
Ein Enkel auf Oppas Spuren
"Wo wir uns jetzt so geduckt drunter halten, das ist die Schildkappe hier über uns, und die hält drei Einfamilienhäuser aus, wenn man ein Einfamilienhaus von 250.000 Tonnen nimmt, das mal drei, ne. Also, jetzt seid ihr im sichersten Bereich, sicherer als in der Strecke."
Auch Soner Gider aus Bottrop, 31 Jahre alt, liegt hier: "Mein Oppa war einer der ersten Türken, die hierhin gekommen sind. Bin selber türkischer Abstammung. Dann wird einem bewusst, was er so geleistet hat. Mein Onkel, was die geleistet haben. Und jetzt kann man auch verstehen, warum die frühzeitig in Rente können. Natürlich haben sie sich das auch selber erarbeitet. Jetzt verstehe ich, was malochen bedeutet."
Es ist laut, heiß, stickig und eng. Doch Giders Augen leuchten: "Also, das Ruhrgebiet ist durch den Bergbau entstanden, die ganzen Kulturen, alle, die hierhin gekommen sind. Man muss sich dessen bewusst sein. Das ist, wie wenn Hamburg den Hafen verliert, das ist ja vergleichbar. Also, das Ruhrgebiet ist ja durch den Bergbau geprägt. Und das es jetzt zu Ende geht, finde ich schade." Er hat noch einen Wunsch: "Jetzt müssen wir einmal den Hobel sehen, dafür bin ich ja hier unten."
Es dauert ein wenig, Bergmann Pütz erklärt: "Der Hobel fährt daran vorbei und schält quasi. Der Hobel ist quasi nur ein Eisenklotz mit Zähnen oder Pickel oder Meißel, kann man sagen, der schält an der Kohlenwand, am Kohlenflöz vorbei, der ist eingestellt auf 4,5 Zentimeter. Fährt dran vorbei, schält die Kohle quasi, die fällt in den Panzer rein und wird abtransportiert in den Förderer, wo wir gerade hingehen, rein."
"Es ist hier nix gespielt"
Dann rauscht er ran und zieht eine Staubwolke nach sich. Als diese sich gelegt hat, erscheint Giders zufriedenes Gesicht: "Ja, super. Ich wollte eigentlich die Schremwalze sehen, es ist ja auch eine andere Höhe gewesen, aber leider können wir da nicht hin, aber der Hobel ist auch klasse, fährt auch sehr schnell vorbei. Genial."
Siggi gibt das Signal zum Rückzug: "Es ist hier nix gespielt, es ist wirklich so. Wir sind in einem richtigen Abbaurevier vom Bergwerk Prosper Haniel. Es ist kein Besucher-Streb, es ist wirklich eine Bauhöhe, in der Kohle gefördert wird."
"Man muss einmal, auf jeden Fall, einmal hiergewesen sein, um zu sehen, wie das funktioniert. Erst dann hat man richtig Verständnis dafür."
Die Gruppe meldet sich ab: "Steuerstand melden. Besuchergruppe ist aus dem Streb wieder herausgekommen, vielen Dank. Glückauf."
"Alles klar, schöne Heimreise."
Doch fast eine Stunde dauert dieser Rückweg noch. Dann Ausziehen, Duschen, den Ruß abschrubben.
Bevor es – zum Abschluss – noch einen Teller Suppe gibt:
"Aber was war den der Highlight für Euch heute? Jetzt unter Tage?"
"Die Gewalt, mit der der Hobel durch diese Haufen Kohle und Stein pflügt als ob das Watte wäre. Man riecht quasi eine Welt, die mal nicht diese Luft hatte…"
Die aber endlich ist – zumindest im Ruhrgebiet.