Tourismusexperte Karl Born über "Overtourism"

Was tun, wenn Touristen Einheimische vertreiben?

Touristen machen vor dem Trevi-Brunnen in Rom Selfies.
Touristen machen vor dem Trevi-Brunnen in Rom Selfies. © imago stock&people
Karl Born im Gespräch mit Ute Welty |
Sauftouristen, die überhaupt keine Skrupel hätten, gebe es in Städten wie Berlin oder Barcelona sehr oft, sagt Tourismusexperte Karl Born. Doch welche Maßnahmen können Städte ergreifen, um die Zahl der souvenirshoppenden Selfie-Touristen zu reduzieren?
Ute Welty: "Overtourism", das ist das Schlagwort, das die diesjährige internationale Tourismusbörse beherrschen wird, die heute in Berlin für die Fachbesucher öffnet. Overtourism bedeutet, dass so viele Touristen kommen, dass sie gar nicht mehr das erleben können, weswegen sie eigentlich verreisen, so etwas wie Ursprünglichkeit und Authentizität, ganz zu schweigen von Ruhe und Erholung. Vor allem Städte wie Paris, Venedig, Dubrovnik oder Berlin können davon ein trauriges Lied singen. Die Problematik kennt auch Karl Born, langjähriger Vorstand beim Reisekonzern TUI und inzwischen Honorarprofessor für Tourismuswirtschaft an der Hochschule Harz in Wernigerode. Guten Morgen, Herr Born!
Karl Born: Guten Morgen!
Welty: Woran erkennen Sie, wenn Tourismus seine Grenzen erreicht?
Born: In der Regel reagieren dann die Einwohner. Es ist nicht mal direkt so, dass die Touristen dann sagen, oh, das ist ja zu voll, ich mag da nicht mehr hin, sondern es sind ja die Hotspots dieser Welt, die fast jeder sehen will. Aber die Einheimischen reagieren, weil sie quasi überschwemmt werden und ihr eigenes Leben nicht mehr führen können.
Welty: Lässt sich das irgendwie an Zahlen festmachen? Sind 30 Millionen Besucher in Venedig pro Jahr schlicht und einfach zu viel, oder braucht es ein bestimmtes Verhältnis von Einheimischen und Touristen?

Mit teuren Preisen Touristen vertreiben

Born: In bestimmten Fällen kann man schon ausrechnen, was zu viel ist, wobei das immer individuell ist. Barcelona ist eine Stadt, die wir auch vorhin hätten nennen können. Aber in Venedig braucht man keine Zahlen. Da sieht man schon, wenn die großen Kreuzfahrtschiffe ankommen, dass die Stadt nicht mehr in der Lage ist, diese Anzahl Touristen aufzunehmen oder bestimmte Teile von Palma de Mallorca, wo dann auch der Bürgermeister sagt, jetzt muss ich irgendein Gesetz erlassen, dass das Mehrkommen von Touristen unterbunden wird.
Welty: Welche Mechanismen stehen denn zur Verfügung, um das Problem in den Griff zu bekommen? Ist ja auch schwierig zu sagen, du darfst kommen, und du darfst dann eben nicht mehr kommen.
Born: Auswahl ist immer ganz schwierig. Manchmal versucht man es über den Geldbeutel. Das heißt, dass die Eintrittspreise drastisch erhöht werden. Das ist bei den Galapagos-Inseln, da muss man extra Gebühr zahlen. Aber da hat man auch gesagt, nach so und so viel Touristen ist Schluss, dann darf keiner mehr kommen. Man sagt immer, Geld ist das beste Steuerungsmittel, aber da ist natürlich eine gewisse Ungerechtigkeit. Für den einen ist der doppelte Preis nicht schlimm, für den anderen ist der einfache Preis schon zu viel. Man hat halt geschrien. Wenn Sie mal Berlin nehmen, man hat geworben für Tourismus, man hat alles gemacht, dass Touristen hierherkommen. Aber der alte Spruch, der härteste Feind des Tourismus ist sein Erfolg, der erschlägt einen dann an solchen Orten. Das heißt, da muss eine Stadt radikal umsteuern, und das ist sehr schwierig.

Eine Umstellung braucht Zeit

Welty: Wenn es denn schwierig ist, haben Sie denn eine Idee?
Born: Nein. Man muss rechtzeitig erkennen und versuchen, eben tatsächlich den Zugang, und da gefällt mir am besten der nummerische Zugang. Etwas erschwert sind in Berlin auch zum Beispiel Zimmervermietung über Airbnb, das heißt also, die private Zimmervermietung, weil da ja die Organisationen fast gar keinen Einfluss drauf haben. Aber sie bemühen sich jetzt, auch das zu steuern und zu sagen, es dürfen nur so und so viele Zimmer zum Beispiel in Berlin privat an Touristen vermietet werden. Aber das ist ein Prozess, da können Sie ganz schnell ein, zwei Jahre rechnen, bis das greift. Es ist nichts von heute auf morgen.
Welty: Wir haben eben über Preise gesprochen. Wenn wir über Preise im Tourismus reden, dann sollten wir auch über die Bezahlung von vielen Jobs in der Tourismusbranche sprechen. Die sind saisonal begrenzt und meistens unterbezahlt. Wird das als Problem erkannt?

Jobs in der Tourismusbranche sind oft unattraktiv

Born: Leider noch nicht genügend. Sie haben den wunden Punkt getroffen. Eigentlich müssten viele junge Menschen alle in den Tourismus strömen, weil das so eine tolle Branche ist. Aber sowohl die niedrigen Eintrittsgehälter, und wenn Sie mal einen wesentlichen Teil der Branche nehmen, die Hotels, da haben Sie Arbeitszeiten, die schrecken viele junge Leute ab. Man weiß es inzwischen, auch hier, wie immer, Veränderungen im wirtschaftlichen, politischen Bereich. Man versucht es ein bisschen attraktiver zu machen. Aber das heißt, ohne bessere Bezahlung und intelligentere Steuerung von Freizeit wird das nicht gehen. Selbst hochbezahlte Leute in den Fluggesellschaften haben dann ja oft drüber gemotzt, dass sie ihre Freizeit nicht planen können.
Welty: Wie kann man dem begegnen, was in die Kategorie schlechtes Benehmen fällt, und was umso schwerer zu ertragen ist, wenn sich zehn oder 20 Leute auf einmal schlecht benehmen?
Born: Die Reiseveranstalter haben in den letzten Jahren eigentlich ganz erfolgreich dagegen gewirkt, gegen das dieses schlechte Benehmen, wenn es um Pauschalreisen geht. Die sind wirklich, kann man sagen, erzogen worden. Da kamen die Reiseleiter, haben das gesagt, es gibt Prospekte und alles Mögliche, um zu wissen, ich gehe nicht mit kurzen Hosen in eine Moschee oder mit einer ausgeschnittenen Bluse. Das weiß der deutsche Tourist schon. Aber diese Masse von Touristen in Berlin, in Paris oder in Barcelona, da ist ein großer Anteil Sauftouristen drin, die also überhaupt keine Skrupel haben, sich schlecht zu benehmen. Gut, jetzt könnte man sagen, der Tourist benimmt sich wie der Privatmensch. Da hilft in der Tat dann nur Durchgreifen. Aber da scheuen sich natürlich viele.
Welty: Aber sollte denn da durchgreifen?
Born: Ich hätte kein Problem, so eine ganze Gruppe mal in die Ausnüchterungszelle zu sperren.
Welty: Das ist schon eine relativ radikale Maßnahme, die Sie da vorschlagen.
Born: Ja, aber wenn Sie in bestimmten Gegenden in Berlin wohnen und die ganze Nacht nicht schlafen können, weil ununterbrochen Vollgesoffene auf der Straße lärmen – ich möchte nicht wissen, über was die nachdenken.

"Die internationalen Zahlen wachsen rasant"

Welty: Die Schwierigkeiten werden ja insgesamt noch größer werden, denn zum Beispiel die Chinesen entdecken das Reisen für sich, und da sind dann 200 Millionen Menschen potenziell unterwegs, die sich Auslandsreisen auch leisten können. Was bedeutet das für die nächsten zehn Jahre?
Born: Wenn man diese Rekordzahlen nennt, die immer gerade so, ITB, genannt werden, dann sind das ja die internationalen Zahlen, und die wachsen rasant, weil bestimmte Länder, und Sie haben eines der wesentlichen genannt, am Tourismus bisher nicht beteiligt sind. Es wird wirklich mindestens zehn Jahre noch dauern, bevor die so richtig den Markt überfluten. Aber wenn so ein Land wie China aufbricht, die Welt zu besuchen … Das Einzige, was vielleicht am Anfang noch ein Vorteil ist, die machen dann eben nicht die großen Reisen, die suchen sich einzelne Punkte nur raus, die sie besuchen. Wenn das allerdings immer die gleichen Punkte sind, wenn die sagen, Berlin und Paris und Barcelona muss drin sein, dann in der Tat werden die Städte ein Problem haben. Ich sag aber noch einmal, das trifft mehr im Moment den Stadttourismus als den traditionellen Pauschaltourismus.
Welty: Tourismusexperte Karl Born im "Studio 9"-Gespräch. Heute eröffnet die Internationale Tourismusbörse in Berlin. Ich sage danke schön!
Born: Schönen Dank und schönen Tag noch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema