Touristen im Kölner Dom

Das Weihwasserbecken ist kein Spucknapf

07:17 Minuten
Innenansicht des Kölner Doms
Innenansicht des Kölner Doms © picture alliance / imageBROKER / Daniel Schoenen
Von Christian Röther |
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Religiöse Orte sind oft Magneten für Touristen - auch für Menschen, die sich einer anderen oder keiner religiösen Tradition verbunden fühlen. Für das Personal im Kölner Dom bringen solche Besuche besondere Herausforderungen mit sich.
Zur Mittagszeit im Kölner Dom: Eine Lautsprecheransage lädt zum Gebet ein. Und das gleich in zehn verschiedenen Sprachen – von Niederländisch bis Chinesisch. Der Dom ist ein Tourismus-Magnet. Er zieht Menschen aus der ganzen Welt an. Laut der Dom-Verwaltung kommen aktuell im Jahr sechs Millionen Gäste. Das sind pro Tag im Schnitt mehr als 16.000. Deshalb stößt der Dom auch schon mal an seine Kapazitätsgrenzen - obwohl er fast 150 Meter lang ist und bis zu 85 Meter breit.

Der Dom ist groß - trotzdem wird's eng

"Man muss ja daran denken, dass der Dom 1248 geplant wurde und begonnen wurde", erklärt Robert Kleine. "Er ist zwar erst vollendet 1880, aber nach den damaligen Plänen aus dem Mittelalter."
Kleine hat beim Kölner Dom ein wichtiges Amt inne, er ist der Domdechant. "Damals hat natürlich keiner damit gerechnet, dass solche Massen in den Dom hineinkommen", sagt er. "Der ist als Bischofskirche gebaut worden damals in Köln. Er ist auch gar nicht auf so viele Menschen ausgelegt."

Im Advent müssen Besucher schon mal warten

Deshalb sind im Dom immer Aufsichtspersonen unterwegs: die Domschweizer. Gut zu erkennen an den roten Roben. Die etwa 30 Frauen und Männer arbeiten in Schichten, erklärt Kleine:
"Wenn allzu viele Menschen in den Dom kommen, dann müssen wir auch - im Advent - notfalls mal kurz stoppen, damit auch die Besucher wieder herausgehen können, bevor wir neue in den Dom hineinlassen. Es sind zwar einige Tausend, die parallel in den Dom hineinpassen, aber manchmal - gerade im Advent, wenn viele zum Weihnachtsmarkt kommen und dann den Dom auch besuchen - ist das schon an der Grenze."
Und es geht im Dom ja auch nicht nur um den Tourismus. Das Wichtigste sind nach wie vor die Gottesdienste, sagt Robert Kleine. Als Domdechant ist er verantwortlich für die Liturgie. Jeden Tag werden im Dom mehrere Messen gefeiert, dazu Andachten und das Mittagsgebet. Der Besucherstrom wird dann kurz gestoppt.

Ein Ort interreligiöser Begegnung

Und tatsächlich: Wo eben noch dutzende Menschen unterwegs waren, leeren sich die Gänge, als mit der Orgel das Gebet beginnt. Dafür füllen sich die Bänke vor dem Altar. 100 Menschen sind es bestimmt – an einem ganz normalen Werktag, mittags um zwölf.
Eine Frau steht vorn und sagt: "Nach dieser musikalischen Einstimmung begrüße ich sie sehr herzlich zum Mittagsgebet hier in Kölner Dom."
Ob die Menschen wirklich zum Beten gekommen sind oder um die Orgel zu hören oder einfach aus Zufall, das weiß man natürlich nicht. Weil der Dom Menschen aus aller Welt anzieht, ist er auch ein Ort der interreligiösen Begegnung, so Domdechant Robert Kleine:
"Es wird schon versucht, auch ein wenig von dem, was der Glaube in diesem Gebäude abbildet, den Menschen zu erklären. Ob das jetzt eine andere Konfession ist oder aber auch jemand, der eben aus einem islamischen Land kommt, oder ein Buddhist."

Tourismus vermittelt Religionskontakte

Im Dom begegnen sich Menschen ganz unterschiedlicher Religionen – und das jeden Tag tausendfach. Man kann also sagen: Der Tourismus spielt eine wichtige Rolle im interreligiösen Dialog. Und nicht nur im Kölner Dom, sagt der Religionswissenschaftler Michael Stausberg:
"Für mich ist Tourismus ein ganz zentrales Medium des Religionskontakts. Ich glaube für die meisten Menschen begegnet man anderen Religionen vor allen Dingen im Medium Tourismus - jedenfalls hautnah."
Michael Stausberg ist gebürtiger Kölner. Als Professor im norwegischen Bergen beobachtet er mit wissenschaftlichem Interesse, "wie sich Tourismusbehörden für Religion interessieren, weil Religion halt ein existierendes Attraktionsreservoir darstellen, das man dann vermarkten kann. Deshalb sind auch Städte oder Regionen sehr daran interessiert, dass religiöse Infrastruktur, die im Alltag weniger genutzt ist, da auch zugänglich bleibt."

Erklären, was eine Kirche ist

Tempel, Moscheen, Synagogen, Kirchen, Klöster, Pilgerwege – sie alle locken Reisende aus aller Welt in bestimmte Regionen. Beim Kölner Dom sind es nochmal mehr Gäste geworden, seit er 1996 zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt wurde. Das interreligiöse Publikum bringt aber auch Herausforderungen mit sich, erzählt Robert Kleine:
"Das erleben wir, dass immer mehr aus Kulturkreisen kommen, denen Kirchen ganz fremd sind. Wo das vielleicht auch die erste Kirche ist, die sie besuchen. Da muss ich auch nochmal anders vielleicht ihnen erklären, was die Kirche ist. Weil in unserem abendländischen Kulturkreis - wenn ich das mal so sage - weiß man, was eine Kirche ist, was man da macht. Und das müssen dann unsere Domschweizer schon mal erklären."
Da das manchmal ganz schön viel werden kann, werden die Domschweizer unterstützt von zusätzlichem Sicherheitspersonal.
"Hier ist ja direkt die Hohe Straße, die Einkaufsstraße. Manchmal gehen Leute auch gedankenlos einfach mit ihrem Hamburger oder so rein. Und dann sagt man: Stopp!"
Rufen, Rennen, Picknicken – das alles kommt im Dom immer wieder vor, bedauert Domdechant Robert Kleine:
"Das ist in den letzten Jahren etwas schwerer geworden, bis zu der Tradition hin, dass ich erklären muss, dass das Weihwasserbecken am Anfang daran erinnert, dass ich getauft bin, dass ich da meine Finger eintauche in das Wasser, dass das Wasser aber nicht ein Waschbecken ist oder ein Spucknapf."

Umschalten in den Tourismus-Modus

"Bitten wir nun zum Abschluss des Mittagsgebetes um den Segen Gottes", sagt die Frau vorne. Nach dem Mittagsgebet sind die Gänge sofort wieder gut gefüllt, als hätte jemand einen Schalter umgelegt: vom Gottesdienst-Modus zurück in den Tourismus-Modus. Mancher filmt seinen kompletten Rundgang, andere fotografieren die Heiligenfiguren, und am meisten werden vermutlich Selfies geschossen.
"Wir laden auch ein, dass man sich mal hinsetzt", sagt Robert Kleine. "Denn eigentlich erlebt man den Dom am besten, indem man sitzt, das mal auf sich wirken lässt, und mal ganz nach oben 42 Meter hoch guckt, nach vorne. Da sieht man manchmal mehr, als wenn man jedes Fenster mit dem Handy aufnimmt."

Großartige Architektur

Ganz hinten in der letzten Reihe sitzen nach dem Mittagsgebet zwei junge Männer. Sie kommen aus Südkorea – und sagen: Der Dom gefällt ihnen richtig gut: Er liebe das Katholische, meint einer der beiden. Es sei sein erster Besuch in einer Kirche. Denn katholisch seien die beiden nicht – sie hätten gar keine Religion.
Da ist er also wieder: der Tourismus-Magnet als interreligiöser Ort – der Kölner Dom als Raum, in dem sich Menschen mit einer anderen Religion beschäftigen, mit der sie sonst selten oder nie in Kontakt kommen.
Die Durchsage klingt durch den Raum: "Wir wünschen Ihnen einen guten Aufenthalt in Köln und Gottes Segen."
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