Touristen-Lektüre zur Varusschlacht

2009 jährt sich zum 2000. Mal die berühmte Varusschlacht im Teutoburger Wald. In "Der Sturz des römischen Adlers" schreibt Dirk Husemann über die Vorgeschichte, die Schlacht und die Archäologie des Ortes und den Mythos, den deutsche Historiker seit der Frühen Neuzeit um die Varusschlacht gestrickt haben.
Die Sieger schreiben die Geschichte - so heißt es. Wenn sie denn schreiben können, muss man hinzufügen. Die Germanen schrieben nicht, also schrieben die Römer die Geschichte. Und deshalb heißt das Ereignis auch nach dem römischen Feldherrn Varus-Schlacht, obwohl der germanische Heerführer Arminius oder Hermann der Sieger war und folglich ihm das Recht auf Namensgebung gebührt hätte.

Im kommenden Jahr wird dieser Vorfall der Frühgeschichte 2000 Jahre vergangen sein und daher in einer großen Medieninszenierung gewürdigt werden. Georg Friedrich Händel war früher dran: Er hatte Arminius schon 1736 zum Helden einer Oper erhoben.

Wie gesagt, das Problem bei Hermann und Varus ist, dass die schriftlichen Quellen nur von römischen Autoren stammen. Dirk Husemann konzentriert sich in seinem Buch zunächst einmal auf die beiden Protagonisten und versucht, sie aus den Schriften lebendig werden zu lassen.

Da ist Varus, der römische Karrieresoldat und -politiker, der sich schon bei der Niederschlagung eines Aufstandes der Judäer durch Umsicht und Tatkraft ausgezeichnet hatte. Dann aber verdüsterte sich sein Bild in der römischen Geschichtsschreibung - als Statthalter von Syrien habe er arm ein reiches Land betreten, heißt es, und reich ein armes Land verlassen.

Dass die Statthalter ihre jeweiligen Liegenschaften ordentlich ausplünderten, galt eigentlich nicht als ungehörig, aber Varus wurde es angekreidet. Husemann fasst zusammen:

"Varus selbst scheint kein außergewöhnlich aufgeregter Charakter gewesen zu sein. Wie Flavius Josephus und Velleius Paterculus übereinstimmend meinen, hat er Bequemlichkeit zu genießen gewusst."

Den Grund für Varus’ Reputation als Faulpelz muss in der Schlacht zu suchen sein, in der im Jahre neun nach Christus drei römische Legionen von den vereinigten Germanenstämmen aufgerieben wurden.

"Varus, Varus, gibt mir meine Legionen zurück!"

soll Kaiser Augustus ausgerufen haben. So grandios und blutig ist Rom nie zuvor besiegt worden. Das Imperium war in seinen Grundfesten erschüttert - also musste man einen glaubhaften Schuldigen präsentieren, und das war der plumpe Varus.

Ganz anders sein Feind: Arminius, von dem man nicht weiß, wie er wirklich hieß, denn Arminius ist der Name, den ihm die Römer gaben. Als Hermann wurde er später eingedeutscht. Arminius wuchs als Geisel in Rom auf, wurde dort ausgebildet und diente als Offizier im römischen Heer. Seine Kenntnis des römischen Kriegswesens sollte ihn in die Lage versetzen, die perfekte Falle zu bauen. Husemann zitiert Paterculus, der aus Arminius eine Art James Bond macht:

"Arminius, ein junger Mann von edlem Geschlecht, tapferer Hand, schnellen Sinnes, gewandten Geistes, mehr als Barbaren das sonst sind."

Das ist das Problem mit den antiken Quellen - sie sind vermutlich politisch gefärbt und geben kein objektives Bild. Noch weniger weiß man über die Schlacht - auch hier sind die Quellen dürftig, denn es gibt keine zeitnahen Augenzeugenberichte.

Husemann hat sich in seinem Buch auf das gestützt, was man weiß, weshalb er einleitend lang und ausführlich über die beiden Hauptdarsteller schreibt, ohne dass der Leser einen Grund hat, sich für die beiden zu interessieren. Den Grund, die Beschreibung der Schlacht, liefert er erst später nach, was misslich ist, denn erst wenn man sich deren Vorgeschichte und mutmaßlichen Ablauf klargemacht hat - in Anerkennung einer dürftigen Faktenlage - fängt man an, sich für die Führer der Schlacht zu interessieren. So ist dieser Ablauf eher verwirrend.

Der Schlachtort: 700 Gemeinden bewarben sich um das Privileg, den Ort der Varusschlacht, die in der deutschen Geschichte gern als die Geburtsstunde einer deutschen Nation hochstilisiert wurde, in ihren Grenzen zu haben. Nachdem jahrzehntelang ein Hinweis Theodor Mommsens, der das Schlachtfeld bei Kalkriese vermutete, ignoriert worden war, verdanken wir es der Ausdauer eines britischen Majors, der mit seinem Metalldetektor über die Hänge und Wiesen des Wiehengebirges streunte, dass das mutmaßliche Schlachtfeld gefunden wurde.

Aufregendes weiß Husemann über die Arbeit der Archäologen zu berichten, vor allem über die Erkenntnisse, die man aus dem Backenzahn eines Maultierskeletts ziehen konnte: An diesem Zahn im Boden von Kalkriese konnten die Archäologen ablesen, dass das Tier zwischen August und Oktober des Jahres 9 n. Chr. gestorben ist. Husemann schreibt häufig für "GEO" oder "Spiegel online". Vielleicht erklärt das die zuweilen aufgesetzte Flockigkeit seiner Sprache:

"Der Legionär hat’s schwer"

mag noch gehen, aber

"ein Maultier spukt große Töne"

geht ein bisschen zu weit.

Husemanns Themen sind die Vorgeschichte der römischen Herrschaft, die Schlacht und die Archäologie des Schlachtortes - und der Mythos, den deutsche Autoren seit der frühen Neuzeit, seit Ulrich von Hutten, um die Varusschlacht gestrickt haben. Das Buch bietet eine ordentliche Touristenlektüre für diejenigen, die im kommenden Jahr zwischen Haltern, Kalkriese und Detmold auf den Spuren von Varus und Arminius reisen wollen.

Rezensiert von Paul Stänner

Dirk Husemann: Der Sturz des römischen Adlers. 2000 Jahre Varusschlacht
Campus Verlag 2008,
240 Seiten, 24,90 Seiten