Borna setzt auf den Luther-Effekt
Borna in Sachsen will überleben und das nicht nur mit dem Bergbau, der die Region dominiert. Von dem Hype um Martin Luther anlässlich des Reformationsjubiläums will die Stadt profitieren. Schließlich hat Luther mehrfach hier gepredigt.
Wer im sächsischen Borna nach Spuren von Martin Luther sucht, für den ist der Amtssitz des Superintendenten der Evangelischen Kirche, Matthias Weismann die richtige Adresse. Er weiß warum die kleine Stadt eine wichtige Station für den großen Reformator auf der Reise von Eisenach nach Wittenberg war:
"Also nachweislich war Martin Luther wenigstens neun Mal, aber wahrscheinlich sogar noch mehr in Borna, und das hatte unterschiedliche Gründe, zunächst mal hatte er hier einen guten Vertrauten, einen Freund, den so genannten Geleitsmann, Michael von der Straßen, man muss sich das im Stande eines Landrats vorstellen, der hier in Borna wohnte, der mit Luther persönlich bekannt war und bei dem er auch immer unterkam. Da ist auch besagtes Haus mit dieser Tafel am Markt wo er dort gewohnt hat also zumindest an dieser Stelle."
Luther - seit dem Wormser Edikt von 1521 für vogelfrei erklärt - predigte 1522 gleich mehrmals in der Bornaer Stadtkirche St. Marien. Am 5. März 1522 - einem Aschermittwoch - schrieb er hier den berühmt gewordenen "Aschermittwochbrief" an Kurfürst Friedrich den Weisen - gegen dessen Willen er die Wartburg verlassen hatte. In dem Brief erklärte er seinem Schutzherrn, dass sein Handeln allein aus seinem Glauben erfolgt sei:
"Ich stehe in einem größeren Schutze, als Ihr ihm mir gewährt, weil ihr aber noch nicht gläubtet, versteht ihr das nicht."
Borna feiert Luther jedes Jahr
Seit 2013 feiert das kleine Borna den Reformator Luther jedes Jahr mit einem großen Fest. Laienschauspieler aus der Stadt führen Theaterstücke auf dem Platz vor der schmucken Stadtkirche auf, rundherum herrscht ein buntes Markttreiben mit Gauklern und Musik. Die Stadt entdecke ihre geschichtlichen Wurzeln und dazu gehöre auch ihre Rolle in der Reformation, sagt Oberbürgermeisterin Simone Luedtke:
"Luther ist mehrfach in Borna gewesen, wir sind als Stadt auch stolz darauf, wir haben einen sehr guten Draht zu unserer evangelischen Kirche und haben dann auf kurzem Draht beschlossen, wir stellen das Lutherfest jetzt auf die Beine, wir haben ein hervorragendes Engagement der Bürger erfahren. Es gab also einen, der ein Theaterstück geschrieben hat, natürlich ist das ein Luther-Theaterstück, das ist ganz klar."
Dass die Stadt Borna sich mit vielen ihrer Bürger so tatkräftig und fröhlich für das Gedenken an den charismatischen Reformator einsetzt, ist nicht so selbstverständlich. In der Großen Kreisstadt, rund 30 Kilometer südlich von Leipzig leben heute knapp 20.000 Menschen. Viele von ihnen sind einstige Bergleute, die zu DDR-Zeiten im nahegelegenen Braunkohle-Tagebau gearbeitet haben oder an den riesigen Schwelöfen standen, um Koks, Gas und Öl aus der Kohle zu gewinnen. Eine gefährliche und gesundheitsschädliche Arbeit, die zu DDR-Zeiten vergolten wurde mit guten Löhnen und Zusatz-Rentenzahlungen.
1990, gleich nach der friedlichen Revolution, war Schluss damit. Zehntausende Menschen verloren ihre Arbeit quasi über Nacht. Die Zusatzrenten blieben bis Ende 1996 erhalten, in der Annahme, dass die Ost- und Westrenten bis dahin angeglichen sein würden. Das trat nicht ein, dennoch fielen die Zusatz-Renten weg. Wer erst nach dem Stichtag in Rente ging - so war es im Einigungsvertrag vereinbart - ging leer aus. Diese Regelung schafft Frust bis heute, eine politische Lösung des Dilemmas steht immer noch aus.
Bis 2050 soll die Zahl der Kirchenmitglieder dramatisch sinken
Superintendent Matthias Weismann steht kurz vor dem Ruhestand. Er ist ein zugewandter, lebensfroher Gottesmann. Sein Kirchenbezirk Leipziger Land umfasst die Städte Borna, Wurzen und Grimma. Er sei, so sagt er schelmisch lachend, "Oberflächenbeauftragter". Der kleine Scherz birgt bittere Substanz: Derzeit kümmern sich in seinem Sprengel noch 32 Pfarrerinnen und Pfarrer um rund 32.000 gläubige Protestanten.
Für 2050 prognostizieren die aktuellen Berechnungen nur noch rund 15.000, also weniger als die Hälfte Kirchenmitglieder im gesamten Bezirk. Superintendent Weismann hat als Verwaltungschef die Aufsicht und Verantwortung für sage und schreibe 156 Kirchen, "eine sei schöner als die andere", sagt er. Nicht alle dieser kleinen und großen Gotteshäuser seien regelmäßig frequentiert, zu unterschiedlich ist die Zahl der registrierten Kirchenmitglieder.
Sie liegt je nach Dorf oder Stadt hochgerechnet auf die Einwohnerzahl zwischen 8 und 50 Prozent. Das liegt auch an der Kohle. In der Vergangenheit wurden viele Dörfer in der Region abgebaggert, Rund 27.000 Menschen wurden umgesiedelt, haben ihre Heimat verloren, zuletzt die Bürger von Heuersdorf, im Jahr 2008. Nur eine kleine Kirche wurde gerettet. In einer Umsiedlungsaktion, die bundesweit Aufsehen erregte, wurde das kleine romanische Gotteshaus aus dem 13. Jahrhundert von Heuersdorf in das 12,5 Kilometer entfernte Borna gebracht und neben der Stadtkirche neu aufgestellt. Ein in vielerlei Hinsicht riskantes Unterfangen, das bei den Bornaer Bürgern nicht nur auf Begeisterung stieß, wie sich Superintendent Weismann erinnert. Viele Bürger hatten Vorbehalte:
Super-Intendent Matthias Weismann: "Oh, sagen Sie jetzt, passt hierher, ... Eine Hundehütte wollen Sie neben die Stadtkirche setzen!... Da habe ich zu meiner Frau gesagt, wenn das schief geht, ...es wusste ja keiner, wie das vorneweg aussieht,...dann können wir hier aber verschwinden." (lacht)
Tafeln in der Kirche erinnern an verschwundene Dörfer
Heute ist das Geschichte. Die kleine Kirche hat ihren Platz gefunden und erinnert mahnend an den Schwund von Heimat. Im Innenraum finden sich auf Marmortafeln die Namen der seit 1933 für den Bergbau abgebaggerten Dörfer der Region:
"Hier, das sind die Einwohnerzahlen, und das sind Kirchen gewesen, hier gab es überall Kirchen, die also geschleift worden sind. Und bis dato war Heuersdorf der letzte Ort. 2008 ist dann der gesamte Ort weggekommen mit der Taborkirche, und wenn Sie heute in den Tagebau reingucken, da gibt es eine Aussichtsplattform. Sie können das nicht lokalisieren, wo das Dorf mal war. Es ist ein Nichts! Und in sofern ist das für Heuersdorfer Bürger, die es ja noch gibt, schon interessant, gelegentlich mal hierher zu kommen und zu sagen, Mensch, in der Kirche bin ich getauft worden!"
Der Heimatverlust und das Schicksal der Bergmänner, die durch den politischen und gesellschaftlichen Wandel ihren Lohnerwerb verloren, haben teilweise verkümmerte - der Kirchenmann Weismann sagt "verkrümmte - Existenzen in der Region geschaffen. Ein Thema, dass der Künstler des 2011 vor der Stadtkirche aufgestellten, neuen Lutherdenkmals aufgreift.
Der Schlüssel zum Verstehen des Denkmals ist eine Tür. Hinter der Tür steht eine in sich verkrümmte, undefinierbare Gestalt. Vor der Tür steht Luther als der durch seinen Glauben befreite, predigende und scheibende Reformator dargestellt. Gewitzte Bornaer steckten ihm manchmal bunte Blumen in die geöffnete Hand, berichtet Weismann, und auch mal eine Bierflasche: "Wichtig war uns zunächst mal, dass Luther hier auf keinem Sockel steht, sondern in Augenhöhe."
Borna plant Luther-Events fürs ganze Jahr
Borna wurde sehr früh evangelisch. Bereits 1518 gab es hier auf Vermittlung Martin Luthers einen evangelischen Prediger. Luther selbst predigte mehrmals in der Bornaer Stadtkirche, seine Predigten sind erhalten geblieben und nicht nur das, wie Oberbürgermeisterin Simone Luedtke erzählt:
"Wir haben auch hervorragende Quittungen vom Ratskeller gefunden, wo er gespeist und natürlich auch getrunken hat, und wir kamen dann eigentlich auf die Idee zu sagen, Luther hat die Kirche bewegt: Uns ist ja die Emmauskirche 2007 gebracht worden, da ist das zweite Mal die Kirche bewegt worden und jetzt bewegen wir die Kirche."
Borna will seine Chance nutzen, mit dem Luther-Effekt den Tourismus anzukurbeln. Mit einem weiteren großen Lutherfest im August, dem gleichfalls jährlichen Halbmarathon-"Lutherlauf" auf historischer Route sowie dem neu gestalteten "Luther"-Wanderweg von Altenburg nach Borna. Weinfreunden wird der Bornaer "Lutherschluck" kredenzt, Gerstenfreunde laben sich am "Lutherbier". Die Stadt hofft dauerhaft vom Reformations-Jubiläumsjahr zu profitieren.