Das Ende der Welt bittet zur Kasse
Warum sollen Touristen nicht dafür bezahlen, dass genau das, was sie suchen, auch erhalten bleibt? Neuseeland - bekannt für Natur pur - wird ab 2019 eine Touristensteuer erheben. Wer ans schönste Ende der Welt will, muss dann einen Beitrag leisten.
Die Keas gelten als die Intelligenzbestien der neuseeländischen Tierwelt: schlau, gerissen und hintertrieben. Keas sind Bergpapageien mit smaragdgrünem Gefieder, kräftigen, gebogenen Schnäbeln und einem Hang zu Faxen und Schabernack.
Beliebte Opfer der schrägen Vögel sind Touristen, weshalb sie gerne zur Kawarau-Brücke kommen. Dort finden sie auf dem Parkplatz ihre Lieblingsbeute, die Gummieinlagen von Autoscheibenwischern. Während die Vögel sich amüsieren, gehen die Touristen einem ganz besonderen Vergügen nach.
Funsport-Mekka für Adrenalin-Junkies
Was vor 30 Jahren an der Kawarau-Brücke als Mutprobe für wenige Waghalsige begann, ist längst Big Business, Bungee-Jumping ein organisierter Nervenkitzel für zehntausende Touristen: sich kopfüber als menschliches Jo-Jo am Gummiseil in die Tiefe stürzen. Fallschirmspringen, Jetboating, Klettern, Whitewater-Rafting, Heli-Skiing, Canyoning oder Mountainbiking: Neuseeland ist das Funsport-Mekka für Adrenalin-Junkies, aber auch eine Outdoor-Gesellschaft, ein Spielplatz der Natur.
Weshalb jährlich Millionen Touristen wie Jan Kuipers aus Amsterdam eingeschlafene Füße und Jetlag in Kauf nehmen und einen 25 Stunden-Flug ans Ende der Welt erdulden.
"Hier gibt es überall etwas zu sehen, du musst nicht zwei Stunden mit dem Auto unterwegs sein, nur um eine Wanderung zu machen. Alle 20 Minuten kommt man an einen Wasserfall, in dem man schwimmen kann, und die Neuseeländer sind richtig nette Leute."
"Herr der Ringe" wirkte wie ein Werbespot
Viereinhalb Millionen Einwohner, nur 18 pro Quadratkilometer, aber mehr als 30 Millionen Schafe, kaum Großstädte, saubere Luft und grün, soweit das Auge reicht: ein populäres, sicheres Reiseland war Neuseeland schon immer, das Traumziel von jungen Rucksack- und älteren Individualtouristen aus aller Welt, die ungebunden mit dem Campervan oder zum Wandern unterwegs waren.
Dann aber kamen die "Herr der Ringe"-Filme in die Kinos. Darin war Neuseeland nicht einfach nur Kulisse für Mittelerde, sondern der Hauptdarsteller, die Tolkien-Trilogie ein neun Stunden langer Werbespot für spektakuläre Landschaften und Natur pur. Millionen sahen die Filme, Hunderttausende zog es an die Schauplätze.
Obwohl der Kinostart des "Herr der Ringe"-Zyklus' jetzt schon 17 Jahre zurückliegt, rechnet die einheimische Tourismusbehörde 2019 mit der Rekordzahl von viereinhalb Millionen Besuchern. Neuseeland droht zusehends das Opfer des eigenen Erfolges zu werden.
Am Ufer des Waihou-Flusses in der Nähe von Putaruru im Herzen der neuseeländischen Nordinsel. Vorbei an frischgemähten Weiden, Moorland, Riesen-Farnen und glucksenden Mini-Wasserfällen führt ein gewundener, fünf Kilometer langer Wanderweg zu den "Blue Springs", dem saubersten Frischwasser-Reservoir Neuseelands.
Die Umweltbelastung wächst mit den Besucherzahlen
Craig Dodson, ein rundlicher Milchbauer, der auch im örtlichen Gemeinderat sitzt, spielt Reiseführer. Die Quelle sei so rein, sagt er, dass sie 70% des in Neuseeland abgefüllten Wassers liefere, die Wassertemperatur läge das ganze Jahr über bei kühlen 11 Grad. Aus Craig sprudeln mehr Zahlen als Wasser aus der Quelle, eine Statistik aber macht ihm Sorgen. Über die letzten zehn Jahren sind die Besucherzahlen an den "Blue Springs" von jährlich 12.000 auf 40.000 gestiegen. Mit Folgen.
"Früher reichte das Flussgras im Wasser bis ans Ende der Quelle, aber ein Großteil wurde durch die vielen Touristen, die hier schwimmen oder durch das Wasser waten, einfach herausgerissen. An der Stelle, an der die Leute ins Wasser gehen und wieder herauskommen, ist der ganze Bewuchs verschwunden."
Das Wasser ist so klar, dass man Zeitung dadurch lesen könnte. Von einer Holzplattform am Ufer zeigt Craig mit seinem Spazierstock auf eine gut zwei Meter breite, kahle Schneise durch das Flussgras, das sonst in langen, grünen Girlanden in der Strömung der Quelle treibt.
"Die Plattform war ein Schlag ins Wasser", witzelt Craig. Das Deck mit Stufen bis zur Quelle hinunter sollte Besucher eigentlich davon abhalten, die Pflanzen entlang des Ufers platt zu trampeln – stattdessen nutzen sie den Steg jetzt zum Schwimmen. Die Gemeinde musste neue Toiletten am Ende des Wanderwegs bauen, den Müll der Touristen wegzuschaffen ist ein Albtraum. "Es kostet uns eine Menge Geld", beklagt Craig Dodson und fürchtet, dass die "Blue Springs" zur Sehensunwürdigkeit werden.
"Wir wollen nicht, dass noch mehr Touristen zu uns kommen, wir kämpfen schon mit den aktuellen Besucherzahlen. Wir können das alleine nicht leisten, unsere kleine Gemeinde braucht staatliche, finanzielle Hilfe, damit wir jedem ein echtes Erlebnis bieten können, ohne dabei den Schutz der Umwelt zu vernachlässigen."
Zu viele Autos, zu viel Müll, zu wenig Infrastruktur
Der Ort Putaruru ist nur ein paar Autominuten vom Parkplatz an den "Blue Springs" entfernt, aber Touristen sind dort kaum zu sehen. Auf der Hauptstraße donnern Milchtanker und Langholzlaster vorbei, vor den Geschäften parken Pick-Ups und Geländewagen. Die Einwohner der Gegend leben vor allem von Landwirtschaft und Milchkühen, Victoria Epainima betreibt einen kleinen Baumarkt.
"Auf mehr als dreimal soviele Besucher wie noch vor ein paar Jahren war niemand vorbreitet", erzählt sie. Doch die "Blue Springs" sind für Putaruru keine große Einnahmequelle. Die Leute kommen, schauen und fahren weiter. An Putaruru, sagt Victoria Epainima, geht das Touristengeschäft buchstäblich vorbei.
"Früher war die Quelle ein wunderschöner, friedlicher Ort, jetzt ist sie überlaufen, zugeparkt und voller Abfall. Im Ort bleibt niemand länger, weil wir nicht genug Restaurants oder Übernachtungsmöglichkeiten haben. All das muss besser gemanagt werden, sonst leidet die Umwelt an der Quelle. Wir Anwohner haben keinen wirtschaftlichen Vorteil und die Leute werden langfristig ausbleiben."
Zu wenige Hotelbetten, öffentliche Toiletten oder Parkplätze auf der einen Seite, auf der anderen: Probleme mit Trink- und Abwasser, überlaufene Wanderwege und Staus an beliebten Sehenswürdigkeiten. Neuseelands Infrastruktur ist mit den steigenden Touristenzahlen nicht mitgewachsen. In kleinen Orten wie Putaruru, genauso wie in Auckland, der einzigen Millionenstadt des Landes.
Über den Dächern von Auckland auf dem Gipfel von Mount Eden. Der grasbewachsene Vulkankrater, nur fünf Kilometer von der City entfernt, ist ein populärer Aussichtspunkt und der ideale Ort für ein Selfie mit der Skyline der Stadt im Hintergrund. Früher fuhren stündlich bis zu 15 Tourbusse bis ganz nach oben und blockierten mit laufendem Motor die steile Zufahrtsstraße. Nach Protesten der Anlieger kann man jetzt nur noch zu Fuß auf den Krater.
"Wer als Tourist kommt, muss seinen Teil beitragen"
Einer, der letztes Jahr mitdemonstriert hat, ist Simon Milne. Der Professor für Tourismus an der Technischen Universität Auckland lebt nur ein paar Straßen weiter und fordert seit langem, dass der Schutz und die Instandhaltungskosten von Touristenattraktionen in Neuseeland nicht nur von den Anwohnern getragen werden sollten.
"Jeder, dessen geschäftliche Aktivität die Umwelt oder öffentliche Einrichtungen belasten, sollte dafür zur Kasse gebeten werden. Das gilt auch für Reiseveranstalter – und egal, ob im Hinterland oder in der Großstadt: Wer als Tourist diese Einrichtungen nutzt, sollte auch dazu seinen Teil beitragen."
Etwa 80.000 Quadratkilometer, ein Drittel der Fläche Neuseelands, sind Nationalparks. Wer sie besuchen will, der kann das, anders als etwa in Australien oder den USA, kostenlos tun. Nur für vielbesuchte Wanderwege und die Benutzung von Hütten entlang der Tracks werden Gebühren verlangt. Die hat die Regierung jetzt angehoben und obendrein eine neue Abgabe beschlossen.
Mitte 2019 kommt die Touristensteuer
Ab Mitte 2019 muss jeder internationale Tourist, der nach Neuseeland kommt, eine Besucher-Steuer in Höhe von 20 Euro bezahlen. Der Betrag soll bereits beim Erteilen des Visums eingezogen werden. Ausgenommen sind nur Reisende aus den umliegenden Südsee-Inselstaaten und dem großen Nachbarn Australien. Zur Begründung heißt es: Wer jeden Monat von Sydney nach Wellington zu einem Business-Meeting fliegt, der belastet weder Neuseelands Infrastruktur noch die Umwelt – also genau die Bereiche, denen der Erlös der Besucher-Steuer zugute kommen soll.
Tourismus-Professor Simon Milne rechnet mit Einnahmen von gut 45 Millionen Euro allein im ersten Jahr. Eine Menge Geld, das vor allem kleineren Gemeinden beim Bewältigen einer immer größeren Zahl von Touristen helfen könnte.
"Die neuseeländische Regierung hat über Jahre den ungebundenen, unabhängigen Reisenden umworben – und das war sehr erfolgreich. Doch dabei wurde die andere Seite der Medaille vergessen, denn die drängendere Frage ist: 'Wie vermarkten wir die Tourismusindustrie gegenüber Neuseeländern und wie bereiten wir die Einheimischen auf noch mehr Reisende vor'?"
"Noch mehr Touristen? Nein danke", lacht Stuart Beattie. Dem 45-jährigen früheren Bergfrüher gehört die Tankstelle in Tekapo, einem 370 Einwohner-Ort im Mackenzie District auf Neuseelands Südinsel. Von seiner Werkstätte aus hat Stuart ein Postkarten-Panorama: Links am Horizont der majestätische Mount Cook, rechts Lake Tekapo, ein Gletschersee mit milchig-blauem Wasser und am Ufer die Silhouette der Kapelle des guten Hirten, eine der meistfotografierten Kirchen Neuseelands.
2,2 Millionen Touristen kamen letztes Jahr in die Region, eine Gegend mit einer Bevölkerungsdichte von einem einzigen Einwohner pro Quadratkilometer. "Es wird Zeit, dass unsere Natur diese Besuchermassen etwas kostet", meint Stuart Beattie, denn den Einheimischen käme sie teuer zu stehen.
"Wenn ich in anderen Ländern Nationalparks oder historische Stätten besucht habe, dann habe ich dafür ganz selbstverständlich Eintritt bezahlt. Die neue Touristen-Steuer verteilt diese Einnahmen auf alle Besucher – und wir brauchen das Geld. Es kann nicht länger sein, dass unsere 300 Gemeindesteuerzahler den Erhalt und Ausbau der touristischen Einrichtungen in der Gegend finanzieren sollen."
Tourismusbehörde will keine weiteren Abgaben
Kristallklare Flüsse, Regenwälder und schneeüberzuckerte Vulkankegel, Fjorde, sattgrüne Täler oder Gebirgsmassive, leere Strände, grasbewachsene Hochebenen und Gletscher: Im Foyer der neuseeländischen Tourismusbehörde in Auckland flimmern die Hochglanz-Landschaftsaufnahmen der letzten Werbekampagne auf Endloschleife über Flachbildschirme.
Zwei Etagen höher sitzt Geschäftsführer Craig Roberts und sieht ganz und gar nicht glücklich aus. Der Tourismus sei nun einmal Neuseelands größte Industrie, unterstützt von ganzen 96% der Kiwis. "Das setzt man nicht leichtfertig aufs Spiel", moniert Roberts, die Besucher-Steuer sei ein Fehler.
"Wir knöpfen Touristen schon im Zollbereich eine Reihe von Gebühren ab und wenn sie in Neuseeland sind, zahlen sie Mehrwertssteuer – jährlich etwa 700 Millionen Euro. Warum verwendet die Regierung nicht dieses Geld, statt eine eigene Tourismus-Steuer einzuführen? Das ist unfair, und ich bin mir nicht sicher, ob es der richtige Weg ist, internationale Besucher bei uns willkommen zu heißen."
Im gleichen Gebäude, nur ein Stockwerk tiefer, liegen die Büros der EDS, einer Naturschutzorganisation, die sich für sanften, umweltverträglichen Tourismus in Neuseeland stark macht. EDS-Chef Gary Taylor, ein Grüner im blauen Nadelstreifenanzug, hält die Besucher-Steuer für eine großartige Idee - vorausgesetzt, das Geld werde auch an den richtigen Stellen ausgegeben. Eine Investition in Neuseelands natürliches Kapital sei eine gute Anlage, meint Taylor.
"Für mich ist diese Abgabe eine Umwelt- oder Naturschutz-Steuer, die garantiert, dass jeder unsere Landschaften genießen kann – Besucher wie Einheimische. Touristen kommen hauptsächlich zu uns, um Natur zu erleben, deshalb müssen wir umdenken und gezielt darin investieren. Nur eine intakte Umwelt gewährleistet, dass Besucher auch künftig zu uns kommen."
Maori sollen von der Steuer profitieren
Das Bewahren der einmaligen Landschaften Neuseelands ist eine Sache, das Bewahren der Volksseele eine andere. Glaubt man der Regierung, soll die neue Tourismus-Steuer ab 2019 helfen, beides mitzufinanzieren.
Im Kulturzentrum von Rotorua tobt ein von Menschen gemachtes Erdbeben. Eine Gruppe Maori-Ureinwohner steht mit nacktem Oberkörper breitbeinig im Halbkreis auf einer Bühne und stampft die nackten Füße auf den Boden, ihre Augen weit aufgerissen, die Zunge herausgestreckt. Die Touristen aus zwei Tourbussen sind so fasziniert, dass sie fast das Mitfilmen vergessen.
Der Haka ist so alt wie Neuseeland. Der Kriegstanz der Maori ist ein Ausdruck von Stolz, Kraft und Kampfeswillen, eine Mischung aus Wut und Mut. Unter ohrenbetäubendem Brüllen schlagen sich die Männer mit der flachen Hand auf ihre Ellbogen, den Brustkorb und die Oberschenkel. Mit dem Haka zeigen die Kiwis ihre Stacheln. Er ist das Rückgrat der Ureinwohner-Kultur Neuseelands, den Tanz Besuchern zu zeigen, eine Ehrensache.
In Rotorua opfern Freiwillige dafür ihre Mittagspause oder Freizeit, Maori-Gruppen müssen den Erhalt ihrer Versammlungshäuser aus eigener Tasche bezahlen. Das soll sich nach Einführen der Tourismus-Steuer ändern, auch Kulturvereine und Klein-Museen werden aus dem Erlös unterstützt. Ein Grund mehr, warum Tourismus-Professor Simon Milne nicht damit rechnet, dass es wegen der Abgabe böses Blut geben wird.
Touristen lassen sich von Steuer nicht schrecken
"Studien haben ergeben, dass man Touristen nur offen und ehrlich zu sagen braucht: 'Ja, ihr zahlt eine Steuer, aber der Erlös geht in den Erhalt der Dinge, die eueren Aufenthalt in Neuseeland bereichert haben – von der Natur bis zur Maori-Kultur.' Dann sind Reisende auch viel mehr bereit, eine solche Abgabe zu bezahlen, als wenn diese Steuer in einer anonymen Staatskasse verschwindet."
Mario Mertens ist noch ganz hin und weg von dem Kriegstanz der Maori. Jetzt überlegt der 22-jährige Backpacker aus dem belgischen Lüttich, sich ein traditionelles Stammessymbol der neuseeländischen Ureinwohner auf den Oberarm tätowieren zu lassen. Wenn er in seinem übervollen Urlaubsterminkalender überhaupt Zeit findet.
Fallschirmspringen, Fahrradtouren, den obligatorischen Bungee-Sprung und mit dem Campervan unterwegs sein: Mario hat ein Jahr lang abends und am Wochenende im Restaurant seines Onkels gekellnert, um sich seinen Neuseeland-Trip leisten zu können. In den viereinhalb Monaten, die er unterwegs ist, wird er an die 5000 Euro auf den Kopf hauen. Da wären 20 Euro Touristen-Steuer für ihn Peanuts.
"Das finde ich in Ordnung. Mir ist Geld nicht gleichgültig, aber wenn ich so weit von zuhause unterwegs bin, dann nehme ich es mit dem Sparen nicht so genau. Andere sollen Neuseeland genauso schön vorfinden wie ich. Wer weiß, wann ich wieder hierherkomme."
Umfragen zeigen: Niemand, der vorhat, Neuseeland zu bereisen, wird durch das Einführen einer Besucher-Steuer seine Meinung ändern. Der Tourismusboom wird anhalten – er soll künftig nur besser und umweltverträglicher geregelt werden. Für alle Beteiligten. Denn im Grunde liegt Einheimischen wie Touristen daran, dass Neuseeland das schönste Ende der Welt bleibt.