Touristische Tipps für Pompeji
Über Pompeji sind zahllose Bücher erschienen. Die Stadt, die nach dem Ausbruch des Vesuvs jahrhundertelang nahezu unversehrt unter einer Aschedecke gelegen hat, ist weltweit eine der interessantesten Grabungsstätten. Mary Beard hat die Geschichte Pompejis jetzt neu erzählt.
Sicherlich kann man sich fragen, ob zu Pompeji noch ein Buch erscheinen muss – und die Frage mit einem resignierenden Ja beantworten, weil nach und nach immer neue Forschungsergebnisse der archäologischen Grabungen erscheinen und weil auch immer wieder neue Interpretationen des Gefundenen versucht werden. Aber - selten erscheint von einer Spezialistin ein Buch wie dieses, das nicht nur Spezialisten Spaß macht.
Am 24. August des Jahres 79 nach Christus ging Pompeji unter. Der Vesuv war ausgebrochen, ein Regen aus Bimsstein ergoss sich über die Stadt, ein "pyroklastischer Strom", ein tödliches Gemisch aus brennenden Gasen, Vulkanschutt und geschmolzenem Fels raste die Abhänge des Vesuvs hinunter. Die meisten Bewohner hatten die Stadt rechtzeitig verlassen, der Vulkan erwischte nur einen unglücklichen Rest. Das Faszinierende an Pompeji ist, dass das Leben in dieser Stadt scheinbar in einer einzigen Sekunde zum Erliegen kam und Menschen und Tiere in der Tätigkeit erstarrten, in der sie sich gerade befanden – die meisten auf der Flucht. Einige versuchten, über einen Friedhof zu entkommen.
"Ihre Leichname wurden teils in einem Gewirr von Ästen, die sie anscheinend noch immer umklammert hielten, gefunden. Vielleicht hatten die Agileren unter ihnen bei dem aussichtslosen Versuch, sich zu retten, unter den um die Grabmäler stehenden Bäumen Zuflucht gesucht. Es ist aber wahrscheinlicher, dass der Strom, der die Flüchtenden tötete, auch die Bäume auf sie niederkrachen ließ."
Von Mary Beard hat der Reclam-Verlag schon im vergangenen Jahr ein Buch herausgebracht, in dem sie, auf den Unterlagen ihres verstorbenen Kollegen Keith Hopkins fußend, über das Kolosseum in Rom geschrieben hatte. Die Professoren aus England hatten ein umfassendes, witziges, plastisch beschreibendes Buch geliefert, das für Reisende und historisch Interessierte ein reines Lesevergnügen war.
Nun also Pompeij, Mary Beard im Alleingang. Sie versucht, aus den Ruinen der Stadt die Geschichte und Geschichten herauszulesen, aus den Funden vor Ort - kombiniert mit ihrem umfassenden Wissen als Professorin für Klassische Philologie an der Universität Cambridge und als Leiterin des Ressorts "Altertumswissenschaften" des Times Literary Supplement. Wie eine Kriminalistin setzt sie aus dem Fundort einer Gruppe von Leichen, aus deren Gesundheitszustand, aus der Schwangerschaft einer Frau, aus den heute nachweisbaren vererbten Krankheiten von Mutter und Sohn die Geschichte zusammen, die in diesem Haushalt gespielt haben muss. Aus dem Zustand der Zähne wird die Ernährung ermittelt.
"Die klar nachweisbare Karies, auch wenn sie nicht so verbreitet war wie in den modernen westlichen Ländern, deutet auf eine zucker- und stärkereiche Nahrung hin."
Mit den Folgen, die man uns im Lateinunterricht nicht erzählt hat:
"Am auffälligsten ist, dass alle Skelette, selbst die der Kinder, einen starken Zahnsteinbefall aufweisen – manchmal von mehreren Millimetern. Es mag Zahnstocher gegeben haben, sogar die eine oder andere raffinierte Mixtur zum Polieren und Aufhellen der Zähne – doch es war eine Welt ohne Zahnbürsten. Pompeji muss eine Stadt mit einem sehr üblen Mundgeruch gewesen sein."
Wir erfahren über das Leben auf der Straße, herausgelesen aus dem Bau der Straßen, aus den Funden an Straßenecken, aus Graffitis an den Mauern. Wie viel Dreck mag auf den Straßen gelegen haben, wie wurde der Müll entsorgt, war es vielleicht so, dass zu Zeiten starker Regenfälle die Stadt geflutet wurde und der Dreck durch ausgeklügelte Kanalisierung aus den Straßen gedrückt wurde?
Wir lernen, es gab Einbahnstraßen in Pompeji. Wir gehen mit Mary Beard in die Häuser und versuchen, aus der Architektur die Lebensgewohnheiten heraus zu finden. Wir erfahren, wie Umbricius Scaurus lebte, der das garum, das "Maggi" der Antike, herstellte, eine mutmaßlich grausam stinkende Brühe aus zerfallendem Fisch, die in kaum einer römischen Mahlzeit fehlte. Bei der Gelegenheit lassen sich aus den Aufschriften der Amphoren Rückschlüsse auf die Lesefähigkeit der Bevölkerung ziehen, wenn man in Rechnung stellt, dass die Transportarbeiter mit den aufgeschriebenen Hinweisen arbeiten mussten.
"Wie wär’s mit einer Besichtigung?"
heißt – wie schon im Kolosseum-Band - ein Kapitel, in dem ganz und gar touristische Tipps für den Aufenthalt in Pompeji geliefert werden. Und natürlich wäre es toll, mit dem handlichen Reclam-Band durch die Ruinenstadt zu streifen, mit den empfohlenen festen Schuhen und der Flasche Wasser. Aber diese fast fünfhundert Seiten sind auch in Bochum oder Berlin eine so pralle, fesselnde Lektüre, dass es sich in diesem Fall lohnen würde, nach der Art des Xavier de Maistre eine "Reise um mein Zimmer" zu unternehmen.
Dieses Buch ist ein Vergnügen und jede Zeile wert.
Besprochen von Paul Stänner
Mary Beard: Pompeji. Das Leben einer römischen Stadt
Aus dem Englischen übersetzt von Ursula Blank-Sangmeister unter Mitarbeit von Anna Raupach. Mit 136 Abbildungen sowie 21 Karten und Plänen,
Reclam, Ditzingen 2011
480 Seiten, 29,95 Euro
Am 24. August des Jahres 79 nach Christus ging Pompeji unter. Der Vesuv war ausgebrochen, ein Regen aus Bimsstein ergoss sich über die Stadt, ein "pyroklastischer Strom", ein tödliches Gemisch aus brennenden Gasen, Vulkanschutt und geschmolzenem Fels raste die Abhänge des Vesuvs hinunter. Die meisten Bewohner hatten die Stadt rechtzeitig verlassen, der Vulkan erwischte nur einen unglücklichen Rest. Das Faszinierende an Pompeji ist, dass das Leben in dieser Stadt scheinbar in einer einzigen Sekunde zum Erliegen kam und Menschen und Tiere in der Tätigkeit erstarrten, in der sie sich gerade befanden – die meisten auf der Flucht. Einige versuchten, über einen Friedhof zu entkommen.
"Ihre Leichname wurden teils in einem Gewirr von Ästen, die sie anscheinend noch immer umklammert hielten, gefunden. Vielleicht hatten die Agileren unter ihnen bei dem aussichtslosen Versuch, sich zu retten, unter den um die Grabmäler stehenden Bäumen Zuflucht gesucht. Es ist aber wahrscheinlicher, dass der Strom, der die Flüchtenden tötete, auch die Bäume auf sie niederkrachen ließ."
Von Mary Beard hat der Reclam-Verlag schon im vergangenen Jahr ein Buch herausgebracht, in dem sie, auf den Unterlagen ihres verstorbenen Kollegen Keith Hopkins fußend, über das Kolosseum in Rom geschrieben hatte. Die Professoren aus England hatten ein umfassendes, witziges, plastisch beschreibendes Buch geliefert, das für Reisende und historisch Interessierte ein reines Lesevergnügen war.
Nun also Pompeij, Mary Beard im Alleingang. Sie versucht, aus den Ruinen der Stadt die Geschichte und Geschichten herauszulesen, aus den Funden vor Ort - kombiniert mit ihrem umfassenden Wissen als Professorin für Klassische Philologie an der Universität Cambridge und als Leiterin des Ressorts "Altertumswissenschaften" des Times Literary Supplement. Wie eine Kriminalistin setzt sie aus dem Fundort einer Gruppe von Leichen, aus deren Gesundheitszustand, aus der Schwangerschaft einer Frau, aus den heute nachweisbaren vererbten Krankheiten von Mutter und Sohn die Geschichte zusammen, die in diesem Haushalt gespielt haben muss. Aus dem Zustand der Zähne wird die Ernährung ermittelt.
"Die klar nachweisbare Karies, auch wenn sie nicht so verbreitet war wie in den modernen westlichen Ländern, deutet auf eine zucker- und stärkereiche Nahrung hin."
Mit den Folgen, die man uns im Lateinunterricht nicht erzählt hat:
"Am auffälligsten ist, dass alle Skelette, selbst die der Kinder, einen starken Zahnsteinbefall aufweisen – manchmal von mehreren Millimetern. Es mag Zahnstocher gegeben haben, sogar die eine oder andere raffinierte Mixtur zum Polieren und Aufhellen der Zähne – doch es war eine Welt ohne Zahnbürsten. Pompeji muss eine Stadt mit einem sehr üblen Mundgeruch gewesen sein."
Wir erfahren über das Leben auf der Straße, herausgelesen aus dem Bau der Straßen, aus den Funden an Straßenecken, aus Graffitis an den Mauern. Wie viel Dreck mag auf den Straßen gelegen haben, wie wurde der Müll entsorgt, war es vielleicht so, dass zu Zeiten starker Regenfälle die Stadt geflutet wurde und der Dreck durch ausgeklügelte Kanalisierung aus den Straßen gedrückt wurde?
Wir lernen, es gab Einbahnstraßen in Pompeji. Wir gehen mit Mary Beard in die Häuser und versuchen, aus der Architektur die Lebensgewohnheiten heraus zu finden. Wir erfahren, wie Umbricius Scaurus lebte, der das garum, das "Maggi" der Antike, herstellte, eine mutmaßlich grausam stinkende Brühe aus zerfallendem Fisch, die in kaum einer römischen Mahlzeit fehlte. Bei der Gelegenheit lassen sich aus den Aufschriften der Amphoren Rückschlüsse auf die Lesefähigkeit der Bevölkerung ziehen, wenn man in Rechnung stellt, dass die Transportarbeiter mit den aufgeschriebenen Hinweisen arbeiten mussten.
"Wie wär’s mit einer Besichtigung?"
heißt – wie schon im Kolosseum-Band - ein Kapitel, in dem ganz und gar touristische Tipps für den Aufenthalt in Pompeji geliefert werden. Und natürlich wäre es toll, mit dem handlichen Reclam-Band durch die Ruinenstadt zu streifen, mit den empfohlenen festen Schuhen und der Flasche Wasser. Aber diese fast fünfhundert Seiten sind auch in Bochum oder Berlin eine so pralle, fesselnde Lektüre, dass es sich in diesem Fall lohnen würde, nach der Art des Xavier de Maistre eine "Reise um mein Zimmer" zu unternehmen.
Dieses Buch ist ein Vergnügen und jede Zeile wert.
Besprochen von Paul Stänner
Mary Beard: Pompeji. Das Leben einer römischen Stadt
Aus dem Englischen übersetzt von Ursula Blank-Sangmeister unter Mitarbeit von Anna Raupach. Mit 136 Abbildungen sowie 21 Karten und Plänen,
Reclam, Ditzingen 2011
480 Seiten, 29,95 Euro