Geschlechterstereotype

Verhalten sich Frauen toxisch?

Eine Frau mit braunen Haaren und mit Schürze steht in der Küche. Sie hält einen Hefezopf in der Hand. Links neben hier steht ihre Tochter.
In den sozialen Medien bewerben immer mehr sogenannte Tradwives ein traditionelles Leben, in dem Frauen auf eine berufliche Karriere verzichten und sich dafür um den Haushalt und die Kinder kümmern. © picture alliance / Monkey Business 2 / Shotshop / Monkey Business 2
Ob als „Mutti“, „Powerfrau“ oder „Bitch“ – auch Frauen verhalten sich toxisch, um sich im Patriarchat zu behaupten, meint Autorin Sophia Fritz. Doch was steckt hinter der angeblichen "toxischen Weiblichkeit"? Und: Warum ist der Begriff so umstritten?
Über „toxische Männlichkeit“ wurde in den vergangenen Jahren viel geschrieben und diskutiert. Der Begriff bezeichnet traditionelle männliche Denk- und Verhaltensweisen, mit denen Jungen und Männer anderen und sich selbst schaden, etwa starkes, dominantes, aggressives und emotionsloses Verhalten.
Mittlerweile hört man immer öfter auch von der „toxischen Weiblichkeit“. Gerade in rechten Männergruppierungen und -foren wird der Begriff oft genutzt, um Frauen und feministische Bewegungen zu diskreditieren. Was steckt hinter dem Begriff?

Was wird unter "toxische Weiblichkeit" verstanden?

Bereits 2011 brachte die Bloggerin Tavi Gevinson den Begriff „Girl Hate“ ins Spiel, um Neid und Missgunst unter Mädchen und Frauen zu beschreiben. Es bedeute letztendlich, dass Mädchen und Frauen oft das Gefühl hätten, dass es in sozialen Kreisen nur Platz für eine „coole“, „kluge“ oder „lustige“ Frau gibt, was zu Konkurrenz und gegenseitigem Bekämpfen führe. „Girl Hate“ sei ein strukturelles Problem, dass das Patriarchat nur weiter aufrechterhalte.
Seit einigen Jahren wird nun immer öfter auch von "toxischer Weiblichkeit" gesprochen. Es gibt dabei keine einheitliche Definition des Begriffs. Während "toxische Männlichkeit" meist durch dominantes Verhalten und das Kleinmachen anderer gekennzeichnet sei, wirke "toxische Weiblichkeit" viel subtiler, schreibt Sophia Fritz, die in diesem Jahr ihr Buch „Toxische Weiblichkeit“ veröffentlicht hat. Es zeige sich durch tradierte Geschlechterstereotypen wie das „Gute Mädchen“ oder die „Aufopferungsvolle Mutti“. Frauen in patriarchalen Systemen übernehmen diese toxischen Verhaltensweisen, um im Patriarchat zu überleben, so die These von Sophia Fritz.
Kritikerinnen des Begriffs "toxische Weiblichkeit" sehen in den tradierten weiblichen Rollenbildern hauptsächlich von Männern konstruierte Zuschreibungen und keine faktischen Verhaltensweisen von Frauen. Mittels des Begriffs der "toxischen Weiblichkeit" werden also von Männern geprägte weibliche Stereotype nacherzählt. "Menschheit oder Weiblichkeit oder Männlichkeit sind theoretische Konstrukte. Und das wird dann immer verwechselt mit den real existierenden Frauen und Männern", sagt dazu Cornelia Klinger, Professorin für Philosophie.

Welche tradierten weiblichen Stereotype gibt es? 

Manche negative weiblichen Stereotype sind bereits sehr alt und quasi sprichwörtlich: beispielsweise das der Xanthippe - die Ehefrau des griechischen Philosophen Sokrates. Ihr Name gilt als Synonym für eine übellaunige, streitsüchtige Frau. Heutzutage würde das dem Stereotyp der "Bitch" entsprechen.
"Das sind auch alles Erfindungen, die weit über die antike Tradition hinausgehen", sagt die Philosophin Cornelia Klinger. Es handele sich um Zuschreibungen "von Männern, die die Herrschaft ausüben und die hauptsächlich die Macht haben". Sie hätten Angst vor Gegenkräften. Aus dieser Sorge heraus entstände dann "dieses Bild, dass Frauen eben nicht die besseren, sondern die mieseren Menschen sind und die hinterhältigen und die schrecklichen".
Sind die Stereotype also vor allem von Männern in unserer patriarchalen Gesellschaft gezeichnet? Oder handelt es sich um Rollenbilder, die Frauen verinnerlicht haben - und die sich nun negativ auf unsere Gesellschaft auswirken? Die Rollenbilder bestehen jedenfalls und werden heutzutage nicht selten in Datingshows und in sozialen Medien reproduziert.

Die Stereotype des „Guten Mädchens“ und der "Mutti"

Nach Ansicht von Sophia Fritz gebe es verschiedene "toxische Verhaltensweisen" von Frauen, zum Beispiel die des "Guten Mädchens". Fritz meint, dass Frauen über Jahrhunderte hinweg in Positionen gedrängt worden seien, die Sanftmütigkeit, Höflichkeit und Bescheidenheit als erstrebenswerte Attribute hervorgehoben haben. Das Ziel war, dass die Frauen verheiratbar, kompatibel sind. Diese Eigenschaften wurden verinnerlicht, um in einem von Männern dominierten System zu überleben, so die These von Sophia Fritz.
Und dann gebe es noch das tradierte Bild der „Mutti“, wie auch die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel oft genannt wurde. Nach Ansicht von Sophia Fritz ist die "Mutti" eine Form von Autorität, die Frauen im Patriarchat ausnahmsweise zugestanden wird. Diese Rolle sei allerdings geprägt durch wenig Solidarität gegenüber anderen Frauen. Denn: Es könne nur eine "Mutti" geben. Fritz beschreibt zwei Bilder von Müttern: einerseits die selbstlose und aufopferungsvolle Mutter und andererseits die berechnende Mutter. Die berechnende Mutter zeige Fürsorge, um Liebe und Anerkennung zu erhalten, die sie nicht direkt einfordern kann. Dadurch binde und kontrolliere sie ihr Umfeld.

Das Rollenbild der „Powerfrau“

Fritz macht in ihrem Buch noch weitere Stereotype aus - wie das der "Bitch" oder der "Powerfrau". „Die Powerfrau ist das gute Mädchen 2.0, weil sie das gute Mädchen nie wirklich abgelegt hat“, sagt Fritz. Als Powerfrauen werden zum Beispiel erfolgreiche Unternehmerinnen bezeichnet, die gleichzeitig Mütter sind. Die Powerfrau stehe damit als Stereotyp für eine Frau, die alles alleine schaffe und unter einen Hut bekomme. Das heiße, es geht immer noch darum, sich keine Hilfe zu holen. „Wenn ich irgendwie zu Macht und Anerkennung und Geld kommen möchte, dann muss ich mir das eben selbst hart erarbeiten und darf mich auf andere nicht verlassen“, sagt Fritz. Die Powerfrau bleibe dabei allerdings eine Abweichung von der Norm, werde als positive Ausnahme herausgestellt.

Traditionelle Stereotype in den sozialen Medien: der Tradwife-Trend

Traditionelle Stereotype und Rollenbilder, wie Fritz sie beschreibt, werden heutzutage durch Datingshows und soziale Medien befeuert. In Shows wie "Love Island" suchen Männer nach dem passenden "Wifey material" - also Heiratsmaterial: Gemeint sind damit Frauen, die wenige Sexualkontakte haben und brav zu Hause auf den "Richtigen" warten.
Auch ist in sozialen Medien aktuell der Tradwife-Trend sehr präsent. Die Tradwifes, also traditionelle Ehefrauen, bewerben auf Social Media ein traditionelles Leben, in dem sich Frauen um den Haushalt und die Kinder kümmern, den Mann umsorgen.
Die Tradwifes auf Social Media verkaufen vor allem ein Bild von Weiblichkeit, das so gar nicht existiert, erklärt Christine Linke, Professorin für Kommunikationswissenschaften an der Hochschule Wismar. Denn sie sind eben nicht nur Hausfrau, sondern auch eine Content-Createrin und damit Unternehmerin. „Das hat nichts damit zu tun, eine 50ths Housewife zu sein“, sagt Linke. Doch eben dieses Wiedergeben und Verbreiten traditioneller Rollenbilder in den Medien verstärke veraltete Geschlechterstereotype.

Warum wird der Begriff "toxische Weiblichkeit" kritisiert?

Cornelia Klinger, Professorin für Philosophie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen mit dem Schwerpunkt feministische Philosophie sieht in dem Begriff der "toxischen Weiblichkeit" eine neue, völlig überflüssige "mediale Erfindung“. Die von Sophia Fritz dem „Guten Mädchen“ zugeschriebenen Eigenschaften seien beispielsweise hauptsächlich von Männern konstruierte Zuschreibungen und eben keine Verhaltensweisen.
Ähnliche Kritik übt Hannah McCann, Kulturwissenschaftlerin an der University of Melbourne. Ihrer Meinung nach würden die Begriffe „toxische Weiblichkeit“ und „toxische Männlichkeit“ eine geschlechtsspezifische Binarität verstärken, die das Kernproblem nicht treffen würden.
Stattdessen bevorzugt sie den Begriff der „rigiden Weiblichkeit“, um das starre Festhalten an traditionellen Geschlechterrollen zu beschreiben. Sie sagt, dass Menschen sich mit verschiedenen Geschlechterkategorien identifizieren können sollten, ohne starren Regeln folgen zu müssen: "Das Problem sind die Regeln, die wir auferlegen, wie sich Menschen verhalten müssen und wie strikt wir diese Regeln durchsetzen. Man könnte das also 'toxische Weiblichkeit' nennen, starre Weiblichkeit. Man könnte es Frauenfeindlichkeit oder Sexismus nennen. Es geht also wirklich auch darum, vorsichtig zu sein, welche Schlussfolgerungen wir ziehen und was wir sagen wollen."
McCann kritisiert außerdem, dass „toxische Weiblichkeit“ oft von Männerrechtsaktivisten genutzt wird, um Frauen zu diskreditieren. Gerade in rechten Männergruppen und -foren wird der Begriff der "toxischen Weiblichkeit" zunehmend verwendet, um Frauen und feministische Bewegungen in ein negatives Licht zu rücken.

Wie können tradierte Rollenbilder und Stereotype gebrochen werden?

Ein Weg aus tradierten Rollenbildern sei, darüber zu sprechen, was wir alle überhaupt unter Weiblichkeit verstehen, sagt die Geschlechterforscherin Rhea Ashley Hoskin. Weiblichkeit werde oft als antiintellektuell, emotional und irrational betrachtet. Um diese negativen Stereotype zu überwinden, müsse man erst einmal die komplexen und vielfältigen Aspekte der Weiblichkeit neu definieren und diskutieren​.
Hoskin hat dafür mit über 500 Frauen gemeinsam ein Modell entwickelt, das zeigt, wie eine Welt ohne Frauenfeindlichkeit aussehen könnte. Dabei werden etwa Veränderungen in Bereichen wie geschlechtsspezifischer Gewalt, Machtstrukturen, Gesundheitsversorgung und Wissenschaft in Blick genommen. „Es würde sich insbesondere ändern, wer in den Bereichen Wissenschaft und Technik tätig ist, wer nicht nur ins Feld geführt wird, sondern sich auch wohl genug fühlt, um dortzubleiben, und welche Ideen in diesen Bereichen angehört, ernst genommen und vorangebracht werden,“ sagt Hoskin.
Autorin Sophia Fritz glaubt, dass eine Gesellschaft ohne "toxische Männlichkeit" auch keine "toxische Weiblichkeit" hervorbringen würde. Sie sagt, wir seien als Gesellschaft besser dran, wenn wir uns von starren Geschlechterrollen lösen und das biologische Geschlecht weniger Einfluss auf unser soziokulturelles System hätte. Sie sagt: „Ich glaube, dass wir uns auf jeden Fall diesen toxischen Eigenschaften zuwenden müssen, auch als Frauen, weil wir nur dann als Gesellschaft kollektiv heilen können, wenn jeder sich anschaut.“

ema, Carina Schroeder
Mehr zu Geschlechter-Forschung