Das Smartphone als Mini-Panoptikum
11:37 Minuten
Die Coronakrise scheint die Akzeptanz von Überwachungsmaßnahmen zu erhöhen. Woran liegt das? Der Kultur- und Wirtschaftswissenschaftler Felix Maschewski beobachtet, wie schnell Menschen sich zu "Kollegen der Erkennungsdienste" machen.
Eine allgemeine Ausgangssperre wurde wegen der Coronakrise zwar noch nicht verhängt, aber dafür eine sogenannte Kontaktsperre. Möglichst jeder überflüssige Gang nach draußen soll vermieden werden, jeder unnötige Kontakt unterbunden. Aber wie lang ist diese Selbstisolation durchzuhalten?
Schon letzte Woche wurde in "Breitband" über die Möglichkeiten von Tracking Apps in der Coronakrise gesprochen. Das Fazit einfach ausgedrückt: Es ist nicht besonders einfach, Apps zu programmieren, die einerseits die Privatsphäre achten und trotzdem Infizierte überwachen, diese Daten austauschen, andere warnen. Doch es wird weiter an diesen Programmen geforscht und dass sie früher oder später eingesetzt werden könnten, ist nicht unwahrscheinlich. Die Gesundheit hat so einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft, dass man für sie sogar mehr Überwachung in Kauf nimmt.
Aber vielleicht geht es ja gar nicht nur um die Gesundheit, sondern auch um die Bewegungsfreiheit. Um diese wiederzuerlangen, lassen wir uns dann vielleicht überwachen oder überwachen uns sogar selbst. Über diese Thesen sprechen wir mit dem Kultur- und Wirtschaftswissenschaftler Felix Maschewski.
Zusammen mit Anna-Verena Nosthoff hat er das Buch "Die Gesellschaft der Wearables: Digitale Verführung und soziale Kontrolle" geschrieben. Es befasst sich mit den Geräten, die immer mehr Menschen tragen, also smarte Uhren am Handgelenk, die Puls und Schritt messen, die unseren persönlichen Zustand dokumentieren. Eine These, die dort aufgestellt wird, gleicht sich mit der Aussage in einem aktuellen Artikel des Philosophen Yuval Noah Harari in der "Financial Times". Er sagt: "Wenn Menschen die Wahl zwischen Privatsphäre und Gesundheit treffen müssten, dann würden sie sich für die Gesundheit entscheiden."
Sich für bessere Gesundheit gerne überwachen lassen
Dies ließe sich auf individueller Ebene daran festmachen, dass Menschen sich freiwillig Gesundheits-Apps herunterladen, die beispielsweise den Zyklus tracken, obwohl sie nicht wüssten, wohin die Daten anschließend wanderten und wozu sie benutzt würden, so Maschewski. Ein anderes Beispiel ließe sich auch anhand bestimmter Versicherungsmodelle in den USA zeigen, die das Tragen von Fitness-Trackern obligatorisch machen. Dort würden die erzeugten Daten am Ende den zu zahlenden Beitrag beeinflussen.
Dazu kämen dann noch sehr groß angelegte Versuche, wie zum Beispiel "Project Baseline" von Google und dessen Schwesterunternehmen Verily, wo über viele Jahre hinweg 10.000 Menschen mit sogenannten "Study Watches" ausgestattet worden seien. Diese würden Herz, Puls und jeden Schritt tracken und darüber hinaus würden auch Röntgen- , Blut-, Seh und Gentests durchgeführt. Im Gegenzug sei eine bessere Krankenversorgung über den Testzeitraum versprochen worden.
Auch im Bezug auf die Coronakrise in Deutschland würden Daten nahelegen, dass hierzulande ähnlich gehandelt werden würde. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Innofact hätten 70 Prozent der Befragten angegeben, dass sie Bewegungsdaten, Gesundheitsdaten und Kontaktdaten mit Institutionen wie dem Robert Koch-Institut teilen würden. "Andererseits müssen wir aber auch ein bisschen aufpassen, dass aus diesen gesundheitspolitischen Ausnahmezustand, in denen wir uns befinden, keine datenpolitischer Normalzustand wird. Dass wir also aus diesen individuellen "I’ve got nothing to hide" kein institutionelles "nowhere to hide" machen."
Es braucht nur den richtigen Anreiz
Maschewski glaubt, dass solche Kontrollsysteme früher oder später auch hier von Versicherungen Rückenwind erhalten werden. Dies werde wahrscheinlich über ein Anreizsystem passieren, die für das Übermitteln von Gesundheitsdaten Prämien, Boni oder Rabatte ausschütten könnten.
Eine andere Form der Überwachung stellt die soziale Kontrolle dar. So habe der Philosoph Zygmund Baumann das Smartphone schon als Mini-Panoptikum besprochen, als eine Art "do it yourself"-Überwachung. Deshalb müsse man sich vergegenwärtigen, was man sich mit dem Kauf einer Smart-Watch zulegt, schließlich sei es ja eigentlich genau das. Es ginge dabei darum, in gewisser Weise zum Kontrolleur seiner selbst zu werden. Man würde quasi zu seinem eigenen Gefängniswärter und Überwachten. Dabei sei interessant: "Je dichter das Netz der Kontrollmechanismen ist, je mehr es davon gibt, desto schuldiger erscheint dann auch derjenige, der sie nicht nutzt. Das kann man auch auf Situationen übertragen, wie wir sie jetzt in der Coronakrise bemerken, in der Leute, die sich infiziert haben, schnell mit Schuldzuweisungen konfrontiert werden."
Dies habe auch mit der Form einer Überwachungskultur zu tun, in der wir uns ganz alltäglich bewegen. Wir würden beispielsweise sehr häufig in die Position des Punktrichters befördert: Egal ob Amazon, Uber oder Airbnb, überall würden Sterne verteilt und bewertet.
"Diese Technologien sind häufig aufgeladen mit Begriffen der Freiheit, der Emanzipation, der Autonomie und Transparenz. Aber diese Technologien sind gleichzeitig immer auch Überwachungswerkzeuge. So ist es für mich in gewisser Weise keineswegs verwunderlich, dass man heutzutage recht schnell zu so einem Kollegen der Erkennungsdienste wird. Was ich interessant finde, um vielleicht abschließend etwas dazu zu sagen, dass man hier die Ambivalenz der Technik sehr, sehr klar kenntlich gemacht sieht und damit dann aber auch die Verantwortung, dass wir mit dieser Technik dann sehr mündig umzugehen lernen. Diese Verantwortung ist vielleicht heutzutage wichtiger denn je."
(hte)