Die Sendung ist eine Wiederholung vom 18.10.2020.
Traditionelles Handwerk
Alles griffbereit: Bolzenschussgerät und Knochensäge im Schlachtraum bei den Lehmanns. © Deutschlandradio / v.Aster-Grenzgänger
Achtung, Schlachtung!
28:25 Minuten
Tiere schlachten, zerlegen, Wurst und Schinken machen. Das betreibt Lutz Lehmann leidenschaftlich seit 20 Jahren. Doch kleine Betriebe wie seiner haben es schwer in Zeiten von Massentierhaltung und Billiganbietern. Sein Rezept: Weitermachen.
Ruhig führt der Fleischermeister das Messer über den umgebauten Bandschleifer. Der Oberkörper des kleinen, kräftigen Mannes folgt dem Weg der Klinge. Vor und zurück. Vor und zurück. Sonntagsarbeit. In der Landschlachterei Lehmann im kleinnen brandenburgischen Örtchen Steinhöfel.
Das Schleifgeräusch dringt durch das alte Backsteingemäuer. Über den kopfsteingepflasterten Hof. Verhallt zwischen einem alten Pferdestall, einem kleinen Bungalow, einem großen Haus, in dem der Tierarzt von Steinhöfel wohnt. Eine Hofseite gehört hier der Landschlachterei Lehmann: Schlachtraum, Werkstatt, Kühlraum, Verkaufsraum, Büro, Vorratsraum.
Lutz Lehmann fährt sich mit der Klinge über den Unterarm. Einige Haare fallen. Der 52-Jährige nickt zufrieden. Sonntags schleifen, Montags schlachten, seit fast zwei Jahrzehnte ist das sein Rhythmus.
Partyservice, Schwein am Spieß – das Meiste, was man mit Fleisch machen kann, haben die Lehmanns ausprobiert. Doch sie können nicht alles machen. Dafür fehlt die Zeit. Und langsam eben auch die Kraftreserven. Also konzentrieren sie sich aufs Kerngeschäft: Schlachten, zerlegen, Wurst und Schinken machen.
Knapp hundert Meter weiter, im Gatter vorm Schlachtraum, warten schon ein Bulle, eine alte Milchkuh und drei Schweine.
"Die Bios kommen immer zuerst dran"
Am nächsten Morgen, um zwanzig nach sechs, trinkt Lutz Lehmann einen schnellen Kaffee. Gerade mal drei Kilometer sind es zum Schlachthof. Lutz Lehmann kalkuliert. Den Bullen haben die Mitarbeiter wahrscheinlich schon zerlegt, dann kommt noch ein Kalb, die Milchkuh ist schon da. Und einige Schweine.
Gerald von Hackewitz ist Stammkunde. Er kommt alle zwei Wochen zum Schlachten. Von einem Biohof in Marienhöhe, das liegt knapp 30 Kilometer entfernt. Dort wirtschaftet seit mehr als neun Jahrzehnten der älteste Demeter-Betrieb Deutschlands. "Der bringt ja ein Schwein und ein Kalb. Das Kalb wird gleich gemacht. Und das Schwein, er will immer gern der Erste sein. Wir machen sowieso immer die Bios zuerst. Und wenn er der Erste sein will, dann muss er früh kommen."
Zwei Minuten später trägt Lutz Lehmann Arbeitskleidung. Weiße Gummistiefel, weiße Latzhose, blau-weißes Metzgerhemd, darüber die schwere weiße Gummischürze, auf dem Kopf eine weiße Schirmmütze. Jan und Ronny, die beiden Mitarbeiter nicken zur Begrüßung. Viele Worte brauchen sie hier nicht.
Der Bauer begleitet das Kalb bis zum Tod
Gerald von Hackewitz öffnet die Klappe vom Transporter, greift zum Führstrick. Ein großer, ruhiger Mann, um die 50 im Boden- und Baumfarben-Outfit. Widerstandslos folgt ihm das Kalb die vier Meter in den gekachelten Schlachtraum.
Jan, der Geselle, greift zum Bolzenschussgerät, das sieht aus wie eine dicke, silberne Luftpumpe, setzt es dem Tier auf die Stirn, drückt ab. Das Kalb sackt zusammen, die Beine zucken. Ein Schnitt durch die Kehle, das Herz schlägt noch, pumpt das Blut aus dem Körper. Die weißen Kacheln färben sich rot. Gerald von Hackewitz geht zurück zum Transporter, setzt sich auf den Fahrersitz.
"Wir wollen die Tier eben begleiten bis zum Tod. Das Kälbchen habe ich jetzt reingeführt und gehalten. Und das Schwein lade ich jetzt auch noch ab. Unsere Tiere kommen immer als erstes dran. Es werden hier ja auch konventionelle Tiere geschlachtet, dann kommen immer die Biotiere zuerst, dass keine Vermischung stattfinden und auch die Anlagen noch frisch und sauber sind."
Ökozertifizierter Schlachtbetrieb
Im Schlachtraum trennt Jan den Kopf des Kalbes ab, befestigt eine Kette um das Hinterbein, eine Winde zieht das Tier Richtung Decke. Meister und Geselle greifen zu den Messern. Draußen macht Biobauer von Hackewitz einige Kreuze auf der Bestellliste: Er braucht neue Knacker und Bierschinken für die Marktwägen. Auch die werden bei Lehmanns produziert. Der Betrieb ist ökozertifiziert. In der Gewürzkammer steht für jeden Kunden seine individuelle Gewürzmischung.
"Da ist es schön, wenn es in der Nähe ist. Wir haben Glück. Viele Höfe haben das nicht so. Weil eben die Strukturen so ausgedünnt worden sind, durch die Vorgaben der EU und da haben viele die Schlachtung eingestellt."
Gerade machen die großen Schlachthöfe wieder Schlagzeilen. Diesmal wegen Corona-Infektionen der rumänischen und bulgarischen Lohnarbeiter. Von Hackewitz schüttelt den Kopf, dreht sich eine Zigarette. Nein, dort würde er seine Tiere nie hinbringen.
Kleine Bauern haben es schwer
"Der kleine Bauernhof verschwindet so nach und nach aus wirtschaftlichen Gründen. Und wenn wir uns nicht bewusst dafür entscheiden auch kleinere Einheiten zu pflegen und zu gestalten, dann wird es eben auch immer mehr dahin gehen, dass wir alles mit großen Betrieben abdecken."
Große Schlachthöfe wollen große Mengen pro Tag verarbeiten. Wenig Tiere sind uninteressant, kleine Bauern ebenso. Hackewitz zieht an der Zigarette. Seit 90 Jahren wirtschaftet ihr Hof biologisch-dynamisch. Ob Nationalsozialismus, Sozialismus, Kapitalismus – in Marienhöhe blieben sie ihrem System treu.
Das Kalb aus Marienhöhe ist gehäutet, ausgenommen, hängt zerteilt am Haken. Ronny spritzt den Schlachtraum ab, Lutz Lehmann und Jan säubern ihre Messer. Zeit für das nächste Tier: ein deutsches Sattelschwein, eine alte Rasse. Groß, schwer und fett.
Ein Stromstoß und ein Stich in den Hals
Langsam geht das schwarz-weiße Zweieineinhalb-Zentner-Tier durch das Laufgatter. Vorbei an seinen ungleich bleicheren Artgenossen, die hinter einer Absperrung auf ihr Ende warten. Auch sie kommen von einem Biohof. Die große Sau lässt sich sich Zeit, Hackewitz auch.
Im Schlachtraum warten Meister und Geselle. Jan wirft einen prüfenden Blick auf die Elektrozange. Von Hackewitz schließt das letzte Gitter im Laufgatter. Jetzt gibt es für die Sau kein zurück mehr. Jan greift zur Elektrozange, fasst den massigen Schweine-Kopf links und rechts. Dann der Stromstoß, die Sau bricht zusammen, die Beine zucken. Jan greift zum Messer, ein Stich in den Hals, dann geht es schnell, rauf auf den Rollwagen, rein in die Brühmaschine, nach zwei Minuten sind die meisten Borsten weg. Ronny greift zum Bunsenbrenner.
Bettina Lehmann blickt auf die Uhr. Gleich kommen die Männer zum Frühstück. Die 58-Jährige eilt in die Küche nebenan, setzt Kaffee auf. "Ruhig sitzen ist nichts für mich", sagt sie lachend. Und: "Erst hatte ich ´nen Fischer jetzt ´nen Fleischer." Und meint damit ihre Ehemänner. Seit fast drei Jahrzehnten ist sie nun schon mit Lutz, dem Fleischer, verheiratet. Zwei Kinder brachte sie mit in die Ehe, dann bekamen sie noch einen gemeinsames Kind. Und bauten die Landschlachterei auf. Schritt für Schritt.
Alles für den Traum von der Selbstständigkeit
"Er ist ein Schindertier. Und damit hat er sich auch kaputt gemacht. 1993 hat er seinen Meister gemacht. Und dann wollte er sich selbstständig machen. Aber ich war immer die Ängstliche. Und so hat er es erst 2003 gemacht, weil die Firma zugemacht hat, wo er war."
"Lutz träumte lange von der Selbstständigkeit", erzählt sie. Dass er so schlachten konnte, wie er wollte. Wurst machen. Handwerklich, nicht industriell. Noch während er angestellt war, mietet er das alte Gebäude. Machte nebenbei Auftragsschlachtung. Für Privatkunden. Wenig Schlaf, viel Arbeit – alles für den Traum. Von der Selbstständigkeit. Als Schlachter.
Im Schlachtraum, wäscht Lutz Lehmann sich die Hände. Vier Schweine, ein Kalb, ein Bulle sind erledigt. Die Eingeweide samt Ohrmarken hängen am Haken, warten auf die Kontrolle durch den Veterinär. Ronny nimmt das letzte Schwein aus. Konzentriert beugt sich Ronny über den bleichen Schweinekörper. Führt ruhig das Messer. Lutz Lehmann nickt zufrieden.
"Am liebsten würde ich sofort aufhören"
Dabei ist er auch ein wenig verzweifelt. Nachwuchssorgen, neue Vorschriften, Lebensmittelskandale, Schlachthof-Schlagzeilen, das alles wird ihm langsam einfach zu viel.
"Am Liebsten würde ich sofort aufhören. Ich muss Fleischer sein, ich muss Büromensch sein, ich muss Psychologe sein, ich muss doch ein Superhirn sein, bin ich aber nicht. Ich merke auch, dass ich geistig an meiner Grenze bin. Und das ist dann auch abends, dass ich manchmal sage: Schnauze voll. Wenn ich Wurst oder Fleisch mache, dann ist es schon wieder etwas anderes, aber wenn der Bürokratie-Berg vor allem liegt, das ist schlimm."
Darum ist er auch froh, dass seine Frau das Büro macht. Sonst hätte er wahrscheinlich schon hingeschmissen.
Über der Tür hängt ein Kreuz. An der Wand wacht Lenin. Von der Anrichte blickt ein Dutzend Sparschweine herunter. Eine großes Weißes, trägt viele Unterschriften. "Hier war mal zu seinem 40. Geburtstag, da war alles noch in Ordnungen, da waren auch alle Freunde bei, danach ging es los. 2007 haben wir uns das beschissene Auto gekauft. Einfach nur einen beschissenen Mercedes, das war das billigste Auto, da ist kein Schnickschnack dran."
Neid in der Dorfgemeinschaft
"2007 fing dieser Neid an: Kieke mal, die können sich einen Mercedes leisten, hier war noch die Welt in Ordnung, 2009 haben wir dann auch unser Schlachtfest ausfallen lassen."
Landschlachterei und Mercedes. Von Ausbeutung wurde da plötzlich im Ort getuschelt. Von überteuerten Preisen war die Rede. Und dass die Lehmann sich bei ihrem jährlichen Schlachtfest die Taschen voll machen. Das tat weh und sitzt noch immer tief.
Gleich kommt noch ein Rind zum Häuten, Ausnehmen und Zerlegen. Es wurde auf der Weide geschossen. Dann noch die Milchkuh. Und dann ist der Schlachtplan abgearbeitet. Den Rest der Woche wird Wurst und Schinken gemacht. Am Freitag öffnet dann der Hofladen.
Es ist jetzt Freitag und die Kunden warten vor dem Hofladen auf weißen Plastikstühlen. Ihre Masken in der Hand. Hinter der brummenden Fleischtheke wirbelt Lutz Lehmann mit Kollegin Nicole. Lutz Lehmann schiebt einen Kasslerbraten über die Schneidemaschine, nimmt nebenbei Bestellungen an. Mitarbeiterin Nicole packt ein, reicht die Ware durchs Seitenfenster nach draußen. Und kassiert. Damit die nächsten Kunden reinkönnen.
Lehmanns Tochter ist Veganerin
"Lutzi" steht auf Lehmanns weißen Gummistiefeln. Der Schlachter rotiert hinter der Theke, Jan schneidet hinten Schnitzel, Ronny macht Wurst. Bettina Lehmann sorgt für den Fleischspieß-Nachschub. "Verdammt lang her" von BAP klingt leise aus den Boxen.
Wenn es drauf ankommt, helfen hier alle mit, sagt sie. Aber von ihren Kindern - so viel steht fest - wird niemand den Landschlachthof übernehmen. Der eine Sohn arbeitet im Stahlwerk, der andere hat einen Verwaltungsjob, die Tochter studiert in Hamburg Kulturwissenschaft. Überzeugte Veganerin ist sie auch noch.
Vielleicht übernimmt Jan, der Geselle, mal den Betrieb. Dafür braucht er aber erstmal die Meisterprüfung. Und die ist nicht einfach.
"Aber weiß man, was kommt? Unsere ganze Kraft, die steckt hier drinne. Ich habe immer gesagt, Lutze, irgendwann erkennen die Leute auch die Lebensmittel an, was ein Schlachter, was ein Bauer macht. Aber für mich ist da jetzt zu spät, ich predige das seit 15 Jahren."
Der Kampf gegen die Billiganbieter
Dass gutes Fleisch, gute Landwirtschaft und gute Arbeit ihren Preis haben. Der nichts mit den Billigangeboten der Discounter zu tun hat. Bei Lehmanns funktioniert das. Hier ist Fleischkauf Vertrauenssache. Die Kunden kommen. Und zahlen. Noch. Aber drumherum machen vor allem Billiganbieter die Geschäfte. Sie sind das Öl im Getriebe der industriellen Landwirtschaft und Schlachtung.
Natürlich macht sich eine wie Bettina Lehmann da so ihre Sorgen. Sie schüttelt den Kopf, greift zum nächsten Spieß: Fleisch, Speck, Gurke, Leber, Zwiebel. Fleisch, Speck, Gurke, Leber, Zwiebel.
Alles auf einmal machen geht eben nicht, sagt sie. Manches muss eben warten. So wie die kleine Wohnung im Obergeschoss, die sie einmal ausgebaut haben. "Urlaub auf dem Schlachthof" – das war die Idee. Erholung für interessierte Fleischfreunde. Die wissen wollen, wo die Wurst herkommt.
Lutz Lehmann wirbelt weiter hinter der Fleischtheke. Draußen, vor der Tür, warten sechs Kunden. Die Fleischspieße sind fast alle, auch Schnitzel sind fast aus. Lehmann, bedient, koordiniert, wie eine Flipperkugel zischt er zwischen Kühlraum und Bedientheke hin und her.
"Vor zwei Jahren hatte ich 25 Jahre Meister, ach da haben wir fünf Jubiläen gefeiert, 5 Jahre Sachverständiger bei der DLG, 30 Jahre Gewerbe, Silberhochzeit war auch irgendwie, das war meine letzte, mehr feier ich nicht."
Corona brachte Umsätze wie an Weihnachten
Naja, vielleicht doch, murmelt der 52-Jährige. Mal sehen. Ob Zeit ist. Wahrscheinlich nicht. Erstmal geht er demnächst ein paar Wochen zur Kur. Die Coronazeit lief gut für die Schlachterei, wir hatten im März Umsätze wie zu Weihnachten, sagt Lehmann.
Die Leute kochten zuhause, hatten Zeit zum Nachdenken, und plötzlich standen so viele Kunden vor der Tür, dass sie auch noch den Samstag aufmachten. "Das war Stress", sagt er. Weil er fast immer mit bedienen musste. "Entspannung ist dann am Sonntag." Beim Messerschleifen.
Diesen Sonntag aber wird es nichts mit dem meditativen Messerschleifen. Der alte Fleischwolf ächzt unter der Produktion. Er muss dringend erneuert werden. Deswegen bringen sie ihn zu einer Firma nach Thüringen. Die will gucken, was sie machen kann.
"Am Wochenende fahren wir runter, schmeißen zwei Matratzen ins Auto, schlafen da und fahren dann wieder zurück. So sind wir auch in den Westen gefahren, haben den Brühtrog geholt, weil ein Kollege aufgehört hat."
Andere hören auf. Die Lehmanns aber machen weiter.
Neuer Nachbar, neue Sorgen?
Eine Stunde später ist Feierabend. Die Lehmanns steigen ins Auto. Blicken auf den alten Pferdestall, der liegt gleich gegenüber vom Schlachthof.
"Das ist der Tierarzt. Und das Haus will der Tierarzt jetzt verkaufen. Das war eigentlich ein Schuppen, da sollte eine Tierarztpraxis rin, aber jetzt will er es als Wohnhaus verkaufen." Lutz Lehmann schüttelt den Kopf. Fasst das Lenkrad fester. Er kann sich den Stall nicht leisten. Und die neuen Nachbarn werden den Schlachtbetrieb vor Augen haben.
"Und da haben wir ein bisschen Angst, wenn da ein flippiger Berliner reinzieht, dass der sagt, mich stört der Lärm, mich stört der Geruch, das ist das nächste Problem."
Noch eine Sorge für die Lehmanns. Aber sie machen weiter. Wie immer. "Wir werden uns nicht verstecken", sagt Lutz Lehmann. Bei einer Freundin haben sie ein großes Plakat in Auftrag gegeben. Das werden sie demnächst an die Einfahrt hängen. Damit jeder Besucher Bescheid weiß. Darauf stehen zwei Worte: "Achtung Schlachtung."