Traditionsberuf Orgelbau

Klingendes Kulturerbe mit Zukunft

Eine junge Frau arbeitet an einem Orgel-Spieltisch in einer Orgelwerkstatt.
Mit Fingerspitzengefühl für "immaterielles Kulturgut": Orgelbauerin bei der Arbeit © imago / epd
Von Josefine Janert |
Orgelbau hat Zukunft: Immer mehr Frauen entscheiden sich für den früheren Männerberuf, Fachleute sind gefragt. Kirchennähe ist keine Bedingung, handwerkliches Geschick und ein musikalisches Gehör braucht es aber schon für die "Königin der Instrumente".
Beim Orgelspiel entsteht der Klang, indem Luft durch Pfeifen geblasen wird. Damit die Pfeifen ihren Klang entfalten können, müssen sie kerzengerade auf einem sogenannten Rasterbrett stehen und darauf festgehalten werden. Das Rasterbrett ist ein Holzstück mit kreisrunden Löchern. Annegret Pabst ist gerade dabei, die Pfeifen auszurichten. Sie trägt ein T-Shirt und eine knielange Arbeitshose. Das braune Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden.
"Meine Aufgabe besteht darin, die Löcher in den Rasterbrettern größer zu raspeln, also Holz wegzunehmen, und an der anderen Stelle dann Leder einzusetzen, damit das Loch wieder kleiner wird."
Die 20-Jährige macht eine Ausbildung zur Orgelbauerin. Obwohl der Beruf körperlich anstrengend ist, ist der Anteil der Frauen, die ihn ergreifen, gestiegen. Das sieht Annegret Pabst in ihrer Berufsschule in Ludwigsburg, einer Stadt in Baden-Württemberg. 38 Männer und elf Frauen sind in ihrem Jahrgang. Früher gab es nur eine oder zwei Frauen.
Annegret Pabst, angehende Orgelbauerin, steht in einer Orgelbauwerkstatt.
Die angehende Orgelbauerin Annegret Pabst.© Josefin Janert
Annegret Pabst: "Ich glaub allgemein, dass Frauen sich unabhängiger fühlen und deswegen auch eher zum Beruf des Handwerks greifen."
Die Ausbildung dauert dreieinhalb Jahre. Den praktischen Teil absolviert Pabst 450 Kilometer nordöstlich, in der sächsischen Stadt Bautzen. Dort gründete 1872 Hermann Eule eine Orgelbaufirma. Selbst in der DDR-Zeit war sie weltweit tätig. Heute hat sie 43 Mitarbeiter und vier Mitarbeiterinnen. Sechs davon sind Auszubildende.

Blei erweitert das Klangregister

Als die UNESCO Orgelbau und Orgelspiel zum immateriellen Weltkulturerbe ernannte, war der Jubel in Bautzen groß.
Pabst: "Einfach, dass es jetzt noch existent ist, wird durch das immaterielle Weltkulturerbe deutlich gemacht. Und dass es eben auch nicht verlorengehen soll. Als ich angefangen hab, im Beruf zu arbeiten und meinen Freunden davon erzählt hab, ging's oft: 'Gibt's das denn überhaupt noch? Braucht man das denn noch?' Andererseits dadurch, dass wir jetzt immaterielles Weltkulturerbe sind, werden natürlich auch Fördermittel freigeschaltet für den Erhalt von Orgeln."
Auch die Geschäftsführerin Anne-Christin Eule freut sich über die Entscheidung der UNESCO. Die 43-Jährige sieht dadurch eine Regelung in der Europäischen Union bekräftigt, wonach Orgelbauer weiterhin Blei verarbeiten dürfen. Anderen Branchen ist das verboten.
Anne-Christin Eule: "Dieses Blei in der Legierung ist ganz entscheidend für die Klangbildung einer Pfeife. Und wenn man nur Zinn verwendet, oder wenn man eben Zink, wie früher man auch mal verwendet hat, dann bekommt man nicht so ein Klangspektrum, was die Orgel aber ausmacht und so sehr unterscheidet von allen anderen Instrumenten. Denn man nennt sie ja nicht umsonst die 'Königin der Instrumente'."
Das Rasterbrett auf dem Arbeitstisch von Annegret Pabst stammt aus der Unterkirche in Bad Frankenhausen, deren 132 Jahre alte Orgel die Bautzener gerade restaurieren. Im Erdgeschoss der Orgelbauerwerkstatt arbeiten vier Männer an einem Neubau. Das sogenannte Orgelgehäuse und der Spieltisch, an dem einmal der Musiker sitzen wird, sind schon zu sehen. Wenn ein Instrument fertig ist, wird es in seine Einzelteile zerlegt, mit einem LKW zu der Kirche oder dem Konzerthaus gebracht und dort wieder zusammengebaut.

Vom Spielmannszug zur Pfeifen-Manufaktur

Hermann Eule Orgelbau hatte in den vergangenen Jahren Aufträge aus ganz Deutschland sowie aus Österreich, Polen, Russland, Skandinavien. Vor drei Jahren baute die Firma sogar eine Orgel für eine Musikhochschule in China.
Anne-Christin Eule: "Ja, also, ich habe keine Angst um die Zukunft des Orgelbaus."
Orgelbau hat sie im heimischen Unternehmen gelernt und später Betriebswirtschaft studiert. Seit 2006 führt sie die Geschäfte, inzwischen zusammen mit ihrem Mann, einem Orgelbaumeister. Sie legt Wert auf gediegene Umgangsformen. Azubis redet sie grundsätzlich mit Sie an.
Eule: "Weil ich das ganz wichtig finde. Es hält Abstand voneinander und zeigt auch den Umgang, den ich mir wünsche: respektvoll und achtsam."
Ihren Angestellten gesteht die dunkelblonde Frau nach dem gemeinsamen Essen einen 30-minütigen Mittagsschlaf in der Werkstatt zu. Der hat im Betrieb Tradition.
Anne-Christin Eule: "Schon als Kind, als ich hier durch die Werkstatt ging, wurde ich ermahnt, erstens still zu sein, zweitens nichts anzurühren, denn diese Räume sind nichts für Kinder. Und eben: Die Mitarbeiter schlafen. Die machen jetzt ihre Mittagsstunde."
Diese Atmosphäre und der schöne alte Firmensitz haben Annegret Pabst sofort fasziniert, als sie auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz im Instrumentenbau war. Die junge Frau stammt aus einer musikbegeisterten Familie. Als Kind lernte sie Piccolo-Flöte, Klavier und Althorn und wirkte in ihrer sächsischen Heimatstadt Oberlichtenau jahrelang im Spielmannszug mit. Sie ist zwar getauft und konfirmiert, aber in einen Gottesdienst geht sie nur zu Weihnachten.

Orgel ja, beten nein

Annegret Pabst: "Und ich glaub, dass das ist auch das, was bei meiner Generation noch so im Kopf ist: Dass die Orgel in die Kirche gehört. Aber das ist einfach nicht mehr der Fall. Die stehen in so vielen Konzerthallen, und ist einfach so viel vielseitiger als Kirchenmusik. Und einfach sich dafür zu öffnen, ich glaub, dafür ist’s langsam an der Zeit. Zum Beispiel habe ich von der Kirche bei Leipzig gehört, die jetzt als Kirche nicht mehr aktiv ist, aber als Konzertsaal erhalten wird. Und so was wär's dann. Dass man einfach die Orgel drin stehen lässt, aber einfach dieses Christliche beiseitelässt und wirklich der Musik diese Halle gibt."
Ihre Chefin sieht das jedoch anders.
Eule: "Die Orgelmusik gehört für mich unbedingt dazu zur Verkündigung – ob das sonntäglich im Gottesdienst ist oder zu einem Konzert als Begleitinstrument. Die Orgelmusik trägt durch Freud und Leid, durch alles hindurch, und sie kann auch aufbauen. Und vor allen Dingen gibt sie die Möglichkeit, für eine kleine Weile mal ganz ruhig zu werden. Viele unserer Mitarbeiter stammen aus Pfarrhäusern, aus Kantorenhäusern und haben natürlich da eine gewisse Kirchennähe erfahren, die sie weiterleben und die sie auch bewusst weiterleben und dadurch natürlich auch das Bekenntnis zu ihrem Beruf bezeugen."

Gesuchte Fachleute

Während in der DDR-Zeit vor allem Männer aus christlichen Elternhäusern bei Hermann Eule Orgelbau in die Lehre gingen, sind es nach Anne-Christin Eules Beobachtungen inzwischen immer öfter Menschen, die mit Religion nichts am Hut haben. Die evangelische Christin hat das längst akzeptiert. Viel mehr Sorge bereitet ihr ein anderes Problem.
Eule: "Also das große Problem, was wir Orgelbauer haben, ist nicht unbedingt, Auszubildende zu finden, sondern diese Auszubildenden am Ende der Lehrzeit zu halten. Das gelingt uns zunehmend nicht, weil – wie gesagt – die Angebote ganz andere sind als die vor zehn Jahren, als ich hier anfing. Diese Entwicklungsmöglichkeiten: Jetzt bin ich Orgelbauer, na, vielleicht studiere ich noch Architektur? Oder vielleicht Musikgeschichte? Oder vielleicht Kirchenmusik?"
Auch Annegret Pabst spielt mit dem Gedanken, Kulturwissenschaft zu studieren. Allerdings will sie sich noch ein paar Jahre Zeit lassen – für die Arbeit an Orgeln in Deutschland und in fernen Ländern.
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