Tränen im Wahlkampf
Emotionen kommen im deutschen Wahlkampf kaum vor, obwohl es eigentlich viele emotionale Themen gäbe, sagt Gary S. Schaal, Professor für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Ein Grund: In Deutschland wird Emotionalität oft als Inkompetenz wahrgenommen. Das hat auch mit der deutschen Geschichte und dem Stand der Gleichberechtigung zu tun.
Stephan Karkowsky: Ich glaube, das Beste, was man sagen kann über die Slogans auf den aktuellen Wahlplakaten, ist: Sie stören nicht weiter! "Gemeinsam erfolgreich, CDU". "Das Wir entscheidet, SPD". Oder: "Damit Deutschland stark bleibt, FDP". Aufregend ist das nicht! Die Grünen, man weiß das, sind gegen die Massentierhaltung, die Linke will eine Mindestrente. Aber so richtig gestritten wird derzeit gar nicht. Emotionen: komplett Fehlanzeige! Warum? Wir fragen das Dr. Gary Schaal, er ist Professor für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg und er hat gerade mit Felix Heidenreich einen Aufsatz veröffentlicht zur Rolle der Emotion in der Politik. Herr Schaal, guten Morgen!
Gary S. Schaal: Guten Morgen!
Karkowsky: Oder habe ich jetzt übertrieben in meiner Beschreibung eines weitgehend emotionslosen Wahlkampfes?
Schaal: Ich finde es ausgesprochen spannend, dass auf der einen Seite auf den Plakaten das Wir angesprochen wird, und damit etwas sehr Emotionales, die Gemeinschaft der Bürger, und auf der anderen Seite der Wahlkampf selber, wenn man sich Reden anschaut, selbst das Fest der SPD gerade, eigentlich sehr unemotional ist. Und dazwischen gibt es eine Spannung.
Karkowsky: Warum ist das Wir denn etwas sehr Emotionales?
Schaal: Weil damit etwas angesprochen wird, was es eigentlich gar nicht mehr gibt, die Gemeinschaft der Bundesbürger. Es ist fast genauso, als wenn von den Wählern gesprochen wird, die es natürlich auch nicht gibt. Deutschland zerfällt ja immer stärker in unterschiedliche kleine, pluralisierte Gruppen mit unterschiedlichen Vorstellungen davon, wie man leben will - und dieses Wir spricht die Deutschen als Ganzes an! Aber wer soll dieses Wir denn eigentlich sein, und vor allem - das ist die kritische Frage - worauf soll uns das Ganze hinweisen? Also, worauf soll das vorbereiten?
Karkowsky: Wenn die Deutschen aber nun kein Ganzes mehr sind, spricht sie denn dieses Wir tatsächlich an?
Schaal: Ich glaube, es wird nicht angesprochen, aber ich glaube, es soll uns darauf vorbereiten, dass wir im Zuge dieses Neoliberalismus, den wir in den letzten Jahren intensiv miterlebt haben, diese zunehmende Individualisierung, diese zunehmende Orientierung an rationalen und ökonomischen Kalkülen, die Gesellschaft immer sozusagen individualistischer geworden. Gleichzeitig kommen in den nächsten Jahren große Einschnitte auf uns zu, Austeritätspolitik, weniger Staatseinnahmen und so weiter und so fort, und die einzige Möglichkeit, wie man so etwas abfedern kann, ist, ein Wir zu schaffen, bei dem man dann sagt, die Gemeinschaft der Staatsbürger trägt das Ganze.
Karkowsky: Also Wir als positive Emotion. Wenn ich von Emotion rede, meine ich natürlich im Wahlkampf vor allen Dingen die widerstreitenden Theorien, die widerstreitenden Emotionen. Haben Sie den Eindruck, dass die derzeit ziemlich ausgeblendet werden, dass man nicht so richtig miteinander kämpfen möchte?
Schaal: Im Augenblick ist so gut wie keine Emotion im Wahlkampf, und das, obwohl eigentlich ganz viele Themen da sind, über die man sehr intensiv und emotional streiten kann, wie zum Beispiel die Frage immer noch der Euro-Rettung, die ja nicht vom Tisch ist, oder die Frage nach dem NSA-Skandal. Aber es gibt in Deutschland eine Tradition, dass Unemotionalität, Rationalität mit Professionalität verbunden wird, und Emotionalität mit, ich weiß es nicht, nicht mit Leidenschaft, nicht mit dem Kampf für etwas, sondern letzten Endes mit Inkompetenz.
Gary S. Schaal: Guten Morgen!
Karkowsky: Oder habe ich jetzt übertrieben in meiner Beschreibung eines weitgehend emotionslosen Wahlkampfes?
Schaal: Ich finde es ausgesprochen spannend, dass auf der einen Seite auf den Plakaten das Wir angesprochen wird, und damit etwas sehr Emotionales, die Gemeinschaft der Bürger, und auf der anderen Seite der Wahlkampf selber, wenn man sich Reden anschaut, selbst das Fest der SPD gerade, eigentlich sehr unemotional ist. Und dazwischen gibt es eine Spannung.
Karkowsky: Warum ist das Wir denn etwas sehr Emotionales?
Schaal: Weil damit etwas angesprochen wird, was es eigentlich gar nicht mehr gibt, die Gemeinschaft der Bundesbürger. Es ist fast genauso, als wenn von den Wählern gesprochen wird, die es natürlich auch nicht gibt. Deutschland zerfällt ja immer stärker in unterschiedliche kleine, pluralisierte Gruppen mit unterschiedlichen Vorstellungen davon, wie man leben will - und dieses Wir spricht die Deutschen als Ganzes an! Aber wer soll dieses Wir denn eigentlich sein, und vor allem - das ist die kritische Frage - worauf soll uns das Ganze hinweisen? Also, worauf soll das vorbereiten?
Karkowsky: Wenn die Deutschen aber nun kein Ganzes mehr sind, spricht sie denn dieses Wir tatsächlich an?
Schaal: Ich glaube, es wird nicht angesprochen, aber ich glaube, es soll uns darauf vorbereiten, dass wir im Zuge dieses Neoliberalismus, den wir in den letzten Jahren intensiv miterlebt haben, diese zunehmende Individualisierung, diese zunehmende Orientierung an rationalen und ökonomischen Kalkülen, die Gesellschaft immer sozusagen individualistischer geworden. Gleichzeitig kommen in den nächsten Jahren große Einschnitte auf uns zu, Austeritätspolitik, weniger Staatseinnahmen und so weiter und so fort, und die einzige Möglichkeit, wie man so etwas abfedern kann, ist, ein Wir zu schaffen, bei dem man dann sagt, die Gemeinschaft der Staatsbürger trägt das Ganze.
Karkowsky: Also Wir als positive Emotion. Wenn ich von Emotion rede, meine ich natürlich im Wahlkampf vor allen Dingen die widerstreitenden Theorien, die widerstreitenden Emotionen. Haben Sie den Eindruck, dass die derzeit ziemlich ausgeblendet werden, dass man nicht so richtig miteinander kämpfen möchte?
Schaal: Im Augenblick ist so gut wie keine Emotion im Wahlkampf, und das, obwohl eigentlich ganz viele Themen da sind, über die man sehr intensiv und emotional streiten kann, wie zum Beispiel die Frage immer noch der Euro-Rettung, die ja nicht vom Tisch ist, oder die Frage nach dem NSA-Skandal. Aber es gibt in Deutschland eine Tradition, dass Unemotionalität, Rationalität mit Professionalität verbunden wird, und Emotionalität mit, ich weiß es nicht, nicht mit Leidenschaft, nicht mit dem Kampf für etwas, sondern letzten Endes mit Inkompetenz.
"Der Stoff der Politik ist, dass wir leidenschaftlich sind"
Karkowsky: Wo kommt die her, diese Tradition?
Schaal: Es gibt natürlich die deutsche Geschichte, aus der hervorgeht, dass mit dem Dritten Reich Emotionen immer etwas damit zu tun haben, dass man verführbar ist. Und diese Angst davor, dass Deutsche noch immer verführbar sein könnten, überstrahlt natürlich die gesamte deutsche Politik. Und zum anderen, das sollten wir uns alle fragen, glaube ich, dass wir diesen nüchternen Politikstil als professionell empfinden.
In dem Augenblick, in dem jemand akademisch-trocken redet, haben wir das Gefühl, er ist kompetent. Und Deutsche wollen eher, so mein Eindruck, eine kompetente, sachliche Politik als eine leidenschaftliche Politik haben. Und Personen wie zum Beispiel Strauß, ob man ihn nun leiden kann oder nicht, eine solche Person gibt es heute nicht mehr und ich glaube auch nicht, dass er wirklich noch Erfolg hätte.
Karkowsky: Ja, zumindest hat der langjährige CSU-Vorsitzende polarisiert. Täuscht denn der Eindruck oder wird jeder, der diese Grabesruhe der Demokratie stört, auch schnell als Störenfried betrachtet, von den Merkel-Anhängern vor allen Dingen? Also, ich denke mal an Leute wie Jürgen Trittin von den Grünen oder Sigmar Gabriel von der SPD, die werden ja auch schon mal unhöflich. Die Älteren würden sagen, die pöbeln rum!
Schaal: Was ist denn der Stoff der Politik, der Stoff der Politik ist, dass wir leidenschaftlich sind, weil das, was uns wirklich angeht, uns emotional so aufwühlt, dass wir uns darüber streiten wollen. Und in dem Augenblick, in dem wir uns nicht mehr streiten, habe ich das Gefühl, dass die Politik quasi leidenschaftslos ist und das Politische aus der Politik entschwindet. Das sieht man in Italien, dieses Kabinett aus Technokraten soll natürlich Aufgaben lösen. Aber Aufgaben-Lösen ist nicht die Aufgabe der Demokratie. In einer Demokratie sollen die Bürger miteinander, und die Politiker miteinander darüber streiten, was für uns richtig ist, denn es gibt ja keine richtige Lösung für unser Gemeinwesen. Und das muss eine zutiefst emotionale Angelegenheit sein, die aber natürlich nie in Demagogie oder Ähnliches abgleiten muss.
Und wenn ich mich daran erinnere, dass zum Beispiel der Begriff des Wutbürgers zeigt, dass, wenn Menschen tatsächlich engagiert sind – wie berechtigt, das ist eine andere Frage! –, dadurch diskreditiert werden, dass man sie als Wutbürger bezeichnet, nimmt man ihre Anliegen nicht mehr ernst. Oder wenn Sie daran denken, dass die CDU vor der Wende hin zum Atomenergieausstieg gesagt hat, dass diejenigen, die die Energiewende wollen, hysterisch sind oder dass sie vielleicht sozusagen nicht mehr richtig klar bei Geistes sind oder überemotional, dann heißt das ja nur eins, nämlich: Sobald man emotional wird, ist man nicht mehr zurechnungsfähig, und alles, was man dann macht, ist für die Politik nicht zu gebrauchen. Und eine solche Rhetorik schließt natürlich ganz viel aus der Politik aus.
Die Frage ist aber, wie gehen wir damit um? Ich meine, es ist kein Zufall, dass Merkel auch weiter in den Umfragen führt, weil wir als sozusagen wir, die Staatsbürger, natürlich auch einen eher rationalen, unemotionalen Politikstil offensichtlich goutieren!
Karkowsky: Wie kommt es, dass man in den USA ganz anders ist? Man hat ja den Eindruck, dort geht es im Wahlkampf fast ausschließlich ums Gefühl, und zwar das ganz große, mit Tränen auf der Bühne und allem Pipapo, dagegen sind die Tränen des Peer Steinbrück wirklich Peanuts!
Schaal: Ja, eigentlich sind die USA ein Paradebeispiel dafür, wie man Emotionen ausleben könnte. Allerdings hat das ganz viel damit zu tun, dass der Wahlkampf ganz massiv auf Personen zugeschnitten ist. Die Parteien sind in den USA nicht so stark und dementsprechend geht es um die Person der Präsidentschaftskandidaten, oder in den Primarys der Kandidaten dafür. Und wie kann man Menschen am besten ansprechen? Ich glaube, dass es über Reden passiert. Und wenn wir uns Menschen beim Reden hingeben wollen, dann müssen die uns mit ihrer Rhetorik abholen. Und man kann Menschen mit ihrer Rhetorik nur abholen, wenn man sie dort abholt, wo sie stehen. Das heißt auch, dass man sie emotional trifft.
Schaal: Es gibt natürlich die deutsche Geschichte, aus der hervorgeht, dass mit dem Dritten Reich Emotionen immer etwas damit zu tun haben, dass man verführbar ist. Und diese Angst davor, dass Deutsche noch immer verführbar sein könnten, überstrahlt natürlich die gesamte deutsche Politik. Und zum anderen, das sollten wir uns alle fragen, glaube ich, dass wir diesen nüchternen Politikstil als professionell empfinden.
In dem Augenblick, in dem jemand akademisch-trocken redet, haben wir das Gefühl, er ist kompetent. Und Deutsche wollen eher, so mein Eindruck, eine kompetente, sachliche Politik als eine leidenschaftliche Politik haben. Und Personen wie zum Beispiel Strauß, ob man ihn nun leiden kann oder nicht, eine solche Person gibt es heute nicht mehr und ich glaube auch nicht, dass er wirklich noch Erfolg hätte.
Karkowsky: Ja, zumindest hat der langjährige CSU-Vorsitzende polarisiert. Täuscht denn der Eindruck oder wird jeder, der diese Grabesruhe der Demokratie stört, auch schnell als Störenfried betrachtet, von den Merkel-Anhängern vor allen Dingen? Also, ich denke mal an Leute wie Jürgen Trittin von den Grünen oder Sigmar Gabriel von der SPD, die werden ja auch schon mal unhöflich. Die Älteren würden sagen, die pöbeln rum!
Schaal: Was ist denn der Stoff der Politik, der Stoff der Politik ist, dass wir leidenschaftlich sind, weil das, was uns wirklich angeht, uns emotional so aufwühlt, dass wir uns darüber streiten wollen. Und in dem Augenblick, in dem wir uns nicht mehr streiten, habe ich das Gefühl, dass die Politik quasi leidenschaftslos ist und das Politische aus der Politik entschwindet. Das sieht man in Italien, dieses Kabinett aus Technokraten soll natürlich Aufgaben lösen. Aber Aufgaben-Lösen ist nicht die Aufgabe der Demokratie. In einer Demokratie sollen die Bürger miteinander, und die Politiker miteinander darüber streiten, was für uns richtig ist, denn es gibt ja keine richtige Lösung für unser Gemeinwesen. Und das muss eine zutiefst emotionale Angelegenheit sein, die aber natürlich nie in Demagogie oder Ähnliches abgleiten muss.
Und wenn ich mich daran erinnere, dass zum Beispiel der Begriff des Wutbürgers zeigt, dass, wenn Menschen tatsächlich engagiert sind – wie berechtigt, das ist eine andere Frage! –, dadurch diskreditiert werden, dass man sie als Wutbürger bezeichnet, nimmt man ihre Anliegen nicht mehr ernst. Oder wenn Sie daran denken, dass die CDU vor der Wende hin zum Atomenergieausstieg gesagt hat, dass diejenigen, die die Energiewende wollen, hysterisch sind oder dass sie vielleicht sozusagen nicht mehr richtig klar bei Geistes sind oder überemotional, dann heißt das ja nur eins, nämlich: Sobald man emotional wird, ist man nicht mehr zurechnungsfähig, und alles, was man dann macht, ist für die Politik nicht zu gebrauchen. Und eine solche Rhetorik schließt natürlich ganz viel aus der Politik aus.
Die Frage ist aber, wie gehen wir damit um? Ich meine, es ist kein Zufall, dass Merkel auch weiter in den Umfragen führt, weil wir als sozusagen wir, die Staatsbürger, natürlich auch einen eher rationalen, unemotionalen Politikstil offensichtlich goutieren!
Karkowsky: Wie kommt es, dass man in den USA ganz anders ist? Man hat ja den Eindruck, dort geht es im Wahlkampf fast ausschließlich ums Gefühl, und zwar das ganz große, mit Tränen auf der Bühne und allem Pipapo, dagegen sind die Tränen des Peer Steinbrück wirklich Peanuts!
Schaal: Ja, eigentlich sind die USA ein Paradebeispiel dafür, wie man Emotionen ausleben könnte. Allerdings hat das ganz viel damit zu tun, dass der Wahlkampf ganz massiv auf Personen zugeschnitten ist. Die Parteien sind in den USA nicht so stark und dementsprechend geht es um die Person der Präsidentschaftskandidaten, oder in den Primarys der Kandidaten dafür. Und wie kann man Menschen am besten ansprechen? Ich glaube, dass es über Reden passiert. Und wenn wir uns Menschen beim Reden hingeben wollen, dann müssen die uns mit ihrer Rhetorik abholen. Und man kann Menschen mit ihrer Rhetorik nur abholen, wenn man sie dort abholt, wo sie stehen. Das heißt auch, dass man sie emotional trifft.
"Die Rationalität hat immer über die Emotionalität gesiegt"
Karkowsky: Das macht die Kanzlerin doch zum Beispiel nicht?
Schaal: Das macht die Kanzlerin nicht. Selbst als Obama in Berlin sozusagen nicht auf der Höhe seiner rhetorischen Fähigkeiten war, war er doch immer noch sehr viel ansprechender. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass er in der Lage ist, die amerikanische Bevölkerung emotional ansprechen zu dürfen. Was der Kanzlerin vor dem Hintergrund des vorhin schon erwähnten Dritten Reiches, der Erfahrung der Verführbarkeit des Volkes, natürlich auch wenig opportun erscheint. Also, der Umgang mit Emotionen in den USA ist viel relaxter als in Deutschland.
Und es kommt natürlich noch etwas anderes hinzu, nämlich die Frage, ob und wie die Gleichberechtigung der Frauen ist. Das klingt jetzt vielleicht so ein bisschen merkwürdig, hat aber einen ganz praktischen Hintergrund: Emotionen werden seit Jahrtausenden immer mit Frauen gleichgesetzt, und die Rationalität mit Männern. Und die Rationalität hat immer über die Emotionalität gesiegt. Und wenn Sie sich daran erinnern, als, ich glaube, vor zwei Jahren Royal im Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich Tränen vergossen hat, da war sie die Hysterische! Schlicht und ergreifend, weil sie eine Frau war. Wenn sei ein Mann gewesen wäre, hätten wir das vielleicht als authentisch wahrgenommen, und hier zeigt sich noch mal, dass wir als Bürger auch noch eine ganz große Differenz haben zwischen Männern und Frauen in der Politik. Und wenn Merkel jetzt als Frau hoch emotional wäre, dann würde sie sich vermutlich tatsächlich als hysterisch diskreditieren.
Karkowsky: Das ist doch unfair!
Schaal: Natürlich ist das unfair! Aber es zeigt, wie sehr die Gesellschaft tatsächlich noch von diesem dualistischen Denken mit diesen Hierarchien, Mann - Frau, Kopf - Geist gegen Emotion oder Bauchgefühl antritt. Und dabei stimmt es gar nicht. Das, was wir als Bauchgefühl haben, zeigt uns manchmal den Weg viel besser als das, was wir kognitiv leisten.
Karkowsky: Sie haben dazu ja einen Essay vorgelegt, in dem Sie eine Politik voller Emotion eher dem republikanischen Lager zuordnen, und eine eher sachbezogene, emotionslose Politik dem Liberalismus. Wieso?
Schaal: Es gibt ja zwei Traditionen. In Deutschland ist das Wort Republikanismus immer so ein bisschen falsch zu verstehen, damit meint man typischerweise die Gemeinschaftsorientierung in Frankreich, Rousseau, das klingelt da vielleicht so ein bisschen. Und die haben ein Demokratieverständnis, in dem die Gemeinschaft der Bürger sich aktiv einbringt, und zwar als Gemeinschaft. Und wenn wir uns als Gemeinschaft einbringen, brauchen wir ein Gemeinschaftsgefühl, während der Liberalismus natürlich auf der anderen Seite viel stärker vom Individuum ausgeht, und dieses Individuum braucht diese Gemeinschaft nicht. Es geht sozusagen auf die Individualisierung.
Und wenn man sich das wiederum transformiert in aktuelle Politik, dann steht auf der einen Seite zum Beispiel die solidarische Versicherung, der Generationenvertrag, oder auf der anderen Seite die Idee, dass wir einfach zum Beispiel eine private Rentenversicherung haben. Dahinter stehen zwei unterschiedliche Staatsverständnisse, die auch prototypisch mit der Rolle der Emotion verbunden sind.
Karkowsky: Dr. Gary S. Schaal, Ihnen herzlichen Dank!
Schaal: Herzlichen Dank Ihnen!
Karkowsky: Er ist Professor für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, derzeit auch Gastprofessor, das darf ich sagen, am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, und er ist vor allen Dingen Koautor eines Beitrags für die Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Titel "Politik der Gefühle. Zur Rolle von Emotionen in der Demokratie".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Schaal: Das macht die Kanzlerin nicht. Selbst als Obama in Berlin sozusagen nicht auf der Höhe seiner rhetorischen Fähigkeiten war, war er doch immer noch sehr viel ansprechender. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass er in der Lage ist, die amerikanische Bevölkerung emotional ansprechen zu dürfen. Was der Kanzlerin vor dem Hintergrund des vorhin schon erwähnten Dritten Reiches, der Erfahrung der Verführbarkeit des Volkes, natürlich auch wenig opportun erscheint. Also, der Umgang mit Emotionen in den USA ist viel relaxter als in Deutschland.
Und es kommt natürlich noch etwas anderes hinzu, nämlich die Frage, ob und wie die Gleichberechtigung der Frauen ist. Das klingt jetzt vielleicht so ein bisschen merkwürdig, hat aber einen ganz praktischen Hintergrund: Emotionen werden seit Jahrtausenden immer mit Frauen gleichgesetzt, und die Rationalität mit Männern. Und die Rationalität hat immer über die Emotionalität gesiegt. Und wenn Sie sich daran erinnern, als, ich glaube, vor zwei Jahren Royal im Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich Tränen vergossen hat, da war sie die Hysterische! Schlicht und ergreifend, weil sie eine Frau war. Wenn sei ein Mann gewesen wäre, hätten wir das vielleicht als authentisch wahrgenommen, und hier zeigt sich noch mal, dass wir als Bürger auch noch eine ganz große Differenz haben zwischen Männern und Frauen in der Politik. Und wenn Merkel jetzt als Frau hoch emotional wäre, dann würde sie sich vermutlich tatsächlich als hysterisch diskreditieren.
Karkowsky: Das ist doch unfair!
Schaal: Natürlich ist das unfair! Aber es zeigt, wie sehr die Gesellschaft tatsächlich noch von diesem dualistischen Denken mit diesen Hierarchien, Mann - Frau, Kopf - Geist gegen Emotion oder Bauchgefühl antritt. Und dabei stimmt es gar nicht. Das, was wir als Bauchgefühl haben, zeigt uns manchmal den Weg viel besser als das, was wir kognitiv leisten.
Karkowsky: Sie haben dazu ja einen Essay vorgelegt, in dem Sie eine Politik voller Emotion eher dem republikanischen Lager zuordnen, und eine eher sachbezogene, emotionslose Politik dem Liberalismus. Wieso?
Schaal: Es gibt ja zwei Traditionen. In Deutschland ist das Wort Republikanismus immer so ein bisschen falsch zu verstehen, damit meint man typischerweise die Gemeinschaftsorientierung in Frankreich, Rousseau, das klingelt da vielleicht so ein bisschen. Und die haben ein Demokratieverständnis, in dem die Gemeinschaft der Bürger sich aktiv einbringt, und zwar als Gemeinschaft. Und wenn wir uns als Gemeinschaft einbringen, brauchen wir ein Gemeinschaftsgefühl, während der Liberalismus natürlich auf der anderen Seite viel stärker vom Individuum ausgeht, und dieses Individuum braucht diese Gemeinschaft nicht. Es geht sozusagen auf die Individualisierung.
Und wenn man sich das wiederum transformiert in aktuelle Politik, dann steht auf der einen Seite zum Beispiel die solidarische Versicherung, der Generationenvertrag, oder auf der anderen Seite die Idee, dass wir einfach zum Beispiel eine private Rentenversicherung haben. Dahinter stehen zwei unterschiedliche Staatsverständnisse, die auch prototypisch mit der Rolle der Emotion verbunden sind.
Karkowsky: Dr. Gary S. Schaal, Ihnen herzlichen Dank!
Schaal: Herzlichen Dank Ihnen!
Karkowsky: Er ist Professor für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, derzeit auch Gastprofessor, das darf ich sagen, am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, und er ist vor allen Dingen Koautor eines Beitrags für die Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Titel "Politik der Gefühle. Zur Rolle von Emotionen in der Demokratie".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.