Träum weiter
Die Berliner Illustratorin Kat Menschik setzt zwei traumverlorene frühe Erzählungen des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami in Szene. Und führt mit ihren Illustrationen in eine fantastische Unterwasserwelt, die süchtig macht.
Gold, weiß, dunkelgrün, so kommen einem die Bilder entgegen. Die massiven grünen Grundlinien gefüllt mit goldenen Flächen, es überlagern sich die Detailaufnahmen, Flora, Fauna, Körperteile, und immer wieder Wasser: in Wellen, Blasen, Strudeln oder Spritzern. Hier wächst eine Sonnenblume vor dem anatomischen Aufriss eines Bauchraums, dort schwimmt ein Kassettenband herausgelöst im Wasser, schwebt eine Strumpfmaskierte Nixe mit einem Beutel Hamburgerbrötchen durchs Bild.
Die Grenze zwischen Traum und Alptraum ist porös - so warnen diese Bilder, und lassen keinen Zweifel am liquiden Charakter der hier illustrierten Literatur. Geschichten aus der seltsam balkenlosen Welt des Haruki Murakami, in die hier gleich zwei Texte auf unterschiedliche und doch verquickte Weise führen: "Die Bäckereiüberfälle" sind zwei kurze Novellen des japanischen Autors aus den 80er-Jahren, die in diesem Band als Fortsetzungsgeschichte inszeniert werden.
Alles beginnt mit einem existenziellen Hunger zweier junger Männer, die sich fühlen, als hätten sie ein "kosmisches Vakuum verschluckt". Dieser unerklärliche Hunger treibt sie mit Messern bewaffnet in die nächste Bäckerei. Doch der Bäcker, ein Kommunist und Wagner-Verehrer, lässt den Überfall nicht zu und schlägt vor: Brot gibt's in Hülle und Fülle, wenn die beiden im Gegenzug ein bisschen Tristan und Isolde mit ihm hören. Gesagt, getan, guten Appetit.
Die zweite Geschichte setzt gut zehn Jahre später ein. Der Erzähler und seine Frau wachen mitten in der Nacht auf und sind von so unvorstellbarem Hunger geplagt, dass es sie nicht mehr im Bett hält. Der Erzähler erinnert sich am Küchentisch an den ersten Bäckereiüberfall und berichtet seiner Frau von dieser Tat aus Studentenzeiten. Sie folgert: auch dieser erneute Hunger kann nur durch einen Überfall gestillt werden. Mit Schrotflinte und überklebtem Nummernschild macht man sich auf eine Autofahrt durchs nächtliche Tokyo.
Während der erste Bäckereiüberfall in seiner Skurrilität und seinem Slapstick einer durchaus bekifften Atmosphäre entsprungen scheint, liest sich der zweite Überfall wie ein Traumnotat. Zweimal schreibt Haruki Murakami virtuos an der Realität vorbei und verwickelt in eine elegant-fantastische Handlung. Die kurzen, reduzierten Bäckereiüberfälle (deren Sujet des Hungers bekanntlich bereits Franz Kafka oder Knut Hamsun inspiriert hat) erinnern an einen Murakami, der in letzter Zeit seine meisterhafte kurze Form zuungunsten einer langweilig verquatschten Verrätselung aufgegeben zu haben scheint - zuletzt mit seinem 1600-seitigen Opus "1Q84".
Der Dumont Verlag tut gut daran, den frühen traumverlorenen Erzählungen des japanischen Bestsellerautors mit ihrer Hausillustratorin eine Bühne zu bauen. Zum zweiten Mal hat die Berlinerin Kat Menschik einen Text Murakamis in ihre eindringliche Ästhetik übersetzt, die an die Tradition japanischer Bildkunst, an die Holzschnitte eines Hokusai genau wie an moderne Manga erinnert. Menschik, Jahrgang Jahrgang 1968, ist eine der bekanntesten Künstlerinnen ihrer Profession, ihre Bilder kennt man aus dem Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und aus diversen Büchern, die sie illustriert hat. Ob wie vor kurzem in den isländischen Sagas oder wie hier im Murakami-Kosmos: immer birgt sie ihre Bilder direkt aus dem Text, lässt Details und Wesen leuchten, lässt das Eintauchen in Literatur immanent werden. Zwischen die Buchstaben gemalt: Eine Unterwasserwelt, die süchtig macht.
Besprochen von Katrin Schumacher
Haruki Murakami, "Die Bäckereiüberfälle"
Aus dem Japanischen von Damian Larens
Mit Illustrationen von Kat Menschik
Dumont, Köln 2012
80 Seiten, 14,99 Euro
Die Grenze zwischen Traum und Alptraum ist porös - so warnen diese Bilder, und lassen keinen Zweifel am liquiden Charakter der hier illustrierten Literatur. Geschichten aus der seltsam balkenlosen Welt des Haruki Murakami, in die hier gleich zwei Texte auf unterschiedliche und doch verquickte Weise führen: "Die Bäckereiüberfälle" sind zwei kurze Novellen des japanischen Autors aus den 80er-Jahren, die in diesem Band als Fortsetzungsgeschichte inszeniert werden.
Alles beginnt mit einem existenziellen Hunger zweier junger Männer, die sich fühlen, als hätten sie ein "kosmisches Vakuum verschluckt". Dieser unerklärliche Hunger treibt sie mit Messern bewaffnet in die nächste Bäckerei. Doch der Bäcker, ein Kommunist und Wagner-Verehrer, lässt den Überfall nicht zu und schlägt vor: Brot gibt's in Hülle und Fülle, wenn die beiden im Gegenzug ein bisschen Tristan und Isolde mit ihm hören. Gesagt, getan, guten Appetit.
Die zweite Geschichte setzt gut zehn Jahre später ein. Der Erzähler und seine Frau wachen mitten in der Nacht auf und sind von so unvorstellbarem Hunger geplagt, dass es sie nicht mehr im Bett hält. Der Erzähler erinnert sich am Küchentisch an den ersten Bäckereiüberfall und berichtet seiner Frau von dieser Tat aus Studentenzeiten. Sie folgert: auch dieser erneute Hunger kann nur durch einen Überfall gestillt werden. Mit Schrotflinte und überklebtem Nummernschild macht man sich auf eine Autofahrt durchs nächtliche Tokyo.
Während der erste Bäckereiüberfall in seiner Skurrilität und seinem Slapstick einer durchaus bekifften Atmosphäre entsprungen scheint, liest sich der zweite Überfall wie ein Traumnotat. Zweimal schreibt Haruki Murakami virtuos an der Realität vorbei und verwickelt in eine elegant-fantastische Handlung. Die kurzen, reduzierten Bäckereiüberfälle (deren Sujet des Hungers bekanntlich bereits Franz Kafka oder Knut Hamsun inspiriert hat) erinnern an einen Murakami, der in letzter Zeit seine meisterhafte kurze Form zuungunsten einer langweilig verquatschten Verrätselung aufgegeben zu haben scheint - zuletzt mit seinem 1600-seitigen Opus "1Q84".
Der Dumont Verlag tut gut daran, den frühen traumverlorenen Erzählungen des japanischen Bestsellerautors mit ihrer Hausillustratorin eine Bühne zu bauen. Zum zweiten Mal hat die Berlinerin Kat Menschik einen Text Murakamis in ihre eindringliche Ästhetik übersetzt, die an die Tradition japanischer Bildkunst, an die Holzschnitte eines Hokusai genau wie an moderne Manga erinnert. Menschik, Jahrgang Jahrgang 1968, ist eine der bekanntesten Künstlerinnen ihrer Profession, ihre Bilder kennt man aus dem Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und aus diversen Büchern, die sie illustriert hat. Ob wie vor kurzem in den isländischen Sagas oder wie hier im Murakami-Kosmos: immer birgt sie ihre Bilder direkt aus dem Text, lässt Details und Wesen leuchten, lässt das Eintauchen in Literatur immanent werden. Zwischen die Buchstaben gemalt: Eine Unterwasserwelt, die süchtig macht.
Besprochen von Katrin Schumacher
Haruki Murakami, "Die Bäckereiüberfälle"
Aus dem Japanischen von Damian Larens
Mit Illustrationen von Kat Menschik
Dumont, Köln 2012
80 Seiten, 14,99 Euro