Träumereien und Arbeiterselbstorganisation

Vorgestellt von Hannelore Heider |
Stéphane ist ein Träumer, der die Grenzen zwischen Realität und Phantasie nicht akzeptiert, ja nicht einmal kennt. Mit filmtechnischer Verspieltheit und skurrilen Einfällen zeigt "The science of sleep" Stéphanes verrücktes Leben. "The Take" dokumentiert die Übernahme ganzer Fabriken durch die Arbeiter nach dem totalen Zusammenbruch der argentinischen Wirtschaft.
"Science of Sleep - Anleitung zum Träumen"
Frankreich 2006, Regie: Michel Gondry, Darsteller: Gael García Bernal, Charlotte Gainsbourg, Alain Chabat

Stéphane hat sich von seiner Mutter überreden lassen, aus Mexiko, wo er nach dem Tod seines Vaters lebte, nach Paris zurückzukehren und einen Job anzunehmen. Der entpuppt sich als Enttäuschung, darf der junge Grafiker doch nicht sein wirklich makabres Kalenderprojekt realisieren, sondern muss Lohnarbeit auf niedrigster Stufe verrichten. Das quält seine Seele nicht allzu sehr, denn Stéphane ist ein Träumer, ein verrückter, vor Ideen überquellender kindlicher Geist, der die Umwelt nicht nur nicht als erdrückend wahrnimmt, sondern sie förmlich mit seinen kreativen Spielereien

Aus dem öden Büro fliegt er in eine gezeichnete Phantasiewelt und den gleichen Trick wendet er auch an, wenn es um die Liebe geht. In seinen Träumen ist er ein raffinierter Verführer, er nimmt uns mit in eine Art Hexenküche, die aus einem Pappmaché-Fernsehstudio besteht. Tags darauf aber ist er zu schüchtern, um die Sympathien seiner jungen Nachbarin Stéphanie (Charlotte Gainsbourg) auch nur annähernd verwerten zu können.

Stéphane könnte einem leid tun, wie er aus dem alten Kinderbett in immer denselben, viel zu kleinen Knabenanzug springt, eine gestrickte Mütze aufsetzt, ständig überallhin zu spät kommt und sich in heillose Missverständnisse verstrickt, weil er zu schüchtern ist, sich zu sich selbst zu bekennen. Doch zum Glück findet er in Stéphanie einen verwandten, ähnlich versponnenen Geist und selbst die hart gesottensten Kleinbürger lassen sich von ihm zu Verrücktheiten verleiten.

Eigentlich geht es um nichts in diesem Film, außer uns in perfekter Illusion in die Geist und Erfahrungswelt eines Menschen zu versetzen, der die Grenze zwischen Realität und Phantasie nicht akzeptiert, ja nicht einmal kennt, was einem in all seiner auch filmtechnischen Verspieltheit ein sehr vergnügliches Kinoerlebnis beschert.

"The Take - die Übernahme"
Kanada/Argentinien 2004; Regie: Avi Lewis, Naomi Klein

Der Dokumentarfilm des kanadischen Regisseurs Avi Lewis und seiner Partnerin, der bekannten Globalisierungskritikerin Naomi Klein entstand in den Wirren des totalen Zusammenbruchs der argentinischen Wirtschaft, filtert aber aus dem auch gewalttätigen artikulierten Protest und daraus folgendem gesellschaftlichen Chaos eine Hoffnung, die in einer neuen Art vergesellschafteter Produktion besteht.

Als sich die ersten Gerüchte über die Übernahme ganzer Fabriken durch die entlassenen Arbeiter verdichteten, waren die Dokumentaristen vor Ort und begleiteten den schmerzhaften, widerspruchsvollen und auch sehr mühevollen Prozess der "Übernahme" mit der Kamera. Wobei die investigativen Ansätze, sich auch mit den nunmehr enteigneten Besitzern auseinanderzusetzen, oder Versuche, die Banker vom Internationalen Währungsfond zu einem Interview zu bewegen, Randnotizen bleiben.

Im Mittelpunkt stehen Interviews mit den Arbeitern und ihren Familien in drei übernommenen Fabriken und die Schilderung des nunmehr von Bevormundung und Ausbeutung befreiten Arbeitsalltages, wobei Arbeit hier als Wert an sich und wirklich Voraussetzung für täglich Brot gesehen wird. Das Selbstbewusstsein der Arbeiter, die in direkter Demokratie und nicht mehr in Parlaments- oder Präsidentenwahlen ihr Heil sehen, ist imponierend und man ist sehr geneigt, den Dokumentaristen zu folgen, die in dieser inzwischen 200 Fabriken umfassenden, von Künstlern und den kleinen Leuten solidarisch begleiteten "Bewegung" eine Hoffnung für die gesamte, globalisierte Welt sehen.

Nicht als klassisch perfekt ausrecherchierte Dokumentation, sondern in Stil und Inhalt sehr modern, parteiergreifend und kämpferisch, wird auch dieser Dokfilm genügend Steine des Anstoßes liefern - wie jüngst die Filme von Michael Moore oder Michael Winterbottoms "Road to Guantanamo".