Keine Zukunftsvorsorge
Die Stadt Köln steht vor einem Spagat: Sie muss versäumte Investitionen nachholen, Schulgebäude und Brücken sanieren und Altschulden abbauen. Und gleichzeitig müsste sie in den nächsten Jahren massiv investieren, um zukunftsfähig zu bleiben.
Der Sportunterricht am Gymnasium Rodenkirchen im Kölner Süden geht gerade zu Ende; die Schüler geben beim Hockeyspiel noch einmal alles.
Lehrer: "So, 30 Sekunden noch, auf geht‘s!"
Was auf den ersten Blick wirkt wie normaler Schulalltag, ist für Uwe Steingröver, Pflegschaftsvorsitzender der Schule, aber nur eine Notlösung. Denn die Turnhalle ist seit Jahren baufällig. Nachdem die Schüler das Gebäude verlassen haben, zeigt Steingröver auf meterhohe Wasserränder an der Hallenwand:
"Das war Wasser, das von der Decke her hereingebracht wurde, und hier die Halle relativ stark belastet hat."
Bis vor Kurzem waren viele Wände mit Schimmel überzogen, die Duschen kaum benutzbar. Manches sei inzwischen repariert, sagt Steingröver, mehr als Feinkosmetik sei das aber nicht:
"Diese Halle hier gehört nach Überzeugung aller Beteiligter abgerissen und ersetzt."
Geld für tragfähige Finanzpolitik fehlt
Kaputte Decken gibt es nicht nur in Rodenkirchen – der Investitionsbedarf der Stadt Köln ist an vielen Orten enorm. Wie hoch genau, hat die Stadt nun vom Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstitut der Universität Köln und dem Deutschen Institut für Urbanistik untersuchen lassen.
Die Studienautoren schätzen, dass die Kommune bis 2040 rund 16 Milliarden Euro investieren muss, um die Infrastruktur langfristig auf dem heutigen Stand zu halten. Knapp 2,6 Milliarden davon entfallen auf den Bereich Bildung. Schulen und Kitas müssen saniert, zudem neue Wohnungen gebaut, Straßen und Brücken ausgebessert werden.
Aber der Stadt fehle das Geld für eine tragfähige Finanzpolitik – also eine Finanzpolitik, bei der die Kommune ihre Aufgaben nachhaltig erfüllen könne, ohne dass die Überschuldung drohe, sagt Studienleiter Michael Thöne:
"Wir haben jetzt ausgerechnet eine Tragfähigkeitslücke von 460 Millionen Euro. Das heißt: Man müsste 463 Millionen Euro von jetzt an jedes Jahr mehr Einnahmen haben oder weniger Ausgaben haben, um bis 2030 die städtische Leistungsfähigkeit zu erhalten."
Das entspricht etwa zehn Prozent des diesjährigen Haushalts. Eine hohe Summe. Und Thöne geht davon aus, dass sich das Ergebnis der Stadt Köln auf zahlreiche andere Kommunen übertragen lässt:
"Lücken, wie wir sie identifiziert haben, das sind Dinge, die Sie für einen Großteil der anderen nordrheinwestfälischen Kommunen finden. Das gilt in ähnlicher Weise für hessische und rheinland-pfälzische Gemeinden und auch in den anderen Bundesländern."
Versäumte Investitionen
Die Kommunen belasten dabei zwei Herausforderungen gleichzeitig: Einerseits müssen sie versäumte Investitionen nachholen – Schulgebäude und Brücken sanieren – und Altschulden abbauen.
Andererseits müssen sie in den nächsten Jahren massiv investieren, um zukunftsfähig zu bleiben, etwa in Stromtankstellen für Elektrofahrzeuge. Dazu kommt das starke Bevölkerungswachstum der Stadt: Bis 2030 soll die Kölner Bevölkerung um etwa zehn Prozent auf 1,1 Millionen anwachsen.
Für viele Schulen sei die Situation schon jetzt schwierig, sagt Uwe Steingröver. Er überquert den Pausenhof und betritt einen Biologiesaal:
"Diese Schule war mal vierzügig geplant, war dann fünfzügig, ist mittlerweile verpflichtend sechszügig. Das ist ein Problem von Klassenräumen einerseits, daneben aber auch von Fachräumen."
Weil es für manche Klassen keine Räume mehr gebe, wolle die Stadt einen Teil des Unterrichts in die nahegelegene Hauptschule auslagern. Steingröwer demonstriert, was das in der Praxis bedeuten würde:
"Wir können ja mal ein kleines Spielchen machen: Ich drücke auf Start."
Er startet die Stoppuhr auf seinem Handy und macht sich auf den Weg zur Hauptschule, mitten durch den Stadtverkehr.
Stärkere Priorisierung
Gabriele Klug kennt solche Sorgen nur all zu gut. Sie ist Kämmerin der Stadt Köln und hat die Tragfähigkeitsanalyse in Auftrag gegeben. Doch welche Schlüsse will die Stadt daraus nun ziehen?
Eine klares Konzept gibt es noch nicht. Ein Teil der Antwort sei, Mittel künftig noch effizienter einzusetzen, sagt Klug. Zudem sei mit Hilfe der Studie nun klarer, wo genau der größte Investitionsbedarf bestehe:
"Das führt dazu, dass man sehr viel stärker die Priorisierung anpacken kann. Also: Wofür gebe ich heute Geld aus?"
Priorität habe derzeit etwa die Digitalisierung. So habe Köln schon jetzt eines der am besten ausgebauten Glasfasernetze in Europa. Künftig soll vor allem die digitale Verwaltung gestärkt werden:
"Es liegt auf der Hand, dass die Digitalisierung nicht nur in der Verwaltung selber ein Effizienzpotential heben kann, sondern auch in Bezug auf die Wirtschaftsleistung eine gewisse Rolle spielen wird."
Für Studienleiter Michael Thöne ist außerdem klar, dass der Bund die Kommunen noch stärker unterstützen müsse – etwa beim Thema Integration. Gegebenenfalls könnten aber auch in den Kommunen selbst noch radikalere Schritte nötig sein, sagt er:
"Wenn man sagen muss, okay es reicht nicht für alles, muss man die Frage stellen: Ist alles das, was wir haben, das, was wir auch wollen? Und wenn das so ist, dann können sich anhand solcher Rechnungen auch die Wähler darstellen lassen, was sie dafür aufbringen müssen und das heißt: höhere Steuern."
Eltern finanzieren Putzkräfte
Am Gymnasium Rodenkirchen werden schon heute viele Aufgaben von Eltern finanziert: unter anderem Putzkräfte. Uwe Steingröver ist inzwischen bei der Hauptschule angekommen. Gut fünf Minuten hat er gebraucht. Dass Schüler diese Strecke künftig ohne Aufsicht zurücklegen, hält er für kaum darstellbar. Er wünscht sich von seiner Stadt vor allem Eines:
"In die Puschen zu kommen und in vernünftiger Weise die baulichen Dinge umzusetzen, das als absolute Priorität anzusetzen – und davon sind wir meilenweit entfernt."