Fördern, fordern, führen
23:32 Minuten
Noch immer gibt es nur wenige Trainerinnen im Spitzensport. Doch langsam findet in diesem männlich dominierten Bereich ein Umdenken statt. Vor allem in den USA sticht dabei eine Profiliga besonders hervor.
18 Uhr an einem regnerischen Abend auf dem Kunstrasenplatz des SV Straelen in Nordrhein-Westfalen. In schwarzer Trainingshose und Regenjacke steht Inka Grings auf dem Platz und gibt Anweisungen fürs Aufwärmtraining. Sie war Deutsche Meisterin, Europameisterin und mehrfache Torschützenkönigin.
Der Aufstieg ist das Ziel
Im April vergangenen Jahres wurde die frühere Ausnahmestürmerin des DFB-Nationalteams Cheftrainerin des Regionalligisten SV Straelen. Sie ist damit die erste Frau, die eine Männer-Fußballmannschaft in den obersten vier deutschen Ligen trainiert. Den Abstieg des Vereins konnte sie jedoch nicht aufhalten.
"Wir spielen jetzt gerade in der Oberliga und wollen natürlich wieder in die Regionalliga aufsteigen", erklärt Grings. "Wir haben eine komplett neu formierte Mannschaft, was natürlich auch sehr reizvoll ist für einen Trainer oder eine Trainerin, weil du einfach dann auch deinen Stempel irgendwo abdrücken kannst, mit der Mannschaft auch Zeit verbringen kannst, um Dinge zu erarbeiten. Die hatte ich in der Phase nicht mehr. Das ist natürlich unser erklärtes Ziel, unser Wiedereinstieg in die Regionalliga."
Nüchtern und realistisch sieht Grings ihre Position als Frau im Männergeschäft. Hier geht es um Fußball und nicht um Feminismus, wird die 41-Jährige nicht müde zu betonen. Sie interessiere sich für den Sport, die Arbeit, die Menschen – und letztlich gebe es in allen Bereichen ähnliche Spielertypen.
"Zwischenmenschlich hast du genauso deine Pappenheimer wie aber auch im Frauenbereich", berichtet Grings. "Da kann ich echt nur jeden leider enttäuschen: Fußball ist Fußball. Du hast deine starken Typen, die ich super finde, dann hast du auch wieder Typen, die brauchen einfach ein bisschen mehr Streicheleinheiten, da tun sich wirklich beide Seiten nichts."
Respekt vor der ehemaligen Stürmerin
Das sieht ihre Mannschaft genauso. Alle sind stolz darauf, eine so erfahrene und erfolgreiche Ex-Fußballerin als Trainerin zu haben, sagt Spielleiter Fabio Ribeiro:
"Für mich ist ein Trainer ein Trainer, ob Frau oder Mann, ist mir persönlich eigentlich egal. Wir haben alle Respekt vor dem, was sie erreicht hat. Ich werde das nicht mehr erreichen können, dafür bin ich zu alt. Vielleicht schafft das einer der jungen Burschen hier, vielleicht bringt sie ihn auch weiter. Jeder Stürmer von uns könnte von ihr einiges lernen, weil sie als Stürmerin einiges geleistet hat."
Fachkompetenz vermitteln und authentisch sein. Darauf komme es an. Und natürlich auf das nötige Engagement. Der Stil des Trainers schlage da gar nicht so ins Gewicht. Schließlich habe jeder seine eigene Philosophie, sagt Ribeiro:
"Das Taktische hat sie drauf wie jeder andere Mann, aber sie redet auch viel mehr mit den Spielern, sieht vielleicht die Spieler aus einer ganz anderen Sicht als vielleicht ein Mann. Das merkt man zum Beispiel auch an vielen Einzelgesprächen, das ist auch oft ein Unterschied zu den Männern. Dadurch, dass sie auch schon ganz oben gespielt hat, kann sie auch viel von der Psychologie mitbringen. Sie weiß, was Druck ist. Sie kann uns auch beibringen, mit dem Druck umzugehen. Wir spielen zwar derzeit Oberliga, aber der Druck ist schon hoch, weil jede Woche steht in der Zeitung, dass wir hoch wollen, und wenn man mal die Ergebnisse nicht bringt, dann kracht es auch mal. Dann bringt sie uns Spieler schon auch mal wieder runter und zeigt uns, worauf wir uns konzentrieren sollen."
Einfühlungsvermögen für ihre Spieler
Man müsse ein Gespür für Menschen bekommen, sagt Grings. "Letztendlich sind es alles Fußballer, die auch ihre Sorgen haben im privaten und beruflichen Bereich. Du hast Existenzängste, du hast private Sorgen, das sind alles Dinge, die musst du berücksichtigen, da musst du ein Gefühl für entwickeln."
Und genau darin sieht Grings eine ihrer Stärken. Einfühlungsvermögen und Gesprächsbereitschaft für jeden einzelnen ihrer Spieler.
"So wie viele Trainerkollegen das immer sagen, dass man funktionieren muss, finde ich irgendwo ein bisschen abartig", sagt Grings. "Ich finde, Maschinen müssen funktionieren und nicht Menschen. Das ist das, wo wir drauf Wert legen sollten - oder ich tue es zumindest, denn letztendlich bin ich davon überzeugt: Wenn man sich verstanden fühlt, wenn man weiß, wo man dransteht und wo man sich auch wohlfühlt, kannst du viel mehr und viel effektiver arbeiten, als wenn du dich vielleicht unwohl fühlst."
Geboren in Düsseldorf begann sie ihre Fußballkarriere bereits im Alter von sechs Jahren. In ihrer Familie wurde Sport immer groß geschrieben. Vater und Bruder waren im Fußballverein, die Mutter spielte Handball. Da sei es nur eine Frage der Zeit gewesen, wann sie eine Ballsportart angehe, erzählt sie.
"Mein Bruder ist drei Jahre älter, hat mich immer mit zum Training genommen und anscheinend habe ich mich dann irgendwann mal nicht so doof angestellt, dass ich dann als einziges Mädchen zur damaligen Zeit mittrainieren durfte. So kam es, dass ich dann tatsächlich auch da angefangen habe, wo mein Bruder und mein Vater seinerzeit gespielt haben."
Unterstützung durch die Eltern
Sie hatte mehr Freunde als Freundinnen, habe immer auch den männlichen Part gesucht, erzählt Grings, und sich nie Gedanken um Mann/Frau gemacht, weil es ihr immer um den Sport ging. Deshalb sei sie nun vielleicht jemand, der Türen öffnen könne.
"Ich glaube, dass du vom Grundtyp her in deinem Aufwachsen, in deinem eigenen Verhalten entweder so ein Typ bist oder nicht. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern mich immer auch gefordert haben, gefördert haben, mir nie irgendwelche Beinchen gestellt oder gesagt haben: Ich darf das nicht, ich darf das nicht. Die haben einfach gesagt: Mach! Und wenn ich gegen eine Wand gelaufen bin, ja, dann weiß ich es. Sie haben mich aber einfach erfahren lassen. Von daher hat es wahrscheinlich mit ganz vielen Dingen zu tun. Und was du selber willst, sicherlich auch", sagt Grings.
Nach elf Jahren im Juniorinnenbereich folgten 16 Jahre beim FCR Duisburg. Hier gewann sie alles, was es zu gewinnen gab: Deutsche Meisterschaft, DFB-Pokal, UEFA-Womenscup. 353 Tore in 271 Spielen verhalfen ihr zusätzlich zu einem Legendenstatus in Duisburg.
Daran kann sich auch Gerd Möthe noch gut erinnern. Er war damals Stadionsprecher und lernte Grings als Spielerin kennen, ist mit ihren Eltern befreundet. Heute arbeitet er als sportlicher Leiter beim GSV Geldern.
Besonders gern denkt er an das Jahr 1998: "Ich hatte das große Glück, mit ihr zusammen in Berlin zu sein. Da sind wir Deutscher Pokalsieger geworden, da war Inka die absolute Führungsspielerin. War eine tolle Zeit damals. In Berlin waren wir eigentlich auch nicht Favorit, Inka hat das alles allein geregelt. Nach zehn Minuten stand es 3:0 für den FCR Duisburg, vor einer Kulisse von 30.000 Zuschauern, weil der MSV danach gegen Bayern gespielt hat. Das war ein Erlebnis, da träume ich noch manchmal von."
Vom Sturm auf die Trainerbank
2014 stieg sie dann in Duisburg als Trainerin ein. Wie erklärt sie sich die geringe Anzahl von Trainerinnen im Spitzensport? Zum Teil liege es an mangelndem Interesse, aber viele trauten sich diesen Weg einfach auch nicht zu, sagt Grings:
"Auf der anderen Seite war es jahrzehntelang wahrscheinlich gar keine Frau, die in irgendeiner Form mal dahin wollte. Selbst wenn sie es wollte, dann wurde sie relativ schnell wieder nach Hause geschickt von der männlichen Gesellschaft. Von daher komme ich vielleicht zu einer guten, richtigen Zeit, in der langsam auch ein Sinneswandel anfängt. Der ist definitiv noch nicht vollzogen, aber er fängt an, hat auch angefangen mit Bibiane Steinhaus. Dann haben wir jetzt eine Schiedsrichterin in der dritten Liga, zumindest an der Seite, weil es einfach aber auch die Typen sind, die sich das auch erarbeitet haben."
Zurück zum Frauenfußball möchte sie jedenfalls vorerst nicht. Ihr Leistungsanspruch wird im Männerfußball eher erfüllt. Denn natürlich gibt es einen sportlichen Unterschied:
"Was ich einfach interessant und so reizvoll finde: Dass logischerweise durch die Anatomie Mann/Frau der Männerfußball grundlegend einfach viel dynamischer und schneller ist. Das ist der einzige Unterschied. Das ist wahrscheinlich, was mich gerade aktuell so reizt, was ich einfach wahnsinnig liebe und weshalb ich mich für diesen Schritt entschieden habe."
8 Uhr morgens in der Reithalle am Berliner Olympiastadion. In der Mitte steht Kim Raisner. Die Haare sportlich zum Zopf gebunden, warm eingepackt in einen dicken Anorak, Jeans und Stiefel.
Mit acht Jahren zum Fünfkampf
Als Raisner sich dafür entschied, Moderne Fünfkämpferin zu werden, war sie gerade mal acht Jahre alt, einiges jünger als die jugendlichen Mädchen, die sie an diesem Morgen noch vor Schulbeginn im Reiten trainiert. Mit zwei älteren Brüdern ging sie zum Schwimmunterricht, in einer Kindergruppe begann sie mit Fechten. Von Anfang an gefielen ihr die Vielseitigkeit des Modernen Fünfkampfes und die damit verbundenen Herausforderungen.
"So hat Herr Coubertin das auch erfunden", sagt Raisner, "das sollte der vollkommene Athlet sein. Deswegen so unterschiedliche Disziplinen: Dieses Reiten, auf das Pferd einstellen, dann diese, wir sagen immer 'organische Komponenten' Laufen, Schwimmen, aber Fechten eben auch, Technik und Kampfsport und Schießen auch nochmal mit Technik, also, dass es eben so vielfältig ist."
Mehr als 20 Jahre war die 48-jährige Berlinerin als Athletin erfolgreich, wurde zweimal Europameisterin und Fünfte bei den olympischen Spielen in Athen. 2005 begann sie auch, als Trainerin zu arbeiten. Zunächst als Landestrainerin in Potsdam, ein Jahr später dann auch als Bundestrainerin der Frauen. Was macht für sie einen guten Trainer aus?
"Ein guter Trainer heutzutage spricht den Sportler individuell an, man hat eine Trainingsgruppe, aber trotzdem geht er auf jeden Sportler einzeln ein, was nicht einfach ist! Ein Trainer muss heute sehr multitaskingfähig sein, hat viel Schriftkram zu bewältigen, ist viel unterwegs, gestaltet sein Training abwechslungsreich, ist ansprechbar. Ein Trainer ist nicht nur der, der die Programme ansagt, sondern auch für das Drumherum mit verantwortlich ist", so Raisner
Er kümmert sich um die Probleme seiner Schützlinge, ist Freund, Lehrer, Motivator und Psychologe in einer Person. Besonderen Wert legt Raisner auf das mentale Training. Nicht zuletzt aus eigener Erfahrung. Denn ihre größte sportliche Enttäuschung, die verpasste Qualifikation für Olympia in Sydney, hatte langfristige Auswirkungen auf die Athletin.
"Bei der WM hab ich was Schlechtes gegessen, irgendwas mit Muscheln, ich hatte jedenfalls Durchfall", berichtet Raisner. "Ganz plötzlich. Es war sehr heiß, es war in Italien, in Pesaro. Dann hab ich mich selbst unter Druck gesetzt, schießen ging glaub ich noch, war ganz gut, das Fechten ging halt richtig in die Hose. Es hat dann halt nicht geklappt. Ich war zu schlecht. Natürlich bricht da eine Welt zusammen. Ich konnte danach nicht mehr trainieren. Keine Chance. Ich bin losgelaufen, ich war so verspannt, da ging gar nichts mehr. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, was der Kopf ausmacht. Der Kopf kann Berge versetzen und kann dich total blockieren. Natürlich war das für mich ein Trauma. Es hat mir sehr geholfen, mit anderen Leuten darüber zu sprechen. Jeder hat so seine persönliche Geschichte, warum er es nicht geschafft hat. Ich bin nicht die Einzige, da gibt es tausende von Geschichten."
Tiefpunkt als Wendepunkt
Sie nahm sich eine Auszeit vom Leistungssport und schaffte ein paar Jahre später den fünften Platz bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen.
"Ist ganz gut, auch mal eine Niederlage einzustecken", sagt Raisner heute. "Jeder, der da oben angekommen ist, hat auch schon mal irgendwo einen Tiefpunkt, von dem er erzählen kann, oh das war ganz krass. Wenn sie den überstanden haben, sich da rausgezogen haben, daraus kommt dann das Selbstbewusstsein und die Kraft. Ich glaube schon, dass auch ich durch mein 'ich hab mich da nicht qualifiziert' auch diesen Ehrgeiz entwickelt hab ‚ich schaffe das, ich zeige es euch'."
Fünfkampf kommt ursprünglich aus dem Militärischen, früher ein Sport, den nur Männer betrieben. Erst seit dem Jahr 2000 dürfen auch Frauen bei den Olympischen Spielen teilnehmen.
"Als ich diesen Sport gemacht habe, waren Männer- und Frauenwettkämpfe noch getrennt. Das wurde dann später alles zusammengelegt. Jetzt sind wir eigentlich beim Weltverband recht fortschrittlich: Frauen, Männer, alle gleiche Distanzen, wir machen alles gleich, wir haben die Wettkämpfe zusammen", so Raisner.
Als Bundestrainerin der Frauen konnte Kim Raisner viele Erfolge einfahren. Allein zweimal Gold, viermal Silber und drei Bronzemedaillen bei den Weltmeisterschaften 2008 und 2009 im Frauenbereich. Doch ist sie nur eine der wenigen Trainerinnen in Spitzenpositionen. Woran liegt das?
"Es ist ein Job, der zeitaufwendig ist, da brauch ich einen Partner, der das mitmacht", sagt Raisner. "Wenn man dann noch Kinder hat, muss sich einer kümmern. Ich glaube einfach, dass ganz oft die Frauen einfach die sind, die sagen: Ich möchte für mein Kind da sein, und dann sagen sie halt, ich mach den Job, aber nur in dem und dem Maße. Dann ist es oft mehr im unteren Bereich, da sind oft Frauen viel mehr tätig mit Jugendlichen, mit Kindern, in diesen Kindergruppen und so. Dann sind auch welche, die könnten auch viel mehr, aber wollen das auch nicht, weil es einfach viel zu zeitaufwendig ist."
Männer wählen Männer aus
Generell gibt es im Sport wenige Frauen in Führungspositionen. Nur 20 Prozent der Spitzenposten in Vereinen und Verbänden werden von Frauen besetzt. Die Soziologin Ilse Hartmann-Tews beschäftigt sich seit Jahren mit diesem Thema. Sie sitzt auf dem deutschlandweit einzigen Lehrstuhl für Geschlechterforschung und Sport an der Deutschen Sporthochschule in Köln.
Ihr Erklärungsmodell kennt man aus der Wirtschaft: "Man sucht eher nach Personen, die einem auch ein Stück ähnlich sind. Da ist das Geschlecht etwas, was uns unterscheidet. Deswegen kommen bei männlich besetzten Führungspositionen, wenn die Leute das aussuchen, natürlich erstmal die Männer in den Blick. Dann die Männer, die gut ins Team passen. Frauen haben selten die Möglichkeit, sich auszuprobieren."
Männer stellen gerne Männer ein. Gleiches gilt, wenn es darum geht, Trainerposten zu besetzen. Ein Mittel, diesen Mechanismus zu durchbrechen: Stellen müssen ein klares Anforderungsprofil haben und öffentlich ausgeschrieben werden, sagt Hartmann-Tews. Dann kämen auch mehr Frauen in die Auswahl.
"Ein anderer Punkt der Förderung von Frauen in Führungspositionen, also dass sie sich da durchsetzen, ist, dass die Verbände entsprechende Aktionen und wie es im Englischen heißt, 'affirmative action' machen, also einen Gender-Mainstreaming-Plan haben oder ganz offensiv Nachwuchsförderung machen oder Mentoring-Programme, Netzwerke öffnen. Das hat sich einfach als sehr förderlich erwiesen", so die Soziologin.
Schaut man in Richtung USA, kann man sehen, wie es geht. Die Basketball-Profiliga NBA heuerte letztes Jahr bereits die neunte Trainerin an. Kara Lawson ist ihr Name. Die ehemalige Profispielerin arbeitet für die Boston Celtics, eines der traditionsreichsten Teams der NBA. 17 Mal gewann das Team in seiner 73-jährigen Geschichte die Meisterschaft und ist damit Rekordsieger.
Mehr Frauen in der NBA
Lawsons Verpflichtung bestätigt einen Trend, der so im Teamsport der Männer einzigartig ist. Mit Becky Hammon, einst eine der besten Basketballerinnen der Welt, nahm dieser Trend vor sechs Jahren seinen Anfang. Hammon war die erste Frau, die 2014 in der NBA als Co-Trainerin engagiert wurde.
Mittlerweile sitzen einige der Frauen auf der Trainerbank, andere arbeiten hinter den Kulissen mit den Spielern. NBA-Geschäftsführer Adam Silver sagte dazu in einem Interview, er sei sich nicht sicher, wie die Liga so lange männerdominiert bleiben konnte. Sein erklärtes Ziel ist es, in Zukunft 50 Prozent weibliche Schiedsrichter und Trainer in der Liga zu haben.
Eiskunstlauftraining im Sportforum Hohenschönhausen in Berlin: Runde um Runde drehen die Sportler, nehmen immer wieder Anlauf für Salchows, Toeloops und Axel. Sie beschleunigen eine halbe Bahn, springen ab und schrauben sich in die Höhe.
Den Schwung der Drehung bei der Landung auf der schmalen Kufe zu bändigen, also den Sprung "zu stehen", wie es unter Experten heißt, dazu bedarf es viel Übung, sagt Romy Oesterreich. In Sporthose und Daunenjacke steht die zierliche, blonde Trainerin mit der Bob-Frisur an der Bande, beobachtet die Sprungversuche ihres Eiskunstlauf-Paares, gibt Hinweise, lobt und weist auf Fehler hin.
40 Jahre als Trainerin aktiv
Minerva-Fabienne Hase und Nolan Seegert gehören zu den hoffnungsvollen Paaren des Bundeskaders. Sie sind zweimalige Deutsche Meister und nehmen seit ein paar Jahren auch an Europa- und Weltmeisterschaften teil. Ihren bisher größten Erfolg hatten sie im vergangenen November beim Grand Prix in Moskau. Dort gewannen sie die Bronzemedaille.
"Die gehen jetzt zusammen in die fünfte Saison, so lange braucht es auch, also jetzt nicht zwingend, um die Elemente vom Grund her zu lernen, um auch ein Pärchen zu werden", sagt Oesterreich. "Am Anfang sind es Einzelläufer, die nebeneinander herlaufen oder irgendwas zusammen machen, aber jetzt wird es langsam, dass sie lernen, sich auch blind zu verstehen. Das Zusammenspiel im Laufen ist extrem wichtig."
Oesterreich weiß wovon sie spricht. Sie gehörte zu den erfolgreichsten Paarläuferinnen zu DDR-Zeiten, gewann diverse Silbermedaillen bei Europa- und Weltmeisterschaften, zuletzt bei den Olympischen Winterspielen 1976 in Innsbruck. Danach beendete sie, mit 20 Jahren, ihre aktive Karriere.
Seit mehr als 40 Jahren arbeitet sie nun schon als Trainerin. Eiskunstlauf ist ihr Leben. Der Wechsel von der Trainerin in der DDR zur Trainerin in der Bundesrepublik war allerdings nicht ganz leicht, sagt Romy Oesterreich:
"Unser Stellenwert hat sich etwas verschoben. Auch nicht zwingend zum Guten, muss ich schon sagen. Ich hab immerhin ein Diplomsportstudium gemacht, bin Diplomtrainer. Zu DDR-Zeiten war das auch schon alleine was. Wenn man dann auch noch erfolgreich im Sport gearbeitet hat, hatte man schon einen guten sozialen Stand, der hat sich jetzt verschoben. Also man ist jetzt Dienstleister, nichtsdestotrotz macht der Job trotzdem weiter Spaß."
Die Eltern mischen sich ein
Erst seit zwei Jahren ist sie wieder fest angestellt. Die ganzen Jahre zuvor, seit der Wende, war sie freiberuflich unterwegs. Heute werde sie bezahlt vom Land Berlin und zum Teil auch von den Eltern angehender jungen Eiskunstläufer.
Was nicht nur Vorteile habe, sagt die 63-Jährige: "Da die Eltern eben auch privat zahlen, reden sie auch mehr rein, haben ihren eigenen Kopf, lassen sich beeinflussen. Man hat als Trainer manchmal nicht mehr so den Einfluss auf das, was passieren müsste."
Gerade im Paarlauf müssen Trainer oft vermitteln, sagt Oesterreich. Zum Beispiel wenn es um die Ausführung des dreifachen Wurf-Rittbergers geht.
Minerva-Fabienne Hase hat vergangenes Jahr ihren Abschluss an der Eliteschule des Sports gemacht, Nolan Seegert seinen bereits vor fünf Jahren. Beide sind bei der Bundeswehr als Spitzensportler angestellt. Was macht für sie eine gute Trainerin aus?
"Dass sie gut strukturiert ist", sagt Hase. "Sie gibt uns ja die Inhalte vor. Dass sie vor allem aber auch mit uns kooperiert, also sich nicht direkt über uns stellt und sagt, das was ich sage, das ist jetzt in Stein gemeißelt und das war‘s dann, sondern, dass wir mit ihr zusammenarbeiten können, mit ihr über Probleme reden können, die das Training betreffen, wenn es uns mal nicht gut geht. Wenn wir uns heute nicht in der Verfassung fühlen, einen Dreifachtwist zu machen, dass sie dann sagt: 'Ok, dann heute mal nicht.' Sie muss uns auch gut kennen, um uns einschätzen zu können, uns dann leiten zu können."
Ein Job mit vielen Facetten, meint auch Seegert: "Das geht bei der Trainingsplanung los, beim technischen Knowhow, auf dem Eis weiter. Ein Trainer, wenn man ihn schon so nah kennt, dann ist er natürlich auch ein persönlicher Ratgeber, und ein Trainer im Spitzensport muss auf jeden Fall so viele Qualitäten mitbringen, wie es eigentlich nur geht. Aber niemand ist perfekt, niemand hat alles, das ist der Grund, warum man denn häufig mehrere Leute hat.
Immer mehr Teamarbeit
Trainerteams sind heute keine Seltenheit mehr. In Eiskunstlauf-Nationen wie den USA und Russland sind sie - trotz höherer Kosten - gang und gäbe. Ein Trainer ist dann zuständig für die Technik, ein anderer für die Choreografie, ein dritter für die Musik. Sie arbeite gern im Team, sagt Oesterreich, denn der Sport werde immer komplexer, und da sei es gut, die Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen.
"Die Sportart ist insofern komplexer geworden, dass die Regeln inzwischen so viel Einfluss nehmen auf das, was man laufen darf, was man springen darf, was man drehen darf, wie der Schwierigkeitsgrad ist", erläutert Oesterreich. "Wir wollen viele Punkte haben, man muss an so viel denken, also da bin ich froh, dass ich jetzt kein Sportler mehr bin, das war bei uns wesentlich freier. Da gab es ein paar Vorgaben, und den Rest konnte man füllen mit dem, was man besonders gut konnte."
Für sie stand schon als aktive Sportlerin fest, dass sie später einmal Trainerin werden will. Und auch nach 40 Jahren brennt sie noch immer für ihren Beruf - als Mentor, Mediator und Motivator. Die Aufgaben von Trainern und Trainerinnen sind vielseitig. Und trotzdem braucht es eine gewisse Distanz.
"Ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn es zu persönlich wird", ist Romy Oesterreich überzeugt. "Wenn es zu persönlich wird, dann wird man empfindlicher. Ich sage immer, im Hochleistungssport müssen wir die Sportler dazu bringen, dass sie an ihre Schwachstellen gehen, dass sie sich überwinden, dass sie mehr geben, als sie vielleicht ursprünglich bereit sind zu geben. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Und wenn das dann zu persönlich ist, dann fühlt man sich persönlich angegriffen, dann ist die Beurteilung nicht mehr objektiv."
Lob für Trainerin
Ein anspruchsvoller Job, bei dem hoher Zeitaufwand und Engagement nicht immer entsprechend hoch honoriert werden. Aber gibt es einen schöneren Lohn als die anerkennenden Worte einer Sportlerin für ihre Trainerin?
"Sie steht jeden Tag mit uns an der Eisfläche und gibt uns die Technik, gibt uns den Support, dass wir auch weitermachen, dran bleiben, nicht aufgeben", sagt Hase. "Wir standen schon sehr oft davor, wo man dann im Training sagte: 'Jetzt geht gar nichts mehr.'Dann ist es halt auch die Aufgabe der Trainerin zu sagen: 'So, wofür macht ihr das?' Deswegen ist auch ihr ein Stück weit die Bronzemedaille zuzuschreiben."