Überleben im Ernstfall auf dem Meer
Wer auf Öl- und Gasplattformen im Meer arbeitet, sollte auf Notfälle vorbereitet sein. In einem Trainingszentrum in Bremerhaven können die Kursteilnehmer lernen, wie sie bei Wind, Wellen und Kälte überleben.
"Ein bisschen enger zusammen, da ist viel zu viel Wasser zwischen Euch!"
Alexander Rode kniet vor einem Schwimmbecken. Er trägt einen wasserdichten dunkelblauen Anzug aus dicker Kunstfaser und schwarze Gummischuhe. Im Wasser: acht Männer in prall aufgeblasenen Schwimmwesten, orangefarbenen Gummianzügen und mit weißen Schutzhelmen. In Rückenlage schwimmen sie mühsam in eine Ecke des Pools.
Einer von ihnen: Kevin Lindemann. 23 Jahre alt, gelernter Mechatroniker. Seit Kurzem verlegt er Kabel auf Windkraftanlagen, offshore. In der Halle probt er, wie er überleben kann, wenn seine Plattform im Notfall evakuiert werden muss. Es ist sein erstes Sicherheitstraining.
"Kann mal einer nicht so an meinem Rücken drücken? Sonst krieg ich hier gleich keine Luft mehr. Halt, da ist noch wer…."
Die Männer lernen das "Knäuelbilden"
Es ist eng. Rodes Kursteilnehmer bilden ein "huddle", ein menschliches Knäuel. Wie Fußballkameraden fassen sie einander um die Schultern. Das "huddle" ist eine wichtige Übung für den Ernstfall auf dem Meer. In dieser Stellung können die Männer miteinander sprechen, sich gegenseitig etwas wärmen, und vor allem: So treiben sie nicht auseinander.
Alexander Rode ist Sicherheitstrainer in Bremerhaven. Die Männer, die gerade das "Knäuelbilden" üben, arbeiten normalerweise auf See, auf Öl- und Gasplattformen, in der Windkraft-Branche oder auf Schiffen.
Kurze Pause. Zusammen mit den anderen Teilnehmern verschnauft Lindemann ein paar Minuten am Beckenrand.
"Hier weiß man, dass nix passieren kann. Aber draußen ist halt was anderes. Wenn man da wirklich nicht weg kann. Weiß ich nicht. Aber ich glaub schon, es ist ziemlich hilfreich. Dass man zumindest weiß, wie’s funktioniert."
Schon steht die nächste Aufgabe an. Zusammen mit zwei Kollegen wirft Alexander Rode einen schweren, zylinderförmigen Plastikcontainer in den Pool. Einer der Männer zieht an einem Seil, und blitzschnell entfaltet sich eine Rettungsinsel. Groß genug für zwölf Personen.
Wie schwerfällige Michelin-Figuren wirken die Männer mit ihren dicken Rettungswesten, als sie die Rettungsinsel erklimmen. Sie rutschen immer wieder ab, obwohl es im Pool weder Sturm noch Wellen gibt. Nachdem es alle acht nach oben geschafft haben, spannen sie ein Dach aus Folie über ihren Köpfen fest.
Windturbinen bringen das Wasser in Bewegung
Die Luft im Innern ist schlecht. Aber bis auf der Nord- oder Ostsee Rettung naht, kann es schonmal 24 Stunden dauern. Diese Zeit übersteht nur, wer die nötigen Tricks kennt.
Dünne Schläuche führen durch die Decke der Rettungsinsel nach draußen, sodass die Insassen frische Luft atmen können, ohne das Dach öffnen zu müssen. Auch Regenwasser lässt sich von innen heraus absaugen, falls anderes Trinkwasser fehlt. Und in jeder Rettungsinsel gibt es eine Ration Tabletten gegen Seekrankheit.
Der Trainer ist gerade fertig mit seiner Erklärung, da fängt die Rettungsinsel an zu schwanken. Windturbinen bringen das ruhige Wasser im Schwimmbecken in Bewegung, Wellen schlagen gegen die Insel. Bald geht auch noch das Licht aus. Es ist stockfinster, nur ein paar künstliche Blitze machen es sekundenlang hell.
Mitten im Unwetter hören die Männer eine Trillerpfeife. Erst halten sie das Signal für ein Zeichen der Trainer. Aber als es nicht abbricht, verstehen sie, dass sie einen Kameraden aus den Fluten retten müssen. Mit einer Taschenlampe beobachtet Alexander Rode seine Truppe.
"Sie haben einmal kurz vergessen, wie sie eine Person zu retten haben. Das haben sie ja in der Theorie gelernt. Jetzt mussten sie sich unter dem Stress erstmal dran erinnern, was sie gelernt haben, aber sie sind sehr schnell zu einer guten Lösung gekommen."
Einer der Männer kriecht aus der Rettungsinsel, macht sich mit einem Seil daran fest und schwimmt zum vermeintlich verletzten Kameraden.
Die Belohnung zur bestandenen Übung naht. Der Wellengang nimmt ab, und die Männer hören ein neues Geräusch: den Rettungshelikopter. In der Halle geht das Licht wieder an, die Windmaschinen stehen still. Kevin Lindemann sieht müde aus. Gestresst. Aber er lächelt. Schließlich war es ja nur eine Übung, in einem Schwimmbecken.