Transsexarbeiterinnen auf dem Straßenstrich

Bedroht, beschimpft, geschlagen

05:35 Minuten
Eine Transsexarbeiterin  mit langen dunklen Haaren und im langen Daunenmantel sowie Mund-Nasenschutz steht an einer Kreuzung in Berlin.
Auch Transfrau Laila wurde aggressiv beschimpft und geschlagen. © Deutschlandradio / Linka Peikert
Von Linda Peikert |
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Auf dem Straßenstrich in der Kurfürstenstraße in Berlin arbeiten auch Transfrauen. Seit einiger Zeit beobachten Streetworker eine erschreckende Zunahme an Gewalt gegen sie. Auch viele Kunden sind davon eingeschüchtert.
In der Frobenstraße ist es bereits dunkel. Shaya ungefähr Mitte 30, hat ihr blondiertes Haar locker zu einem Zopf zusammengebunden. Ihr beiger Anorak ist bis zum Kragen geschlossen. Sie wirkt niedergeschlagen und erzählt von den sich häufenden Übergriffen.
Sie und die anderen seien in einer solchen Situation vor den Angreifern in die Toilette geflüchtet. „Zum Glück: Ich war ein bisschen schneller. Nichts passiert bei mir." Andere hatten weniger Glück: Angreifer haben Transsexarbeiterinnen bis in eine nahegelegene Bar verfolgt und eine Person mit einem Messer verletzt.

Gewaltpotential in der Nachbarschaft

"Etwa seit einem Jahr bemerken wir diesen starken Gewaltanstieg", berichtet Caspar Tate. "Menschen denken häufig, dass hier auf dem Straßenstrich halt Gewalt passiert aufgrund von Kunden oder Zuhälterei oder so. Aber jetzt, so seit einem Jahr, sehen wir vor allem ein enormes Gewaltpotenzial durch die Nachbarschaft.“
Tate ist Mitglied des Peer-to-Peer-Vereins Trans*sexworks. Mehrmals die Woche besucht er den Straßenstrich, kümmert sich um die Anliegen der Sexarbeiterinnen. Shaya kennt er schon seit zwei Jahren.
„Es werden Glasflaschen, kaltes Wasser oder rohe Eier aus dem Fenster geworfen. Sie werden bespuckt, beschimpft, es werden faschistische Äußerungen immer wieder getätigt.“

Kunden sind eingeschüchtert

Für die Sexarbeiterinnen sind die Gewaltausschreitungen doppelt belastend: Sie selbst sind einer ständigen Gefahr ausgesetzt, aber auch viele Kunden sind eingeschüchtert.
Viele würden aufs Internet ausweichen, berichtet Shaya. "Aber im Internet arbeite ich überhaupt nicht." Denn für Sexarbeit im Internet bräuchte sie die entsprechende technische Ausstattung.
Shaya verabschiedet sich und steigt auf ihr Fahrrad. Caspar Tate führt seine Runde fort, will noch andere Sexarbeiterinnen auf der Frobenstraße treffen.

Ständige Angst vor Übergriffen

Eine Notunterkunft, die bei der Kälte eigentlich geöffnet haben sollte, ist noch geschlossen. Der eisige Wind zieht um die Ecken. Die Tür der Einrichtung ist verschlossen. Das Licht ist aus. Nicht nur eine Notunterkunft fehlt. Gerade im Winter bräuchte es mehrere Orte, wo sich die Transfrauen aufwärmen oder ausruhen können – oder bei Angriffen Schutz finden, erzählt Caspar Tate.
„Um 20 Uhr macht die letzte Beratungsstelle zu. Und das führt auch dazu, dass die Frauen viel Gewalt ausgesetzt sind, sie können sich noch nicht mal irgendwo hineinflüchten."

Üble Beschimpfungen

Ein paar Schritte weiter trifft er an der Ecke Bülowstraße/Frobenstraße Laila. Sie trägt einen grün-gestreiften Strickpullover, darüber einen schwarzen, dicken Wintermantel. Ein paar einzelne Locken ihrer dunklen, langen Haare fallen ihr ins Gesicht.

Natürlich hat auch die Coronasituation hier zu viel Frust geführt, die einfach an bestimmten Menschen ausgelassen wird. Und in der Nachbarschaft wird einfach stark gentrifiziert.

Caspar Tate, Mitarbeiter bei Trans*sexworks

Als sie Caspar Tate erkennt, lächelt sie. Auch sie berichtet von Gewalt, Schlägen und Personen, die Flaschen auf sie werfen.
„Transe, Schwule, Hurensohn" - solche Begriffe würden ihr an den Kopf geworfen, und zwar jeden Tag, sagt Laila.

Corona sorgt für zusätzlichen Frust im Kiez

Erst heute sei sie wieder von Personen mit Glasflaschen bedroht worden, erzählt sie und berichtet noch von einem anderen Erlebnis: Zwei junge Männer seien gekommen und hätten sie geschlagen.
Mit ihren schimmernden Gelnägeln zeigt sie auf ihre Oberlippe. Die Narbe ist selbst bei der spärlichen Beleuchtung nicht zu übersehen. Caspar Tate steht mit betroffenem Gesichtsausdruck neben ihr, sucht nach Erklärungen für die vermehrten Übergriffe in jüngster Zeit.
„Wir denken, das hat unterschiedliche Gründe. Natürlich hat auch die Coronasituation hier zu viel Frust geführt, die einfach an bestimmten Menschen ausgelassen wird. Und in der Nachbarschaft wird einfach stark gentrifiziert.“

Immer mehr öffentliche Räume verschwinden

Den Straßenstrich rund um die Kurfürstenstraße gibt es seit etwa 130 Jahren. Doch jetzt, da immer mehr Neubauwohnungen entstehen, verschwinden öffentliche Räume, in denen Sexarbeiterinnen und Freier ungestört verkehren können.
"Im Bezirk scheint man vor allem Kinder und Familien hier haben zu wollen, und nicht die Frauen, die hier schon sehr lange arbeiten", beschreibt Caspar Tate das Problem.
"Die Sorge, die wir haben, ist, dass diese Gewalt und auch diese Gentrifizierung dazu führt, dass Frauen den Kiez verlassen und in andere Kieze wechseln, aber halt nicht geschlossen. Das macht es dann immer schwieriger für Unterstützungsangebote, da hinterher zu kommen.“

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