Transboy Linus Giese über den Film "Girl"

Körperfixiert und voyeuristisch

06:30 Minuten
Szene aus dem Film "Girl"
Szene aus dem Film "Girl" mit Victor Polster als Lara: © Universum
Linus Giese im Gespräch mit Shanli Anwar |
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Der Film "Girl" handelt von der Ballettkarriere des Trans-Mädchens Lara. Linus Giese ist Buchhändler und bloggt als Transboy über die mediale Darstellung von Transmenschen. Er findet den Film sehr körperfixiert. Die Psyche spiele dagegen kaum eine Rolle.
Selten schafft es ein Film-Debüt, so viel Aufmerksamkeit und Preise zu bekommen, wie das Transgender-Drama "Girl" aus Belgien. Beim Filmfestival in Cannes wurde der Film gleich dreimal ausgezeichnet - als bester Debütfilm, im Nebenwettbewerb "Un Certain Regard" als bester Film und für den besten Hauptdarsteller, zudem bekam er unter anderem auch die Queer-Palme, die es für Filme gibt, die sich mit dem Thema Homo- oder Transsexualität auseinandersetzen.
Hauptdarsteller Victor Polster ist ein Cis-Mensch, dessen Geschlechtsidentität also mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Weil die Geschichte über das Erwachsenwerden der jungen Ballett-Tänzerin Lara, einem Trans-Mädchen, mit einem Cis-Jungen, besetzt wurde, gab es um "Girl" auch Diskussionen und Kritik. Wie gelungen war der Einblick in das Leben eines Transmädchens also? Wie klischeehaft ist der Film, und wo spiegelt er die Lebensrealität von Transpersonen wider?

Mediale Darstellung von Trans*personen

Linus Giese ist ein Berliner Buchhändler und Blogger, der sich als Transmann auf seinem Blog buzzaldrins.de intensiv damit auseinandersetzt, wie Transpersonen medial dargestellt werden.
Giese sagt, er sei zwiegespalten. Ein paar Szenen hätten ihm gefallen, bei denen habe er im Kino gedacht, "das hat etwas mit mir zu tun, das berührt mich, das ist mein Leben". Aber es gebe auch ganz viel, was er nicht gut gefunden habe und was auch der Trans*community eher schade: "Weil es in dem Film so ein universelles Bild gibt, was gar nicht unbedingt zutrifft."
Der Körper der Hauptfigur Lara werde sehr stark in den Mittelpunkt gerückt: "Es geht vor allem um die körperliche transition. Lara möchte Hormone nehmen, Lara möchte ihren Penis nicht mehr – und das ist quasi der Mittelpunkt des Films. Es geht gar nicht mehr um ihr Seelenleben, um ihre Psyche, wie sie das psychisch verarbeitet, dass es viele Schwierigkeiten gibt. Der Schwerpunkt ist der Körper, und dass der verändert werden muss."

Nach fünf Minuten der nackte Körper

Giese räumt ein, dass bei der Darstellung mit hereinspiele, dass es um die Karriere einer Ballerina geht, zudem beruhe der Film auf der wahren Geschichte von Nora, die Regisseur Lukas Dhont mit der Figur Lara erzähle: "Aber was schon auffällig ist: dass nach fünf Minuten der nackte Körper von Lara gezeigt wird. Und sie ist im Film ja erst 15. Es gibt kaum eine Szene, wo wir nicht ihren Penis sehen oder nicht ihren Oberkörper oder nicht ihre blutigen Füße."
Er habe mitgezählt, sagt Giese: "Es gibt fünf Einstellungen, wo man ihr nacktes Genital sieht – während die Mädchen, die anderen Ballerinas in der Dusche zum Beispiel einen Bikini tragen. Und das hat schon für mich etwas mit Voyeurismus zu tun. Also: Wir zeigen, dass der Körper von Lara ein männlicher Körper ist – und sie deshalb noch kein richtiges Mädchen ist, dass dieser Körper quasi verändert werden muss, damit sie ein richtiges Mädchen wird. Das finde ich schwierig."
Wenn Cis-Menschen über das Thema Trans schreiben, dann gibt es Vorstellungen, die wenig mit der Realität zu tun haben. Schon der Begriff "Geschlechtsumwandlung treffe es nicht, Geschlechtsangleichung oder transition sei treffender.

"Ich bin trans und fühle mich wohl so wie ich bin"

Giese sieht, dass die Berichte über Transmenschen zunähmen, "aber die sind immer noch aus der Perspektive geschrieben, wie sich ein Cis-Mensch das Leben eines Trans*Menschen vorstellt –gefangen im eigenen Körper, und die Geschlechtsumwandlung ist die einzige Rettung."
Er selbst etwa habe sich seit einem Jahr geoutet, nehme seit Februar Hormone. "Aber ob ich mich operieren lasse, wann ich mich operieren lasse, das steht für mich noch in den Sternen", sagt Giese. "Und trotzdem bin ich trans und fühle mich so wohl, wie ich bin."
(mf)
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