Daniel Loick ist Associate Professor für Politische Philosophie und Sozialphilosophie an der Uni Amsterdam. Zuletzt hat er gemeinsam mit Vanessa Thompson den Reader „Abolitionismus“ herausgegeben (Suhrkamp 2022).
Transfeindlichkeit
Queerness und trans* Identitäten haben einen utopischen Gehalt, meint Daniel Loick - gerade das macht sie für manche so beängstigend. © Getty Images / Lauren Bates
Angst vor einer mächtigen Utopie
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Wogegen richtet sich der Hass der Transfeinde? Gegen die Ahnung, dass trans* Menschen es am Ende besser haben könnten, meint Daniel Loick, gegen den utopischen Gehalt von Veränderung – ein Gehalt, der auch die Philosophie selbst ausmacht.
Transfeindlichkeit nimmt in rechten und konservativen Diskursen einen zentralen Platz ein. Das zeigt sich in den Reden von Politikern, die sich über die Verwendung von Pronomen aufregen, in den Witzen von Comedians, die sich über geschlechtliche Minderheiten belustigen, in unzähligen Feuilleton-Artikeln, in denen sich meinungsstarke Publizisten vor der Woke-Diktatur fürchten, und auf der Straße, wo trans* Personen mit Beleidigungen und Übergriffen rechnen müssen – bis hin zum Mord.
Auch jenseits solcher offenen Gewalt erzeugt gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, wie sie seit einiger Zeit mehrheitsfähig geworden ist, bei den Betroffenen extreme psychische Belastungen, die vor allem bei jungen Menschen überdurchschnittlich oft Suizidversuche zur Folge haben.
Wovor haben Transfeinde Angst?
Man kann sich fragen, wovor Transfeinde eine solche Angst haben. Trans* Personen machen in Deutschland einen Bevölkerungsanteil von unter einem Prozent aus. Jede Hollywood-Romcom, jede Steuererklärung und die meisten Toilettengänge bestätigen die Intaktheit der heterosexuellen Ordnung. Und wenn die Zweigeschlechtlichkeit doch (angeblich?) biologisch festgelegt ist, wieso muss sie dann immer wieder so energisch verteidigt werden?
Der häufig verwendete Begriff der Transphobie suggeriert, dass es sich bei der Feindseligkeit gegenüber trans* Personen um eine unbegründete Angst handelt. Dementsprechend bemühen sich viele Ansätze, die sich etwa für mehr Toleranz einsetzen, um die Versicherung der Harmlosigkeit von trans* Neigungen. Dazu zählen etwa liberale Argumente: Alle Menschen sollen einfach diejenigen Identitäten wählen, die sie für sich als passend erachten. Auch humanitäre Ansätze gehen in diese Richtung: Demnach gehört die geschlechtliche Selbstbestimmung einfach zu den fundamentalen Menschenrechten.
Der utopische Gehalt von Queerness
Diese Ansätze sind wichtig, aber in ihnen geht auch etwas Wesentliches verloren. Die reichhaltige Geschichte queerer politischer Kämpfe, Kulturen und Subkulturen, Beziehungs- und Lebensweisen artikuliert nämlich durchaus mehr als nur den Wunsch, Teil eines Pluralismus von Lebensformen zu sein. Queerness beinhaltet ein Versprechen, das sich durchaus an alle richtet und das alle betrifft. Sie hat einen utopischen Gehalt: Sie will die bestehende Gesellschaft nicht nur ergänzen, sondern auch verändern.
Michael Warner hat bereits 1993 gefordert, Queers sollten genau das affirmieren, was die Mainstream-Gesellschaft so fürchtet, nämlich die Vorstellung, dass der ganze Planet queer wird. Trans* sein ist dann nicht nur eine erlaubte, sondern tatsächlich eine verlockende, vielversprechende, eine schillernde Existenzweise.
Die Philosophie hat die zentrale Bedeutung der Transition schon seit Langem erkannt. In der Metaphysik wissen wir, dass das Wesen einer Sache ebenso von ihrer Potenzialität wie von ihrer Aktualität bestimmt ist. Moral beruht auf der Möglichkeit, sich selbst und sein Verhalten grundlegend zu verändern. In der Ästhetik verstehen wir Schönheit als die „Freiheit in der Erscheinung“. In der Politik folgt Demokratie dem Prinzip, die Regierenden unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Titel auszuwählen.
In jedem dieser philosophischen Bereiche gibt es überhaupt kein Denken ohne das Denken des Übergangs, der Verwandlung, der Andersheit. Philosophie, heißt das, ist wesentlich trans* – Transition ist nicht nur ein philosophischer Modus, sondern ein privilegierter.
Haben die „Freaks“ es am Ende besser?
Überträgt man dieses Privileg der Transition auf das Alltagsleben, so wird vielleicht verständlicher, wogegen der Hass der Transfeinde sich richtet. Es ist die Ahnung, dass es die Freaks, die von der Gesellschaft ständig gedisst werden, am Ende besser haben könnten als man selbst – dass Sex schöner ist, wenn er nicht auf Penetration der Vagina durch den Penis beschränkt ist; dass Gemeinschaft verlässlicher ist, wenn sie nicht ausschließlich auf Blutsverwandtschaft basiert, und dass der Mensch glücklicher ist, wenn er nicht sein gesamtes Selbstwertgefühl daraus bezieht, der zu bleiben, der er ist.