Transgender

Von James zu Ruth mit 79 Jahren

Ruth Rose
Mit 79 Jahren ließ Ruth Rose eine Geschlechtsangleichung vornehmen. © Deutschlandradio / Ruth Rach
Von Ruth Rach |
Jahrelang hatte Ruth Rose ein Doppelleben geführt: Für die Außenwelt war sie James, ließ sich in der britischen Luftwaffe zum Piloten ausbilden und arbeitete als Ingenieur. Vor fünf Jahren hatte sie eine Geschlechtsangleichung und lebt heute befreit als Frau.
"Spring einfach rein!"

Diesem Motto hat sich Ruth Rose mit Leib und Seele verschrieben…
Ein steiniger Strand, steife Brise, aufgebrachtes Meer. Bishopstone Beach an der englischen Südküste. Es ist früher Morgen, mitten im Januar. Fünf Frauen und ein Mann schälen sich aus ihren Klamotten. Schlüpfen in ihre Badekleidung. Streifen Schuhe, Mütze, und Handschuhe über...
Ruth Rose: "Nur noch sieben Komma acht Grad"
Sarah: "Du must nur den richtigen Moment abwarten..."
Zehn Minuten später sitzt die kleine Gruppe dickvermummt am Strand. Ulrike hat Stollen mitgebracht, Kasha den Thermoskaffee, Mel Lebkuchen und Sarah eine Schachtel Schnapspralinen. Und Nick trockene Biscuits.
"All die tollen Ladies! Ohne sie würde ich um die Jahreszeit niemals schwimmen."
Auf dem Parkplatz tauscht Ruth mit Kasha noch ein paar Gläser selbstgemachte Orangenmarmelade aus. Dann macht sich Ruth auf, zu einer Freundin zum Kaffeeplausch.

Vor fünf Jahren war sie offiziell noch ein Mann

Ruth ist 84. Kaum zu fassen. Glatte Haut, ebenmäßige Züge, graublond gesträhntes Haar. Sie ist über 180 groß, hat blitzgrüne Augen. Vor fünf Jahren war sie offiziell noch ein Mann namens James. Die OP, die vom Nationalen Gesundheitsdienst NHS bezahlt wurde, erregte landesweit Aufsehen.
"Ich musste noch ein bisschen warten, weil ich eine noch neue Hüfte und ein neues Knie brauchte, aber eigentlich lebte ich schon als Frau, und eines Tages sagte meine Ärztin: ´Warum lassen Sie sich nicht auch umoperieren?` Ohne die Ärztin wäre ich nie auf den Gedanken gekommen. Schließlich war ich schon Ende siebzig…"
Manche monierten, der finanzschwache NHS habe andere Prioritäten, aber Ruth Rose betont, dass sie dem Gesundheitsdienst viel zurückgibt. Sie ist in Beratungsstellen aktiv, die sich um alte Menschen kümmern, und um Menschen, die das Gefühl haben, im falschen Körper zu stecken. 40 Prozent der Transgender versuchen, sich das Leben zu nehmen, 16 Prozent gelingt der Suizid. Aus Verzweiflung, weil ihr körperliches Geschlecht nicht mit ihrem gefühlten Geschlecht übereinstimmt. Auch Ruth war schon als Kind davon überzeugt, dass sie im falschen Körper steckte.
"Der Gedanke verfolgte mich Tag für Tag, egal was ich machte. Er ging einfach nicht weg. Selbst als ich erwachsen war und eine Familie gründete. Es hat sehr lange gedauert, bis mir klar wurde, das Gefühl ist ein Teil von dir, dem musst du dich stellen."
Jahrzehntelang führte Ruth ein Doppelleben. Für die Außenwelt war sie James. Ließ sich in der britischen Luftwaffe zum Piloten ausbilden, arbeitete als Ingenieur. Ihr Geheimnis hat sie mit niemandem geteilt.
"Damals war das alles ein Riesentabu. Man hätte dich als geisteskrank betrachtet, als pervers, als moralisch verwerflich. Wenn dich ein Polizist auf der Straße in Frauenkleidung erwischt hätte, hätte man dich in eine Zelle gesteckt und wegen Verstoßes gegen die guten Sitten angeklagt."

In London fand sie Gleichgesinnte

Erst in den 70er-Jahren ist Ruth in London auf Gleichgesinnte gestoßen. Sie begannen, in Frauenkleidung auszugehen, und einander zu fotografieren. Ruth zieht ein Fotoalbum aus der Handtasche. Ruth, als Blondine im Kostüm, mit dezent überschlagenen Beinen. Als Lady im Abendkleid. Als Vamp im Korsett. Und – ihr Lieblingsbild – als Sexbombe im Stil von Marilyn Monroe
"Wenn du gute Beine hast – dann zeig, was du hast!"
Vor ihrer OP musste Ruth mehrere Gutachten einholen, wurde auf eine Hormontherapie eingestellt. Und musste beweisen, dass sie mindestens zwei Jahre lang als Frau gelebt hatte. Manche Transgender meinen, die OP würde alle ihre Probleme lösen, sagt sie: welch ein Trugschluss. Man müsse schon vor dem Eingriff mit sich im Reinen sein.
"Am Morgen des Operationstages kam der Chirurg und fragte, sind Sie sich wirklich total sicher – da sagte ich, Himmelherrgott, legen Sie doch endlich los! Dann wollte er noch wissen, was ich mit dem Teil machen wollte. Woraufhin ich sagte, das können Sie behalten. Für mich war der Penis wie ein lästiges Anhängsel, eine Wucherung, die einfach nicht zu mir gehörte…"
Inzwischen ist Ruth nicht nur auf ihre langen glatten Beine stolz, sondern auch auf ihre kleinen wohlgeformten Brüste. Alles echt, sagt sie, kannst du ruhig anfassen, und lüftet kurz ihren Pulli.
"Manche Transgender lassen sich auch gleich noch mit Silikon spritzen, damit der Hintern und der Busen weiblicher aussieht. Ich finde das unnatürlich. Das hier sind meine eigenen Brüste, allerdings sind sie sehr langsam gewachsen, da brauchst du echt viel Geduld."

Endlich ist sie im richtigen Körper

Ruth fühlt sich seit der OP "Like a million Dollar", endlich ist sie im richtigen Körper. Das einzige, das ihr leidtut: dass sie ihrer Familie so lange etwas vorspielte. Aber jahrzehntelang war es ihr einfach nicht in den Sinn gekommen, sich umoperieren zu lassen.
"Meine Ex-Frau wollte mich nie als Ruth sehen. Als sie vor ein paar Jahren krank wurde, habe ich jeden Abend für sie gekocht und mich eigens wieder als Mann verkleidet, um ihr das Essen zu bringen. Das war völlig ok. Ich finde, das gehörte sich."
Nur bei einer Frage hat Ruth Rose plötzlich Hörstörungen.
"Can you see yourself having a boyfriend, now?"
"Having what?"
"A boyfriend!"
"A what?"
"A boyfriend!"
"A boyfriend! That is nothing to do with gender…"
Übersetzung:
"Ein Boyfriend. Das hat nichts mit Gender zu tun. Hier machen die Leute einen großen Fehler. Sexualität und Gender sind zwei verschiedenen Sachen, das hab ich lang selbst nicht verstanden. Du musst erst als Frau leben, und Hormone nehmen, bis du weißt, in welche Richtung du gehen willst. Ich selbst bin so alt, dass ich das Interesse am Sex verloren habe. Und das macht mein Leben viel einfacher."
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