Transitland

Hessen verlangt mehr Geld für ÖPNV

Eine neue Schienentrasse liegt am 03.03.2014 in Berlin am Bahnhof Ostkreuz. Dort werden neue Gleise verlegt und angehoben, um in Zukunft im Bahnhof ein barrierefreies Reisevergnügen zu garantieren. Ein genauer Termin für das Ende der Bauarbeiten steht noch nicht fest.
Neue Gleise: Hessen möchte den Nahverkehr ausbauen © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Von Ludger Fittkau |
Die Hälfte des bundesweiten Bahn-Fernverkehrs geht durch Hessen. Die schwarz-grüne Landesregierung appelliert an den Bund, den Ausbau des Bahnverkehrs nicht länger zu vernachlässigen.
"In Kürze erreichen wir Frankfurt Main Hauptbahnhof."
Durchsage in der Odenwaldbahn, kurz bevor sie im Hauptbahnhof Frankfurt am Main einläuft. Die Bahn aus dem südhessischen Mittelgebirge in die Mainmetropole ist bei Pendlern sehr beliebt. Auch bei Claudia Schwegert, die ihr Fahrrad mitgenommen hat:
"Ich bin immer froh über diese direkte Verbindung vom Odenwald bis nach Frankfurt, innerhalb recht kurzer Zeit. Bequeme Züge mit Fahrradabstellplätzen."
Die Odenwaldbahn wird vom sogenannten "VIAS"- Konsortium betrieben, an dem auch die dänischen Staatsbahnen beteiligt sind. Die Linie war nicht immer so beliebt, erinnert sich der hessische Verkehrsminister Tarek Al Wazir von den Grünen:
"Die war vor 15 Jahren ein trauriges Stück Schiene mit unglaublich vielen Langsam-Fahrstellen, mit einem völlig unattraktiven Material, die alten Silberlinge der DB sind da gerollt und man kam nicht vor und nicht zurück. Und dementsprechend ist auch kaum einer damit gefahren. Die Strecke wurde saniert, sie wurde neu ausgeschrieben, die VIAS hat das gewonnen. Hat neues Material angeschafft und die Fahrgastzahlen sind in relativ kurzer Zeit deutlich nach oben gegangen, weil das Angebot attraktiver geworden ist beziehungsweise erstmals attraktiv war."
Die Odenwaldbahn ist zum Vorbild für andere Pendlerstrecken geworden
Die Odenwaldbahn ist für Tarek Al Wazir ein Vorbild für viele andere Pendlerstrecken im Rhein-Main-Gebiet, die bisher teilweise noch wie vor hundert Jahren dahindümpeln: Geisterbahnhöfe, fehlende Elektrifizierung, bröckelnde Bahnsteige, die für Rollstuhl- oder Radfahrer kaum zu überwinden sind. Und das in einer Region, in der die Bevölkerungszahlen stark wachsen und auch die Straßen rund um Frankfurt in der Rush-Hour meist verstopft sind.
"In Kürze erreichen wir Frankfurt Main Hauptbahnhof."
Zusätzlich besteht das Problem, dass die vorhandenen leistungsfähigen Verbindungen meist im Frankfurter Hauptbahnhof enden:
"Wir haben im Rhein-Main-Gebiet das Problem, dass es große Konflikte gibt zwischen Fernverkehr und Regionalverkehr. Am Frankfurter Hauptbahnhof steigen jeden Tag 450.000 Leute ein und aus. Frankfurt ist mit die Pendler-Hauptstadt in Deutschland. Und gleichzeitig ist es so, dass auch der Fernverkehr in einem erklecklichen Maße durch Hessen läuft. Über die Hälfte des bundesdeutschen Fernverkehrs auf der Schiene."
Was für den Pendlerverkehr in Rhein-Main vor allem fehlt, ist eine Ring-Bahn-Strecke wie in Berlin, so Tarek Al Wazir:
"Der S-Bahn-Ring in Berlin ist 100 Jahre alt und Frankfurt hat eben keinen Ring-Verkehr. Sondern da konzentriert sich alles auf diesen Hauptbahnhof und das muss man ergänzen, wenn man die Mobilitätsbedürfnisse der Region weiterhin erfüllen möchte."
Doch diese Ergänzung des vorhandenen Schienennetzes ist teuer. Das geht nicht ohne den Bund, weiß Tarek Al Wazir. Doch Berlin mauert und zahlt die benötigen Mittel für den weiteren Ausbau des Regionalverkehrs nicht, ärgert sich der grüne hessische Verkehrsminister. Und seine Kollegen in den anderen Bundesländern ärgern sich mit:
Hessen will mehr Geld vom Bund für den Nahverkehr
"Alle Länder – 16 zu null – in dieser Frage. Und es ist völlig klar, dass wir da Klarheit brauchen und zwar schnell. Wir haben im Gebiet des Rhein-Main-Verkehrsverbundes erstmals überhaupt in 20 Jahren keine Ausweitung der Leistungen. Man muss wissen, dass in den zwanzig Jahren die Fahrgastzahlen im RMV von 500 Millionen auf über 700 Millionen gestiegen sind. Das ist jedes Jahr nach oben gegangen. Und jetzt sind wir an dem Punkt, wo wir nicht mehr weiter können, Und das muss man beim Bund sehen, dass man sich da versündigt am öffentlichen Personen-Nahverkehr. Und auch da gilt: Alles, was man nicht auf die Schiene kriegt, landet am Ende auf der Straße, Und dann soll man sich am Ende nicht über Staus beschweren."
Um rund zwei Prozent jährlich müsste die Schieneninfrastruktur im Rhein-Main-Verkehrsverbund – kurz RMV - in den nächsten Jahrzehnten wachsen, um alleine das Verkehrsaufkommen aufzufangen, dass durch den Anstieg der Bevölkerungszahlen in der Region entstehen wird. Das fordert unter anderem ein sogenannter "Mobilitätsmasterplan" für die Region Frankfurt am Main, den unter anderem Wissenschaftler der TU Darmstadt erarbeitet haben. Der Plan dringt darauf, insbesondere S-Bahn-Strecken weiter auszubauen.
Auch das sei keine Frage des politischen Willens, sondern nur des Geldes, so Sven Hirschler, Sprecher des Rhein-Main-Verkehrsverbundes:
"Pro Bundesbürger wird in Deutschland, ich glaube, 51 Euro investiert, bei Italien reden wir von 81. Und bei der Schweiz sind wir dann bei 366 Euro. Also einfach mal um die Verhältnismäßigkeit zu zeigen, welchen bundespolitischen Stellenwert die Verkehrsinfrastruktur hat."
In Deutschland wird vergleichsweise wenig Geld für die Schiene ausgegeben
Das vergleichsweise wenige Geld, dass in Deutschland in die Schiene gesteckt wird, ist dann regional auch noch sehr ungleich verteilt.
Die Gründe, warum jedoch seit Jahrzehnten viel zu wenig Geld vom Bund in die Schieneninfrastruktur des Rhein-Main-Ballungsraumes fließt, beschreibt Tarek al Wazir so:
"Einerseits gab es die Neubauvorhaben nach der Wiedervereinigung. Die Trasse, die jetzt in diesem November eröffnet werden soll, zwischen Nürnberg und Leipzig beispielsweise. Oder die Schnellfahrstrecke zwischen Hannover und Berlin. Oder die wiedereröffnete Schnellfahrstrecke Hamburg-Berlin. Das war ein Nachholbedarf, den wir im Osten hatten. Und gleichzeitig ist es so, dass viel Energie in andere Projekte gegangen ist. Stuttgart 21 ist das Paradebeispiel dafür, wo sehr viel Energie und Geld verbraucht wird, obwohl da kaum einer durchfährt, sondern alle nur aussteigen."
Wenn wie im Falle der Odenwaldbahn Geld in die Hand genommen wird, um überalterte Strecken wieder fit zu machen oder gar ganz neue Strecken für Pendler schaffen, bringt das meist auch einen Schub für die gesamte Regionalentwicklung entlang der Strecke. Viele Menschen suchen gerne eine Wohnung in der Nähe eines S-Bahn- oder Regionalbahnhofes im Odenwald, wenn die Verbindung nach Frankfurt am Mai oder die anderen Großstädte der Region stimmt, beobachtet auch Bahnfahrerin Claudia Schwegert.
"Das wäre für mich auch ein ganz wichtiges Kriterium beim Umzug, darauf zu achten, dass ich Bahnanschluss habe."
"Das macht schon auch die Orte attraktiv, die an den Bahnhöfen liegen?"
"Ja, ganz sicher."
Claudia Schwegert hält allerdings auch die öffentliche Debatte über Zugverspätungen oder etwa streik- oder unfallbedingte Taktstörungen bei der Bahn oft für einseitig. Denn auf den meist überfüllten Straßen im Rhein-Main-Gebiet seien Zeitpläne doch genauso oft nicht einzuhalten, argumentiert die Bahnfahrerin, die manchmal auch ein Auto steuert:
"Wenn ich sehe, wie oft ich auf der Autobahn oder sonst wo stehe, weil ein Unfall passiert ist, Baustelle oder sonst was, frage ich mich schon, wo stellt der Autofahrer seine Ansprüche? Wo meldet er an: Ich habe mein Flugzeug verpasst, ich bin zu spät zum Job gekommen. Die Diskussion vermisse ich eben auch."
"Aber es ist schön, wenn der Zug voll ist. Denn das muss sich ja auch lohnen. Keiner macht was, ohne dass es sich auch wirklich lohnt."
Ein moderner ÖPNV ist ohne Steuergelder nicht zu machen
Doch selbst, wenn ein Zug voll ist: öffentlicher Nahverkehr ist kein sehr profitables Geschäft. Insbesondere moderne Schieneninfrastruktur lässt sich ohne Steuermittel nicht schaffen.
Der Grüne Tarek Al Wazir ist seit etwa mehr als einem Jahr Verkehrsminister und stellvertretender Ministerpräsident in Hessen. Er muss sich jetzt auch damit herumschlagen, dass seine Vorgänger das neue, zwei Milliarden Euro teure Terminal 3 im Süden des Frankfurter Flughafens ohne Schienenanschluss geplant haben. Und dies, obwohl heute bereits in der Rushhour die Auto-Zufahrten zum Gewerbegebiet im Süden des Flughafens bei Mörfelden-Walldorf verstopft sind – schon ohne das Terminal 3:
"Also, was den Flughafen angeht ist auch klar: Wenn wir mehr Menschen auf die Bahn kriegen, entlastet das die Straße und zwar deutlich. Da geht es nicht nur um die Flugreisen, sondern da geht es auch um die, die dort arbeiten, das darf man ja nicht vergessen. Da geht es ja um Zehntausende, die da täglich hin-und herpendeln. Ich kann nun zu der Frage, warum eigentlich meine Vorgänger einen Planfeststellungsbeschluss gemacht haben, bei dem ein Terminal 3 ohne Schienenanschluss planfestgestellt wurde, beim besten Willen nichts sagen."
Tarek Al Wazir setzt jetzt auf die Neubau-Bahntrasse, die irgendwann neben der A 5 Richtung Süden entstehen soll und die zumindest in der Nähe des neuen Terminal 3 vorbeilaufen wird. Ein neuer Bahnhof "Flughafen-Süd": Zukunftsmusik. Wie so vieles in der verbesserungswürdigen Schienen-Infrastruktur von Rhein-Main. Immerhin: Die neue Odenwaldbahn fährt – ein Hoffnungsschimmer, dem weitere folgen sollen.
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