Transitverkehr im Inntal

Leben mit Autobahn und Schiene

Verkehr im Inntal zwischen Kiefersfelden und Kufstein
Verkehr im Inntal zwischen Kiefersfelden und Kufstein © dpa / picture alliance / Tobias Hase
Von Dagmar Bohrer-Glas |
Das Inntal in Oberbayern ist einer der Hauptverkehrswege über die Alpen. Ständig wächst die Belastung durch Lärm und Abgase für die Menschen vor Ort. Da die Bahn ein zweites "Stuttgart 21" fürchtet, darf die Bevölkerung bei den Verkehrsplanungen mitreden.
Neben der vielbefahrenen Inntalautobahn A 93 gibt es im dort auch eine zweigleisige Bahnstrecke. Auf dieser donnert der Güterverkehr durch kleine Orte wie Brannenburg, Flintsbach und Oberaudorf. Und in Kiefersfelden sind es die Mautflüchtlinge, die sich am Wochenende oft Stoßstange an Stoßstange stauen.
Nun steht dem Inntal ein neues Bahnprojekt bevor: Die sogenannten Zulaufstrecken zum Brennerbasistunnel, der in Österreich und in Italien bereits gebaut wird. Aber wo die neue Zugtrasse im engen Inntal noch Platz haben soll, ist völlig unklar. Der genaue Verlauf des Brenner-Nordzulaufes wird die nächsten Jahre im Rahmen eines Planungsdialogs mit den Bürgern der Inntalgemeinden gemeinsam erarbeitet. Dieses besondere Findungsverfahren wird zum ersten Mal in Deutschland angewandt. Die Deutsche Bahn verspricht sich davon mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Die Lokalpolitiker jedenfalls sind froh, dass die Planungen vor Ort endlich anlaufen.
Egal, ob es eine neue Trasse im Inntal geben wird oder nicht: Experten sind sich einig, dass der Transitverkehr in Zeiten des globalen Handels weiter ansteigen wird. Doch dann gehen die Meinungen auseinander: Ziel muss sein, den Verkehr auf die umweltfreundliche Schiene zu bekommen, sagen die einen. Andere zweifeln das Ausmaß des Brennerbasistunnel-Konzepts generell an und ziehen Vergleiche zum umstrittenen Rhein-Main-Donau-Kanal. Der sei auch als unverzichtbar für den europäischen Güterverkehrsfluss erklärt worden und heute fahren dort Gummiboote.

Beitrag im Wortlaut:
Links das Kranzhorn und der Heuberg, rechts das weithin sichtbare weiße Kircherl oben auf dem Petersberg. Ist die kleine Kirche am Abend beleuchtet, findet dort am nächsten Morgen ein Berggottesdienst statt. Unten im Tal fließt behäbig der grüne Inn dahin, das Kloster Reisach bei Oberaudorf leuchtet gelb in der Sonne und schon von Weitem ist der graue Neubeurer Schlossturm zu sehen. Vertraute Anblicke, Heimat. Es lässt sich gut leben, im oberbayerischen Inntal:
"Wegen der schönen Landschaft. Wegen den Bergen, wegen der Natur, wegen den Leuten. Die Mentalität, die Herzlichkeit, weil's einfach fein ist. / Und was gefällt Ihnen vielleicht nicht so im Inntal? / Die Autobahn, die Autoabgase, der Verkehr ist nicht mehr zum Aushalten und wenn man am Berg oben ist sieht man auch, dass die ganze Belastung vom Smog her von den Autoabgasen wirklich extrem ist. Ich bin selber Asthmatikerin und ich merk einfach, dass es mir besser geht, in den Seitentälern, da ist einfach eine bessere Luft. Und eine Freundin von mir ist auch weggezogen in ein Seitental weil ihre Buben auch Asthma haben und es für sie besser ist."
Auch der Rosenheimer Landrat Wolfgang Berthaler, lange Jahre Bürgermeister der Inntalgemeinde Flintsbach, sieht den Verkehr im Inntal zunehmend als Belastung an.
"Wir haben im Inntal a) die Eisenbahn b) die A 93 als Autobahn. Dann gibt es eine Staatsstraße durch und eine Kreisstraße durch. Dann haben wir die transalpine Ölleitung und dann noch eine Gas-Hochdruckleitung. Alles durch ein Tal das in der engsten Stelle 1,3 Kilometer breit ist. Und da ist dann schon eine massive Bündelung da, grad an der Autobahn herrscht momentan eine starke Verdichtung des Verkehrs, insbesondere des LKW-Verkehrs und das tut schon verdammt weh."
Die Nerven liegen blank
Eine Inntalgemeinde hat seit eineinhalb Jahren besonders mit Durchgangsverkehr zu kämpfen: der Grenzort Kiefersfelden. An manchen Tagen stehen die Autos dort Stoßstange an Stoßstange. Vor allem an Winterwochenenden, wenn die Skifahrer in die Tiroler Liftgebiete wollen, wälzt sich eine nicht endend wollende Autokolonne durch den Ort. Den "Kieferern", wie sich die einheimischen Kiefersfeldener selbst nennen, wird einiges abverlangt. Ihre Nerven liegen blank:
"So wie es früher auch war …"
Dicht gedrängt fahren Autos auf der Autobahn 9 am Inntal-Dreieck bei Rosenheim.
Seit auf der Inntalautobahn eine Vignette eingeführt wurde, haben kleine Ort mit Verkehrslawinen zu kämpfen.© picture alliance / dpa /dpaweb / Matthias Schrader
Noch vor zwei Jahren durfte man auf der Inntalautobahn kostenlos bis zur Ausfahrt Kufstein Süd fahren, um von dort in die angrenzenden Skigebiete abzubiegen. Heute ist dieser Streckenabschnitt mautpflichtig. Man braucht jetzt auch für diese relativ kurze Strecke auf der Inntalautobahn eine Vignette. Wie es dazu kam, das kann am besten
Bürgermeister Hajo Gruber erklären, der am Straßenrand steht und nachdenklich den zähfließenden Verkehr beobachtet.
"Der österreichische Staat gründet eine private Gesellschaft, die Asfinag. Sagt danach: Was die Asfinag macht, darauf habe ich keinen Einfluss und die Asfinag verdient dadurch, dass sie ab Grenze die Mautpflicht einführt mehr Geld. Und das ist ihnen völlig wurscht, denn die verdienen im Wien ein paar Millionen Euro, gut es macht schon ein paar Millionen aus, und dafür opfern die eiskalt die Grenzregionen. Was bei uns in Kiefersfelden und auch bei unserem Nachbarn Kufstein in Tirol an Verkehr dadurch durch die Orte geführt wird ist eine Unverschämtheit ohne Ende. Also man könnte sich genaugenommen s'z Dod-Ärgern aber Ärgern allein hilft auch nichts. Der Freistaat kann Euch nicht helfen, der Bund scheint's auch nicht. Kann es denn die EU?
Also ich muss ehrlich sagen: der Freistaat versucht es, der hat letztes Jahr ja mit uns zusammen die Demo genehmigt und wir haben versucht auf die Politiker in Wien einzuwirken. Ich habe wirklich eine gewisse Hoffnung: wir haben ja in Deutschland auch die Maut Diskussion. Und wenn die Idee, die von Kiefersfelden ausgegangen ist, nämlich das man eine Korridorlösung macht links und rechts der Grenze und zwar in ganz Europa, wenn man sagt ein gewisser Korridor ist mautfrei wäre das die einzige Lösung für die ganzen Grenzregionen."
Mautausweichverkehr als Gefahr für Tourismus
Eine der wichtigsten Einnahmequellen von Kiefersfelden ist der Tourismus. Und deswegen hat es Bürgermeister Hajo Gruber auch satt, dass Kiefersfelden stets nur auf das Thema Mautflüchtlinge reduziert wird. Er befürchtet sogar negative Auswirkungen auf den Tourismus.
"Ja, das Thema ist ein bisschen gefährlich für Kiefersfelden. Wenn wir nur mehr in den Medien vorkommen als Ort, der vom Mautausweichverkehr belastet ist, dann hat das ja auch eine gewisse abschreckende Wirkung. Aber das Inntal ist seit 2000 Jahren schon Durchzugstal. Und das führt dazu, dass das Inntal eine ganze andere Bevölkerungszusammensetzung hat. Dieser Austausch der Kulturen der bei uns immer do war, führt zu einer großen Weltoffenheit und an einer Interessiertheit am ganzen Geschehen. Zu einem großen Kunst- und Kulturinteresse. Wir haben alleine in Kiefersfelden vier Theater, wir haben glänzende Musik und bildende Künstler – all das ist typisch für das Inntal!"
Wo er Recht hat, hat er Recht, der Bürgermeister von Kiefersfelden. Das Inntal ist eine der wichtigsten Transitrouten in den Süden. An schönen Tagen sieht man am Horizont die mächtige Pyramide des Großvenedigers stehen. Spätestens dann meldet sich bei vielen das Fernweh in der Brust. Dort hinten den Bergen locken Venetien, die Adria, die Toskana. Wer in den Ferien nach Italien möchte – zum Baden nach Cesenatico oder zum Klettern an den Gardasee –, der muss über den Brenner und fährt vorher durch das Inntal. Entweder mit dem Auto, mit dem Wohnmobil oder mit dem Zug.
Aber nicht nur das Urlaubsland Italien liegt südlich des Brenners, auch der Handelspartner Italien. Die Brenner-Achse ist für die bayerischen Unternehmen ein wichtiger Zubringer zu den Seehäfen an der Adria. Venedig und auch der Hafen von Triest sind wichtige Umschlagsplätze für den globalisierten Handel. Auch über die großen Verschiebebahnhöfe in Verona und Mailand werden täglich tausende von Tonnen Waren und Güter umgeschlagen.
Ein Güterzug fährt am 02.05.2014 über dem Eingang zum Zugangsstollen zum Brenner Basistunnel bei Steinach (Österreich).
Die Brenner-Achse ist für die bayerischen Unternehmen ein wichtiger Zubringer zu den Seehäfen an der Adria.© picture-alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand
Um diesen Güterverkehr am Laufen zu halten passieren jährlich rund zwei Millionen Lkw den Brennerpass. Georg Dudek wohnt in der Nähe der Inntalautobahn. Der Rechtsanwalt ist Vorstand der Inntalgemeinschaft, einer Bürgerinitiative die rund 500 Mitglieder zählt. Sein Wohnhaus bei Flintsbach ist nur wenige hundert Meter von der A 93 entfernt. An das Grundrauschen der Autobahn hat er sich längst gewöhnt, sagt er. Aber an den Lkw-Lärm jedoch werde er sich nie gewöhnen.
"Also bei den Lkw ist das große Problem wenn die Vollbeladen statt 80 die zugelassen sind die normalen 100 oder 110 fahren. Da wird das Reifen und Motorengeräusch lauter. Rein gefühlt hört man es doppelt so laut. Also wenn die LKW reduziert würden auf das, was gesetzlich ist, dann wären wir einen wesentlichen Schritt weiter. Aber da wird hier gar nichts gemacht. Es ist bekannt, dass auf der Inntalautobahn nie geblitzt wird. Das wissen die Lkw-Fahrer. Wenn die aus der flächendeckenden Geschwindigkeitsbegrenzung aus Österreich kommen dann holen die hier auf, da fahren die volle Pulle durch und wir haben den Krach und die Abgase natürlich und das müsste überwacht abgeschafft werden."
Georg Dudek fordert ein Überholverbot für LKW auf der Inntalautobahn und ebenso ein scharf überwachtes Tempolimit von 80 km/h. Es gehört zu den Standardforderungen deutscher und bayerischer Verkehrspolitiker, dass mehr Güter vom Lkw auf die Schiene sollen. Der Brennerbasistunnel soll die Brennerautobahn entlasten, 2026 soll der längste Bahntunnel der Welt fertig sein. Mit 64 Kilometern ist er dann länger als der Gotthard-Basistunnel in der Schweiz, der im kommenden Jahr eröffnet wird. Die Kosten für den Brennerbasistunnel werden derzeit auf 8,5 Milliarden Euro geschätzt und werden zur Hälfte von der EU sowie von Österreich und Italien bezahlt. Ausgelegt ist der Brennerbasistunnel auf täglich bis zu 400 Züge.
Österreich hat sein Tiroler Schienennetz bereits für die kommenden Anforderungen fit gemacht. Die moderne Bahnstrecke endet jedoch in Kufstein, kurz vor der bayerischen Grenze. Und dann? Die Bahnstrecke im bayerischen Inntal ist 150 Jahre alt und besteht aus nur einem Gleis in jede Richtung. In Kiefersfelden, Brannenburg oder Flintsbach fahren die Züge teilweise unmittelbar an Wohnhäusern vorbei.
"Da sind jetzt die ganzen Bäume weggekommen und die Bahn hat sich schon bemüht, ein paar Häuser haben verbilligte Fenster bekommen, schalldichte, aber nur hinten am Haus, vorne nicht, das Problem ist das, wenn dann die Züge rattern, ja nach wie vor und die werden ja dementsprechend mehr.
Das sollen ja über 300 werden, irgendwann a moi. Insgesamt dann. Und das ist dann schon gravierend. Wenn wir Besuch haben und wir sitzen auf der Terrasse, für die ist das schon krass. Da muss man dann zu reden aufhören. Da kann man sich dann nicht mehr unterhalten, wenn ein Zug kommt. Zum Teil kommen die ja alle Minuten daher. Güterzüge fahren meistens nachts. Die haben dann zum Teil 50 Waggone dran, wenn es ein langer ist. Die hört man schon sehr."
Sanierung des Lärmschutzes
Und das soll auch weiterhin so bleiben, wenn die ersten Züge aus dem Brennerbasistunnel Richtung Bayern rollen. Deswegen wird nun in den kommenden Jahren der Lärmschutz an der Bestandsstrecke saniert. Zeitgleich wird eine Neubautrasse mit einem dritten und vierten Gleis geplant, erklärt die Rosenheimer Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig, die Leiterin der CSU Verkehrskommission:
"Also es gibt einen klare politischen Auftrag zum einen an der Bestandsstrecke den Lärmschutz zu überprüfen, und zum anderen eine Neubautrasse zu planen. Der Auftrag ist nicht auslegungsfähig sondern der ist sehr deutlich. Und dass eine Trasse rauskommen muss, die dann Baureife erlangt, war auch klarer politischer Auftrag. Vor dem Hintergrund kann ich nur sagen ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass wir eine neue Trasse kriegen und sie auch brauchen. Die Zeitfrage ist sicherlich eine andere – dauert das 10, 15 oder 20 Jahre. Das kann keiner beantworten. Das wäre Kaffeesatzleserei. Aber wer das Inntal gut kennt der muss einfach feststellen, dass wir eine Verdoppelung der Zugzahlen am Tag im Bestand nicht bewältigen können. Und schon gar nicht so das die Anwohner über Gebühr darunter zu leiden haben."
Wo allerdings im engen Inntal noch zwei zusätzliche Gleise Platz haben sollen – so genau weiß das noch keiner. Die Bahn will das mit Hilfe der Bevölkerung im Inntal herausfinden. Die Planung soll nicht "übergestülpt" werden. Der Aufruhr und die Krawalle rund um "Stuttgart 21" waren allem Anschein nach Warnung genug, es nicht noch einmal so weit kommen zu lassen. Bei einem Termin in Flintsbach gibt Bahnvorstand Volker Kefer zu:
"Wenn Sie so wollen, hat die Bahn natürlich gelernt, und zwar aus den großen Projekten die in der Vergangenheit diskutiert worden sind in der Öffentlichkeit, teilweise nachdem bestimmte Entscheidungen bereits getroffen waren. Wir möchten schlichtweg früher in den Dialog kommen um Schwierigkeiten die dadurch später nicht mehr entstehen vorzubeugen."
Wie eng das Inntal teilweise ist, erkennt man erst so richtig aus der Perspektive eines Lokomotivführers. Vom Führerstand aus hat man freie Sicht auf die Landschaft. Hinter dem Bahnhof Rosenheim fährt der Zug erst eine Rechtskurve und dann immer schnurgerade auf die Berge zu. Bahnsprecher Michael Ernst Schmidt:
"Hier ist das Tal wirklich weit. Das ist natürlich für unser Planungsverfahren ein Thema. Hier haben wir theoretisch Platz links und rechts. Praktisch müssen wir gucken, was gibt der Untergrund her, wo ist die Bebauung, wo gibt es vielleicht Biotope, die absolut tabu sind, wo gibt es eine Pipeline, die vielleicht hier noch durchfließt, wo ist die Autobahn. Sie sehen das ganz deutlich: Hier ist ein Gewerbegebiet, die haben keinen Anspruch auf Lärmschutz. Hier sind Wohnhäuser, die haben Anspruch auf Lärmschutz.
Was eine Neubautrasse angeht – gibt es Vorgaben was Abstände angeht links und rechts? Also es gibt interessanterweise keine Grenzabstände zur Bebauung, außer im Baubuch die üblichen 2,50 Meter, die jeder Häuslebauer beachten muss. Aber es gibt die Schallschutzrichtlinie. Also ich muss dafür sorgen, das nachts an einem Schlafzimmerfenster, Mittelwert ist 60 Dezibel, eingehalten wird. Wie auch immer. Jetzt wird’s enger, Richtung Kiefersfelden, die Berge rücken ganz nah ans Gleis ran. Da haben wir wirklich: Berg, Straße, Zug, Inn. Deswegen sagt sowohl Kufstein, aber auch der Kiefersfeldener Bürgermeister: Also mit uns braucht ihr nicht groß reden. Wir brauchen einen Tunnel, wenn wir hier noch ein Gleis wollen."
Einbeziehung der Bevölkerung
Keine leichte Aufgabe für die zuständigen Ingenieure, die sich ab Herbst als so genannte "Streckenplaner" im Inntal an die Arbeit machen sollen. Außerdem finden sich derzeit in den Inntalgemeinden Gremien zusammen. Hier sitzen Vertretern von Bürgern, Verbänden und Vereinen gemeinsam mit Planern an einem Tisch. Stefan Kühn von der DB Netz Bayern:
"Die Idee ist, dass wir eben nicht Trassen malen, entwerfen, in die Landschaft pinseln und dann darüber reden, ob das gut ist oder nicht. Sondern wir gehen zunächst her und werden mit den Gremien alle Wünsche und Bedürfnisse und Anfragen und Anforderungen einsammeln, die da vorhanden sind. Und es gibt natürlich auch die Möglichkeit aller Beteiligten, auch mit eigenen Entwürfen reinzukommen, also durchaus zu sagen, plant doch bitte mal auch ne Trasse da hinten rum, weil wir glauben, dass das funktioniert und das sinnvoll ist.
Da wird absehbar natürlich die Anregung kommen – absehbar – plant das ganze Ding doch unter der Erde. Plant das ganze Ding hinter hohen Mauern usw. Wir werden diese Ideen alle aufgreifen, einzelne ganz grob unplausible nicht bis zuletzt durchprüfen, aber wir werden viele Trassenvorschläge sehr detailliert durchprüfen und werden die am Ende gegen unseren Kriterienkatalog spielen und bewerten, denn jeder Trassenvorschlag muss die Kennzahlen sozusagen erreichen und dann sehen wir am Ende ganz automatisch: welcher Trassenvorschlag erfüllt alle Ziele am meisten."
Arbeitstermin des Projektteams der Deutschen Bahn in Rosenheim – mit am Tisch sitzen auch zwei Österreicher: ein Vertreter der ÖBB und: Horst Wessiak. Er ist Bauingenieur und kommt aus Tirol. Hageres Gesicht, Brille und: ein sehr ernster Gesichtsausdruck. Dieser Mann leitet das Dialogverfahren im Inntal.
"Es ist also eine schwere Aufgabe, sicher eine Herausforderung. Aber etwas, was wir in ähnlichen Formen und ähnlich schwierigen Umfeld auch bei anderen Projekten gemacht haben. Wir haben das in der Schweiz gemacht bei AlpTransit, Gotthardbasistunnel, wir haben das in Norwegen gemacht, wir haben das in Südtirol gemacht für die Eisenbahn-Zulaufstrecke-Süd und sehr viel in Österreich und eigentlich überall mit Er- folg dann abgeschlossen."
1972 hat Horst Wessiak vom Brennerbasistunnel zum ersten Mal gehört. Damals besuchte er aus Neugierde einen Vortrag eines Mailänder Ingenieurbüros. Das Ingenieurbüro sei dann irgendwann in der Versenkung verschwunden, erzählt er. Der Brennerbasistunnel hingegen wird jetzt gerade gebaut. Langfristig gesehen sei eine Neubautrasse im bayerischen Inntal sicher ein Gewinn, meint der Tiroler:
"Das ist jetzt also meine ganz persönliche Meinung. Der Brennerbasistunnel wird ja nicht zur Beschäftigung der Baufirmen gebaut. Sondern er wird gebaut, als europäisches Projekt, um langfristig eine umweltfreundliche Verkehrsabwicklung im Güterverkehr zu erreichen. Und dieser Brennerbasistunnel wird, wenn er in Betrieb ist, Verkehr generieren. Das wird Verkehr hauptsächlich sein, der von den dann verstopften Autobahnen kommen wird. Und wenn der BBT diesen Verkehr generiert dann braucht es auch eine leistungsfähige Strecke in den Anschluss Bereichen um diesen Verkehr aufnehmen zu können. Und das wird ein Gewinn sein, weil diese Art der Verkehrsabwicklung auf der Schiene, auf einer leistungsfähigen modernen Neubaustrecke ist wesentlich besser in jeder Beziehung als das, was wir heute haben."
Bessere Logistik statt neuer Verkehrsachse
Besuch beim Logistik-Kompetenz-Zentrum in Prien am Chiemsee. Hier arbeiten 15 Unternehmen unter einem Dach. Auf der Internetseite heißt es: "Das Logistik-Kompetenz-Zentrum ist ein Innovationszentrum für Logistik und Verkehr mit einer interdisziplinären Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft mit regionaler und überregionaler Ausrichtung".
Daten sammeln und bewerten, den Verkehr der Zukunft errechnen – solche Aufträge hat das LKZ bereits für das Bayerische Staatsministerium, das Bundesverkehrsministerium und die Europäische Union durchgeführt. Chef des Hauses ist Logistik-Experte Karl Fischer:
"Ja, ich muss jetzt mal schauen. Ich habe einen eigenen Ordner für Inntal, ich muss mal schauen. Schauen Sie mal, was da schon alles drin ist. Schauen Sie, was da schon alles an Treffen war. Doch sehr umfangreich. Und unser Thema ist dann einfach immer das Übergreifende zu tun. Man muss einmal Ordnung reinbringen in das Thema. Es darf nicht nur von der Bahnseite aus gesehen werden."
Kamen die Waren nach dem II. Weltkrieg vorwiegend aus Amerika, ist der mit wichtigste Handelspartner Bayerns heute China. Die Containerschiffe kommen über den Suezkanal, durchqueren das Mittelmeer, fahren durch die Straße von Gibraltar und den Ärmelkanal und steuern die Nordseehäfen Hamburg, Bremerhaven und Rotterdam an. Dort werden die Waren aus- und umgeladen und mit dem Zug wieder Richtung Süden, nach Bayern, transportiert. Für Karl Fischer ein logistischer Blödsinn. Er ist sich sicher, dass künftig die italienischen Häfen mehr angefahren werden und mehr Güter und Waren über den Brenner zu uns kommen.
"Dann wird das so passieren, dass Verkehre kommen werden, die noch gar nicht da sind und das ist für das Inntal nicht schön. Wie schaffe ich eine Verkehrsinfrastruktur, die den Anforderungen der Wirtschaft und unserer Ansprüche, die wir jeden Tag an Einkauf und Kleidung und sonst irgendetwas stellen, wie schaffe ich das zu organisieren? So. Und da ist meine Aussage: Wir haben zwei Millionen Lkw heute, wir werden in Zukunft noch einige mehr haben und wenn wir einen Teil verlagern, dann werden wir nicht irgendwann diskutieren in 20 Jahren und dann brauchen wir jetzt eine Planung, damit wird das auf den Weg bringen."
Immer mehr und mehr Verkehr im Inntal, quasi als unabänderliches Schicksal einer transalpinen Verkehrsachse? Diese Zukunftsvision bezweifelt Ernst Böckler, der langjährige Kreisvorsitzende des Bund Naturschutz in Rosenheim Land und heutiges Mitglied im Landesbeirat des Bund Naturschutz.
"Das bezweifeln wir stark, ob das unumgänglich ist. Erstens die Situation Inntal: Da stellt sich die Frage, ob man die Verkehre nicht besser verteilen könnte auf die verschiedenen Alpenübergänge. Punkt zwei ist: Der Verkehr als solcher hat immens überhand genommen und wenn wir heute von regionaler Wirtschaft sprechen, die ja auch immer gestärkt werden soll, dann hieße das natürlich, dass eigentlich weniger transportiert werden müsste, denn wenn ich einen regionalen Wirtschaftsraum bewirtschafte, dann müsste eigentlich der Fernverkehr zurückgehen. Also das ist der Ansatz des Bund Naturschutz: Fernverkehre reduzieren, regionale Bewirtschaftung und die großen Transportwege daraufhin überprüfen, ob denn wirklich alles hin und her transportiert werden muss. Es gibt die berühmten Leerfahrten, es gibt die berühmten Fahrten wo man Kartoffeln zum Waschen nach Italien fährt und dann wieder zurück und all diese Dinge. Da fragt man sich schon: Muss denn das wirklich sein."
Bund Naturschutz in Planungen involviert
Der Umweltschützer ist überzeugt: wenn der Güterverkehr anders verteilt werden würde, dann wäre ein Neubau im Inntal gar nicht notwendig. Seiner Ansicht nach könnte ein Teil des Güterverkehrs über München-Lindau in die Schweiz laufen oder auf den Strecken München-Mühldorf-Freilassung beziehungsweise Linz, die die Brennerstrecken entlasten könnten.
"Dann verfolgt die Bahn selber eine neue Nord-Süd-Verbindung von Berlin-Leipzig-Hof-Regensburg runter in unseren Raum, und die sind auch nicht daran interessiert, das alles auf die Brennerstrecke zu leiten, sondern das weiter östlich zu halten. Von dieser Konsequenz her müsste eigentlich gar keine Brenner-Nordzulaufstrecke gebaut werden."
Wie der Bund Naturschutz soll auch Georg Dudek von der Inntalgemeinschaft in den Planungsdialog der Deutschen Bahn miteingebunden werden. Eine neue Eisenbahntrasse im Inntal lehnt er vehement ab.
"Es heißt einfach: Brennerbasistunnel plus Zulauf brauchen wir! Das ist ein uraltes Geschwätz von Politikern die das also immer wiederholen, dadurch wird’s auch nicht besser. Auch wenn die Industrie und Handelskammern immer sagen: Bayern wird vom Verkehr abgehängt, wenn wir keine Schnellbahntrasse durch Bayern haben! So wie mit dem Rhein-Main-Donau Kanal. Wenn der nicht gebaut wird, verhungert Bayern. Also haben wir den Rhein-Main-Donau-Kanal dort bekommen und da fahren heute Gummiboote drauf und Bayern lebt immer noch. Und da haben wir die große Hoffnung, so ist jedenfalls der Ansatz, dass das jetzt in Ruhe eruiert wird, dass die Verkehrsströme anders laufen, nicht nur um den sinnlosen Brennerbasistunnel mit ein paar Schnellzügen noch zu füllen, sondern dass man das macht, was für die Bahn Sinn macht, nämlich einen Güterverkehr auszubauen in Richtung wo es billiger zu transportieren ist, wo es schneller machbar ist und wo die Züge verteilt werden. Das ist eigentlich das Ziel vom Planungsdialog."
Und wo könnte sie nun verlaufen die neue Zugtrasse durchs Inntal? Nach Meinung von Landrat Wolfgang Berthaler gibt es hier verschiedene Möglichkeiten.
"Wenn Sie mal schauen, das geht vom Heuberg im Osten bis zum Petersberg im Westen und es könnte auch durchaus sein, dass es im Osten vom Inn entsteht. Also da sind wir auch zuversichtlich das wir nicht alles hier schlucken müssen im Westen, sprich von Kiefersfelden bis Raubling raus."
Wo auch immer und wie auch immer – das Inntal zwischen Brannenburg und Kiefersfelden wird so schnell nicht zur Ruhe kommen. Denn die Planungen für die Zulaufstrecke zum Brennerbasistunnel werden auch künftig noch für genügend Brennstoff und Unruhe im Inntal sorgen.
"Der Landrat und die Bürgermeister wohnen in diesem Tal. Wir werden vehement kämpfen für das was für uns am günstigen ist und kein Eigentor schießen."
Trotz dieser Versprechen und Beteuerungen bleiben viele Bürger im Inntal skeptisch. Sie fürchten um die Lebensqualität im Inntal ihrer Heimat.
"Ja schee is net, der ganze Lkw-Verkehr, der Zug ols, des muss net sei. Wenn's noch mehr wird, dann isses echt störend. Wenn man draußen im Garten sitzt, muss man die Unterhaltung abbrechen, je nachdem welche Züge vorbei kommen. Die Güterzüge sind entschieden lauter."
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