Transmenschen

Das Ende der "natürlichen" Ordnung

04:38 Minuten
Ein junger Mensch im Anzug mit einer Fliege in Regenbogenfarben.
Transpersonen identifizieren sich nicht mit dem Geschlecht, das ihnen aufgrund äußerlicher Merkmale bei der Geburt zugewiesen wurde. (Symbolbild) © imago images / Arnulf Hettrich
Ein Kommentar von Andrea Geier · 13.01.2021
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Die Aufmerksamkeit für Transmenschen und geschlechtliche Vielfalt ist gewachsen. Doch betrifft das nicht nur sehr wenige? Es gehe nicht um Prozentzahlen, meint Genderforscherin Andrea Geier. Der Zustand von Demokratien zeige sich im Umgang mit Minderheiten.
Seit wann kann man den Begriff transgender in journalistischen Beiträgen verwenden und erwarten, dass er verstanden wird? Ein Meilenstein dürfte die internationale Aufmerksamkeit für die Olympiasiegerin Caitlyn Jenner gewesen sein, die 2015 bekannt gab, dass sie trans ist.
Die Berichterstattung über den Schauspieler Elliot Page im Dezember 2020 zeigte nun: Trans sein ist weniger erklärungsbedürftig als noch vor einigen Jahren, aber über Beschreibungen und Bezeichnungen gibt es noch keinen Konsens. Die einen informierten darüber, dass Elliot Page trans ist, die anderen betonten die Veränderung und erwähnten auch den alten abgelegten Vornamen.
Zutreffend wurde beschrieben, dass sich Transpersonen nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen aufgrund äußerlicher Merkmale bei der Geburt zugewiesen wurde. Manche verwendeten dafür auch den Begriff transsexuell. ‚Sexuell‘ lässt aber eher an sexuelle Orientierung denken als an Geschlechtsidentität.

Geschlecht: Eine unbestreitbare, rigide Natur?

Dass es mittlerweile eine größere Aufmerksamkeit für geschlechtliche Vielfalt gibt, ruft auch Irritationen hervor: Sind das nicht Probleme einer – wirklich kleinen – Minderheit? Für die gesellschaftspolitische Bedeutung von Themen sind aber nicht in erster Linie Prozentzahlen entscheidend. Es ist umgekehrt ein Gradmesser für die Geltung demokratischer Werte, wie eine Gesellschaft mit Minderheiten umgeht.
Transpersonen sind besonders gefährdet und sie erleben spezifische Diskriminierungen. Das wird durch Debatten mit erzeugt, in denen die Existenz dieser Personengruppe in Frage gestellt wird.
Wenn konservative bis rechte Akteur:innen Transpersonen angreifen, sie dämonisieren oder lächerlich machen, richtet sich das gegen Diversität, Pluralität und Geschlechtergerechtigkeit. Die Skandalisierung von Transidentität lässt sich als ein Rückzugsgefecht deuten: Gerade weil sich Geschlechterrollen erweitert haben, beschwören konservative Kräfte um so mehr eine vermeintlich unbestreitbare, rigide Natur.
Wer sagt, dass es zwei und nur zwei Geschlechter gebe, behauptet damit auch, dass eine solche Zuordnung bei der Geburt korrekt sei und ein Leben lang gelten müsse. Geschlechtsidentitäten sind aber vielfältiger als dieses binäre Schema, das sich auf bestimmte körperliche Merkmale stützt. Zu behaupten, dass es Menschen überhaupt nur als zwei Geschlechter gäbe, widerspricht seit Langem dem Wissen in Medizin und Biologie.

Transpersonen werden immer noch pathologisiert

Immerhin ist es seit der Einführung der dritten Geschlechtsoption für intergeschlechtliche Menschen im Personenstandsregister schwerer, die Existenz dieser Personengruppe zu leugnen. Bei Transpersonen geschieht immer noch genau das, und sie werden immer noch pathologisiert.
Allerdings besteht Hoffnung, dass sich auch hier der Verweis auf eine angebliche natürliche Ordnung allmählich abnutzen wird wie schon bei anderen Themen im weiten Feld des Gender Trouble, der Auseinandersetzung über die Geltung von Geschlechternormen.
Mit Verweisen auf vermeintliche Natur wurden auch homosexuelle Menschen diskriminiert. Homosexuellenfeindlichkeit ist zwar bis heute nicht verschwunden. Aber die Ansicht, es handele sich um eine Störung und es sei im Unterschied zu Heterosexualität ein unnatürlicher, irgendwie frei gewählter Lebensstil ist heute eben nicht mehr konsensfähig wie noch vor Jahrzehnten.

Essenzialistische Vorstellungen von Geschlecht

Kompliziert ist die öffentliche Auseinandersetzung um trans aber nicht nur, weil das Thema stellvertretend für antifeministische Zwecke benutzt wird. Transfeindliche Tendenzen begegnen auch im Streit zwischen Frauen, die sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit einsetzen.
Wenn Cis-Frauen, also Frauen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, Transfrauen absprechen, ‚richtige Frauen‘ zu sein. Dies zeigt einmal mehr, wie tief verankert essenzialistische Vorstellungen von Geschlecht sind.
Aber Menschen werden aufgrund gruppenspezifischer Zuschreibungen diskriminiert. Wer es ernst meint mit dem Kampf gegen Diskriminierungen, muss das immer möglichst konkret tun. Bündnisse, in denen Menschen nicht über ihre Geburtsurkunde definiert werden, sind ein guter und produktiver Ansatz. Nur so werden wir aus dem Konsens in unserer Gesellschaft, dass Gleichberechtigung eine wichtige Zielsetzung ist, auch tatsächlich eine gleichberechtigte Gesellschaft formen können.

Andrea Geier ist Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Genderforschung an der Universität Trier. Seit 2010 ist sie im Vorstand des Centrums für Postcolonial und Gender Studies und seit 2020 im Vorstand der Fachgesellschaft Geschlechterstudien.

Andrea Geier posiert für ein Foto.
© privat / Andrea Geier
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