Transplantationsgesetze

Warum wir nicht auf freiwillige Organspender warten können

Ein Herz-Modell aus Plastik in einer Hand
Herz-Modell in einer Hand: Niemand ist davor gefeit, auch selbst einmal auf eine Organspende angewiesen zu sein, so Shai Hoffmann. © picture alliance / Susannah V. Vergau
Von Shai Hoffmann |
Erkrankt an Herz, Niere, Leber: Manchmal ist weiterleben nur mit einer Organspende möglich. Doch hierzulande sinkt die Bereitschaft, eigene Organe zur Transplantation freizugeben. Shai Hoffmann fordert eine gesetzliche Ergänzung - aus eigenem Erleben.
Es gibt Tage, die sich ins Gedächtnis brennen. Solch ein Tag ist für mich der 24. April 2007. An diesem Tag spendete mir mein Vater eine Niere. Seitdem feiere ich zwei Mal im Jahr Geburtstag. Mit dem Geschenk seiner Niere gab mir mein Vater eine spürbar höhere Lebensqualität zurück, wofür ich ihm auf ewig dankbar sein werde.
Vor der Transplantation war mein Alltag gezeichnet von Arztbesuchen, Operationen, Untersuchungen und Symptomen der zunehmenden Vergiftung meines Körpers.
So oder so ähnlich wie mir geht es in Deutschland derzeit rund 10.000 Menschen, die auf der Warteliste für eine Organtransplantation stehen. Auf eine Niere warten Patientinnen und Patienten derzeit fünf bis zehn Jahre. Die Tendenz ist steigend, da die Spendenbereitschaft hierzulande in den letzten Jahren drastisch sank.

Zehn Spendende auf eine Million Einwohner

Im vergangenen Jahr wurden 797 Organe transplantiert. Zum Vergleich: 2011 waren es noch 50 Prozent mehr Transplantationen als heute. In Deutschland kommen circa zehn Spendende auf eine Million Einwohner, in Spanien sind es fast fünfmal so viele. Wie kommt diese Entwicklung zustande?
In Spanien gilt die Widerrufslösung. Alle sind von Geburt an Organspenderinnen und -spender und müssen sich zu Lebzeiten proaktiv gegen eine Spende aussprechen. In Deutschland gilt seit 2012 die Entscheidungslösung, welche im Transplantationsgesetz verankert ist.
Sie besagt, dass potentielle Organspendender ihre Entscheidung für oder gegen eine Spende auf Basis fundierter Informationen selbstermächtigt treffen müssen. Seit der Einführung der Entscheidungslösung investierte die Bundesregierung für Aufklärungskampagnen zwar 100 Millionen Euro, an der sinkenden Spendenbereitschaft hat das aber bisher leider nichts geändert.

Bundesregierung muss gesetzlich nachjustieren

Fest steht: Die Bundesregierung muss hier im Transplantationsgesetz dringend nachjustieren. Bisher ist gesetzlich verankert, dass die Krankenhäuser mit Intensivstationen dazu verpflichtet sind, sogenannte Transplantationsbeauftragte zu berufen.
Meist sind dies Fachärztinnen und -ärzte, denen eine wichtige Rolle bei der Meldung von potentiellen Organspendenden an die zentrale Vermittlungsstelle Eurotransplant zukommt. Sie sind auch diejenigen, die bei einem Hirntod mit den Hinterbliebenen sprechen und ihnen mit viel Fingerspitzengefühl die entscheidende Frage nach der Organentnahme stellen. Der Hirntod selbst muss von zwei unabhängigen Medizinerinnen oder Medizinern diagnostiziert werden.

Ein Blick nach Bayern lohnt sich

Im vergangenen Jahr kamen aus 700 von 1250 Entnahmekliniken keine Meldung zur Organfreigabe, obwohl diese Kliniken zur Entnahme von Organen technisch wie fachlich befähigt gewesen wären. Das müsse kein böser Wille sein, denn es könne durchaus Kliniken geben, in denen Patienten mit schweren Hirnschäden keinen Ausfall aller Hirnfunktionen entwickelten, sagt Axel Rahmel von der Deutschen Stiftung Organtransplantation. In Hinblick auf die Gesetzeslage in Bayern sieht er jedoch "Potential für noch mehr Zusammenarbeit".
Und tatsächlich: Ein Blick nach Bayern lohnt, da der Freistaat ein sinnvolles Gesetz erlassen hat. Klinikleitungen sind im Freistaat seit 2017 per Landesgesetz dazu verpflichtet, die Transplantationsbeauftragten von ihrer regulären Tätigkeit freizustellen. Dies führte im letzten Jahr zu einer Steigerung der Organspenden um 18 Prozent. Könnte das ein Modell für die gesamte Bundesrepublik sein?

Jeder könnte irgendwann auf Spende angewiesen sein

Zugegeben, auf der gesundheitspolitischen Ebene gibt es viele Baustellen, an denen dringend nachjustiert werden müsste. Vor allem blicke ich da auf die Ausbildung und Einstellung von Pflegepersonal sowie die Fachärzteversorgung in ländlichen Gebieten.
Überschüsse aus Krankenkassenbeiträgen sollten hierfür, aber eben auch für die Freistellung sowie Weiterbildung der Transplantationsbeauftragten verwendet werden. Diese sind schließlich die Vermittler zwischen aufgeklärten Bürgerinnen und Bürgern und chronisch kranken Menschen, denen zu einer neuen Lebensqualität verholfen werden kann.
Man sollte nie vergessen, dass niemand davor gefeit ist, vom potenziellen Organspendenden zur Organempfängerin oder zum Organempfänger zu werden.
Shai Hoffmann ist Social Entrepreneur, Speaker, Moderator und Dozent, Initiator vom Bus der Begegnungen und DemokratieBus. Auf seinem Facebook-Kanal interviewt er im Rahmen eines Facebook Live Formats "Auf einen Çay mit Shai" nachhaltige, soziale und inspirierende Projekte und Persönlichkeiten. Shai hat israelische Wurzeln, er lebt und arbeitet in Berlin und anderswo.

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