Trash - das ist Abfall, keine Kunst

Von Rolf Schneider · 09.09.2013
Der Kulturmarkt ist heutzutage wie jeder andere Markt. Schon längst geht es nicht mehr um das Wahre, Schöne und Gute, wie es das Bildungsbürgertum alter Prägung forderte. Verkauft wird, was sich verkaufen lässt, meint der Schriftsteller Rolf Schneider - und das ist in vielen Fällen einfach Trash.
Das englische Wort Trash bedeutet so viel wie Müll oder Abfall. Das damit bezeichnete Material gilt als minderwertig, es wird beiseite geschafft, verbrannt, kompostiert, oder es wird zerlegt, um Teile davon wiederzuverwenden.

Seit neuestem kommt der Begriff Trash in der Ästhetik vor. Hier geht es nicht um die Versuche, aus Abfällen Bildkunstobjekte zu verfertigen, was als Erster und immer noch Prominentester Josef Beuys betrieben hat und was eine Aufwertung bedeutete, bei der keinem das Wort Trash einfiel. Seit neuestem indessen bezeichnet Trash, jedenfalls im Deutschen, eine bestimmte Tendenz bei den Künsten, voran den Darstellenden.

Die Bezeichnung ist nicht übel. Trash-Filme und Trash-Belletristik wühlen lustvoll im ästhetischen Abfall. Sie verzichten auf Logik, Geschmack, Stringenz, sie provozieren mittels zusammenhangloser Hässlichkeit und unendlicher Langeweile.

Die Sache hat Tradition, nämlich in der Film-Industrie. Hollywood produzierte und produziert sogenannte B-Movies, schlecht gemachte Billigware vor allem im Horror-Genre. Sie fanden und finden ein meist etwas abseitiges Publikum und spielen üblicherweise ihr Geld wieder ein. Lange blieb dies eine isolierte Erscheinung. Inzwischen jedoch hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu ein größeres Publikum, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik.

Die frühen Filme und Aktionen von Christoph Schlingensief waren Trash. Viele Elemente des Theaters von Frank Castorf und René Pollesch sind Trash. Die Bildkunst des hoch gehandelten Jeff Koons und des schrillen Jonathan Meese ist Trash. Die Romane von Helene Hegemann und E. L. James sind Trash. Die aufwendig produzierten Spielfilme von Quentin Tarantino sind Trash.

Dass es sich bei ihnen um Spitzenprodukte des ästhetischen Weltgeistes handle, war auch in den geneigtesten Rezensionen noch nicht zu lesen. Hinzu kommt, gleichsam als heimliches Alibi, dass Begegnungen zwischen trivialer und seriöser Kunst immer wieder vorgekommen sind. Sie gehören zur Kulturgeschichte.

Um es an der Musik darzutun: Jazz und Tango entstammen dem Bordellmilieu von New Orleans und Buenos Aires, am Ende fanden sie sich in den Kompositionen von Igor Strawinsky und Kurt Weill wieder, sie wurden durch Kunstwillen geadelt, sozusagen.

Bei Trash verläuft es genau umgekehrt. Deutsche Theaterregisseure benutzen die Stücke deutscher oder ausländischer Klassiker, um nacktes Fleisch, verwackelte Videobilder, Hard-Rock-Musik und Kartoffelsalat auf die Bühne zu bringen.

Tarantino nutzt die Nazi-Diktatur und die US-Südstaatensklaverei, um seine Clip-Ästhetik der auftrumpfenden Brutalität und des reichlich spritzenden Blutes vorzuführen. Wenn Teile des Publikums dabei den Saal verlassen, gilt dies als Ausweis revolutionärer Ästhetik.

Man kann das alles hinnehmen. Man muss es vermutlich hinnehmen, da es nun einmal stattfindet und auf einen willigen Markt trifft, der entweder ein freier ist oder, häufiger, staatlich alimentiert.

Die Negativfolgen seien nicht unterschlagen. Das Publikum, das sich dem aussetzt, verliert den Sinn für erzählerische Zusammenhänge, es verliert den Sinn für Historie, es erlebt Kunst als Beliebigkeit, als kurzatmiges Event, was weder der Kunst noch dem Publikum auf die Dauer gut tun kann. Trash ist nicht, wie behauptet, die demokratische Verschmelzung von E- und U-Kultur, es ist eine Kapitulation der E-Kultur und deren potentieller Ruin.

Den hätte ich nicht so gern. Vermutlich bin ich mit meiner Haltung nicht allein. Vielleicht hilft Verweigerung: ein wenig. Vielleicht besteht die Hoffnung, dass, so wie andere Moden, auch diese Mode, und zwar ohne bleibende Schäden zu stiften, irgendwann verschwindet.

Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller.
Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte.
Veröffentlichungen u.a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Seine politischen und künstlerischen Lebenserinnerungen fasst er in dem Buch "Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland" (2013) zusammen.
Schneider, Rolf
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