Trauer um Alt-Bundespräsident Weizsäcker

    "Er stand für eine Bundesrepublik, die sich ihrer Vergangenheit stellt"

    Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl, im Hintergrund mehrere Menschen und das Vordach der Kunst- und Ausstellungshalle.
    Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl bei der Eröffnung der Kunst- und Ausstellungshalle 1992 in Bonn. Zuvor hatte von Weizsäcker heftige Kritik am Parteienstaat geübt. © dpa / Martin Gerten
    Deutschland hat einen großen Staatsmann verloren: Nach seinem Tod würdigen Wegbegleiter von Richard von Weizsäcker sein politisches und gesellschaftliches Wirken. Besonders seine letzte Rede von 1985 hat dafür große Bedeutung - sie wirke bis heute nach.
    "Die Nachricht erfüllt mich mit tiefer Trauer. Wir verlieren einen großartigen Menschen und ein herausragendes Staatsoberhaupt", schrieb Bundespräsident Joachim Gauck in einem Kondolenzschreiben an die Witwe Marianne Freifrau von Weizsäcker. Gauck würdigte seinen Vorgänger als einen Zeugen des Jahrhunderts. Aus der Erfahrung von Krieg und Gewaltherrschaft heraus habe er sich für ein friedliches und vereintes Europa eingesetzt. "Er stand für eine Bundesrepublik, die sich ihrer Vergangenheit stellt", erklärte Gauck.
    Richard Freiherr von Weizsäcker wurde am 15. April 1920 in Stuttgart als viertes Kind in eine evangelische Gelehrten-, Theologen- und Juristenfamilie geboren, 1954 trat er der CDU bei, 1969 zog der für die Partei in den Bundestag ein. 1981 wurde er Regierender Bürgermeister von Berlin, als die Stadt noch geteilt war.
    Einzigartige, breite Vertrauensbasis
    1984 wurde von Weizsäcker als Nachfolger von Karl Carstens zum sechsten deutschen Bundespräsidenten gewählt. Keiner seiner Vorgänger verfügte bei der Wahl über eine derart breite Vertrauensbasis - auch zahlreiche Delegierte von SPD und FDP hatten für ihn gestimmt. Nach der Wiederwahl 1989 schied er fünf Jahre später aus dem Amt aus.
    Bei seinem Amtsantritt hatte er versprochen, Präsident aller Bürger sein zu wollen. Als ein wichtiger Markstein seiner Amtszeit gilt die Rede vom 8. Mai 1985 zum 40. Jahrestag des Kriegsendes, in der er sich ohne Beschönigung mit den deutschen Verbrechen der Nazi-Zeit auseinandersetzte. Von Weizsäcker, der selbst von 1938 bis 1949 Militär- und Kriegsdienst leistete, bezeichnete den Tag des Kriegsendes und den Zusammenbruch des Nazi-Regimes als "Tag der Befreiung".
    Parteiübergreifende Anteilnahme
    SPD-Chef Sigmar Gabriel erinnerte heute an die Rede. Sie werde "für immer als Zäsur in den Geschichtsbüchern" stehen und habe "das Geschichtsverständnis der Deutschen nachhaltig beeinflusst", erklärte Gabriel im Namen der SPD-Parteiführung. Für die CDU würdigte Generalsekretär Peter Tauber den Verstorbenen als "Staatsmann ersten Ranges". Das Wort des Alt-Bundespräsidenten habe bis zuletzt "großes Gewicht in der deutschen Öffentlichkeit" gehabt.
    Linksfraktionschef Gregor Gysi erklärte, Weizsäcker sei der erste Bundespräsident gewesen, "der die bedingungslose Kapitulation des Hitlerregimes nicht nur für andere Völker, sondern auch für das deutsche Volk begriff und dies öffentlich erklärte". Gysi erinnerte zugleich an Weizsäckers Verdienste um die deutsch-deutsche Annäherung und die "Aussöhnung mit Osteuropa". Die Grünen-Vorsitzenden Simone Peter und Cem Özdemir erklärten, mit Weizsäcker verliere Deutschland "den Bundespräsidenten der deutschen Einheit und einen engagierten Kämpfer für demokratische und freiheitliche Rechte".
    Seine letzte Rede als Staatsoberhaupt nutzte von Weizsäcker 1994, um Ausländerhass und Rechtsextremismus zu verurteilen.
    Hören Sie hier zum Tod von Richard von Weizsäcker auch ein Gespräch mit dem Publizist Gunter Hofmann.
    (tsg/vic)