Ein Mann mit Weit- und Weltsicht
Helmut Schmidt ist tot. Nach Angaben seines Arztes starb der 96-Jährige am Dienstagnachmittag in seiner Heimatstadt Hamburg. Schmidt war von 1974 bis 1982 Bundeskanzler. Nicht nur die SPD trauert. Bundespräsident Gauck würdigte Schmidt als großen Staatsmann.
Mit seiner hanseatischen Gelassenheit, aber auch mit seiner Weit- und Weltsicht galt Helmut Schmidt als Paradebeispiel des "elder statesman". Am Dienstag ist der in Hamburg geborene SPD-Politiker im Alter von 96 Jahren in seiner Heimatstadt gestorben.
Ein Gespräch mit Peter Lange, dem Chefredakteur von Deutschlandradio Kultur, zum Tod von Helmut Schmidt, hören Sie hier:
Gauck würdigt Schmidt als "Mann der Tat" und "des offenen Wortes"
Bundespräsident Joachim Gauck hat der Familie des Altkanzlers sein Beileid ausgesprochen. "Wir trauern um einen der bedeutendsten deutschen Politiker der Nachkriegszeit", heißt es in einem Schreiben an Schmidts Tochter Susanne Kennedy-Schmidt. Helmut Schmidt sei ein "leidenschaftlich vernünftiger Denker" gewesen, der mit seiner Vorstellung von Politik als "pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken" auch nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik als Verleger und Publizist ein aufmerksamer politischer Beobachter geblieben sei.
Mit seinen Tugenden werde er auch künftigen Politikergenerationen ein bleibendes Vorbild sein, schreibt Gauck. Dazu zählte er "Unabhängigkeit des Geistes, Mut und Pflichtbewusstsein" auf. "Helmut Schmidt wird uns allen als ein Mensch in Erinnerung bleiben, der in seltener Einheit ein Mann der Tat, des klaren Gedankens und des offenen Wortes war", heißt es in dem Kondolenzschreiben. "Mit großer Verehrung werden wir sein Andenken bewahren."
Gedenkminute bei der SPD-Fraktionssitzung in Berlin
Auch bei der SPD in Berlin wurde die Nachricht vom Tod Helmut Schmidts mit großer Betroffenheit aufgenommen. Wie Mitglieder der Bundestagsfraktion berichten, erhoben sich die Abgeordneten spontan zu einer Gedenkminute.
SPD-Chef Sigmar Gabriel würdigte Schmidt als einen der "bedeutendsten Staatsmänner Deutschlands". Seine Mahnungen, Europa zusammenzuhalten, die deutsch-französische Freundschaft zu pflegen und Deutschlands Führungsrolle in Europa nicht zu überfordern, seien sehr wichtig, sagte Gabriel am Rande der Fraktionssitzung. "Ich glaube, dass sein Vermächtnis Europa ist." Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, sagte, Schmidts Tod markiere "eine Zäsur für Deutschland und Europa".
Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) würdigte Schmidt als großen Staatsmann: "Das jetzt ist eine Stunde, in der Deutschland innehält", sagte Steinmeier. "Er hat nicht nur meine Generation geprägt, sondern viele bis heute haben seine Klugheit, seine Autorität geschätzt und gesucht."
In einem Gespräch mit Deutschlandradio Kultur äußerte sich auch Klaus von Dohnanyi zum Tod von Helmut Schmidt. Der SPD-Politiker stammt wie Schmidt aus Hamburg und war von 1981 bis 1988 Erster Bürgermeister der Hansestadt. Das Interview mit von Dohnanyi hören sie hier:
Genscher: "Deutschland ist ärmer geworden"
Tief betroffen äußerte sich der frühere FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher. "Wir wissen, Deutschland ist ärmer geworden, und wir empfinden, er wird uns fehlen", erklärte Genscher. Für ihn persönlich sei der Tod Schmidts "der Abschied von einem Weggefährten in schwerer Zeit".
Birgit Kolkmann befragTe Genscher für unsere Sendung "Studio 9 kompakt" am Dienstagabend. Hören Sie hier den ersten Teil des Interviews:
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte Schmidt eine "politische Institution der Bundesrepublik". Sie könne sich noch gut erinnern, wie sie als junges Mädchen mit ihren Eltern in der DDR den Kampf des damaligen Innensenators gegen die Sturmflut in Hamburg mitverfolgt habe.
Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder sagte: "Wir verneigen uns vor einem großen Staatsmann. Helmut Schmidt war der letzte Bundeskanzler, der den Zweiten Weltkrieg als Soldat mit erlebt hat. Diese Erfahrung war für ihn die Motivation, unserem Land zu dienen. Als Kanzler führte er Deutschland durch schwere Jahre, die von Wirtschaftskrisen, Terrorismus und Aufrüstung der Sowjetunion geprägt waren. Helmut Schmidt hat sich um Deutschland verdient gemacht."
Ein Hanseat - nicht nur von Geburt
Schmidt nannte sich selbst einen Hanseaten, "von Geburt und aus Gesinnung". Am 23. Dezember 1918 wurde in Hamburg-Barmbek geboren. Er besuchte die reformpädagogische Lichtwark-Schule, wo er 1929 seine spätere Frau, Hannelore "Loki" Glaser kennenlernte. Seine Eltern bat er in der NS-Zeit, in die Hitlerjugend eintreten zu dürfen, was diese aber verboten. Die Mutter sagte: "Weil Du einen jüdischen Großvater hast." Mit Blick auf seine spätere Zeit als Wehrmachtssoldat betonte Schmidt später: "Ich war weiß Gott kein Nazi."
1942 heiratet Schmidt seine "Loki". Nach kurzer Kriegsgefangenschaft studiert er Volkswirtschaft und Staatswissenschaft. 1946 tritt er der SPD bei, Tochter Susanne wird 1947 geboren. Im Jahr 1953 wird Schmidt dann in den Bundestag gewählt. Bis zum Schluss bezeichnet er die SPD als seinen "Verein", trotz immer wieder auftretender Irritationen und Meinungsverschiedenheiten.
Die Sturmflut in Hamburg als erste Bewährungsprobe
Seinen Ruf als einer der einflussreichsten Politiker seiner Zeit hatte sich Helmut Schmidt schon früh erarbeitet. 1979, mitten im Kalten Krieg, hatte ihn der britische "Economist" als den einzigen Regierungschef auf westlicher Seite mit "klarem Verstand" bezeichnet.
Bundesweite Bekanntheit erlangte der damalige Hamburger Innensenator spätestens durch die Sturmflut 1962. Angesichts von 20.000 vom Hochwasser eingeschlossenen Menschen forderte der SPD-Politiker Bundeswehr und NATO an, um auch mit Soldaten und Hubschraubern für schnelle Hilfe zu sorgen. Dass er verfassungsrechtlich dazu gar nicht befugt war, störte den späteren Bundeskanzler wenig. Sein entschlossenes, unorthodoxes Handeln in einer Notlage bescherte ihm breite Anerkennung.
Auch für sein rhetorisches Talent wurde Schmidt gelobt. Dabei konnte er gegenüber politischen Gegenern zuweilen auch ziemlich pampig werden - was ihm den Spitznamen "Schmidt Schnauze" einbrachte.
Krisenmanager in Zeiten des Terrors
1955 zog Schmidt erstmals in den Bundestag ein. 1961 kehrte er in den Senat seiner Heimatstadt zurück. Ab Mitte der 1960er-Jahre richtete er sich dauerhaft in der Bundespolitik in Bonn ein. Nach dem Rücktritt Willy Brandts 1974 wurde Schmidt fünfter Kanzler der Bundesrepublik und leitet die Geschicke des Landes vom Frühsommer 1974 bis zum Herbst 1982.
Seine Regierungszeit war vor allem geprägt von der Rüstungsdebatte um den Nato-Doppelbeschluss und den "Deutschen Herbst" 1977. Damals sah sich Schmidt durch die Terror-Organisation "Rote Armee-Fraktion" (RAF) vor bittere Entscheidungen gestellt. Da sich der Kanzler nicht auf die Freipressung inhaftierter Terroristen einließ, nehm er den Tod des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer in Kauf. Noch Jahrzehnte später sagte Schmidt, er fühle sich verstrickt in Schuld.
Im September 1982 scherte die FDP aus der Regierungskoalition aus; Nach einem erfolgreich verlaufenen konstruktiven Misstrauensvotum löst Helmut Kohl (CDU) den Hanseaten als Bundeskanzler ab.
Mitherausgeber der "Zeit" und hochgeschätzter Gesprächspartner
Nach der Wende von der sozial- zur christlich-liberalen Koalition begann Schmidt damit, sich nach und nach aus der Tagespolitik zurückzuziehen. Nach 33 Jahren gab er im Jahr 1987 auch sein Bundestagsmandat auf. Unbelastet von Ämtern, mischte sich der Mitherausgeber der "Zeit" aber immer wieder auch ins aktuelle Geschehen ein und war ein hoch geschätzter Gesprächspartner. Zunehmend machten dem leidenschaftlichen Raucher aber auch körperliche Probleme zu schaffen. So war in den vergangenen Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen und lit unter Schwerhörigkeit.
Die Millionen, die er mit Vorträgen und Bucheinnahmen verdient hat, flossen zum größten Teil nicht auf sein privates Konto, sondern an die Helmut- und Loki-Schmidt-Stiftung.
Ein Leben an der Seite von Loki
Bis zu ihrem Tod im Oktober 2010 war Schmidt 68 Jahre lang verheiratet - und schätzte an seiner Frau Hannelore vor allem ihre Menschenkenntnis, Warmherzigkeit und "absolute Zuverlässigkeit". Als "Loki" starb, sei er "völlig zerstört" gewesen, sagte Schmidt. Eine Krise hat es in ihrer langen Beziehung allerdings auch gegeben: eine Affäre Ende der 60er Jahre, die Schmidt erst ein halbes Jahrhundert später öffentlich machte.
Lokis Sicht auf die letzten Dinge hat sich ihr Ehemann zu eigen gemacht: Mit dem ewigen Leben hatte die Naturschützerin nichts anfangen können, allerdings war sie überzeugt davon, dass durch den Tod kein Atom und kein Molekül verloren geht. Der Altkanzler sah es wohl ähnlich, bekannte aber auch, dass ihm das Älterwerden zunehmend schwerer falle. In einem Gespräch mit Sandra Maischberger sagte er: "Ich finde es ziemlich lästig, aber ich habe auch nichts dagegen." - "Wollen Sie 100 Jahre alt werden?" - "Nein, will ich nicht." - "Aber verhindern können Sie es auch nicht." - "Will ich auch nicht, nein."
Auch, was einmal auf seinem Grabstein stehen sollte, hat Helmut Schmidt vor vielen Jahren schon einmal formuliert: "Das war einer, der hat versucht, seine Pflicht anständig zu tun."