Trauern um eine Kunstfigur
Der Tod des Pop-Stars Michael Jackson bewegt Menschen weltweit - und das, obwohl ihr Idol eigentlich nur eine Kunstfigur war, meint die Kulturwissenschaftlerin Christine Mielke. Erfolge und auch Rückschläge von Stars begleiten uns jahrelang. "Dadurch haben wir auch das Gefühl, wir kennen diese Person", so Mielke. Zudem möchte man an einem kollektiven Erlebnis teilhaben und könne "Emotionen zeigen ohne großen Einsatz".
Dieter Kassel: Wer einen Fernseher, einen Internetzugang oder wenigstens ein Radio hat, der kann heute Abend um 19 Uhr überall auf der Welt dabei sein, wenn die Trauerfeierlichkeiten für Michael Jackson stattfinden. Aber echten Fans ist das natürlich nicht gut genug. Die haben versucht, noch einen der letzten Flüge nach Los Angeles zu ergattern, um - notfalls auch ohne Eintrittskarte - live vor Ort dabei zu sein. (…) Christine Mielke wird sich das ganze im Fernsehen anschauen, daheim in Karlsruhe. Sie ist Kulturwissenschaftlerin an der Universität in Karlsruhe und hat sich beruflich schon mit dem Phänomen Massentrauer - wenn Stars sterben - beschäftigt. Schönen guten Morgen, Frau Mielke!
Christine Mielke: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Geht denn das wirklich - kann man wirklich Trauer empfinden für einen Menschen, den man persönlich überhaupt nicht kennt?
Mielke: Ja, das ist prinzipiell möglich. Das wird wissenschaftlich "parasoziale Kontakte" genannt. Wir haben das gleiche Phänomen auch bei fiktionalen Inhalten, also bei Filmen, Spielfilmen, Fernsehserien. Es ist eine Trauer, die psychologisch erst mal als Fehlbesetzung bezeichnet werden könnte, aber auf der anderen Seite trotzdem mit echten Emotionen verbunden ist und vor allem dann entsteht, wenn Prominente, also Stars, wechselvolle Karrieren, sehr lange, wechselvolle Karrieren hatten, bei denen ein hohes Identifikationspotenzial auch vorhanden ist, bei denen tatsächlich mitgelebt und -gelitten werden konnte. Dann kann so eine Art von Trauer auch entstehen.
Kassel: Nun ist ja die Figur Michael Jackson, die wir kennen – mehr oder weniger gut, je nachdem, wie viel wir uns auch mit ihm beschäftigt haben –, tatsächlich eine Figur, eine Medienfigur. Er ist ja vielleicht auch daran zerbrochen, dass es einen großen Unterschied zwischen dem Menschen gab und dem, was er dargestellt hat. Das heißt: Wir trauern um einen Menschen, der gar nicht echt ist, aber unsere Trauer ist trotzdem echt?
Mielke: Ja. Die Figur ist eine Kunstfigur, da stimme ich Ihnen völlig zu. Es ist eine medial erzeugte Figur, die Lebensgeschichte wurde narrativ verdichtet, also in eine Geschichte gepresst, die ganze Biografie ist von dem, was wir erfahren, rein medial erzeugt. Wer diese reale Person ist, das wissen wir bei Michael Jackson nicht, das wussten wir auch bei Lady Diana nicht, ein weiteres Beispiel wäre Papst Johannes Paul II., bei dem wir ja ein ähnliches Phänomen hatten. Diese Trauer ist dadurch, dass wir diese Person über so lange Zeit begleitet haben und sie, im medienwissenschaftlichen Kontext sagt man, zu unseren Medienbiografien gehören. Kunst und Biografie wurde hier deckungsgleich, und dadurch haben wir auch das Gefühl, wir kennen diese Person. Die Trauer ist dann auch tatsächlich echt, auch wenn das Kunstfiguren sind, wie Sie gesagt haben.
Kassel: Damit haben Sie die Rolle der Medien angesprochen. Es gibt eine aktuelle Umfrage aus den USA, zwei Zahlen will ich nennen, die erste ist nicht so erstaunlich, die zweite aber im direkten Vergleich dann schon. 65 Prozent der Menschen in den USA haben gesagt gestern, dass sie eigentlich finden, es wird viel zu viel berichtet über Michael Jackson und sie können es nicht mehr sehen. Gleichzeitig sagen aber 80 Prozent, sie schauen es sich aber an. Was auch immer läuft, sie gucken das. Da stellt sich für mich die Frage: Reagieren die Medien da auf ein Bedürfnis, oder erzeugen sie das Bedürfnis durch diese massive Berichterstattung erst?
Mielke: Ja, das ist ein Kreislauf, der da in Gang gesetzt wurde, aus dem dann selbst nicht Interessierte nicht mehr rauskommen. Es besteht ein Interesse erst mal bei der Nachricht vom Tod Michael Jacksons, dieses Interesse wird von den Medien dann natürlich auch aufgegriffen, es findet eine Berichterstattung statt. Je extensiver diese Berichterstattung dann wird, desto größer wird auch das Interesse, und irgendwann tritt der Fall ein, dass Massenmedien genau ihre Funktion erfüllen, und zwar, dass sie gar nicht über die Inhalte, sondern dadurch, dass sie berichten, eine Gemeinschaft erzeugen sollen.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit der Kulturwissenschaftlerin Christine Mielke über Michael Jackson und das Phänomen, dass so viele Menschen, die ihn natürlich nicht persönlich gekannt haben, nun plötzlich echte Trauer empfinden, teilhaben an dem, was da passiert, das haben Sie gerade gesagt, Frau Mielke. Das ist ein interessantes Phänomen: Im Fernsehen, im Internet kann ja jeder aufwandsfrei die Trauerfeierlichkeiten sich anschauen und das ist für ganz viele Menschen aber nicht ausreichend. Die Polizei in Los Angeles ist sehr beunruhigt, dass da die vielen, vielen, die keine Karten gekriegt haben, um das Ganze live im Staples Center oder im Nokia Theatre anzugucken, dass sie die ganze Stadt verstopfen werden trotz Verbotes. Warum ist das denn für die Menschen nicht genug, allein zu Hause vor dem Fernseher zu trauern? Warum müssen die da auch noch sein, vor Ort?
Mielke: Das ist im Prinzip die zweite Stufe. Zum einen möchte man teilhaben an dieser kollektiven Gemeinschaft, die massenmedial, also elektronisch vor allem erzeugt wird – Fernsehen, Internet –, zum anderen kommt dann aber auch oft das Bedürfnis, gerade wenn es möglich ist, teilzunehmen bei einer Person, die Teil dieser Medienbiografie war, dann auch Teil einer realen Massengemeinschaft zu sein. Das ist ja ein ganz altes Phänomen, solche Massenphänomene, dass in der Gruppe auch der Einzelne sich verlieren kann, Teil eben so einer Trauergemeinschaft wird.
Kassel: Das heißt, die Berühmtheit von in diesem Fall Michael Jackson färbt ein bisschen ab, man ist ein winziger Teil des Events?
Mielke: Ja, das auch. Und es ist zum anderen dann aber auch eine Möglichkeit, Emotionen zu zeigen ohne großen Einsatz dafür. Es ist ja nichts passiert, was jetzt tatsächlich individuell in die Lebensgeschichte der Trauernden weltweit eingreift. Es ist praktisch nur so eine Emotion mit angezogener Handbremse.
Kassel: Gehen wir mal noch ein bisschen zurück in die Geschichte, Frau Mielke, gar nicht so weit, aber doch weiter als nur zu Prinzessin Diana. Gehen wir zu Elvis Presley, 1977. Ich habe das mal nachgeschlagen: Damals kam die Meldung des Todes des ja doch auch Superstars in den amerikanischen Hauptfernsehnachrichten – zum Beispiel beim Sender CBS – nicht als erste Meldung, das wurde hinterher, nebenher so erwähnt. Die Feierlichkeiten hatten ihre Zuschauer, aber auch nicht so viele. Auf der anderen Seite: Damals waren ja Staatsbegräbnisse ein großes Thema, 2,5 Milliarden Leute haben sich das nicht angeguckt, aber viel mehr, und diese Inszenierung von Trauer und von Sterben kennen wir ja auch eher aus nicht demokratischen Staaten, wo dann der allmächtige Herrscher, wenn er tot ist, aufgebahrt wird und die Leute schreiten an ihm vorbei, ob nun freiwillig oder nicht. Was ist das für eine Entwicklung, weg sozusagen vom Staatschef, hin zum Popsänger?
Mielke: Das ist eine Entwicklung, die wird zwar oft kritisch gesehen, also dass hier um Kunstprodukte getrauert wird, dass es auch eine Entpolitisierung darstellt. Aber ich persönlich sehe es auch wissenschaftlich als eigentlich eine große Chance an, dass eben nicht mehr diese rituelle Staatstrauer, die ja auch mit so einem Nationalgedanken verbunden war, stattfindet oder auch inszeniert wird oder dass sie weniger wird zumindest, sondern dass diese Art von Trauer auch ein Zeichen ist für pazifizierte Gesellschaften und auch für global geeinte Gesellschaften, dass es auch etwas ist, was nicht mehr funktionalisiert werden kann im Sinne von einem Nationalgedanken, also dass über eine Staatstrauer nationale Gemeinschaften hergestellt werden sollen.
Kassel: Es funktioniert ja nicht, so eine Art von Trauer hervorzurufen, nur weil man berühmt ist und gestorben ist. Man braucht ja bestimmte Persönlichkeiten dazu. Sie haben das ein bisschen ja auch schon angedeutet in unserem Gespräch. Ich erinnere mich mal, ein paar Tage erst her, an die kleine Trauerfeierlichkeit in New York, die es schon gegeben hat für Michael Jackson, wo vor allen Dingen, man hat es gesehen, Leute ganz verschiedenen Alters zu sehen waren, die da auf der Straße plötzlich innehielten, auch Leute, also wirklich vom sehr einfachen Menschen bis zu Menschen – man traut sich das heute nicht mehr zu sagen –, die aussahen wie Banker. Was ist das denn, das Besondere an einem Menschen wie Michael Jackson, dass er offenbar nicht nur über Ländergrenzen hinweg, sondern auch über soziale und Generationsgrenzen hinweg alle Menschen plötzlich jetzt so fasziniert?
Mielke: Es sind drei Kriterien, die zusammenkommen müssen und die eigentlich –auch wenn es uns manchmal nicht so vorkommt – dann doch sehr selten sind, Elvis Presley haben Sie ja angesprochen, Lady Diana. Und es ist eben diese schon erwähnte sehr, sehr lange Karriere, er hat sie ja als Kind schon begonnen, sehr wechselvoll, immer wieder von Aufs und Abs geprägt, nicht nur erfolgreiche Karriere, also wirklich auch Rückschläge, bei denen man Anteil nehmen konnte. Und es ist dann aber auch die Kombination, die da hinzukommen muss: Es sind unglaublich einprägsame Bilder entstanden von Michael Jackson. Das ist heutzutage sehr, sehr wichtig, jemand, bei dem es nicht solche Bilder gäbe – sei es jetzt über seine Videos, die wir kennen, über die zahlreichen Fotos, kleine Filme, die wir im Fernsehen gezeigt bekommen haben, wie Michael Jackson sich verändert hat, wie diese Leidensgeschichte auch wirklich visuell aufbereitet wurde –, es sind diese Bilder, die uns auf einer sehr instinktiven Ebene dann auch ansprechen.
Kassel: Wenn Sie sich die Trauerfeierlichkeiten ansehen – und ich denke, Sie werden das tun, weil es ja ein Teil Ihres Berufes ist, solche Phänomene zu beobachten, da muss man auch dabei sein, gerade wenn es so einfach ist wie heute, einfach im Fernseher… Wir haben diese Ausrede: Ich gucke das ja allein schon beruflich. Was glauben Sie denn, heute Abend, werden Sie auch emotional berührt werden?
Mielke: Ich denke schon, ja. Auch bei mir ist es eben der Fall, Michael Jackson war auch Teil meiner Medienbiografie, auch wenn es jetzt nie direkt mein Musikgeschmack war. Aber man lebt auch so ein Stück selber seine Erinnerungen noch mal nach und es ist ein bisschen so, als ob jemand stirbt, den man kennt, wie gesagt, aber auch ein Stückchen der eigenen Biografie ist dadurch abgehakt, abgeschlossen. So wie ich als Fünfjährige die Hochzeit von Lady Di gesehen habe, so muss ich mir jetzt im Prinzip auch die Beerdigung von Michael Jackson anschauen. Das gehört dazu.
Christine Mielke: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Geht denn das wirklich - kann man wirklich Trauer empfinden für einen Menschen, den man persönlich überhaupt nicht kennt?
Mielke: Ja, das ist prinzipiell möglich. Das wird wissenschaftlich "parasoziale Kontakte" genannt. Wir haben das gleiche Phänomen auch bei fiktionalen Inhalten, also bei Filmen, Spielfilmen, Fernsehserien. Es ist eine Trauer, die psychologisch erst mal als Fehlbesetzung bezeichnet werden könnte, aber auf der anderen Seite trotzdem mit echten Emotionen verbunden ist und vor allem dann entsteht, wenn Prominente, also Stars, wechselvolle Karrieren, sehr lange, wechselvolle Karrieren hatten, bei denen ein hohes Identifikationspotenzial auch vorhanden ist, bei denen tatsächlich mitgelebt und -gelitten werden konnte. Dann kann so eine Art von Trauer auch entstehen.
Kassel: Nun ist ja die Figur Michael Jackson, die wir kennen – mehr oder weniger gut, je nachdem, wie viel wir uns auch mit ihm beschäftigt haben –, tatsächlich eine Figur, eine Medienfigur. Er ist ja vielleicht auch daran zerbrochen, dass es einen großen Unterschied zwischen dem Menschen gab und dem, was er dargestellt hat. Das heißt: Wir trauern um einen Menschen, der gar nicht echt ist, aber unsere Trauer ist trotzdem echt?
Mielke: Ja. Die Figur ist eine Kunstfigur, da stimme ich Ihnen völlig zu. Es ist eine medial erzeugte Figur, die Lebensgeschichte wurde narrativ verdichtet, also in eine Geschichte gepresst, die ganze Biografie ist von dem, was wir erfahren, rein medial erzeugt. Wer diese reale Person ist, das wissen wir bei Michael Jackson nicht, das wussten wir auch bei Lady Diana nicht, ein weiteres Beispiel wäre Papst Johannes Paul II., bei dem wir ja ein ähnliches Phänomen hatten. Diese Trauer ist dadurch, dass wir diese Person über so lange Zeit begleitet haben und sie, im medienwissenschaftlichen Kontext sagt man, zu unseren Medienbiografien gehören. Kunst und Biografie wurde hier deckungsgleich, und dadurch haben wir auch das Gefühl, wir kennen diese Person. Die Trauer ist dann auch tatsächlich echt, auch wenn das Kunstfiguren sind, wie Sie gesagt haben.
Kassel: Damit haben Sie die Rolle der Medien angesprochen. Es gibt eine aktuelle Umfrage aus den USA, zwei Zahlen will ich nennen, die erste ist nicht so erstaunlich, die zweite aber im direkten Vergleich dann schon. 65 Prozent der Menschen in den USA haben gesagt gestern, dass sie eigentlich finden, es wird viel zu viel berichtet über Michael Jackson und sie können es nicht mehr sehen. Gleichzeitig sagen aber 80 Prozent, sie schauen es sich aber an. Was auch immer läuft, sie gucken das. Da stellt sich für mich die Frage: Reagieren die Medien da auf ein Bedürfnis, oder erzeugen sie das Bedürfnis durch diese massive Berichterstattung erst?
Mielke: Ja, das ist ein Kreislauf, der da in Gang gesetzt wurde, aus dem dann selbst nicht Interessierte nicht mehr rauskommen. Es besteht ein Interesse erst mal bei der Nachricht vom Tod Michael Jacksons, dieses Interesse wird von den Medien dann natürlich auch aufgegriffen, es findet eine Berichterstattung statt. Je extensiver diese Berichterstattung dann wird, desto größer wird auch das Interesse, und irgendwann tritt der Fall ein, dass Massenmedien genau ihre Funktion erfüllen, und zwar, dass sie gar nicht über die Inhalte, sondern dadurch, dass sie berichten, eine Gemeinschaft erzeugen sollen.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit der Kulturwissenschaftlerin Christine Mielke über Michael Jackson und das Phänomen, dass so viele Menschen, die ihn natürlich nicht persönlich gekannt haben, nun plötzlich echte Trauer empfinden, teilhaben an dem, was da passiert, das haben Sie gerade gesagt, Frau Mielke. Das ist ein interessantes Phänomen: Im Fernsehen, im Internet kann ja jeder aufwandsfrei die Trauerfeierlichkeiten sich anschauen und das ist für ganz viele Menschen aber nicht ausreichend. Die Polizei in Los Angeles ist sehr beunruhigt, dass da die vielen, vielen, die keine Karten gekriegt haben, um das Ganze live im Staples Center oder im Nokia Theatre anzugucken, dass sie die ganze Stadt verstopfen werden trotz Verbotes. Warum ist das denn für die Menschen nicht genug, allein zu Hause vor dem Fernseher zu trauern? Warum müssen die da auch noch sein, vor Ort?
Mielke: Das ist im Prinzip die zweite Stufe. Zum einen möchte man teilhaben an dieser kollektiven Gemeinschaft, die massenmedial, also elektronisch vor allem erzeugt wird – Fernsehen, Internet –, zum anderen kommt dann aber auch oft das Bedürfnis, gerade wenn es möglich ist, teilzunehmen bei einer Person, die Teil dieser Medienbiografie war, dann auch Teil einer realen Massengemeinschaft zu sein. Das ist ja ein ganz altes Phänomen, solche Massenphänomene, dass in der Gruppe auch der Einzelne sich verlieren kann, Teil eben so einer Trauergemeinschaft wird.
Kassel: Das heißt, die Berühmtheit von in diesem Fall Michael Jackson färbt ein bisschen ab, man ist ein winziger Teil des Events?
Mielke: Ja, das auch. Und es ist zum anderen dann aber auch eine Möglichkeit, Emotionen zu zeigen ohne großen Einsatz dafür. Es ist ja nichts passiert, was jetzt tatsächlich individuell in die Lebensgeschichte der Trauernden weltweit eingreift. Es ist praktisch nur so eine Emotion mit angezogener Handbremse.
Kassel: Gehen wir mal noch ein bisschen zurück in die Geschichte, Frau Mielke, gar nicht so weit, aber doch weiter als nur zu Prinzessin Diana. Gehen wir zu Elvis Presley, 1977. Ich habe das mal nachgeschlagen: Damals kam die Meldung des Todes des ja doch auch Superstars in den amerikanischen Hauptfernsehnachrichten – zum Beispiel beim Sender CBS – nicht als erste Meldung, das wurde hinterher, nebenher so erwähnt. Die Feierlichkeiten hatten ihre Zuschauer, aber auch nicht so viele. Auf der anderen Seite: Damals waren ja Staatsbegräbnisse ein großes Thema, 2,5 Milliarden Leute haben sich das nicht angeguckt, aber viel mehr, und diese Inszenierung von Trauer und von Sterben kennen wir ja auch eher aus nicht demokratischen Staaten, wo dann der allmächtige Herrscher, wenn er tot ist, aufgebahrt wird und die Leute schreiten an ihm vorbei, ob nun freiwillig oder nicht. Was ist das für eine Entwicklung, weg sozusagen vom Staatschef, hin zum Popsänger?
Mielke: Das ist eine Entwicklung, die wird zwar oft kritisch gesehen, also dass hier um Kunstprodukte getrauert wird, dass es auch eine Entpolitisierung darstellt. Aber ich persönlich sehe es auch wissenschaftlich als eigentlich eine große Chance an, dass eben nicht mehr diese rituelle Staatstrauer, die ja auch mit so einem Nationalgedanken verbunden war, stattfindet oder auch inszeniert wird oder dass sie weniger wird zumindest, sondern dass diese Art von Trauer auch ein Zeichen ist für pazifizierte Gesellschaften und auch für global geeinte Gesellschaften, dass es auch etwas ist, was nicht mehr funktionalisiert werden kann im Sinne von einem Nationalgedanken, also dass über eine Staatstrauer nationale Gemeinschaften hergestellt werden sollen.
Kassel: Es funktioniert ja nicht, so eine Art von Trauer hervorzurufen, nur weil man berühmt ist und gestorben ist. Man braucht ja bestimmte Persönlichkeiten dazu. Sie haben das ein bisschen ja auch schon angedeutet in unserem Gespräch. Ich erinnere mich mal, ein paar Tage erst her, an die kleine Trauerfeierlichkeit in New York, die es schon gegeben hat für Michael Jackson, wo vor allen Dingen, man hat es gesehen, Leute ganz verschiedenen Alters zu sehen waren, die da auf der Straße plötzlich innehielten, auch Leute, also wirklich vom sehr einfachen Menschen bis zu Menschen – man traut sich das heute nicht mehr zu sagen –, die aussahen wie Banker. Was ist das denn, das Besondere an einem Menschen wie Michael Jackson, dass er offenbar nicht nur über Ländergrenzen hinweg, sondern auch über soziale und Generationsgrenzen hinweg alle Menschen plötzlich jetzt so fasziniert?
Mielke: Es sind drei Kriterien, die zusammenkommen müssen und die eigentlich –auch wenn es uns manchmal nicht so vorkommt – dann doch sehr selten sind, Elvis Presley haben Sie ja angesprochen, Lady Diana. Und es ist eben diese schon erwähnte sehr, sehr lange Karriere, er hat sie ja als Kind schon begonnen, sehr wechselvoll, immer wieder von Aufs und Abs geprägt, nicht nur erfolgreiche Karriere, also wirklich auch Rückschläge, bei denen man Anteil nehmen konnte. Und es ist dann aber auch die Kombination, die da hinzukommen muss: Es sind unglaublich einprägsame Bilder entstanden von Michael Jackson. Das ist heutzutage sehr, sehr wichtig, jemand, bei dem es nicht solche Bilder gäbe – sei es jetzt über seine Videos, die wir kennen, über die zahlreichen Fotos, kleine Filme, die wir im Fernsehen gezeigt bekommen haben, wie Michael Jackson sich verändert hat, wie diese Leidensgeschichte auch wirklich visuell aufbereitet wurde –, es sind diese Bilder, die uns auf einer sehr instinktiven Ebene dann auch ansprechen.
Kassel: Wenn Sie sich die Trauerfeierlichkeiten ansehen – und ich denke, Sie werden das tun, weil es ja ein Teil Ihres Berufes ist, solche Phänomene zu beobachten, da muss man auch dabei sein, gerade wenn es so einfach ist wie heute, einfach im Fernseher… Wir haben diese Ausrede: Ich gucke das ja allein schon beruflich. Was glauben Sie denn, heute Abend, werden Sie auch emotional berührt werden?
Mielke: Ich denke schon, ja. Auch bei mir ist es eben der Fall, Michael Jackson war auch Teil meiner Medienbiografie, auch wenn es jetzt nie direkt mein Musikgeschmack war. Aber man lebt auch so ein Stück selber seine Erinnerungen noch mal nach und es ist ein bisschen so, als ob jemand stirbt, den man kennt, wie gesagt, aber auch ein Stückchen der eigenen Biografie ist dadurch abgehakt, abgeschlossen. So wie ich als Fünfjährige die Hochzeit von Lady Di gesehen habe, so muss ich mir jetzt im Prinzip auch die Beerdigung von Michael Jackson anschauen. Das gehört dazu.