Die Sprache des Abschieds
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Christen spenden Bibeltexte Trost, wenn geliebte Menschen sterben. Doch was tröstet Kirchenferne? Für diese Menschen suchen freie Theologen wie Torsten Benecke nach Worten und Sprachbildern abseits der Bibel.
Thorsten Jabs: Jesus Christus hat dem Tode die Macht seiner Endgültigkeit genommen, so steht es im Neuen Testament in der Offenbarung des Johannes, Kapitel 23, Vers 13. Gläubigen Christen spendet dieser Text Trost, weil sie wissen, dass der Tod nicht das Ende ist. Doch welche Worte oder sprachlichen Bilder wählt man, wenn man Abschied von geliebten oder nahen Menschen nimmt, die sich von der Kirche entfernt oder mit ihr gar nichts zu tun haben? Darüber spreche ich mit dem freien Theologen Torsten Benecke aus Bremen. Inwiefern unterscheidet sich aus Ihrer Sicht Ihre Arbeit außerhalb der Kirche bei einer Zeremonie von der eines Pfarrers?
Torsten Benecke: Ich würde das so beschreiben, dass die Trauerfeier oder das Sprechen über den Verstorbenen etwas lebensnäher ist und dass eine andere Sprache gepflegt wird. Die religiöse Sprache ist sehr stark geprägt und auch eingegrenzt. In einer freien Trauerfeier kann man den Sprachraum in Richtung Humor und vielleicht auch mal Jugendsprache öffnen. Ich denke, das ist in einer kirchlichen Trauerfeier doch etwas eingeschränkter.
Jabs: Beeinflusst Sie als freier Theologe trotzdem die Bibel, wenn Sie auf Trauerfeiern reden?
Benecke: Durch meine Herkunft schon. Ich bin studierter Theologe. Aber ich gehe in erster Linie von den Menschen aus. Das ist auch meine Philosophie. Ich möchte niemandem etwas überstülpen. Ich gehe auch ganz stark von der Diversität des Religiösen aus.
Segelschiff hinterm Horizont als Abschiedsbild
Jabs: Ist es schwer, sich von der Bibel zu lösen? Die Bilder vom Jenseits oder vom ewigen Leben sind so präsent, gerade bei Trauerfeiern.
Benecke: Natürlich gibt es Bilder, die ich auch benutze, beispielsweise ein Bild, wo es um ein Segelschiff geht, das am Horizont verschwindet. Dann ist die Quintessenz: Der Tod ist ein Horizont, also nichts anderes als die Grenze unseres Sehens. Wenn wir um einen Menschen trauern, freuen sich andere, ihn hinter der Grenze wiederzusehen.
Das ist zum Beispiel eine Überlieferung eines Südseevolkes, was auch ein Jenseits beschreibt, aber was auch in der ganz realen Wahrnehmung beheimatet ist, wenn ich ein Segelschiff am Horizont verschwinden sehe. So ähnlich ist es auch mit dem Abschied. Hinter dem Horizont geht es weiter, das ist auch ein Bild, was hilfreich sein könnte.
Die Sprache wird dem Verstorbenen angepasst
Jabs: Wie läuft das im Vorfeld bei Ihrer Arbeit ab? Sprechen Sie mit den Menschen darüber, welche Art der Sprache für die jeweilige Trauergemeinschaft angemessen oder vielleicht gewünscht ist?
Benecke: Es geht alles von dem Verstorbenen aus, wie er gedacht hat, welche Persönlichkeit er mitbrachte. So würde ich auch gern meine Sprache ausrichten. Mein Gedanke ist immer: Wenn der Verstorbene zuhören würde, würde er sich darüber freuen, wie ich von ihm erzähle? Es gibt nichts, was von außen her richtig wäre, sondern ich gehe da ganz persönlich heran. Was die Angehörigen mir von dem Verstorbenen erzählen, dem würde ich auch meine Sprache anpassen, ob es ein Motorradfahrer war oder ob es jemand war, der als Beamter gelebt hat und begeistert war, ein Beamter zu sein. Das sind natürlich ganz unterschiedliche Sprachfärbungen.
Jabs: Erleben Sie es im Vorfeld öfter, dass Menschen sagen, aber kommen Sie mir bloß nicht, um das mal salopp zu sagen, mit christlichem oder religiösem Gedöns?
Benecke: Ja, das schon. Wer zu mir kommt, der hat sich eigentlich schon entschieden, dass er eine freie Rede haben möchte, also keine religiös festgelegte Rede. Das ist eigentlich schon im Vorhinein entschieden.
Die Liebe als Brücke in der Trauer
Jabs: Sie haben das Bild von dem Segelschiff benutzt. Welche Art der Sprache wählen Sie, wenn man das überhaupt so sagen kann, am häufigsten oder welche Sprachbilder kehren immer wieder?
Benecke: Es geht in der Trauerrede um eine Vergegenwärtigung des Verstorbenen, wie er gelebt hat, wie wir ihn kannten, dass er praktisch noch mal in den Erinnerungen wieder gegenwärtig wird.
Eine Aussage ist, dass es in der Liebe zum Beispiel immer ein Wiedersehen gibt, dass dieses Verbundenheitsgefühl auch in der Trauer weitergeht. Das ist ein Bild, was sehr stark immer wieder durchscheint. Es gibt einen Spruch von Thornton Wilder, der das zum Ausdruck bringt: Da ist ein Land der Lebenden und da ist ein Land der Toten. Die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe, das einzig Bleibende, der einzige Sinn.
Die Liebe ist eine Brücke zu dem verstorbenen Menschen. Die Erinnerung ist das, was wir mit uns tragen an Geschichten von ihm, darin lebt er in unserem Herzen weiter. Das ist schon ein Bild, was sehr stark ausgeprägt ist.
Sprachbilder aus anderen Kulturkreisen und der Poesie
Jabs: Benutzen Sie auch Bilder aus anderen Religionen? Religiös heißt ja nicht unbedingt christlich.
Benecke: Das ist richtig. Ich achte nicht darauf, woher das Bild stammt. Wenn ich eins benutze, benutze ich es, weil es inhaltlich für mich zutreffend ist. Von daher setze ich mir da keine Grenzen. Ich habe überhaupt nichts dagegen, ein Bild aus dem Konfuzianismus oder dem Taoismus zu übernehmen, wenn es inhaltlich für mich zutreffend ist.
Jabs: Bekommen Sie auch Rückmeldung über Ihre Worte und Bilder, die Sie benutzen?
Benecke: Ja. Ich benutze in meiner Trauerfeier auch viele poetische Bilder, die manchmal in Gedichten eine Rolle spielen. Da habe ich schon sehr positive Rückmeldungen bekommen, dass dieses oder jenes Gedicht sehr passend war.
In der Poesie darf man anders sprechen als rein naturwissenschaftlich. Da wird die Liebe beispielsweise gefeiert oder die Natur. Das entspricht dem Gefühl, was in der Trauerfeier oft angesprochen wird. Es wird in einer Trauerfeier mehr das Gefühl angesprochen als der rein naturwissenschaftliche Fakt, dass da jemand gestorben ist.
Lebensnähe steht im Vordergrund
Jabs: Poesie verbinden viele mit einer eher älteren Sprache. Sie haben aber schon angedeutet, dass es heutzutage vielleicht auch darum geht, am Puls der Zeit zu sein, was Sprache und Sprachbilder angeht. Haben Sie Ihre Sprache im Laufe der Jahre auch verändert?
Benecke: Ja, das würde ich sagen. Es ist schon mehr gewünscht, dass sehr stark auf das Leben des Verstorbenen eingegangen wird und die Lebensnähe im Vordergrund steht. Gestern beispielsweise musste ich daran denken, wie ein Mann auf dem Sterbebett beim Pflegepersonal noch einen Witz erzählt hat und sich riesig gefreut hat, dass der pflegende Mensch sich darüber vor Lachen ausgeschüttet hat. Darüber hat der Sterbende sich diebisch gefreut. Das ist so ein Beispiel, das man auch gut erzählen kann und das die Persönlichkeit des Verstorbenen beleuchtet.
Ich erlebe auch, wie beispielsweise Enkel sagen, wir hatten eine coole Oma, die ist jung geblieben, die hat noch mit ihren Enkelkindern auf WhatsApp geschrieben. Das ist manchmal auch ein bisschen Jugendsprache, die da reinspielt. Das ist, glaube ich, sehr vielfältig, die Sprachmöglichkeiten, die entstehen – und natürlich die Geschichten, die ein Verstorbener mitbringt. Es geht auch um Erzählungen. Wenn man sich vielleicht auf Familientreffen an den Verstorbenen erinnert, dann entsteht aus einer Geschichte die nächste Geschichte. So lebt der Verstorbene in diesen Geschichten weiter, die wir uns von ihm erzählen.
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