Wenn Alltagssituationen an den Krieg erinnern
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Fliehen Menschen aus Kriegsgebieten, sind sie oft für Jahre traumatisiert. Nach dem Attentat in Würzburg werden die Stimmen lauter, die eine bessere psychologische Betreuung von Asylbewerbern fordern. Noch findet Hilfe nur, wer Glück hat.
Wenn Alaa aus Syrien auf seiner Oud spielt, dann vergisst er die Hilflosigkeit, die ihn in Deutschland seit seiner Flucht vor sechs Jahren manchmal überkommen.
"Das klingt jetzt bisschen komisch, aber wie eine Person, mit der du sprechen kannst, wenn du niemanden hast zum Sprechen. Weil das Instrument spricht mit dir."
Alaa sitzt in Jeans und T-Shirt an einer Straßenecke in Berlin-Kreuzberg. Ein Flaschensammler bittet im Vorbeigehen um eine Zigarette. Auch wenn er sich Deutschland in vielem anders vorgestellt hatte, nach sechs Jahren ist Alaa angekommen, studiert an der Universität, jobbt nebenbei als Sozialarbeiter. Es gab Zeiten, in denen all das unmöglich schien.
"Das hat angefangen, dass ich immer Albträume gehabt habe, wo ich immer in meiner Heimat bin, verloren, verhaftet, hab meine Eltern verloren." Auch bestimmte Alltagssituationen in Deutschland machten ihm zu schaffen.
Nur mit Glück ist Hilfe zu finden
"An dem Tag von Silvester in Berlin flippen die Menschen aus, überall werden Feuerwerk. Ich habe mich einfach in mein Zimmer eingesperrt und ich wollte das nicht hören. Weil für mich, das erinnert mich an die Geräusche, als ich in Damaskus war, und plötzlich kommt eine Bombe und du hast immer Angst, dass du tot bist."
Viele von Alaas Freunden und Bekannten kämpfen mit ähnlichen Problemen. Nicht nur die Erlebnisse in ihrer Heimat oder auf der Flucht, auch das schwierige Ankommen in Deutschland, das Leben in Sammelunterkünften, die Sprach- und Hilflosigkeit, die fehlenden Zukunftsaussichten machten vielen zu schaffen. Mit etwas Glück finden sie Hilfe bei Vereinen wie "Xenion", einem von 40 psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer in Deutschland.
Christiane Weber-Nelson, Psychotherapeutin bei Xenion, führt durch einen hellen, mit Teppich ausgelegten Flur. Weber-Nelson weist auf drei blaue Sessel. Einer für sie, einer für Patienten, ein dritter für einen Dolmetscher.
Alltagsbewältigung als Herkulesaufgabe
"Wir haben unheimlich viele Sprachen, von ganz selten vertretenen Sprachen, wie vielleicht Fula, über Russisch zu Tigrinisch. Diese Sprachen kann ich leider nicht alle sprechen, da gibts Dolmetscher dazu."
Auch Sozialarbeiterinnen, Erzieher und Juristinnen gehören zum Team des Berliner Vereins. Hinzukommen ehrenamtliche Mentoren, die Menschen wie Alaa aus Syrien dabei helfen, ihren Alltag zu bewältigen, Wohnraum zu finden, persönliche Kontakte oder einen Einstieg in den Arbeitsmarkt.
"Eine Frau, die mit ihrem Mann, der vielleicht im Krieg war und ihren drei Kindern, die vom Bombenhagel aus Syrien hierherkommen, wenn die weiterhin in so einer unsicheren Situation bleiben, dann können sie sich schwerer psychisch erholen, als jemand, der in einer Wohnung lebt und erst mal eine Perspektive hat."
Therapieplätze sind Mangelware
Doch die Psychotherapeutin weiß auch: Längst nicht alle, die es bräuchten, finden bei Xenion oder anderswo Hilfe. Mehr als 7500 Menschen müssen die psychosozialen Zentren jährlich ablehnen, weil ihre durch Spenden- und Projektgelder finanzierten Kapazitäten nicht ausreichen. Auch Alaa aus Syrien fand jahrelang nur in seinem Oudspiel Hilfe, bis er schließlich einen Therapieplatz ergatterte.
"Am Ende hat es bei einer Therapeutin geklappt, die ziemlich weit weg war. Auch nicht in meiner Muttersprache, auf Deutsch. Aber ich habe gesagt, trotzdem will ich diese Therapie machen, weil das ist sehr wichtig für mich. Und ich habe die Albträume jetzt weniger."
Lukas Welz kennt viele solcher Geschichten. Der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BafF) steht in Hemd und Hose in einem Berliner Späti, bestellt Kaffee. Gerade die Therapieerfolge wie bei Alaa aus Syrien sind der Grund, warum die BafF seit Jahren eine bessere Finanzierung der psychosozialen Zentren in Deutschland fordert.
Gelingende Integration als großes Ziel
Die Zuschüsse, die sie seit 2016 von den Landesregierungen erhalten, reichten nicht aus. Denn besonders in den ersten eineinhalb Jahren haben Asylsuchende – und damit auch 95 Prozent der Klientinnen der psychosozialen Zentren - keinen Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung, so Welz.
"Wenn man jetzt nicht diese Unterstützung für diese Arbeit bereitstellt, dann sind die langfristigen Folgen und am Ende auch die finanziellen Folgen einer nicht gelingenden Integration, einer Bevölkerungsgruppe, die zu Teilen gesundheitliche, psychosoziale Folgen tragen muss, wahrscheinlich deutlich höher."