Traummann im Frauenuniversum
Er heißt Schurik und er ist ein Traum von einem Mann, denn er sieht nicht nur gut aus, er tut alles für die Frauen, und sie lieben ihn alle. Schurik ist die Hauptfigur im neuen Roman der russischen Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja. Trotzdem stehen die Frauen im Zentrum ihres Romans und ihren Begierden, Wünschen und Träumen spürt die Ulitzkaja nach.
Liegt nicht in einer Formel wie "Ergebenst ..." ein verdächtig nostalgischer und wehmütiger Unterton, der eine Sehnsucht verrät nach den "guten alten Zeiten"? Wie sollte sich das vertragen mit dem Schreiben der Ljudmila Ulitzkaja, die sich immer ausgezeichnet hat durch ihren unverstellten Blick auf die Wirklichkeit, durch ihr genau erspürtes Schildern der Innenwelten ihrer – überwiegend weiblichen – Figuren? Und nun auch noch dies: ein Mann, Schurik, dominiert sogar den Titel ihres neuen Romans.
Vielleicht liegt es an diesen kleinen Verschiebungen, den Abweichungen vom Gewohnten, die entscheidend dazu geführt haben, dass man diesen Roman als einen der gelungensten der Ulitzkaja empfindet. Denn obwohl sie sich verändert hat, ist sie sich doch treu geblieben. Auch dies ist ein Roman, der sehr viel von Frauen handelt. Und ihr genauer Blick für das Reale hat sich keineswegs zugunsten einer weich zeichnenden Verklärung alter Zeiten gewandelt.
Aber sehr wohl fängt dieser Blick ein, was es tatsächlich an zu Verklärendem in diesen alten Zeiten gegeben hat. Im konkreten Fall ist es der im 19. Jahrhundert wurzelnde Geist der russischen Intelligenzija, verkörpert von zwei Frauen, Mutter und Tochter, die im unwirtlichen Strom der Geschichte des 20. Jahrhunderts einen Sinn dafür bewahrt haben, worauf es ankommt: menschliche Integrität und Kultur.
Philologin und Hochschulprofessorin die eine, gescheiterte Schauspielerin und Theater-Buchhalterin die andere, formen sie einen Mikrokosmos, in dem allen Widrigkeiten zum Trotz die Ideale und Werte des Bildungsbürgertums (oder –adels) mit dem alltagsnotwendigen Pragmatismus zu einer typisch russisch-sowjetischen Mischung fusionieren.
Als Schurik, der "vaterlose" Sohn der Tochter Vera in dieses weibliche Universum hineingeboren wird, bildet er nur scheinbar sofort dessen Zentrum. Gewiss, die Lebensumstände müssen den Bedürfnissen des neuen Familienmitglieds angepasst werden – die Frauen teilen die Mutterrolle gleichsam unter sich auf –, aber kaum ist aus dem Halbwüchsigen ein junger Mann geworden, tritt so etwas wie seine wahre "Bestimmung" hervor: Schurik ist ein Frauenheld.
Allerdings nicht in dem draufgängerischen und leidenschaftlichen Sinn, den man gemeinhin unter diesem Begriff vermutet, vielmehr kehrt Ulitzkaja das Don-Juan-Motiv regelrecht um. Schurik ist ein einsichtiger und serviler Beglücker der Frauen seiner Umgebung, jedoch nicht aus Jagdeifer oder schlichtem Sexualtrieb, sondern als Spielball der Begierden und Bedürfnisse der Frauen.
Aus der Perspektive dieser Bedürfnisse und Bedürftigkeiten konstruiert die Autorin im wesentlichen ihre Geschichte, und sie nimmt auf diese Weise wieder ihre bestens bekannte Position ein. Sie beschreibt Frauenschicksale, wie das Leben sie bereithält – balancierend auf dem schmalen Grat zwischen Tragik und Komik, zwischen tiefem Empfinden und banaler Alltäglichkeit. Ihr Ton ist der vertraute Ulitzkaja-Ton: konzentriert und voller Einfühlung, verständnisvoll und doch beseelt von einem leisen Staunen über die verzwickten Konstellationen, in die Menschen geraten können.
Waren dies in früheren Romanen und Erzählungen die herausragendsten Merkmale ihres Erzählens, so kommt in diesem Roman ein neues Element hinzu. Eine zuweilen beißende Ironie grundiert diesen Text und gibt ihm dabei jene Frische, die ihn wegträgt von allem Eifernden und aller Schwermut.
Ljudmila Ulitzkaja: Ergebenst, euer Schurik
Roman. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt.
Carl Hanser Verlag, München und Wien 2005.
495 Seiten, 24,90 Euro
Vielleicht liegt es an diesen kleinen Verschiebungen, den Abweichungen vom Gewohnten, die entscheidend dazu geführt haben, dass man diesen Roman als einen der gelungensten der Ulitzkaja empfindet. Denn obwohl sie sich verändert hat, ist sie sich doch treu geblieben. Auch dies ist ein Roman, der sehr viel von Frauen handelt. Und ihr genauer Blick für das Reale hat sich keineswegs zugunsten einer weich zeichnenden Verklärung alter Zeiten gewandelt.
Aber sehr wohl fängt dieser Blick ein, was es tatsächlich an zu Verklärendem in diesen alten Zeiten gegeben hat. Im konkreten Fall ist es der im 19. Jahrhundert wurzelnde Geist der russischen Intelligenzija, verkörpert von zwei Frauen, Mutter und Tochter, die im unwirtlichen Strom der Geschichte des 20. Jahrhunderts einen Sinn dafür bewahrt haben, worauf es ankommt: menschliche Integrität und Kultur.
Philologin und Hochschulprofessorin die eine, gescheiterte Schauspielerin und Theater-Buchhalterin die andere, formen sie einen Mikrokosmos, in dem allen Widrigkeiten zum Trotz die Ideale und Werte des Bildungsbürgertums (oder –adels) mit dem alltagsnotwendigen Pragmatismus zu einer typisch russisch-sowjetischen Mischung fusionieren.
Als Schurik, der "vaterlose" Sohn der Tochter Vera in dieses weibliche Universum hineingeboren wird, bildet er nur scheinbar sofort dessen Zentrum. Gewiss, die Lebensumstände müssen den Bedürfnissen des neuen Familienmitglieds angepasst werden – die Frauen teilen die Mutterrolle gleichsam unter sich auf –, aber kaum ist aus dem Halbwüchsigen ein junger Mann geworden, tritt so etwas wie seine wahre "Bestimmung" hervor: Schurik ist ein Frauenheld.
Allerdings nicht in dem draufgängerischen und leidenschaftlichen Sinn, den man gemeinhin unter diesem Begriff vermutet, vielmehr kehrt Ulitzkaja das Don-Juan-Motiv regelrecht um. Schurik ist ein einsichtiger und serviler Beglücker der Frauen seiner Umgebung, jedoch nicht aus Jagdeifer oder schlichtem Sexualtrieb, sondern als Spielball der Begierden und Bedürfnisse der Frauen.
Aus der Perspektive dieser Bedürfnisse und Bedürftigkeiten konstruiert die Autorin im wesentlichen ihre Geschichte, und sie nimmt auf diese Weise wieder ihre bestens bekannte Position ein. Sie beschreibt Frauenschicksale, wie das Leben sie bereithält – balancierend auf dem schmalen Grat zwischen Tragik und Komik, zwischen tiefem Empfinden und banaler Alltäglichkeit. Ihr Ton ist der vertraute Ulitzkaja-Ton: konzentriert und voller Einfühlung, verständnisvoll und doch beseelt von einem leisen Staunen über die verzwickten Konstellationen, in die Menschen geraten können.
Waren dies in früheren Romanen und Erzählungen die herausragendsten Merkmale ihres Erzählens, so kommt in diesem Roman ein neues Element hinzu. Eine zuweilen beißende Ironie grundiert diesen Text und gibt ihm dabei jene Frische, die ihn wegträgt von allem Eifernden und aller Schwermut.
Ljudmila Ulitzkaja: Ergebenst, euer Schurik
Roman. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt.
Carl Hanser Verlag, München und Wien 2005.
495 Seiten, 24,90 Euro