Traurige und verträumte Geschichten
Arnold Stadler ist als kritisch-ironischer Chronist seiner ländlichen Heimat, die zwischen Oberer Donau und Bodensee liegt, bekannt geworden. Umso erstaunlicher ist der Titel seines neuen Buches, in dem er atmosphärische Porträts erzählt - mit traurigen und verträumten Geschichten.
"Du, sag, ist jetzt der Poldi vor uns gestorben oder nach uns? So fragte die eine Schwester die andere. Und er hätte dies auch gern gewusst." Diesen kleinen Dialog stellt Arnold Stadler seinem neuen Buch voran. Er könnte ebenso gut im Himmel spielen wie auf den Brettern eines Volkstheaters. Und genau dort, im irrealen Raum zwischen dem Heiligen und Profanen, sind all die Geschichten angesiedelt, die Arnold Stadler erzählt.
"New York machen wir das nächste Mal" ist ein unordentliches Buch. Wer den Büchner-Preis und den Kleist-Preis im Rücken hat, der kann es sich wohl leisten, dem Leser seine Schreibtischschublade vor die Füße zu kippen. In manchen Schnipseln, die so ans Tageslicht befördert wurden, erkennt der ebenso brüskierte wie faszinierte Leser Vorarbeiten zu Stadlers Romanen, in anderen bloße Sackgassen. Und dann gibt es da noch diese Mikroerzählungen, perfekte Kleinode im Stil von Hebels Kalendergeschichten. Ein ganzes Leben schnurrt hier auf die paar Momente zusammen, in denen sich Hoffnung und Vergeblichkeit miteinander verknäueln.
"Damals war die Sehnsucht seine Zukunft, so wie die Vergangenheit nun sein Heimweh war" – in dieser schwierig zu denkenden Zeitschleife sind die meisten Geschichten angesiedelt. Roland, das Alter Ego des 1954 in Meßkirch geborenen Autors, bildet den roten Faden. Wir tauchen mit ihm ein in seine Kindheit in Oberschwaben und ermessen die zerronnene Zeit durch all die Kleinigkeiten, die sich verändert haben. Die Lebensspanne eines nicht einmal 60-Jährigen wird so zum Maß einer gewaltigen Veränderung.
Die dörfliche Kindheit umfasst noch die "Zeit vor dem künstlichen Licht", als Rübengeister zur katholischen Tradition gehörten, lange bevor die Halloween-Mode aus Amerika kam. Selbst der Computer erhält in dieser Weltsicht die Aura eines einstmals anders gemeinten Dings: als "Rechenmaschine" sei er gedacht gewesen, nicht als "globales Privatbordell".
Manchmal geht Arnold Stadler die Kulturkritik allzu leicht von der Hand und bekommt etwas Mechanisches. Reizvoll aber sind die Geschichten, die sich ganz auf eine Figur konzentrieren (die Friedhofskneipen-Wirtin Heidi, die Millionenerbin Gabriele, die russische Pianistin Irina) oder die Verwandte zu Gruppen zusammenfassen und durch ein hervorstechendes Merkmal charakterisieren: etwa die drei Onkel, die Roland nie gesehen hat, weil sie im Krieg gefallen sind.
Herrlich ist die Geschichte der in einem "wasserschlossähnlichen Gebäude" unweit von Möggingen lebenden Tante Mausi, umgeben von Frauen aus drei Generationen, die allesamt in ihr "Unglück hineingewachsen waren, wie andere in einen Schuh". Die Männer sind nur Staffage, dösen in Ohrensesseln oder auf der Chaiselongue vor sich hin, als wäre das Leben "ein einziger Mittagsschlaf".
In der Überzeichnung entstehen atmosphärische Porträts, die sich der Leser als Form für die eigene Erinnerung leicht aneignen kann. Wer sich von Arnold Stadlers neuem Buch nicht zu viel verspricht, der kann hier auf Fundstücke stoßen: kleine Medaillons einer Porträtkunst, die im Banalen das Sakrale enthüllt.
Besprochen von Meike Feßmann
Arnold Stadler: New York machen wir das nächste Mal. Geschichten aus dem Zweistromland
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011.
220 Seiten, 17,95 Euro
"New York machen wir das nächste Mal" ist ein unordentliches Buch. Wer den Büchner-Preis und den Kleist-Preis im Rücken hat, der kann es sich wohl leisten, dem Leser seine Schreibtischschublade vor die Füße zu kippen. In manchen Schnipseln, die so ans Tageslicht befördert wurden, erkennt der ebenso brüskierte wie faszinierte Leser Vorarbeiten zu Stadlers Romanen, in anderen bloße Sackgassen. Und dann gibt es da noch diese Mikroerzählungen, perfekte Kleinode im Stil von Hebels Kalendergeschichten. Ein ganzes Leben schnurrt hier auf die paar Momente zusammen, in denen sich Hoffnung und Vergeblichkeit miteinander verknäueln.
"Damals war die Sehnsucht seine Zukunft, so wie die Vergangenheit nun sein Heimweh war" – in dieser schwierig zu denkenden Zeitschleife sind die meisten Geschichten angesiedelt. Roland, das Alter Ego des 1954 in Meßkirch geborenen Autors, bildet den roten Faden. Wir tauchen mit ihm ein in seine Kindheit in Oberschwaben und ermessen die zerronnene Zeit durch all die Kleinigkeiten, die sich verändert haben. Die Lebensspanne eines nicht einmal 60-Jährigen wird so zum Maß einer gewaltigen Veränderung.
Die dörfliche Kindheit umfasst noch die "Zeit vor dem künstlichen Licht", als Rübengeister zur katholischen Tradition gehörten, lange bevor die Halloween-Mode aus Amerika kam. Selbst der Computer erhält in dieser Weltsicht die Aura eines einstmals anders gemeinten Dings: als "Rechenmaschine" sei er gedacht gewesen, nicht als "globales Privatbordell".
Manchmal geht Arnold Stadler die Kulturkritik allzu leicht von der Hand und bekommt etwas Mechanisches. Reizvoll aber sind die Geschichten, die sich ganz auf eine Figur konzentrieren (die Friedhofskneipen-Wirtin Heidi, die Millionenerbin Gabriele, die russische Pianistin Irina) oder die Verwandte zu Gruppen zusammenfassen und durch ein hervorstechendes Merkmal charakterisieren: etwa die drei Onkel, die Roland nie gesehen hat, weil sie im Krieg gefallen sind.
Herrlich ist die Geschichte der in einem "wasserschlossähnlichen Gebäude" unweit von Möggingen lebenden Tante Mausi, umgeben von Frauen aus drei Generationen, die allesamt in ihr "Unglück hineingewachsen waren, wie andere in einen Schuh". Die Männer sind nur Staffage, dösen in Ohrensesseln oder auf der Chaiselongue vor sich hin, als wäre das Leben "ein einziger Mittagsschlaf".
In der Überzeichnung entstehen atmosphärische Porträts, die sich der Leser als Form für die eigene Erinnerung leicht aneignen kann. Wer sich von Arnold Stadlers neuem Buch nicht zu viel verspricht, der kann hier auf Fundstücke stoßen: kleine Medaillons einer Porträtkunst, die im Banalen das Sakrale enthüllt.
Besprochen von Meike Feßmann
Arnold Stadler: New York machen wir das nächste Mal. Geschichten aus dem Zweistromland
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011.
220 Seiten, 17,95 Euro