Die Todessehnsucht der Riesenschildkröte George
Bonn Parks "Traurigkeit und Melancholie" über die zu Weltruhm gekommenen Riesenschildkröte George hatte seine Premiere im Deutschlandradio Kultur. Und die Bühnenfassung am Theater Bonn kann nicht beweisen, dass der Text Bilder braucht.
Die erste Bewährungsprobe hat der Text von Bonn Park in Radio bestanden. "Traurigkeit und Melancholie", die philosophische Farce des in Berlin geborenen Autors aus koreanisch-stämmiger Familie, wurde zunächst als Hörspiel ausprobiert – mit der Ur-Sendung auf Deutschlandradio Kultur. Nun folgte die Uraufführung im Theater – und es hätte sicher mehr dramaturgische Konsistenz gebraucht, um zu beweisen, dass der Text das Theater auch wirklich braucht und die Notwendigkeiten der Bühne erfüllt.
Zunächst ist ja sogar ein Verlust zu kompensieren, denn wenn zum Hören (im Radio) das Sehen (auf der Bühne) hinzu kommt, geht naturgemäß einiges verloren an fantasiestiftender Kraft. Gerade gegenüber dem funktionierenden akustischen Entwurf muss sich das Theater-Spiel erst beweisen. Auch das gelingt nicht wirklich am Theater in Bonn.
Eine Frau und zwei Männer aus dem Bonner Ensemble spielen die Geschichte von George, der ururalten Riesenschildkröte von den Galapagos-Inseln, deren Tod vor drei Jahren einiges Interesse erweckte – auch und gerade im Internet. Auch bei Bonn Park, er hat das Ur-Tier als Folie für mehrere Gedankengebilde benutzt.
Wie leben, fragt eines, wenn schon alles erlebt und überlebt worden ist, alle Kriege, alle Revolutionen, aller menschliche Wahnsinn? Bleibt dann womöglich – wie in zahllosen Senioren-Residenzen und Hospizen – nur noch die verzweifelte Sehnsucht nach dem Sterben? Und was passiert, wenn Sterben verboten ist und sich stattdessen das seit Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten vertraute Leben und Überleben doch immer nur wieder wiederholt? Wenn zwar nicht das Murmeltier grüßt – wie im Film-Klassiker mit Bill Murray –, aber eben George, die ewige Schildkröte?
Abgründe schrill-bunt karikiert
Das klingt alles recht finster – und der Zuschauer staunt, wie und warum ein derart jugendlicher Zeitgenosse mit so viel Ambition in die Abgründe letzter Fragen blickt. Mina Salehpours Uraufführung im Bonner Theater gibt sich denn auch alle Mühe, möglichst gar nichts von derlei Finsternissen kenntlich werden zu lassen. Das Ensemble ergeht sich in schrillbunt kostümierten Karikaturen. Schon wenn wir in den Saal kommen, sind sie mit einer sehr modern-kommerziellen "Hans im Glück"-Tauschgeschichte beschäftigt, an deren Ende nur der Tod stehen kann, wie anno 1929, als die Wall-Street-Menschen sich aus den Fenstern der Bankhäuser stürzten.
Wenn das Spiel zu Ende geht, landet die Aufführung noch einmal in dieser Fantasie. Immer das Gleiche also, überlebenslang – auch darum will George sterben. Aber immer unterbricht den Abgesang vom Untergang ein schräges, comichaftes Rapunzel-Märchen, mit ganz vielen ulkigen Akustik-Effekten unterlegt. Daraufhin versuchen immer zwei Spieler den jeweils dritten – der gerade die Schildkröte ist – irgendwie zum Weitermachen zu animieren: durch ganz viel schöne Musik, durch den Versuch sexueller Befriedigung nach Schildkröten-Art, durch Verführung und Phantasie. Aber George will nicht – er weiß ja, was kommt.
Salehpour setzt das Trio auf ein viel zu enges Sofa, und drum herum gibt’s eine Art Burg und reichlich rätselhafte Requisiten: Farce, wohin das Auge schaut. Und wohin das Ohr hört – Überdreht- und Aufgeregt-Sein ist angesagt. Die Fabel von der Schildkröte, der alles zum Sterben langweilig geworden ist, findet kaum noch im Kopf statt; sie hat nicht gewonnen bei dem Wechsel der Medien, vom Hörspiel ins Theater.
Der Autor hingegen macht seinen Weg – am Wochenende folgt schon die nächste Uraufführung, diesmal am Frankfurter Schauspiel.