Florian Goldberg hat in Tübingen und Köln Philosophie, Germanistik und Anglistik studiert und lebt als freier Autor, Coach und philosophischer Berater für Menschen aus Wirtschaft, Politik und Medien in Berlin. Er hat Essays, Hörspiele und mehrere Bücher veröffentlicht.
Sexspielzeug in Zeiten von #MeToo
Auf dem Herrenklo gibt es Sexspielzeug, bei den Damen nur Tampons. Ein Zeichen verunsicherter Männlichkeit? Woher kommt das uralte Verlangen nach männlicher Überlegenheit? Ein Aufruf, das "starke Geschlecht" neu zu definieren.
Vor einiger Zeit, die #MeToo-Debatte hatte gerade so richtig Fahrt aufgenommen, stieß ich in einer Herren-Toilette auf einen dieser schmuddeligen Automaten, die es dort ebenso gibt. Darauf prangte die Abbildung einer jungen Frau mit Schmollmund und bis unter die Brüste hochgeschobenem Leibchen. Dazu der Schriftzug: Travel Pussy - Die künstliche Vagina. Einwurf 2x2 Euro.
Mein erster Gedanke: Wenn das mal nicht das Problem auf den Punkt bringt! Ein Geschlecht, das sich heimlich in Silikon-Attrappen erleichtert, sofern es dem anderen nicht gerade mit Gewalt seinen Willen aufzwingt. Na prima!
Sexuelle Nöte kennen Frauen und Männer
Aber das greift natürlich zu kurz. Einerseits sind nicht alle Männer übergriffig. Andererseits ist es für niemanden leicht, einigermaßen würdevoll mit dem eigenen Begehren umzugehen. Für Frauen so wenig wie für Männer, besonders wenn die Liebe fehlt.
Selbst das Thema der behelfsmäßigen Triebabfuhr war nie auf das eine Geschlecht beschränkt. Schon die griechische Antike kannte ihre Olisboi, kunstvoll aus Leder gefertigte Dildos, welche der Damenwelt Linderung verschafften, wenn sich ihre Helden auf fernen Schlachtfeldern mal wieder gegenseitig zerhackten.
Dennoch: Wie mir erzählt wurde, finden sich auf heutigen Damentoiletten bestenfalls Tampons oder Einmalzahnbürsten für die schnelle Mundhygiene zwischendurch. Wenn in unserer kapitalistischen Welt wirklich die Nachfrage das Angebot bestimmt, dann scheint die Not auf männlicher Seite irgendwie größer.
Aber worin genau besteht sie? Geht es tatsächlich nur um das Unvermögen, mit der eigenen Körperlichkeit zurecht zu kommen?
Der Mann will dominieren
Unwahrscheinlich. Es ist wohl kein Zufall, dass der eingangs erwähnte Automat das weibliche Geschlecht als eher unterbelichtet inszeniert, bereit, seinem Gebieter zu gefallen, bereit zur Unterwerfung. Versprochen wird weniger die Erledigung der sexuellen, als die einer seelischen Notdurft: Die Aufrechterhaltung der uralten Fiktion von der männlichen Superiorität.
Wann sie in die Welt kam, ist nicht geklärt. Aber bereits den Gründungsvätern der drei abrahamitischen Religionen war die Tatsache, allesamt von Müttern geboren worden zu sein, offenbar so peinlich, dass sie ihren Gott zuerst einen Mann erschaffen ließen.
Damit war die Natur schon mal von den Füßen auf den Kopf gestellt: Die Frau geht aus dem Mann hervor, was den Vorrang des einen über die andere rechtfertigt. Mit dem Rest verhielt es sich wie in der Politik: Ist erst ein Blödsinn in der Welt, braucht man den nächsten und übernächsten, um ihn zu verteidigen. Wenn nötig mit Gewalt.
Zumindest zieht sich von der Ermordung der antiken Philosophin Hypatia durch fanatisierte Christen über die Hexenverbrennungen des Mittelalters bis zu Saudi Arabiens inhaftierten Feministinnen und Donald Trumps Erniedrigungsphantasien ein deutliches "Grab them by the pussy" durch unsere Kulturgeschichte, um es auf besagter Herrentoilette zu einem letzten, kläglichen Höhepunkt zu bringen.
Zwischen Aufbruch und ewigem Eingeschlossensein
Das ist vorbei. Frauen finden zunehmend die Stimme, die es den Männern jetzt öfter mal verschlägt. Die Verunsicherung wächst. Wie sich verhalten? Was ist noch erlaubt? Wo endet der Flirt und beginnt der Übergriff?
Schon richtig: Wir stehen auf schwankendem Boden. Frauen schon lange, Männer nun auch. Es offen zuzugeben, ist vielleicht das Beste, was wir tun können. Vielleicht entsteht daraus eine neue Art von "starkem Geschlecht": nicht im Sinne der Dominanz über das andere, sondern der Bereitschaft, die Erschütterungen konstruktiv zu nutzen, die der Zusammenbruch uralter, im Wortsinn "eingefleischter" patriarchaler Strukturen verursacht.
Wer das partout nicht will, bleibt – ganz im Sinne Sartres – auf ewig in der eingangs erwähnten Männertoilette eingeschlossen.