"Alles gesammelt, was in anderen Büchern nicht vorhanden war"
Er hat einen "anti-literarischen" Roman geschrieben, der als unübersetzbar galt. Der Serbe Bora Ćosić erklärte die Geschichte von "Die Tutoren" - und seine preisgekrönte Übersetzerin berichtete von ihrer bisher größten Herausforderung.
Die Manga- und Karnevals-Invasion auf der Buchmesse irritiert so manchen Literaturliebhaber. Hubert Winkels, Kritiker und Redakteur beim Deutschlandfunk, plädierte sogar dafür, mit der "ernsthaften" Literatur von der Messe in die Leipziger Innenstadt zurückzukehren - wie in den frühen 90ern. Das hätte zumindest den Effekt, dass bei einer Lesung all die vorüberziehenden Jedi-Ritter, Piraten, Einhörner, Prinzessinnen und blauen Riesenhasen den meistens unverkleideten Autoren die Aufmerksamkeit nicht streitig machten.
Aber es gibt auch ein tröstliches Gegenprogramm. Kein Laufsteg für Manga-Mädchen, sondern ein Kuschelort der Hochkultur ist Bührnheims Literatursalon im "Musikerviertel" - eine verwinkelte Villa mit Antiquariat, Stuckdecken und dem biedermeierlichen Salon für maximal 30 Zuhörer. Dort las der serbische Schriftsteller Bora Ćosić aus seinem legendären, jetzt endlich ins Deutsche übersetzten Roman "Die Tutoren". Außerdem dabei war die mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnete Übersetzerin Brigitte Döbert - sie hat das Kunststück fertig gebracht, einen als "unübersetzbar" geltenden Roman ins Deutsche zu übertragen, eben "Die Tutoren". Er ist ein großes historisches Panoptikum und ein dickes Monument der literarischen Moderne mit all ihren Finessen.
Ćosić ist ein Vielschreiber - 60 Romane
Der war bereits 1978 in Jugoslawien erschienen, nachdem Ćosić zuvor über Jahre nichts veröffentlichen durfte: "Aber ich habe im Geheimen geschrieben, das war eine Rache von mir. Ich habe in meinem Zimmer eine geheime Öffentlichkeit geschaffen!" Ćosić wusste, der Sozialismus ist wie das Wetter: mal Sonne, mal Regen. Ein Schriftsteller seiner Produktivität ist ohnehin durch nichts zu bremsen: nicht 40 Bücher hat er geschrieben, wie der Moderator der Lesung vermutete, sondern "es sind 60!", insistierte Ćosić. Wie macht er das? Er sei ein "Vielfraß", er schreibe schnell und das jeden Tag. "Ich habe permanent den Leuten zugehört, auf dem Markt und auf der Straße. Am interessantesten waren die Fehler beim Sprechen. Ich wollte alles sammeln, was in anderen Büchern nicht vorhanden war, in sogenannter richtiger Literatur. Es ist alles anti-literarisch in dem Roman."
Das machte die Übersetzung so vertrackt für Brigitte Döbert. Ein eigentlicher Handlungsstrang existiere auch nicht, dazu all die Wortspiele, Anspielungen, Witze: "Ich habe mich totgesucht", sagte Döbert, die zwei Jahre an den "Tutoren" gearbeitet hat. Cosic erzählte, er habe befürchtet, seine Übersetzerin würde ihn ständig anrufen, um Hilfestellung zu bekommen, aber das sei gar nicht passiert. Dann habe er sie angerufen, um zu hören, ob sie überhaupt noch an dem Buch arbeite.
Ćosić will Brigitte Döbert noch eine weitere Aufgabe stellen
Der Schalk sitzt Ćosić hörbar im Nacken, und jede Anekdote hat bei ihm die gute Pointe. Als nach Besuchen in seiner alten Heimat Belgrad gefragt wird, antwortet der 83-jährige Wahl-Berliner: Er habe noch ein paar Freunde dort, "aber alle sterben so schnell und weil ich immer wieder Nachrufe für Zeitungen schreiben muss, fühle ich mich wie ein Bestatter".
Damit ist sein letztes Wort noch nicht gesprochen. Denn Bora Ćosić kündigte an, dass seine Übersetzerin Brigitte Döbert noch ein ähnlich kompliziertes Buch von ihm bekommen werde. Für diese Arbeit dürfe sie auch - alter Charmeur! - gern ein Zimmer in seiner Wohnung beziehen, falls mal Fragen zu rätselhaften Ausdrücken bestehen sollten.