"Es geht nur um Imagewerte"
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Skigebiete mit hunderte Kilometer langen Pisten gelten in der Tourismus-Branche als das Nonplusultra. Für Skifahrer seien die Pistenlängen das entscheidende Kriterium in einem knallharten Wettbewerb um Touristen, sagt der Kulturgeograf Werner Bätzing.
Ute Welty: 600 Kilometer Piste umfasst das größte Skigebiet in den Alpen, erreichbar unter knapp 140 Gondeln, Bahnen und Liften. Trois Vallées ist der Zusammenschluss von legendären französischen Wintersportorten wie Courchevel, Méribel und Les Menuires. Jahrelang wollten Skigebiete vor allem eines, nämlich wachsen. Ob das noch zeitgemäß ist, das diskutiert ab heute die Bergtourismus-Konferenz der Vereinten Nationen in Bad Reichenhall. Wir holen uns Expertise ein von einem der renommiertesten Alpenforschern, und das ist Kulturgeograf Werner Bätzing. Guten Morgen, Herr Bätzing!
Werner Bätzing: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: So ein Riesenskigebiet wie das von Trois Vallées, würde man das heute noch so planen?
Bätzing: Ja. Das ist ja das Schreckliche. Es würden noch größere Skigebiete geplant. Die Kollegen in den Nachbartälern bereiten zurzeit ganz konkret für 2022 Skigebiete mit 800 Kilometer Pistenlänge vor, weil in den knallharten Verdrängungswettbewerb die Pistenlänge für die Nachfrage, für die Gäste ein zentrales Kriterium ist. Und das ist der Grund, weshalb überall im Alpenraum derzeit bei den Skipisten weiter vergrößert wird und Skigebiete zusammengehängt werden.
"Skigebiete mit 800 Kilometer Pistenlänge"
Welty: Aber das kann man doch gar nicht mehr abfahren in einer Woche oder zehn Tagen Skiurlaub.
Bätzing: Nein. Das ist ja das Absurde, das kann kein Mensch mehr abfahren, auch nicht der sportlichste Skifahrer. Es geht nur um Imagewerte, weil die haben bei Befragungen festgestellt, wonach wählen Skifahrer ihren Skiort aus: nach der Länge der Skigebiete. Und das ist der sogenannte multioptionale Tourist, der möchte alle Möglichkeiten perfekt und optimal haben. Wenn man dann am Ende des Skiurlaubs fragt, was hat er konkret gemacht, kann man feststellen, er hat das gesamte Angebot nur zu einem minimalen Bruchteil genutzt.
Er wäre eigentlich in einem kleinen Skigebiet viel besser aufgehoben mit dem, was er konkret macht, aber das hat kein Image, davon kann man zu Hause nicht erzählen. Wenn Sie in Hinterhornbach zum Skifahren waren oder in Embach, das kennt ja keiner, da hat der Skiurlaub keinen Imagewert. Und das ist das Problem des multioptionalen Touristen. Ich sage immer: Er sucht das Beste und verpasst dadurch alles.
Welty: Aber wenn ich mich im Bekanntenkreis umhöre, dann meine ich doch einen Trend zu erkennen zum Kleinen, Gemütlichen, Urigen. Sind denn viele kleine Skigebiete tatsächlich nachhaltiger als ein großes?
Bätzing: Also zuerst einmal, diesen Trend hin zum kleinen Skigebiet gibt es, aber auf einem niedrigen Niveau, die große Menge orientiert sich nach wie vor an den ganz großen Angeboten. Man muss sagen, die kleinen Skigebiete sind natürlich nachhaltiger in dem Sinne, als sie von Einheimischen betrieben werden, das heißt, das Geld, was da verdient wird, bleibt vor Ort. Das ist bei den großen Skigebieten in der Regel nicht mehr der Fall.
Viele Gebiete sind von außeralpinem Kapital kommandiert. Gerade die Trois Vallées, die Sie vorhin erwähnt haben, ist im Besitz der Compagnie des Alpes, einer Aktiengesellschaft in Paris, die größte Skibetreiberfirma, die es weltweit überhaupt gibt. Das heißt, je größer der Tourismus wird, desto mehr wird er von außen ökonomisch fremdbestimmt und die Einheimischen haben am wenigsten davon. Und bei den kleinen Skigebieten ist in der Regel auch die gesamte Bodenveränderung geringer als in den großen Skigebieten, man hat nicht diese breiten Skiautobahnen. Insofern kann man sagen, sind kleine Skigebiete im Normalfall nachhaltiger als die großen.
"Die Zahl der Skifahrer stagniert seit etwa 30 Jahren"
Welty: Sind denn mit den Skigebieten auch die Zielgruppen gewachsen, bedeuten mehr Pisten auch immer und unbedingt mehr Skibegeisterte?
Bätzing: Nein, die Zahl der Skifahrer stagniert seit etwa 30 Jahren. Das ist für die Skibranche ein Drama, denn die Menschen in Europa werden weniger, die Menschen werden älter, und ältere Menschen fahren nicht mehr so häufig, nicht mehr so viel Ski wie die jungen. Und die jungen Altersklassen, die für das Skifahren so wichtig sind, die sind immer mehr mit Migranten durchsetzt, die keinen Bezug zum Ski haben. Dadurch sinkt die Potenzialität der Skifahrer, und das heißt, der Wettbewerb wird knallhart, um die gleichgroße Zahl kämpfen inzwischen immer mehr Anbieter mit immer stärkerer Konkurrenz, also ein wahnsinniger Verdrängungswettbewerb, der etwa seit dem Jahr 2005 eingesetzt hat.
Welty: Welche Rolle wird der asiatische Markt in Zukunft spielen? Bis zu den Olympischen Winterspielen 2022 sollen allein 250 Millionen Chinesen das Skifahren lernen.
Bätzing: Das ist die große Hoffnung für alle Skibetreiber, denn diese 250 Millionen Chinesen, das ist ungefähr die Größe des gesamten europäischen Skifahrermarktes.
Welty: Also der käme dann noch mal on top sozusagen.
Bätzing: Ja. Das heißt, wenn das erreicht würde und alle sitzen in den Startlöchern, alle machen Vorbereitungen davor, aber das läuft noch nicht so richtig, auch wegen dem Widerstand im Alpenraum. Die Compagnie des Alpes zum Beispiel, der größte Skigebietsbetreiber der Welt, dem elf große Skigebiete in den französischen Alpen gehören, versucht seit zwei Jahren, dass der chinesische Mischkonzern Fosun bei seinem Aktienkapital einsteigt. Der Konzern Fosun aus China hat vor drei Jahren den Club Méditerranée gekauft, ist also in Europa dick ins Sommertourismusgeschäft eingestiegen. Und jetzt sind vor allen Dingen die Politiker in Frankreich aus den Alpenregionen strikt dagegen, dass bei der Compagnie des Alpes der chinesische Konzern Fosun einsteigt. Jetzt wird zuerst diskutiert nur 10 Prozent, aber alle erwarten, das wird schnell mehr, und deswegen ist das zurzeit noch blockiert. Aber das ist die ganz große Hoffnung, mit China kommt dann der neue Ausbauschwung in die Alpen, und dann kann man Skigebiete eröffnen, die dann tausend Kilometer Pistenlänge und mehr haben.
"Der Abfahrtski wird sich auf sehr hoch gelegene Skigebiete konzentrieren müssen"
Welty: Kaum ein Skigebiet kommt ja heute ohne Schneekanonen aus, was einen hohen Einsatz von Wasser und Energie bedeutet. Wie könnte die umweltfreundliche Alternative aussehen?
Bätzing: Die umweltfreundliche Alternative heißt, weg vom Abfahrtski, ganz klar. Der Abfahrtski wird sich in den nächsten 20, 30 Jahren auf sehr hoch gelegene Skigebiete konzentrieren müssen, weil da unten gibt es entweder zu wenig Schnee oder es wird einfach viel zu teuer, da künstlich zu beschneien, weil das ist ja ein Wahnsinnsaufwand. Es geht bis zu einem gewissen Rahmen technisch, aber es ist mit extrem hohen Kosten verbunden, und das können sich eine Reihe von Skigebieten im Laufe der Zeit nicht mehr leisten.
Und ich sage immer: Skifahren im Alpenraum ist eine vergleichsweise junge Entwicklung. Der Wintertourismus im Alpenraum hat im Engadin angefangen, und da waren Eissportarten im Zentrum, da war Winterwandern, da waren Winterspaziergänge, da waren Kutschfahrten mit dem Schlitten und so was, das war im Zentrum des Wintertourismus gestanden. Einen Abfahrtski hat man erst in den 20er-, 30er-Jahren erfunden, da ging das überhaupt erst los.
Und heute glaubt man, Alpen im Winter ohne Abfahrtski geht überhaupt nicht. Und da sage ich, Pustekuchen, die Alpen haben im Winter unglaublich viel zu bieten, sind eine sehr faszinierende Landschaft mit körperlicher Bewegung, was man im Sommer auch machen kann. Aber im Winter, wenn es wenig Schnee gibt, kann man genauso gut wandern, mountainbiken, Fahrrad fahren, man kann die gesamten Aktivitäten auch wie im Sommer machen. Und das muss ergänzt werden wegen der kurzen Tage und den langen Abenden durch die Bedeutung der alpinen Kultur, wo die Alpen sehr viel anzubieten haben, und durch alpine Kulinarik, das heißt regionsspezifische Produkte und regionsspezifische Gerichte.
Welty: Die Zukunft des Bergtourismus, darüber diskutieren die Vereinten Nationen ab heute in Bad Reichenhall, und ich habe gesprochen mit Alpenforscher und Kulturgeograf Werner Bätzing. Ich danke Ihnen!
Bätzing: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.