Die Reportage ist eine Wiederholung der Sendung vom 03.11.2019.
Kein Ort zumTrauern
29:36 Minuten
Wer sich auf See bestatten lässt, bringt die Hinterbliebenen in eine schwierige Situation. Sie haben keinen Ort zum Gedenken. Damit kommt nicht jeder zurecht. Und dann sucht sich die Trauer eigene Wege.
Es ist Spätsommer in Büsum, die Sonne scheint und an der Nordseeküste flanieren die Touristen. Das Café am Hafen ist voll. "Ein Fischbrötchen geht immer!" verkündet dort eine Werbetafel im Schaufenster. Direkt davor sitzt Michael Schlott und steckt sich eine Zigarette an.
"Ich habe hier beruflich viel zu tun, weil ich immer sehr viel bei den Fischkuttern mache. Ich bin häufig in Büsum." Michael Schlott ist Schiffsbauingenieur. Doch heute führt ihn kein Auftrag an die Küste, sondern der Abschied von seiner Mutter Edda. In wenigen Minuten soll das Schiff auslaufen zur Seebestattung.
"Sie hat sich das so gewünscht. Es war abzusehen, die letzten drei Jahre eigentlich - und sie ist friedlich eingeschlafen. Von daher sind wir eigentlich auch relativ entspannt."
Neben dem 58-Jährigen sitzen seine beiden Söhne, 19 und acht Jahre alt, und seine Frau Miriam. "Ja, Trauer ist schon mit dabei. Aber es ist auch das Gefühl, dass man jetzt irgendwie das Richtige macht, um Mutter dann halt zu ihrer Tochter zu bringen. Und ich denke mal, das wird schon das Beste sein so für sie."
Innerhalb weniger Stunden löst sich die Urne auf
Neun Jahre ist es her, dass Michael Schlott seine Schwester verloren hat. Sie wurde auf dem Meer vor Büsum beigesetzt, weil sie sich das so gewünscht hatte. Jetzt folgt ihr die Mutter. Die Familie ist eng mit dem Wasser verbunden.
"Wir sind mit dem Segeln groß geworden und sind auch immer viel mit dem Schiff im Urlaub gewesen."
"Vor allem war ich auch immer viel mit meiner Oma im Urlaub zum Segeln und mit meinem Opa zusammen. Und daher ist das auch ganz nett, hier Abschied zu nehmen."
Das Treiben auf der Fußgängerpromenade, die lärmenden Gäste in den Cafés - die Familie stört das nicht.
"Der Tod gehört ja mit zum Leben. Und du hast ja auch, wenn du eine normale Bestattung hast, immer irgendwelchen Trubel um dich rum. Also, von daher ist das jetzt nichts Unangenehmes oder Störendes."
Im Hafenbecken liegen die Fischkutter hintereinander am Kai. Eine Postkartenidylle. Dazwischen die "Aries", ein blau-weißes Schiff, das wie ein Ausflugsdampfer aussieht. Die Schlotts gehen an Bord, zusammen mit ein paar anderen Gästen: alles Familienmitglieder. Kapitän Thorsten Rahder steht am Kai und begrüßt jeden mit Handschlag.
Langsam tuckert die "Aries" aus dem Hafenbeck. Hinter der Mole wartet die Nordsee. Spiegelglatt wie ein Dorfteich schimmert sie heute im Sonnenlicht. Der Kapitän hat ein ganz bestimmtes Ziel. Eddas Urne wird nämlich nicht irgendwo ins Wasser gelassen.
"Das sind dann so gute zehn Seemeilen, die wir hinter uns gebracht haben. Da, wo wir die Beisetzung durchführen, hat sich früher mal Busen befunden. Büsum war mal eine Insel, also war eine Inselgruppe. Und darunter war auch Busen. Und da hat man halt Friedhofsreste gefunden von Alt-Busen. Und da hat die Genossenschaft gesagt: Komm, wir machen da die Beisetzung. Das hört sich ja gar nicht verkehrt an. Daher fahren wir immer da hin."
Thorsten Rahder, 46 Jahre alt, Mitglied der Deutschen Seebestattungsgenossenschaft, hat schon mehrere Tausend Trauergesellschaften über Nord- und Ostsee geleitet. Auch er möchte eines Tages mal auf dem Meer beigesetzt werden.
Die Trauergäste haben sich inzwischen über dem Schiff verteilt. Einige sitzen im hellen holzvertäfelten Salon an den Tischen. Andere stehen hinten am Heck, unterhalten sich angeregt, rauchen oder scheinen den Ausblick auf die Krabbenkutter zu genießen. Alles wirkt entspannt.
Jetzt wäre der richtige Moment, um mich mit meinem Mikrofon der Trauergesellschaft zu nähern. Aber ich habe mit den Gästen vereinbart, dass ich erst auf dem Rückweg auf sie zukommen darf. Wenn es denn passt.
Ich blicke mich um: Im Salon liegen auf einer Anrichte mehrere Blumensträuße. Dort steht auch die weiße Urne mit Eddas Asche. Ein Leuchtturm ist darauf gemalt. Die Urne wird sich im Wasser innerhalb weniger Stunden auflösen und dann sind Eddas Reste Teil des weiten, großen Meeres.
Die Angehörigen kommen einfach zurück
Die Idee, bei einer Seebestattung mitzufahren, bekam ich vor eineinhalb Jahren. Damals besuchte ich das Café von Petra Amelow. Es liegt auf einer Landzunge an der Ostsee in der Gemeinde Strande, direkt neben einem Leuchtturm. Nicht weit von hier legen die Schiffe ab, die Seebestattungen durchführen.
Das Sonderbare: Die Angehörigen kommen später an diese Stelle zurück, obwohl die Urnen längst im Meer sind. Nur ein paar Schritte von Petra Amelows Café entfernt legen sie kleine Blumensträuße ab, zünden Kerzen an oder hängen Plaketten mit den Namen der Verstorbenen ans Holzgeländer des Ostseeufers.
"Aber es bleibt nicht bei diesen Plaketten. Sondern es ist im Enddefekt wirklich so, dass am Strande Sachen verbracht werden, die da auf Dauer nicht hingehören, die dann ins Meer gespült werden; seien es Plastikgegenstände, Plastikblumen und, und, und. Das sollte hier eigentlich nicht sein."
"Aber es bleibt nicht bei diesen Plaketten. Sondern es ist im Enddefekt wirklich so, dass am Strande Sachen verbracht werden, die da auf Dauer nicht hingehören, die dann ins Meer gespült werden; seien es Plastikgegenstände, Plastikblumen und, und, und. Das sollte hier eigentlich nicht sein."
Auch andere Bewohner aus Strande sahen das Gedenken rund um den Bülker Leuchtturm skeptisch. Fanden, dass Trauer und Freizeitvergnügen an einem Ort nur schwer zusammengehen. Und so fassten die Gemeindevertreter einen Beschluss.
Seit knapp zwei Jahren hängt nun ein Schild am Holzgeländer: "Bitte keine Gedenkmarken anbringen. Diese werden kostenpflichtig entfernt. Der Bürgermeister." Das ist dort zu lesen.
Holger Klink, der Bürgermeister, ist heute froh, dass er damals reagiert hat. Er hat vielen Angehörigen die Gründe persönlich erläutert.
"Die Entscheidung, sich auf See wässern zu lassen, wie es offiziell heißt, beinhaltet automatisch, dass ich keinen Punkt habe, wo die Angehörigen hinkommen. Weil ich die Asche ansonsten nicht im Meer verstreuen würde. Es ist einfach der weite Raum, der gesucht wird, wo ich mich letztendlich auch dann als Sterbender vielleicht dann wohlfühle und wo ich mich auch wässern lassen möchte. Aber das steht immer im Widerspruch oder häufig im Widerspruch zu den Bedürfnissen der Angehörigen, die genau das Gegenteil wollen."
Braucht Trauer einen festen Ort?
Wollen die Angehörigen tatsächlich das Gegenteil? Braucht Trauer einen festen Platz? Jetzt, wo ich auf dem Schiff bin und zusammen mit der Familie die Urne von Edda Schott dem Meer übergeben werde, bin ich mir nicht so sicher, ob Holger Klink Recht hat. Alles wirkt so harmonisch.
Harald Kallas kommt in den Salon. Er ist Bootsmann und die gute Fee auf dem Schiff. "Man muss als Bootsmann eben nicht nur das Maritime draufhaben, sondern eben auch mit Menschen umgehen können. Das, denke ich mal, ist ganz wichtig zu erkennen. Will jemand alleingelassen werden? Will auch jemand – das habe ich mal bei einer Kollegin gehört –, dass man ihn auch mal in den Arm nimmt?"
Kallas reicht mal ein Taschentuch, nimmt die Blumen entgegen, serviert Getränke und Kuchen. Und er kümmert sich – falls gewünscht – um die Musik. "Ave Maria", "Biskaya" und "Time to say Goodbye" würden häufig gespielt, sagt Kallas.
"Ich gebe den Menschen viel. Ich bekomme aber auch Feedback von den Menschen. Und wir haben eine große Anzahl von Gästen bis zu 36 Personen. Manchmal ist es sehr traurig, wenn Sie nur eine oder zwei Personen dabei haben. Das ist dann schon für die Gäste vielleicht auch sehr traurig."
Das Motorengeräusch wird leiser und die "Aries" wird langsamer. Michael und Miriam Schlott und ihre beiden Söhne Hans und Viktor gehen nach hinten ans Heck. Auch die anderen Trauergäste versammeln sich dort. Dann stoppt das Schiff.
In der Ferne ziehen die riesigen Containerschiffe auf dem Weg in die Elbmündung vorbei. Dann ertönt aus den Lautsprechern der erste von drei Freddy-Quinn-Songs, die sich die Trauergemeinde gewünscht hat.
Zum Abschied singt Freddy Quinn
Aus dem Salon tritt nun Kapitän Thorsten Rahder. Behutsam trägt er vor seinem Bauch die Urne und geht langsam auf das Heck zu. Dort, am Schiffsende, stellt er sie ab in einem kleinen Metallrahmen auf der Reling.
Der Kapitän klappt ein Buch auf. "Steht nicht am Meer mit verweintem Gesicht. Ich bin nicht da, ich schlafe nicht. Ich bin im Wind, der weht über die See. Ich bin im Glitzer im weißen Schnee."
Michael Schlott und seine Familie stehen nun dicht nebeneinander. Auch die anderen Schiffsgäste sind eng zusammengerückt. "Wir nehmen jetzt Abschied von Edda und vertrauen ihre Asche der Obhut des Meeres an. Dort wissen wir sie gut aufgehoben. Von nun an können wir Edda nur noch in unseren Herzen suchen. Wenn wir sie dort finden, so ist sie stets bei uns."
Die Schiffsglocke wird vier Mal geschlagen. Dann lässt der Kapitän die Urne langsam an einem Seil ins Wasser gleiten. Er wünscht noch eine gute Reise. Kurz darauf ertönt die Schiffssirene. Jetzt liegen sich die Schlotts in den Armen, Tränen fließen. Nach und nach werfen sie ihre Blumen in die Nordsee.
Langsam nimmt das Schiff wieder Fahrt auf. Hinter dem Heck schwimmt auf der Wasseroberfläche ein kleiner Blumenteppich. Die "Aries" zieht mehrere Runden um die Stelle herum, an der eben die Urne versunken ist.
Ein Grab ist das nicht
Uwe Schlott steht am Heck und zündet sich eine Zigarette an. Der 84-Jährige trägt einen schwarzen Anzug und hat ein wettergegerbtes Gesicht. Bis heute ist er ein Segler geblieben und viele Fahrten hat er mit seiner Frau gemacht. 58 Jahre lang waren sie verheiratet.
"Meine Frau war Kapitäneuse! Und dann passt das! Die Arbeit durfte ich machen. Aber wo es längs geht, das sagte sie. Und das muss man einfach auch berücksichtigen. Sonst kann man so was nicht machen." Der Tod seiner Frau kam nicht unterwartet. Edda Schlott war schon lange schwerkrank. "Aber das nimmt einen ja doch etwas mit. Obgleich ich sechs Jahre Zeit hatte, mich drauf vorzubereiten."
Die Asche seiner Frau wurde genau dort verstreut, wo viele Jahre zuvor auch die sterblichen Überreste der Tochter in die Nordsee gingen. Die Koordinaten der Stelle kennt er. Aber ein Grab ist das nicht.
"Also, für mich ist das einfach: zur See, weg - und dann hat sich das! Ich brauche mich um kein Grab und um nichts kümmern. Ich weiß, wo sie ist. Ich habe zu Hause auch Seekarten. Und weil wir eben viel mit der See verbunden sind, war das die einzige Alternative. Sie wollte das gerne." - "Und ist das etwas, was Sie sich später auch vorstellen können, so auf See?" - "Da sollen die Gören sich drum kümmern!"
Das Schiff hat die Mole passiert und wird gleich am Büsumer Kai festmachen. Michael Schlott signalisiert mir, dass es jetzt passt. Zusammen mit seiner Frau Miriam und seinem Bruder Manfred setzen wir uns an einen Tisch im Salon.
"Der Moment der Beisetzung, der war sehr bewegend. Aber jetzt ist wieder gut." - "Was hast du für ein Gefühl?", fragt er seinen Bruder.
"Ja, das ist ja nicht anders, wie bei anderen Beerdigungen auch. Wo die Beisetzung selber dann doch noch einmal ein Rückblick ist. Aber man blickt vorwärts und erinnert sich eigentlich auch wieder an die lustigen Geschichten, die man mit ihr hatte. So haben wir einige Döntjes von unserer Mutter noch mal rausgezogen, vorhin auch wieder. Wir wussten eigentlich ja auch alle, was auf uns zukommt. Unsere Schwester liegt da vorne auch. Und insofern ist dann die Stimmung auch nochmal so schlecht bei der Beerdigung weil man sagt: Warte mal, wer liegt hier noch alles? Das ist dann irgendwie die Schwester, das ist dann irgendwie der alte Kumpel von dir in Hainhacker, die ganzen Segelfreunde, die sind da ja alle irgendwie hier. Und immer, wenn man aus der Elbe rausfährt, dann grüßt man die alle nochmal. Und das kommt dann natürlich alles noch 'on top'. Das ist so, als wenn man ein Familiengrab hat, wo man sagt, da liegt ja nicht nur Mutter, Oma, Opa und was weiß ich."
"Also, das ist für Sie ein Ort?" - "Das ist ein Ort, ja, auf alle Fälle." - "Ja. Ganz bestimmt!" Die Schlotts hier am Tisch, alle drei, wollen es später genauso machen. Sie wollen auf See beigesetzt werden.
Manches sollte man zu Lebzeiten klären
Am Fuße des Bülker Leuchtturms herrscht schönstes norddeutsches Schmuddelwetter. Wer unten auf dem Gehweg am Holzgeländer steht, hat einen herrlichen Panoramablick auf die Ostsee und auch auf die Kieler Tiefe, wo regelmäßig Seebestattungen stattfinden.
Maren Reimers kommt oft hierher auf ihren Spaziergängen am Meer entlang. Die 58-Jährige hat nichts davon mitgekriegt, dass es hier in Strande am Ostseeufer in den letzten Jahren immer wieder Ärger gegeben hat wegen des Gedenkens. Auch das Schild mit "Bitte keine Plaketten mehr anzubringen" ist ihr noch nicht aufgefallen. "Keine Ahnung, ich weiß nicht, ob es nötig ist, kann ich nicht beurteilen. Ich würde jetzt hier Gedenkmarken nicht störend finden, der Zaun ist ja lang genug."
Derzeit führt Maren Reimers noch ein Pendlerleben, arbeitet unter der Woche in München. Gleich muss sie wieder umdrehen und zum Zug. Sie fühle sich dem Meer sehr verbunden, sagt sie, und wolle später selber auch eine Seebestattung. Diesen Wunsch habe sie bereits auch schon gegenüber ihrer Familie geäußert.
"Also, mein Sohn hat ganz spontan gesagt, das ist ja blöd, wo soll ich denn dann zum Gedenken hingehen? Aber ich weiß nicht, ob das jetzt so ganz ernst ist. Denn gerade erwachsenen Kinder, die ganz woanders wohnen – in München zum Beispiel und so weiter – wären dann ja doch mit der Pflege eines Grabes in Kiel eher irgendwie überfordert oder so was. Ich weiß es nicht!"
Ein paar Meter entfernt schließt Strandes Bürgermeister Holger Klink fast zeitgleich ein Eisentor auf. Schon länger wird in Strande überlegt, wie sich die Seebestattungen und der Tourismus verbinden lassen. Beides sind für die Gemeinde Wirtschafsfaktoren. Rund 500 Mal im Jahr laufen aus dem Strander Hafen die Schiffe zu Seebestattungen auf der Ostsee aus.
Die Gedenkplaketten sind zwar entfernt, aber trauernde Angehörige kann man schlecht vertreiben, sie kommen immer wieder. Also muss man eine Alternative finden. Holger Klink zeigt auf das Gelände voller Unkraut und Baracken.
"Das war früher eine Überwachungsstation und man hat letztendlich hiermit die Ostsee überwacht. Aber wenn man hier ein bisschen weiter nach vorne geht, sieht man von den Steilküsten bis über die Eckernförder Bucht weit rüber nach Schönberg, Laboe - bis runter zur Kieler Förde. Dieses Areal gibt eigentlich beiden Interessengruppen ausreichend Möglichkeiten, ihr Anliegen zu verwirklichen."
Schon in zwei oder drei Jahren könnte das Gelände womöglich wieder zugänglich werden. Gastronomie könnte hier entstehen, Ausstellungsräume in den alten Gebäuden. Und: In einem der unterirdischen Bereiche ließe sich eine Gedenkstätte für die auf Seebestatteten errichten, sagt der CDU-Politiker. Düstere Aussichten?
"Nein, es soll nicht düster sein. Aber das, was die Trauernden oder Hinterbliebenen sich oftmals wünschen, ist ein Platz der Ruhe und der Andacht. Und das kann man natürlich dann dort deutlich besser machen als an einer Promenade, wo links und rechts getanzt und gelacht wird."
Holger Klink hat lange selbst mit dem Gedanken gespielt, sich später auf See beisetzen zu lassen. Aber inzwischen hat der Vater von sechs Kindern davon Abstand genommen. Eben um ihnen doch einen Ort zum Trauern zu geben.
"Nämlich einen festen Ort, wo man seine Trauer ausleben kann, wo man gedenken kann und wo man seine Gefühle notfalls auch zeigen kann. Und das ist etwas, das muss zu Lebzeiten geklärt werden und nicht erst nach dem Todesfall. Und das haben wir in der Gemeinde eben sehr wohl festgestellt, dass wenn diese Diskussion nicht stattfindet, es dann häufig zu Konflikten hinterher kommt."
Eine Gedenkfahrt spendet Trost
Einige Wochen später bin ich schon wieder auf der "Aries" - dieses Mal nicht zur Seebestattung, sondern zu einer Gedenkfahrt. Einmal im Jahr organisiert die Deutsche Seebestattungsgenossenschaft solche Fahrten, weil es ein großes Bedürfnis danach gibt. Die Angehörigen zieht es zurück an den Ort der Beisetzung. Die Anfrage für die Gedenkfahrten steigt. Rund 2000 Fahrgäste sind es in diesem Jahr, die an den Fahrten vor Kiel, Travemünde oder Büsum teilnehmen.
Auf der "Aries" sind rund 30 Passagiere, die meisten haben Blumen dabei. Ingrid Braun, 82 Jahre alt, stammt aus Stuttgart und ist das erste Mal bei einer Gedenkfahrt. Vor drei Jahren wurde hier auf der Ostsee ihr Bruder beigesetzt. Ihr Eindruck: "Also, sehr berührend, sehr beeindruckend, sehr feierlich. Und die Mitmenschen hier, die alle dabei sind, haben alle ein Schicksal ähnlicher Art. Und obwohl man so gut wie nicht miteinander spricht, hat man doch das Gefühl, dass man verbunden ist."
Ingrid Brauns Bruder war bei der Marine, für ihn war schon früh klar: Er wollte eine Seebestattung. Eben weil es kein Grab gebe, sei diese Fahrt für sie sehr wichtig, erklärt Ingrid Braun. "Aber hier, in diesem Fall alleine schon die Abfahrt, bis zu dieser Gedenkstätte ist man ja fast eine Stunde auf dem Schiff und hat wirklich Gelegenheit, auf dem Meer zu sein und auch daran zu denken, dass er da begraben ist. Und man hat viel mehr Zeit, das Gedenken zu entwickeln als – so empfinde ich es jedenfalls –, als wenn man auf den Friedhof geht."
Mit an Bord ist auch Ralf Paulsen. Er ist Bestatter in Kiel und Mitglied im Vorstand der Deutschen Seebestattungsgenossenschaft. Die Nachfrage nach Seebestattungen hat sich in den letzten zehn Jahren etwa verdoppelt. Das hat aus Sicht Paulsens weniger mit der Verbundenheit zum Meer als mit den veränderten Lebensumständen zu tun. Familien leben heute immer seltener an einem Ort. Wer sollte sich dann um ein Familiengrab kümmern?
"Die Angehörigen möchten pflegeleichte, unkomplizierte Bestattungsplätze. Das sieht man, dass es auf den Friedhöfen immer ein bisschen weniger zu tun gibt, dass immer mehr auch in die Waldbestattung gehen und somit ist das so ein bisschen die Flucht vor dem Geregelten."
Keine Grabpflege, keine Gebühren
Knapp 2200 Euro kostet im Durchschnitt eine Seebestattung, heißt es vom Bundesverband Deutscher Bestatter. Darin enthalten sind allerdings noch nicht die Kosten für die Trauerfeier und die Verwaltungsgebühren. Doch da es sich eben nicht um einen Beisetzungsplatz auf dem Friedhof handelt, fallen die Gebühren für Grabpflege weg.
Nach einer knappen Stunde ist die Kieler Tiefe erreicht. Die Gäste ganz unterschiedlichen Alters sammeln sich nun hinten am Heck. Neben ihnen steht Peter Scharfenberg. Er ist evangelischer Pastor in der Küstengemeinde Strande.
Trauer brauche einen Ort, sagt Scharfenberg. Er weiß, dass genau dies bei der Seebestattung ein kompliziertes Thema ist. Scharfenberg trägt nun eine maritime Version des Psalms 23 vor.
"Der Herr ist mein Lotse. Ich werde nicht stranden. Er leitet mich auf dunklem Wassern und führt mich auf der Fahrt des Lebens. Er gibt mir neue Kraft und hält mich auf rechtem Kurs um seines Namens willen."
Keine Urne gleitet an diesem Nachmittag ins Meer - und dennoch ist die Stimmung ähnlich, wie ich sie bei der Seebestattung vor Büsum erlebt habe. Viele Gäste weinen, als sie ihre Blumen in die Ostsee werfen. Auch jetzt wird die Schiffsglocke geschlagen und auch hier dreht die "Aries" noch ein paar Ehrenrunden.
Eine Frau spricht mich an, 56 Jahre alt, aus Hannover. Ihren Namen mag sie nicht nennen. Für sie und ihren Mann ist es heute bereits die achte Gedenkfahrt. 2011 ist Jessica, die Tochter ihres Mannes, nach längerer Krankheit gestorben. Jedes Mal sei die Gedenkfahrt aufs Neue schmerzlich.
Dass sich Jessica eine Seebestattung wünschte, hätten sie erst sehr spät erfahren. "Wir hatten sie ja noch die letzte Woche bei uns zu Hause, bevor sie verstorben ist. Da waren wir selber erschrocken. Weil ich glaube, mein Mann hätte es lieber gehabt, sie wäre zu ihrer Mutti gekommen oder zu uns auf den Friedhof. Und dass wir hier jedes Mal wenigstens einmal herfahren können, das hilft schon ein bisschen. Weil es die einzige Möglichkeit ist, um so nah ranzukommen und einfach noch mal so da zu sein. Das ist schon hart!"
Ihr Ehemann sitzt während des Interviews neben ihr und schweigt. 34 Jahre war seine Tochter alt, als sie starb. Sie war eine gute Schwimmerin.
Der Pastor fragt jeden: Warum eine Seebestattung?
Das Fehlen eines Grabes und damit auch eines Orts zum Trauern habe ihren Mann mehrere Jahre sehr aufgewühlt. Erst als sie auf das Grab seiner Mutter einen kleinen Stein zum Andenken an Jessica gelegt hätten, sei es besser gegangen.
"Wir haben uns auch so eine schöne Ecke gestaltet am Fenster. Da ist dieser Kieler Leuchtturm. Dann haben wir noch so ein Bild, wo sie mit drauf ist, mit der Urne damals, wo sie eingelassen wurde. Aber das ist nicht das, wo man trauern möchte. Für den, der sich das wünscht, finde ich das in Ordnung. Aber auch der Hinterbliebene muss eine Möglichkeit haben zu trauern. Und vielleicht sollte man das wirklich zusammen besprechen."
Auch sie habe lange Zeit an eine Beisetzung auf See gedacht, um ihrer Familie die Grabpflege zu ersparen. Doch inzwischen sei sie davon abgerückt, sagt die Frau und schaut auf ihren Ehemann. "Weil ich selber drei Kinder habe und ich will es denen nicht zumuten, so wie er das durchgemacht hat. Weil ich selber aus Magdeburg komme und mindestens vierteljährlich zum Grab meiner Eltern fahre. Weil: Ich könnte das gar nicht. Wenn ich da bin und vor dem Grab stehe, dann geht es mir wieder gut. Dann ist es gut, alles, dann kann ich auch wieder beruhigt wieder zurück fahren. Ich glaube, das brauchst du als Mensch, diese Trauerzeit. Und die geht auch nicht vorbei, das heilt auch keine Wunden."
Pastor Peter Scharfenberg, der die Gedenkfahrt begleitet, stellt jedem, der ihm von seinem Wunsch erzählt, auf See beigesetzt zu werden, die Frage: Warum? Bei manchen Personen sei dies vollkommen klar, Seefahrer zum Beispiel. Andere wollten vielleicht nur keinen mit der Grabpflege belasten. Die Hinterbliebenen müssen aber mit der Entscheidung des Verstorbenen leben.
"Man sagt eigentlich schon so in der wissenschaftlichen Seelsorge: Trauer braucht in der Regel, sage ich mal, einen Ort - und da ist ein Friedhof sehr geeignet."
Platt ist das Land rund um Wewelsfleth. An diesem nebligen und kühlen Morgen besuche ich noch einmal die Familie Schlott, will wissen, wie es Miriam, Michael und seinem Vater Uwe geht, einen knappen Monat nach der Beisetzung von Edda vor Büsum.
Soll ich meine Hinterbliebenen belasten?
Auf dem Hof laufen Gänse, Hühner und Katzen herum. Die Elbe fließt nur ein paar Kilometer weiter vorbei, auch die Nordseemündung ist nicht weit entfernt. Die Diele ist voller Schiffsmodelle und Segelbilder.
"Wenn keine Deiche wären, dann würden wir bei jeder Flut auf dem Marktplatz Wasser haben!" Der 84-Jährige Uwe Schlott, der vor einem Monat seine Frau Edda auf See bestattet hat, sieht an diesem Morgen ganz norddeutsch aus mit seiner Prinz-Heinrich-Mütze.
Es sei schon lange her, dass er mal bei einer Beerdigung war. Also einer Beisetzung, bei der der Sarg in der Erde verschwand, erinnert sich Uwe. Die Tradition sei verschwunden.
"Als mein Vater gestorben ist, da gehörte sich das so, dass man ein Familiengrab kriegt, wo nachher auch die anderen hinkönnen. Das war damals einfach gesellschaftliche Verpflichtung. Da konnten die Friedhöfe gar nicht groß genug werden. Und heute wird es nicht mehr gebraucht. Jetzt warten sie bloß darauf, dass die Gräber plattgemacht werden können."
Der Mensch lebe in Gedanken weiter, die Erinnerung sei wichtiger als das Grab, findet seine Schwiegertochter Miriam. Grabpflege kostet Zeit und Geld. Die 38-Jährige glaubt, dass sich in Zukunft immer mehr Menschen für eine anonyme Bestattung entscheiden werden. Wenn sie das Thema nicht lieber verdrängen.
"Klar ist natürlich, wenn du ein gewisses Alter erreichst, dass du dann drüber nachdenkst und überlegst: Soll ich jetzt meine Hinterbliebenen belasten mit irgendwas? Ich mache jetzt schon mal so ein kleines Sparbuch, damit ich meine Beerdigung schon fertig habe. So wie meine Großmutter jetzt, die bei mir wohnt. Die hat das natürlich alles vorbereitet, sie weiß ja auch, was für Kosten da auf uns zukommen. Und deswegen hat sie da so ein kleines Sparbuch, wo sie dann ihre Beerdigung quasi schon vorgeplant hat."
Nur wenige Kilometer vom Hause der Schlotts entfernt liegt die Peters Werft. Seit Monaten wird dort ein mehr als 100 Jahre altes Segelschiff wieder flottgemacht. Als die "Peking" früher zwischen Europa und Südamerika pendelte, gab es noch keine Seebestattungskultur wie heute. Seeleute, die an Bord verstarben, wurden meist nach wenigen Stunden in ein Tuch eingehüllt über Bord geworfen. Kaum vorstellbar, dass Angehörige später zu dieser Stelle noch einmal zurückkehren konnten.
Uwe Schlott hingegen weiß genau, wo er seine Lieben findet. Im kommenden Jahr will er mit seinem Boot zu jener Stelle vor Büsum fahren, an dem seine Frau beigesetzt wurde. "Ich werde nichts Besonderes machen. Aber ich möchte einmal noch die Stelle besuchen, wo meine Tochter und meine Frau ist."