Trepp auf - Trepp ab

Von Johannes Nichelmann |
Man hat errechnet, dass ein Postbote exakt vier Sekunden hat, um einen Brief zuzustellen. Und bei der Paketpost ist es nicht viel besser. Kein Wunder, dass die Mitarbeiter kurz vor Weihnachen über schlaflose Nächte klagen, in denen sie ihre Touren planen. Die Transporter sind voll bis unters Dach.
"Gestresst. Genervt. Einfach nur gestresst und genervt. Stress und Nerven wieder blank. Ähm... überfüllte... sehen Sie ja selber, wie voll. Sieben Meter. Nur Stress. Aber jetzt muss ich auch weitermachen, weil die Jungs warten da unten."

Der Fahrer des großen gelben DHL-LKWs drückt seine beiden Fäuste in den Rücken und macht ein Hohlkreuz. Kurz durchatmen. Seine Ladefläche ist bis oben hin mit Paketen in allen Formen und Farben gefüllt. Er muss jedes einzelne in die Hand nehmen und auf ein Rollband werfen. Pappkisten aus der ganzen Welt, gefüllt mit Gegenständen, die irgendwo in Berlin schon sehnsüchtig erwartet werden. Heute Nacht hat er den LKW im Paketzentrum Rüdersdorf bei Berlin abgeholt. Hier im Verteilzentrum in Neukölln wird die Ware an diesem Morgen in die Zustellfahrzeuge verladen. Bis zum Abend muss alles ausgeliefert sein.

Viele der Kisten, die der Fahrer auf das Rollband schickt, kommen ganz am anderen Ende der Halle bei Michael Heisler an. Im typischen Post-Outfit und mit bunter Wollmütze steht er am Band und kontrolliert, ob die Pakete zu seiner Tour gehören. Mit einem Scanner bewaffnet, lädt er alles in seinen gelben Transporter:

"Weihnachten ist so die Sonderzeit. Weil, es sind extrem viele Pakete, aber die Leute sind so ziemlich zufrieden. Freuen sich. Man sieht so den Leuten die Freude halt an. Es ist so anders als im Sommer, wo alle im Urlaub sind, wo keiner da ist und man versucht dann seine Sendung los zu werden. Und natürlich ist das auch eine Herausforderung, der man sich stellen muss."

Seit 21 Jahren macht er den Job schon. Zu normalen Jahreszeiten stellt die deutsche Post jeden Tag ungefähr drei Milionen Pakete zu. Jetzt in der Vorweihnachtszeit sind es mehr als doppelt soviele. Eine Herausforderung für Heisler und seine Kollegen.

"Ja, das plötzlich soviele Pakete kommen, dass man nicht durchs Auto kommt. Die Kälte ist natürlich ein extremes Thema. Der Schnee jetzt kurz vor Weihnachten."

Um sieben Uhr hat Michael Heisler angefangen seinen Wagen zu beladen. Jetzt, um kurz nach acht, ist er halb voll. Auf dutzenden Päckchen prangt das große Logo eines Lebkuchenherstellers. Andere sind mit Schneemännern und Weihnachtsengeln beklebt worden. Und: egal wohin man blickt, überall sind Kisten mit dem Aufdruck eines großen Internetversandhandels. Das Geschäft boomt. Die Post profitiert. Michael Heislers Auto ist selten so voll, wie an diesen Tagen.

"Ja, so 160, 170? Jetzt wird es natürlich noch mehr werden. Es wird immer geraffter. Also man wird nachher bloß noch mit ein, zwei Straßen rausfahren und ewig nicht wegkommen. Aber es werden 200 Sendungen sein. Der letzte Tag vor Weihnachten wird dann das Härteste sein."

Ein Pensum, das mit dem vorhandenen Personal kaum zu schaffen ist. Zur Weihnachtszeit stellt die Deutsche Post deswegen sogenannte Abnehmer ein. Einer von ihnen ist Björn. Ein langgewachsener Typ, mit langem grauen Pferdeschwanz. Er steckt sich gerade einen großen, runden Button an die Jacke. Darauf die Werbebotschaft, dass die Post zur Weihnachtszeit eben besonders zuverlässig ist.

"Bin gerade die dritte Woche dabei. Und was ich sonst mache, weiß ich noch nicht. Das wird die Leitung entscheiden. Ich hab jetzt einen befristeten Arbeitsvertrag bis 29.12. Und danach müssen wir halt mal schauen, wie das weitergeht."

Seine Aufgabe als Abnehmer ist es, die Hauptfahrer zu entlasten. Er übernimmt Teile von mehreren Touren. Da ist er viel in Gegenden unterwegs, in denen er sich nicht auskennt, erzählt Björn. Das macht die Aufgabe besonders schwierig:

"Dass ich mich umgucken muss, wo sind die. Wie liegen die Hausnummern? Rechts, links? Aufgehend, absteigend und so weiter. Dann muss ich gucken, wo hab ich meine Postfilialen. Sollte ich Pakete nicht erfolgreich abliefern, muss ich sie zur Post bringen. Also jeden Tag eine neue Überraschung."

Erstmal muss Björn zum Chef und sich sagen lassen, wieviele Pakete er heute genau von wem bekommt. Sicher ist: es werden sehr viele sein. An diesem Morgen sind allein im Paketzentrum Berlin-Neukölln rund 14.000 Pakete angekommen. 9.000 sind es normalerweise. Björns Tag wird also noch ziemlich lange dauern.

Um kurz vor neun Uhr ist Michael Heislers Postauto voll beladen. Die Fächer links und rechts sind randvoll. Auch der schmale Gang zwischen Fahrerhäusschen und Hecktüren ist zugestellt. Nichts gegen meinen härtesten Winter, erzählt der Paketbote. Vor drei Jahren wusste er gar nicht, wie ihm geschieht.

"Verrückt! Da wo diese drei Monate Schnee waren, wo man dann alles nach Hause brachte. Selter und Katzenstreu und Hundefutter und Geschenke natürlich, klar..."

Während der Arbeit, sagt er, merkt er gar nicht, wie sehr ihn der Job anstrengt. Weil er immer in Bewegung ist. Pakete sortiert, einlädt. Dann ins Zustellgebiet nach Berlin-Kreuzberg fährt. Treppen rauf und Treppen runter. Hier klingeln, dort klopfen. Über einhundert Mal am Tag.

"Das merkt man erst hinterher, wenn man zusammenfällt, nach Weihnachten. Also ich fahre nach Weihnachten immer drei Tage Zelten, weil ich das sonst nicht... also diese Abstand brauche, um einfach dieses Geschäft für das nächste Jahr wieder neu zu starten so... Man sitzt am Lagerfeuer und denkt an nichts mehr. An keinen Kunden, an kein Paket. An gar nichts."

Bevor Heisler seinen Wagen von der Laderampe wegfahren kann, muss er noch die Scheiben frei kratzen. Wäre echt schön, sagt er und lacht, wenn Weihnachten wenigstens im Sommer stattfinden könnte.
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