Zwischen Wirtschaftsboom und Brückenbau
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Wenn Union Berlin im Stadion "Alte Försterei" spielt, kommt es zum Stau. Die maroden Brücken in Treptow-Köpenick werden saniert. Der Wissenschaftsstandort Adlershof hingegen erzählt eine Erfolgsgeschichte an einem ehemaligen Industriegelände.
Die Salvador-Allende-Brücke ist die zentrale Verkehrsachse über die Müggelspree. Wer aus Köpenick oder den weiter südöstlich gelegenen Wohngebieten Richtung Norden und damit auch in die Berliner City will, muss über diese Brücke. Für den Pkw- und Lkw-Verkehr ist sie seit Beginn des Jahres gesperrt. "Infolge standsicherheitsgefährdender Schäden", heißt es im Prüfbericht der Senatsverwaltung für Verkehr. Konkret: die Brücke hat Risse.
Seitdem staut sich der Verkehr. Manchmal Kilometerweise. Unter Hochdruck wird an einem Ersatzneubau gearbeitet. Direkt daneben. Ein Teil der neuen Brücke ragt bereits über die Spree. Projektleiter Arne Huhn ist zuversichtlich, dass in Kürze auch der zweite Brückenkopf fertig wird.
"Die Schalung steht, in dieser Schalung wird derzeit die Bewehrung verlegt, und dann kommt der Beton rein, und dann darf's aushärten, und: Wir nehmen jetzt schon besonderen Beton, der eben noch ein bisschen schneller aushärtet, um jeden Tag noch rauszuholen, um noch ein bisschen schneller zu werden."
Dennoch ist klar: Für Pkw und Lkw bleibt der Fluss an dieser Stelle bis Ende des Jahres unpassierbar. Die Verkehrsteilnehmer brauchen wegen der Umfahrung jeden Tag wenigstens eine halbe Stunde länger. Und die Geschäftsleute erleiden Umsatzeinbußen. Wie zum Beispiel der Korbflechter Andreas Erdt, der am Brückenkopf auf der einen Uferseite einen Laden mit Rattanmöbeln hat. Er nimmt es jedoch mit Humor.
"Ist ruhiger geworden hier, also man hat so ein Spreeflair, was dann entsteht. Was bleibt mir übrig? Ja, ich kann das Handtuch werfen, ich kann aber auch weiterkämpfen. Und ich bin eigentlich gewohnt zu kämpfen, ich bin ja schon selbstständig seit DDR-Zeiten, zum anderen ist das natürlich auch eine Verwirrung für die ganzen Leute, die sonst hier lang gefahren sind, die fahren dann plötzlich andere Wege, und du wirst hier als Geschäft nicht mehr wahrgenommen."
Fluch und Segen zugleich
Viele Köpenicker sind sauer. Weil die Verkehrsexperten vom Senat keine Behelfsbrücke in Auftrag gaben. Als schnelle Übergangslösung.
"So eine Behelfsbrücke, an sich hört es sich immer einfach an, dass man die eben relativ schnell hinbaut, da muss man zwei Sachen unterscheiden, zum einen das Bauliche, und zum anderen das Planrechtliche, ich darf eben nicht einfach irgendwo mal eine Brücke hinsetzen, und wenn man hier links und rechts guckt, ist zwar die Bebauung nicht an allen vier Ecken jetzt so dicht, aber es sind eben überall Randbedingungen, wo ich nicht einfach eine Behelfsbrücke hinsetzen kann. Dann sind relativ viele Leitungen hier unten auch in der Erde, und das hätte ich alles über ein Planrechtsverfahren klären und regeln müssen, das dauert mehrere Jahre im Schnitt."
Wenn die Bauarbeiter dann auch noch ein Kabel zerhacken – wie im Februar geschehen – und Tagelang der Strom ausfällt, geht gar nichts mehr. Die Verkehrsprobleme jedenfalls bleiben den Köpenickern erhalten. Der Bezirk ist der wasserreichste Berlins, aber die Brücken müssen fast alle saniert oder ersetzt werden. Fluch und Segen zugleich, meint Bezirksbürgermeister Oliver Igel: "Treptow-Köpenick: Wald, Wasser, Natur, Entspannung, ja, und die Schattenseite ist dann eben der eine oder andere Stau. Das ist so."
Wohnungen, aber zu welchem Preis?
Eigentlich könnte der Bagger nebenan gleich weitermachen. Auf der Nordseite des Flussufers, direkt neben der Salvador-Allende-Brücke, steht das Kabelwerk Köpenick, beziehungsweise das, was davon noch übrig ist. Ein ehemals volkseigener Betrieb der DDR, dessen Fenster zerstört und Fassaden beschmiert sind. Seit fast drei Jahrzehnten liegt das 70.000 Quadratmeter große Gelände brach. Einzelne Gebäude stehen unter Denkmalschutz. 2017 kaufte der umstrittene Immobilienkonzern Deutsche Wohnen das Areal. Bis zu 1.000 Wohnungen will das Unternehmen hier bauen. Bezirksbürgermeister Oliver Igel ist dagegen.
"Lange hat sich niemand dafür interessiert, möglicherweise hat sich jetzt der Falsche dafür interessiert. Und wir sehen: da gibt es einen Investor. Und ich bin auch überzeugt, dass der ernsthaft dort Wohnungen bauen will. Aber zu welchem Preis, ist die Frage. Und wir wollen, dass dort auch in Größenordnungen bezahlbarer Wohnraum entsteht. Also mietpreisgebundener Wohnraum. Wir sollten lieber länger diesen Anblick ertragen als dort eine falsche Stadtentwicklung zu forcieren."
Klare Worte vom SPD-Mann. Michael Müller, Landesvorsitzender der Sozialdemokraten und Regierender Bürgermeister von Berlin, dürfte aufhorchen. Er hatte zuletzt immer wieder deutlich mehr Neubau in der Stadt gefordert. Oliver Igel auf Konfrontationskurs? "Nein, das glaube ich nicht, weil Treptow-Köpenick sich, was den Wohnungsneubau betrifft, nicht verstecken muss. Wir liegen seit Jahren immer unter den besten zwei oder drei Bezirken, die neuen Wohnraum ermöglicht haben. Und dann muss es uns auch gegönnt sein, dass wir auch die Stadtentwicklung in den Blick nehmen und sagen: Wir müssen das aber auch mit Bedacht entwickeln." Noch im entfernten Treptow-Köpenick ist also das Ringen der Landesregierung um die richtige Wohnungsbaupolitik zu spüren.
Adlershof boomt
Eine Erfolgsgeschichte liefert dagegen der Wissenschaftsstandort Adlershof. Seit Jahren zählt der dort ansässige Technologiepark zu den Musterbeispielen der Berliner Wirtschaftsförderung. Weit mehr als eintausend Firmen sind dort mittlerweile ansässig. 2018 verbuchten sie Umsätze in Höhe von 2,3 Milliarden Euro. Adlershof boomt.
Eine solche Entwicklung erhofft sich auch der benachbarte Ortsteil Schöneweide, der ehemals größte Industriestandort Europas. Susanne Reumschüssel, Filmemacherin und Vorstandsmitglied im Industriesalon Schöneweide, ist allerdings skeptisch.
"Schöneweide ist irgendwie noch im Dornröschenschlaf, das reizt viele Menschen, das interessiert sie, die glauben dann immer, hier sei ja ein Riesenpotenzial. Wie oft ich diesen Satz gehört habe. Stimmt nicht, weil alles Privatbesitz. Aber man hat den Eindruck. Die Leute fühlen sich animiert zu überlegen: Was könnte hier passieren?"
Der Künstler Olafur Eliasson und Rockmusiker Bryan Adams haben sich hier riesige Industrielofts gekauft. Denn der Ort lebt von seiner Geschichte. Vor gut einhundert Jahren waren Nieder- und Oberschöneweide das Zentrum der Elektroindustrie. Elektropolis wurde Berlin damals genannt. Zu DDR-Zeiten arbeiteten hier 25.000 Menschen. 1989 fiel die Mauer, fast alle Betriebe machten dicht, die Menschen verloren ihre Arbeit.
Industrielles Erbe bewahren
"Es ist zwar nach der Wende alles unter Denkmalschutz gestellt worden, aber ich bitte Sie: Man fährt hier lang, man weiß nichts. Zumal ja bis heute die großen, ortsbestimmenden Produktionsgebäude einfach mal leer stehen."
Vor zehn Jahren beschloss Susanne Reumschüssel, das industrielle Erbe zu bewahren. Sie gründete den "Industriesalon Schöneweide", einen gemeinnützigen Verein. Als erstes retteten die Mitglieder das letzte verbliebene Werksmuseum des ehemaligen Werks für Fernsehelektronik der DDR.
"Das Museum war komplett da, das ganze Gebäude gehörte Samsung Korea, und die haben gesagt: 'Gut, dass Sie anrufen, wir müssen das Haus gerade übergeben, besenrein, wir müssen eh alles hier raus holen, holen Sie sich weg, was Sie brauchen.'"
Von der Elektronenröhrenorgel bis hin zur drei Meter hohen Kabeltrommel: Die Exponate des Museums, dazu zahlreiche Zeitzeugenberichte sind heute in einer Produktionshalle auf dem Gelände des ehemaligen Transformatorenwerks ausgestellt. Etwas versteckt ein besonderes Schmuckstück: eine Petroleumlampe.
Ein weiter Weg nach Oberschnöselweide
"Die Ingenieure und die Arbeiter, die haben einfach die Teile mal mitgenommen nach Hause, aus der Elektronenröhrenfertigung, und haben sie zu Petroleumlampen für ihre Datschen umgebaut. Das finde ich wunderbar. Hightech wird anwendbar."
Der Industriesalon Schöneweide macht Geschichte erlebbar und lebendig. Auch in Teile des übrigen Industrieareals ist wieder Leben eingezogen. Mehr als 10.000 junge Menschen studieren an der Hochschule für Technik und Wirtschaft. Viele Kreative und Startup-Unternehmer haben sich neuerdings angesiedelt. Großartig, findet der Bezirksbürgermeister.
"Wir können sehr froh sein, dass heute keiner mehr von Oberschweineöde spricht, aber nach Oberschnöselweide ist es zum Glück noch ein weiter Weg."
Stolz auf 1. FC Union Berlin
Die entsprechende Bodenhaftung bietet der 1. FC Union Berlin. Denn die Eisernen, wie sie sich selbst nennen, haben ihre Ursprünge in Oberschöneweide. Hier wurde der Verein 1906 gegründet und 1951 in der DDR als BSG Motor Oberschöneweide wieder zugelassen. Auf die Tradition als Arbeiterklub sind die Fans bis heute stolz.
"Man sieht’s ja auf alten Bildern, also Jeans mit Schlag, etwas längere Haare, es war eben doch ein anderes Publikum. Ich meine so: Mehr von der Stange, so wie du und ich. Nicht so elitär, fand ich. Man konnte da salopp hingehen, und damals auch schon mit Kindern und alles."
Mirko Lange, 50, ist seit seinem fünften Lebensjahr Fan von Union. Gemeinsam mit seiner Ehefrau betreibt er eine Kneipe am Rande der Altstadt von Köpenick. Über dem Tresen hängt ein Fernseher. Beim entscheidenden Aufstiegsspiel von Union gegen Stuttgart war die Kneipe so voll, dass viele draußen vor dem Fenster standen und von dort versuchten, einen Blick auf den Fernsehschirm zu erhaschen.
"Das war natürlich für uns ein Geschenk, dass wir etwas entspannter in die toten Sommermonate gehen konnten. Was jetzt kommt, lassen wir uns mal überraschen."
Zweifelhafter Sponsor
Überrascht wurden viele Fans, als ihr Klub den neuen Hauptsponsor bekannt gab: "Aroundtown", ein international tätiger Immobilienkonzern mit mehreren Tausend Wohnungen in Berlin und eher zweifelhaftem Ruf. Eine Entscheidung, die viele Fans zornig macht, weil, so argumentieren sie, der Konzern nicht zu Union passt. Die beiden Wirtsleute aus Köpenick sehen es pragmatisch: "Ja, von mir aus. Wenn er sein Geld da lässt. Ich bin da nicht ganz so empfindlich. Geld her, und dann ist gut."
"'Aroundtown' gut, ist eine Nummer für sich, ist auch nicht mein Favorit, aber Fakt ist: Irgendwo müssen die Gelder herkommen, da kann ich nur Christian Arbeit zitieren, und da hat er einfach Recht: 'Nur mit Bier und Bratwurst geht es einfach nicht.'"
Christian Arbeit, das ist der Pressechef des 1. FC Union. Eines Vereins, der weit über die Grenzen der Hauptstadt bekannt ist. Für das Weihnachtssingen im Stadion an der Alten Försterei, das sich seit 2003 zu einer Art Exportschlager entwickelt hat. Und dafür, dass die Fans vor zehn Jahren bei der Stadionrenovierung mithalfen. Sein Büro liegt nur wenige Meter neben der vierspurigen Hauptverkehrsstraße, die durch den Bezirk führt und regelmäßig verstopft ist. Die Tatsache, dass die zuständige Senatsverwaltung immer noch kein neues Verkehrskonzept für die Heimspiele vorgelegt hat, beunruhigt Christian Arbeit erstaunlich wenig.
Noch ein Verkehrschaos droht
"Ganz unabhängig davon, wie es rund um Unionspiele aussieht, ist Köpenick sicherlich an der Grenze des Erträglichen. Das hat mit Unionspielen eigentlich gar nix zu tun, da kann man jeden Abend schauen und jeden Morgen, wie die Stausituation ist, nein, da fühlen wir uns angemessen betreut und unterstützt und haben keine Zweifel daran, dass wir das gemeinsam auch auf den Weg bringen werden."
Spätestens in einem Jahr soll das Verkehrskonzept vorliegen. Dann will Union Berlin mit dem Stadionausbau beginnen. Und die Kapazität von aktuell 22.000 auf 37.000 Plätze erhöhen. Bis dahin droht jedoch weiteres Verkehrschaos. Denn noch eine Brücke muss saniert werden. Und die befindet sich nur wenige Meter neben der Alten Försterei.