Als wir uns 2016 begegnet sind und wir die ersten Bilder auch gemacht haben, war noch nicht ganz klar, dass es ein Buch wird. Das hat sich erst im Laufe der Jahre entwickelt. Genauso hat sich auch so etwas wie Vertrauen und gegenseitige Akzeptanz entwickelt. Damit meine ich auch eine physische Nähe, wenn man in Extremsituationen angespannt trainiert oder sich vorbereitet - und da ist dann ein Fotograf dabei.
Jan Frodeno
Jan Frodeno gewann 2015, 2018 und 2019 den Ironman auf Hawaii. © dpa / picture alliance / Hilger
Ein legendärer Triathlet
06:44 Minuten
Siege, Niederlagen, Comebacks: Kein Triathlet war erfolgreicher als Jan Frodeno. Der Fotograf Tino Pohlmann hat ihn nach Hawaii und in Europa zu Wettkämpfen und im Training begleitet - und einen fotografischen Essay über ihn veröffentlicht.
„Till I Collapse" ist ein Song des Rappers Eminem, der mehr als 20 Jahre alt ist. Noch neu ist dagegen das Buch „Till I Collapse" - über den Triathleten Jan Frodeno.
Eine fotografische Langzeitbeobachtung
Es kommt Frodeno erstaunlich nahe. Denn es ist über viele Jahre entstanden, initiiert vom Berliner Fotografen Tino Pohlmann.
Pohlmann: „Ich bin ein ausgesprochener Fan von sogenannten Langzeitbeobachtungen oder Langzeitprojekten. Für mich ist das immer ein Versuch, Dinge zu verstehen und ein Versuch, auch Dinge zu entdecken, also eine Suche sozusagen.“
Diese Zeit sei unbedingt nötig gewesen.
Tino Pohlmann hatte auf dem Weg zur Entstehung des Buches immer einen intensiven Kontakt und einen regen Austausch mit Jan Frodeno. Er habe stets gewusst, wann der Fotograf in der Nähe war.
Frodeno: „Selbst wenn er Mittelformat fotografiert, dann ist es einfach nicht dieses ganz normale hundert Bilder pro Sekunde Klackern, was man bei jedem anderen Fotografen hört. Dementsprechend wusste ich oftmals, dass er da ist, ohne dass ich ihn gesehen habe. Es gab dann dieses Vertrauen, ihn auch ranzulassen und keine Grimasse zu verziehen oder mich nicht zu verstellen - das hat sich einfach über Jahre ergeben. Er war auch in vielen Situationen dabei, in denen ich die Bilder vielleicht nicht gedruckt sehen möchte und wir dieses 100-prozentige Vertrauen hatten, dass er das so darstellt und vor allen Dingen auch das weglässt, was irgendwie entblößend wäre."
Frodeno wurde 2008 in Peking Olympiasieger
Zumal Jan Frodeno ein ganz besonderer Protagonist ist: Ein Phänomen, dass weit bekannt ist, über die Szene der Extremsportler hinaus. 2008 wurde er in Peking Olympiasieger im Triathlon. Es war damals eine Sensation.
Und es kam noch besser: 2015, 2018 und 2019 gewann er den Ironman auf Hawaii. Er ist damit bis heute der erfolgreichste Athlet in der Geschichte dieser Disziplin. Zum Triathlon kam er, weil er bei diesem Dreikampf schnell gute Ergebnisse erzielte. Der Ehrgeiz des in Südafrika aufgewachsenen Athleten war so groß, dass er manche Leute irritierte, sagt Frodeno heute über seine Erfahrungen:
„Als ich nach Deutschland kam und ausgelacht wurde, dass ich irgendwann mal Olympiasieger werden möchte - das sind einfach so Sachen, wo einem auch gesellschaftlich und von Sportkollegen und Menschen, die einen nicht kennen, erst mal ein müdes Lächeln im besten Fall geschenkt wird."
Buch als Rückschau auf Frodenos Karriere
2023 beendete er seine Laufbahn - das Buch kann also auch als eine Art Rückschau auf Frodenos Sportlerkarriere betrachtet werden. Dass es vor allem um den Ironman in Hawaii kreist, ist nur konsequent: Hawaii ist der Nukleus dieser Sportart.
Oder, wenn man es salopp sagen möchte, das Wohnzimmer von Jan Frodeno - ganz ähnlich wie Wimbledon früher, als das Wohnzimmer von Boris Becker bezeichnet wurde.
Wer das Buch „Till I collapse“ durchblättert, wird den Titel passend finden. Sich quälen - bis zum Zusammenbruch. Das war auch die Devise von Jan Frodeno.
Für mich war natürlich dieses bis zum Umfallen, bis zum Allerletzten immer eigentlich die wichtigste Option. Ich habe immer gesagt: Ein Wettkampf ist ein Rennen zur Erschöpfung für alle, außer den Sieger. Aber manchmal geht es doch bis zur völligen Erschöpfung. Das war für mich eigentlich nie eine Frage. Eher, dass man da eben wirklich an jede Grenze geht und manchmal auch drüber. Und dass ich da das eine oder andere Mal umgefallen bin – diese bildliche Darstellung, diese Verbindungen, die hat Tino dann für sich geschaffen. Aber ich fand den Titel, ehrlich gesagt, ganz gut.
Einen fotografischen Essay hat Tino Pohlmann dieses Buch genannt. Und das ist es tatsächlich. Denn wenn man es durchblättert und die Begleittexte liest, bekommt man schnell eine Ahnung davon, was ein solches Buch von etlichen Dokumentationen aus Fußballkabinen unterscheidet, die dem Zuschauer vorgaukeln, ungefiltert zu sein.
Frodeno war oft am Rande des Zusammenbruchs
Pohlmanns Anspruch ist kein rein dokumentarischer, im Gegenteil. Für ihn geht es darum, mit künstlerischen Mitteln eine Geschichte zu erzählen. „Till I Collapse" ist auch die Erzählung über einen ehemaligen Athleten, der oft am Rande des Zusammenbruchs agierte, der Körper und Geist bis zum allerletzten forderte.
Das Buch zeigt auch Bilder eines Leidenden. Gerade Hawaii erscheint dem Betrachter wie ein Martyrium - am Ende liegt der Athlet auf dem Asphalt, breitet die Arme aus und bekommt vom Trubel der ihn feiernden Menge gar nichts mehr mit.
Diese totale Erschöpfung steht im scharfen Kontrast zu den Bildern, die man sonst mit Hawaii verbindet. Von der bunten, der farbenfrohen Seite hat Jan Frodeno auf seinen Wettkampfreisen nach Hawaii nur wenig mitbekommen. Den Wettkampfort selber hat er anders, düster, wahrgenommen, sagt er:
„Selbst der Highway ist aus diesem Lavastein gebaut und ist extrem schwarz. Wenn du einmal aus dem Wasser bist, ist es das, was du da am allermeisten siehst. Und die ganzen Palmen, das Drumherum, das ist ein Beiwerk."
Und so sind die Farben des Buches nicht schillernd. Auch das Rot des Titelfotos ist nicht knallig leuchtend, sondern matt – im Gegensatz zur hochglänzenden, roten Schrift.
Was Hawaii für Besucher bedeuten kann, hat Jan Frodeno beim Ironman 2024 erlebt. Am gestrigen Samstag war der dreimalige Ironmansieger erstmals als Tourist dabei.