Trip-Hop

Immer massiver

Die britische Trip-Hop-Band Massive Attack beim Konzert auf dem Sonar Music Festival in Barcelona 2014.
Die britische Trip-Hop-Band Massive Attack - hier beim Konzert auf dem Sonar Music Festival in Barcelona 2014 - spielte nun im Berliner Tempodrom. © picture alliance / dpa / Marta Perez
Von Tobi Müller |
Massive Attack spielten in Berlin ihr einziges Deutschlandkonzert dieses Jahres. Es gab die Hits und tolle Musiker - auch wenn ein Bandmitglied fehlte. Die Gesellschaftskritik auf den Screens sah vor allem gut aus.
Das letzte Album ist vor vier Jahren erschienen, davor war auch schon lange nichts. Massive Attack machen mal Filmmusik, engagieren sich politisch oder suchen sich Partner für besondere Live-Projekte wie letztes Jahr den Dokumentarfilmer Adam Curtis in Manchester und in Duisburg, wie "Fazit" berichtete. Die Hits stammen alle aus den Neunzigerjahren. Und doch ist das Konzert im Berliner Tempodrom ausverkauft. Vierzig plus steht in der Halle, aber auch viele in ihren Zwanzigern. Diese Band ist Teil des popkulturellen Kanons geworden. Obwohl: Band?
Eigentlich sind es nur noch zwei, Mastermind Robert Del Naja, auch 3D genannt, und Grant Marshall, Daddy G. Doch letzterer taucht nur einmal auf, mit seinen geschätzten 2 Meter 10 nicht zu übersehen, tänzelt vor einem Mikrofon und verkriecht sich alsbald hinter einem Gerät, das ihm ein Roadie erst einschalten muss, weil Daddy den Knopf nicht findet. Am Schluss schlurft er doch noch mal auf die Bühne, rechtzeitig für die Applausordnung. Da war mehr im Spiel als eine Berliner Weiße mit Schuss. Massive Attack sind eine Einmannband mittlerweile, Robert Del Naja regelt die Kunst. Doch der grenzgeniale, dünne, kleine und gesanglich nölende Mann weiß, dass man auf einer Bühne die Aufgaben anders verteilen muss. Denn das ist nach gut anderthalb Stunden Best-of-Programm klar: Massive klingen immer massiver.
Kontrolliert aufdrehende Drummer
Es stehen zwei Schlagzeuge auf der Bühne, dazwischen ein breiter schwarzer Bassist, der mit tiefer gelegten Saiten spielt, und ein dünner weißer Gitarrist in den Jahren. Der Gitarrist schickt öfter harte Riffs in die Arena des Tempodroms, bricht sie aber wieder ab, bevor Rock-am-Ring-Atmosphäre entsteht. Der Bassist ist eine Bio-Maschine, wunderbar, wie er die berühmten Basslinien nachspielt, die ursprünglich mal gesampelt wurden. "Safe from Harm“ etwa, einer der großen Hits der Band, isolierte 1991 ein Stücklein von einer alten Billy-Cobham-Platte. In Berlin schafft der Bassist komplizierte Dinge scheinbar aus der Hüfte: Präzise blubbern, locker stanzen – Gegensätze, im Hintergrund. Und die beiden Drummer hauen nicht alles klein, sie drehen kontrolliert auf, wenn es der Song dann will. Obwohl: Song? Waren Massive Attack nicht eine Band, die eher Tracks machte, Spurenbündel ohne feste Formen?
Massive Attack verkörperten in den Neunzigerjahren eine zeitgenössische Idee von Band. Nicht als verschweißte Truppe, die nur die Kernfamilie weiterführt, bloß halt im Keller statt im Wohnzimmer. Sondern als Kollektiv, mit wechselnden Scheinwerferkegeln, völlig unterschiedlichen Typen. Geschlecht, Hautfarbe, Hintergrund, Alter: gemischt. Das ging auch deshalb so gut, weil Massive Attack aus der DJ-Kultur kamen. Was dort zählte, war nicht eine sinnstiftende Idee, die man ständig wiederholen musste (wie bei den Stones: Ich kann länger, oder wie bei Dylan: Ich bin ein Anderer), sondern die Montage, die Kombination, die Offenheit für Einflüsse bei gleichzeitiger Entschiedenheit der Wirkung. Drei Männer standen in der Schaltzentrale, dann die Stimmen: die gehauchten Raps vom Rande der Gesellschaft von Tricky, die Gefühlsschlieren von Martina Topley Bird, die virtuosen Soulbrecher von Shara Nelson, der echoverladene Reggae von Horace Andy.
Horace Andy in Militärjacke
Und Horace Andy ist da! Kommt mehrmals auf die Bühne getrippelt, als guter alter Rastafarian natürlich mit Militärjacke. Martina Topley Bird ebenso, der Sound ist gut, man hört auch sie, die keine klassisch virtuose Sängerin ist wie etwa Shara Nelson, für die, wie schon oft bei Massive, Deborah Miller singt. Dieses Prinzip ist noch immer beglückend: Eine offene, treibende, dunkle, zuweilen auch hart zusammengestecke Musik, die dennoch Stimmen ins Zentrum rückt, die mehr sind als Tools, technische Werkzeuge oder menschliche Tapeten.
Dennoch wird klar an diesem tadellosen, aber auch sehr routinierten Konzert: Massive Attack stehen entweder vor einer Häutung oder sie werden im Terrarium ihrer Erfolge langsam austrocknen. Zwei Screenpanele, die sich kippen lassen, zeigen immer wieder Firmenlogos und Computercode, ein paar mal zuviel auch den Davidstern. Schon lange weigert sich die Band aus politischen Gründen, in Israel aufzutreten (damit sind sie natürlich nicht allein). Aber in einer Reihe mit den neuen Netzgiganten wie Facebook oder Ebay wirkt das dennoch befremdlich. Auch müsste man gemerkt haben, dass Tony Blair nicht mehr an der Spitze Englands steht und der Irak-Krieg in eine neue Phase getreten ist. Lustiger waren da die tagesaktuellen Schlagzeilen aus der deutschen Tagespressse, die über die Schirme flackerten: Ratz, Fatz, Mats! Kurz: Das sieht grafisch alles sehr schick aus, aber wiederholt sich arg. Die Kritik an der Digitalisierung ist Massive Attack zusammen mit dem Dokumentarfilmer Adam Curtis letztes Jahr besser gelungen, aber das war ein richtiger Film mit Livemusik.
Entscheidender könnte sein, was mit der Musik in Zukunft geschieht: Massive Attack sollen sich seit der Arbeit mit Curtis, wo sie alte Popsongs gecovert haben, wieder stärker für Songformen interessieren. Ein ganzes Album liege schon bereit, wie Robert Del Naja der Plattform gigwise verraten hat. Es muss ja nicht gleich eine akustische Platte werden.
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