Trittin: Deutscher Beitrag reicht nicht aus
Der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, Jürgen Trittin, hält die von Deutschland für den Libanon zugesagten 22 Millionen Euro für unzureichend. Die Zusage auf der Geberkonferenz in Stockholm sei zwar "ein großer Schritt nach vorn", reiche aber nicht, um die Schäden zu beheben.
Hans Ostermann: "Wir lassen sie nicht allein!", Schwedens Ministerpräsident Göran Persson meinte das gestern in Stockholm. Mehr als 50 Regierungen und internationale Organisationen waren bei der Geberkonferenz für den Libanon mit dabei. Die Militäroffensive Israels hat Schäden in Milliardenhöhe verursacht. Allein wäre Beirut restlos überfordert, um die Wirtschaft zu stützen oder die Infrastruktur wieder aufzubauen. Jürgen Trittin ist außenpolitischer Sprecher der Bündnisgrünen im Deutschen Bundestag und jetzt am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Trittin.
Jürgen Trittin: Guten Morgen.
Ostermann: Doppelt so viel, wie erwartet, soll zusammengekommen sein in Stockholm: 730 Millionen Euro. Hat die Konferenz damit ihr Ziel erreicht?
Trittin: Die Konferenz hat damit einen großen Schritt nach vorne getan. Aber wenn Sie berücksichtigen, dass allein die Rehabilitierung des Weltkulturerbes in Baalbek und anderswo 1,4 Milliarden kostet, dann ist man natürlich mit der Behebung der Schäden im Libanon noch nicht am Ziel. Und ich finde auch, dass das, was bisher aufgebracht worden ist seitens der Bundesrepublik, nicht hinreichend ist. Man hat zwar von viereinhalb auf 22 Millionen diese Hilfe aufgestockt, ist hier aber angesichts des Gesamtbetrages und der Größe Deutschlands noch sehr, sehr zurückhaltend gewesen.
Ostermann: Was hätten Sie sich gewünscht? Konkret? 22 Millionen sind doch nun eine ganze Menge, wenn man auch dann noch an die finanziellen Mittel der Europäischen Union denkt.
Trittin: Ja, das tut man immer gerne und sagt dann: Das stammt auch zu einem Viertel aus Deutschland. Aber alles in allem, denke ich, dass ein Land von der Größe der Bundesrepublik Deutschland zu diesen 700 Millionen mehr als drei Prozent beitragen kann.
Ostermann: Nun gab es in der Vergangenheit, Herr Trittin, immer wieder Geberkonferenzen. Da wurden Zusagen gemacht, aber nicht eingehalten. Sind Sie da diesmal optimistischer?
Trittin: Ich glaube, dass diejenigen, die da Zusagen gemacht haben - und das gilt ausdrücklich auch für Deutschland -, dafür bekannt sind, dass sie ihre Dinge dann auch umsetzen. Ich glaube dennoch, es wird das, was dort im Libanon zerstört worden ist, noch erheblicher und zusätzlicher Anstrengung der internationalen Gemeinschaft bedürfen.
Ostermann: Wie groß ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass Gelder an die Hisbollah umgeleitet werden? Sehen Sie diese Gefahr überhaupt?
Trittin: Die Hisbollah ist Bestandteil der libanesischen Regierung, sie hat dort bestimmte Verantwortlichkeiten, und sie repräsentiert gut 40 bis 50 Prozent der libanesischen Bevölkerung. An ihr vorbei wird man keinen Wiederaufbau im Libanon machen können. Sie ist heute übrigens auch die Kraft, die sich schon tatkräftig vor Ort um Rekonstruktion, um Schadenserhebung und Ähnliches bemüht. Es muss gerade unser Anliegen sein in diesem internationalen Friedensprozess, diese Entwicklung der Hisbollah von einer Miliz hin zu einer politischen Kraft, die sich in das gemeinsame demokratische Libanon einordnet, zu befördern. Da ist eine Analogie, und da verbietet sich jede Analogie zu der übrigens auch verfehlten Politik der internationalen Gemeinschaft gegenüber der Hamas in Palästina.
Ostermann: Für breite Diskussionen sorgte der israelische Einsatz von Streubomben. Ihn kritisierte UN-Generalsekretär, Kofi Annan, ebenso wie der Koordinator für Hilfseinsätze, Jan Egeland, und auch die deutsche Entwicklungshilfeministerin, die scharf dafür vom Zentralrat der Juden kritisiert wurde. Hat die israelische Armee hier vor allem auch in den letzten Kriegstagen aus Ihrer Sicht unmoralisch gehandelt?
Trittin: Die Frage stellt sich unter dem Aspekt: War die berechtigte Notwehr Israels, die berechtigte Notwehr gegen die Aggression seitens der Hisbollah eine verhältnismäßige? Nach der Auffassung, die, glaube ich, die überwiegende Mehrheit auch der Völkerrechtler und der Politiker hat, war diese Reaktion, nämlich den Libanon dafür mit der Zerstörung der Infrastruktur und dem Einsatz von Streubomben im Gebiet, wo Zivilisten leben, unverhältnismäßig. Er hat dazu geführt, dass wir heute ein riesiges Blindgängerproblem haben und dass dieser Krieg noch immer, auch nachdem jetzt die Waffen schweigen, viele Menschenleben kosten wird. Und deswegen ist es richtig, dass an dieser Stelle gesagt wird: Wir brauchen eine unabhängige Untersuchung der Kriegspraxis - und hier betone ich - beider Seiten. Das gilt für Israel wie für die verbrecherischen Attacken der Hisbollah, die ja auch mit Raketen in zivile Wohngebiete hineingeschossen hat. Nur, das muss dann tatsächlich von unabhängiger Seite - und das können nur die Vereinten Nationen sein - machen. Die Kriegsparteien, die hier viel zu verdecken haben, sollten sich in dieser Untersuchung nicht beteiligen.
Ostermann: Haben Sie für die scharfe Kritik des Zentralrates der Juden, haben Sie für diese scharfe Kritik Verständnis?
Trittin: Ich habe immer Verständnis, wenn Menschen unterschiedlicher Auffassung sind. In diesem Fall kann ich nicht nachvollziehen, wie man sich dagegen wehren kann, hier eine Untersuchung, und zwar eine unabhängige Untersuchung, aller Kriegshandlungen, der Kriegshandlung aller Seiten, zu verhindern. Das ist aber genau das, was zurzeit Israel an dieser Stelle verweigert.
Ostermann: Zur instabilen Lage in dieser Region trägt ja nicht zuletzt das Atomprogramm des Iran bei. Das Ultimatum ist jetzt abgelaufen. Sollte noch weiter verhandelt werden?
Trittin: Ich glaube, wir können nicht überrascht sein, dass der Iran das ihm nach Völkerrecht zustehende Recht - mir als Grünem graust es dabei, aber nach Völkerrecht hat er dieses - auf Urananreicherung, darauf zu verzichten als Vorbedingung von Verhandlungen zu machen, dass dies nicht gelingen kann, ich glaube, es ist an der Zeit, tatsächlich zu verhandeln, will man, dass der Iran Uran nur unter internationaler Kontrolle anreichert, das heißt, dass sichergestellt ist, dass an dieser Stelle dieses Uran auch nicht für die Produktion von Waffen genutzt wird. Hier muss die internationale Gemeinschaft ihre Strategie überdenken. Es ist so, dass man mit dem Iran verhandeln kann. Und anstatt jetzt auf neue Sanktionen und Eskalationen bis hin zu Militärschlägen, wie sie von Herrn Rumsfeld fantasiert werden, zu setzen, geht es darum, jetzt zu verhandeln.
Ostermann: Jürgen Trittin, der außenpolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Deutschen Bundestag. Danke Ihnen für das Gespräch im Deutschlandradio Kultur.
Jürgen Trittin: Guten Morgen.
Ostermann: Doppelt so viel, wie erwartet, soll zusammengekommen sein in Stockholm: 730 Millionen Euro. Hat die Konferenz damit ihr Ziel erreicht?
Trittin: Die Konferenz hat damit einen großen Schritt nach vorne getan. Aber wenn Sie berücksichtigen, dass allein die Rehabilitierung des Weltkulturerbes in Baalbek und anderswo 1,4 Milliarden kostet, dann ist man natürlich mit der Behebung der Schäden im Libanon noch nicht am Ziel. Und ich finde auch, dass das, was bisher aufgebracht worden ist seitens der Bundesrepublik, nicht hinreichend ist. Man hat zwar von viereinhalb auf 22 Millionen diese Hilfe aufgestockt, ist hier aber angesichts des Gesamtbetrages und der Größe Deutschlands noch sehr, sehr zurückhaltend gewesen.
Ostermann: Was hätten Sie sich gewünscht? Konkret? 22 Millionen sind doch nun eine ganze Menge, wenn man auch dann noch an die finanziellen Mittel der Europäischen Union denkt.
Trittin: Ja, das tut man immer gerne und sagt dann: Das stammt auch zu einem Viertel aus Deutschland. Aber alles in allem, denke ich, dass ein Land von der Größe der Bundesrepublik Deutschland zu diesen 700 Millionen mehr als drei Prozent beitragen kann.
Ostermann: Nun gab es in der Vergangenheit, Herr Trittin, immer wieder Geberkonferenzen. Da wurden Zusagen gemacht, aber nicht eingehalten. Sind Sie da diesmal optimistischer?
Trittin: Ich glaube, dass diejenigen, die da Zusagen gemacht haben - und das gilt ausdrücklich auch für Deutschland -, dafür bekannt sind, dass sie ihre Dinge dann auch umsetzen. Ich glaube dennoch, es wird das, was dort im Libanon zerstört worden ist, noch erheblicher und zusätzlicher Anstrengung der internationalen Gemeinschaft bedürfen.
Ostermann: Wie groß ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass Gelder an die Hisbollah umgeleitet werden? Sehen Sie diese Gefahr überhaupt?
Trittin: Die Hisbollah ist Bestandteil der libanesischen Regierung, sie hat dort bestimmte Verantwortlichkeiten, und sie repräsentiert gut 40 bis 50 Prozent der libanesischen Bevölkerung. An ihr vorbei wird man keinen Wiederaufbau im Libanon machen können. Sie ist heute übrigens auch die Kraft, die sich schon tatkräftig vor Ort um Rekonstruktion, um Schadenserhebung und Ähnliches bemüht. Es muss gerade unser Anliegen sein in diesem internationalen Friedensprozess, diese Entwicklung der Hisbollah von einer Miliz hin zu einer politischen Kraft, die sich in das gemeinsame demokratische Libanon einordnet, zu befördern. Da ist eine Analogie, und da verbietet sich jede Analogie zu der übrigens auch verfehlten Politik der internationalen Gemeinschaft gegenüber der Hamas in Palästina.
Ostermann: Für breite Diskussionen sorgte der israelische Einsatz von Streubomben. Ihn kritisierte UN-Generalsekretär, Kofi Annan, ebenso wie der Koordinator für Hilfseinsätze, Jan Egeland, und auch die deutsche Entwicklungshilfeministerin, die scharf dafür vom Zentralrat der Juden kritisiert wurde. Hat die israelische Armee hier vor allem auch in den letzten Kriegstagen aus Ihrer Sicht unmoralisch gehandelt?
Trittin: Die Frage stellt sich unter dem Aspekt: War die berechtigte Notwehr Israels, die berechtigte Notwehr gegen die Aggression seitens der Hisbollah eine verhältnismäßige? Nach der Auffassung, die, glaube ich, die überwiegende Mehrheit auch der Völkerrechtler und der Politiker hat, war diese Reaktion, nämlich den Libanon dafür mit der Zerstörung der Infrastruktur und dem Einsatz von Streubomben im Gebiet, wo Zivilisten leben, unverhältnismäßig. Er hat dazu geführt, dass wir heute ein riesiges Blindgängerproblem haben und dass dieser Krieg noch immer, auch nachdem jetzt die Waffen schweigen, viele Menschenleben kosten wird. Und deswegen ist es richtig, dass an dieser Stelle gesagt wird: Wir brauchen eine unabhängige Untersuchung der Kriegspraxis - und hier betone ich - beider Seiten. Das gilt für Israel wie für die verbrecherischen Attacken der Hisbollah, die ja auch mit Raketen in zivile Wohngebiete hineingeschossen hat. Nur, das muss dann tatsächlich von unabhängiger Seite - und das können nur die Vereinten Nationen sein - machen. Die Kriegsparteien, die hier viel zu verdecken haben, sollten sich in dieser Untersuchung nicht beteiligen.
Ostermann: Haben Sie für die scharfe Kritik des Zentralrates der Juden, haben Sie für diese scharfe Kritik Verständnis?
Trittin: Ich habe immer Verständnis, wenn Menschen unterschiedlicher Auffassung sind. In diesem Fall kann ich nicht nachvollziehen, wie man sich dagegen wehren kann, hier eine Untersuchung, und zwar eine unabhängige Untersuchung, aller Kriegshandlungen, der Kriegshandlung aller Seiten, zu verhindern. Das ist aber genau das, was zurzeit Israel an dieser Stelle verweigert.
Ostermann: Zur instabilen Lage in dieser Region trägt ja nicht zuletzt das Atomprogramm des Iran bei. Das Ultimatum ist jetzt abgelaufen. Sollte noch weiter verhandelt werden?
Trittin: Ich glaube, wir können nicht überrascht sein, dass der Iran das ihm nach Völkerrecht zustehende Recht - mir als Grünem graust es dabei, aber nach Völkerrecht hat er dieses - auf Urananreicherung, darauf zu verzichten als Vorbedingung von Verhandlungen zu machen, dass dies nicht gelingen kann, ich glaube, es ist an der Zeit, tatsächlich zu verhandeln, will man, dass der Iran Uran nur unter internationaler Kontrolle anreichert, das heißt, dass sichergestellt ist, dass an dieser Stelle dieses Uran auch nicht für die Produktion von Waffen genutzt wird. Hier muss die internationale Gemeinschaft ihre Strategie überdenken. Es ist so, dass man mit dem Iran verhandeln kann. Und anstatt jetzt auf neue Sanktionen und Eskalationen bis hin zu Militärschlägen, wie sie von Herrn Rumsfeld fantasiert werden, zu setzen, geht es darum, jetzt zu verhandeln.
Ostermann: Jürgen Trittin, der außenpolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Deutschen Bundestag. Danke Ihnen für das Gespräch im Deutschlandradio Kultur.