Tröstliche Einsamkeiten
Das Thema des irischen Autors William Trevor, das auch seinen neuen Erzählungsband prägt, sind schicksalhafte Momente, in denen die Entscheidung für ein anderes Leben möglich wäre. Doch seine Figuren lassen diese Gelegenheit zumeist verstreichen oder sie kehren bald wieder zu ihren Gewohnheiten zurück. Und doch ist dann nichts mehr so wie zuvor.
William Trevor bevorzugt die leisen Töne. Er macht nicht viele Worte. Seine Sätze sind schlicht und unaufgeregt, und doch gelingt es ihm immer wieder, mit wenigen, knappen Beobachtungen ein ganzes Leben kenntlich zu machen. Sein Thema sind schicksalhafte Momente, in denen die Entscheidung für ein anderes Leben möglich wäre. Doch seine Figuren lassen diese Gelegenheit zumeist verstreichen, oder sie kehren bald wieder zu ihren Gewohnheiten zurück. Und doch ist dann nichts mehr so wie zuvor.
Exemplarisch für dieses Verfahren ist im neuen Erzählungsband "Tod des Professors" die Geschichte eines jungen Iren, der als Hilfsarbeiter nach England geht und dort die Verachtung der Mehrheit und die Schikanen seines Chefs erdulden muss. Zwei irische Landsleute machen sich seine Einsamkeit zunutze und werben ihn für einen Terrorakt an: Er soll eine Bombe vor einem öffentlichen Gebäude zünden. Tatsächlich lässt er sich überreden und sieht sich schon als Helden in die Geschichte des irischen Befreiungskampfes eingehen. Doch im letzten Moment schreckt er zurück und schmeißt die Bombe von einer Brücke in die Themse, um sie unschädlich zu machen. Wie befreit kehrt er nach Irland heim und trauert doch um die verpasste Gelegenheit. Er wurde kein Held, aber, so heißt es im Schlusssatz, "er wunderte sich über den Mut, den seine Angst ihm gestattet hatte, und flehte darum, dass seine Trauer nie enden möge". "Trauer" ist auch der Titel dieser Geschichte.
Es sind solche komplexen, uneindeutigen Gefühlszustände, die William Trevor in immer neuen Variationen zu fassen versucht. Die Melancholie der vergehenden Zeit ist sein Arbeitsgebiet. 1928 in der irischen Grafschaft Cork geboren, lebt er seit mehr als 40 Jahren im englischen Devon. Als liberaler, irischer Protestant konnte er von hier aus den blutigen Konflikt in seiner Heimat beobachten und beschreiben. Sein Werk, zahlreiche Romane und mittlerweile 17 Erzählungsbände, ist eine große Irlandbeschwörung. Mehr als ein halbes Jahrhundert umfasst der Blick des mittlerweile knapp 80-Jährigen. Beeindruckend ist die thematische Breite seiner Geschichten und die Unterschiedlichkeit des Personals. Er kann Kinder genauso glaubwürdig zeichnen wie Alte, Frauen so genau wie Männer. Trevor ist ein Menschenkenner mit der ruhigen Gelassenheit des Alters.
Da ist der Junggeselle, der nach dem Tod des Vaters auf den elterlichen Hof zurückkehrt, um sich dort um das Land, die Tiere, vor allem aber um die jetzt einsam gewordene Mutter zu kümmern. Vergeblich hält er nach einer Frau Ausschau, die das ländliche Leben mit ihm teilen möchte. Da ist ein alter Mann und seine Tochter und ihr gärtnernder Freund, die, wie sich allmählich herausstellt, durch ein Verbrechen miteinander verbunden sind. Ihr Geheimnis schweißt sie zusammen und macht zugleich eine unbelastete Liebesbeziehung unmöglich. Wieder ist es eine melancholisch grundierte Gefühlsambivalenz, die den Reiz der Geschichte ausmacht. Oft sind es, wie in diesem Fall, Dreiecksverhältnisse, in denen die Gefühle naturgemäß widersprüchlich sind.
In einer Geschichte kommt es in einem Hotelzimmer zu einem kurzen, feurigen Liebesakt, während der Ehemann der Frau als bewusstloser Zeuge betrunken auf dem Bett schnarcht. Der Liebhaber zieht sich bald wieder zurück. "Im kalten, hellen Mondlicht empfand er seine Einsamkeit als tröstlich", kommentiert der Erzähler, und es ist diese tröstliche Einsamkeit, auf die es ihm ankommt.
Vergleichsweise heiter, als Gesellschaftssatire, liest sich die Titelgeschichte. Während sie für ihren Gatten das Frühstück zubereitet, entdeckt die Frau des Professors dessen Todesanzeige in der Zeitung. Sie ist konsterniert, weiß nicht, ob es sich bloß um ein Versehen oder um einen üblen Scherz handelt. Anstatt ihrem Mann davon zu erzählen, lässt sie den Artikel verschwinden. Der Professor kommt deshalb ohne jede Vorwarnung zur Kollegiumssitzung, wo er Spott und Schadenfreude zu ertragen hat. Er übersteht die absurde Situation mit Würde. Sie macht sich Vorwürfe wegen ihrer Feigheit. Doch seltsamerweise bestärkt das Erlebnis nur ihre gegenseitige Liebe. Zwei, die zueinander halten, "unerschütterlich in den Trümmern des Sturms" – auch davon kann Trevor ohne jedes Pathos erzählen.
Rezensiert von Jörg Magenau
William Trevor: Tod des Professors. Erzählungen.
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Hoffmann & Campe, Hamburg 2007
272 Seiten, 19,95 Euro
Exemplarisch für dieses Verfahren ist im neuen Erzählungsband "Tod des Professors" die Geschichte eines jungen Iren, der als Hilfsarbeiter nach England geht und dort die Verachtung der Mehrheit und die Schikanen seines Chefs erdulden muss. Zwei irische Landsleute machen sich seine Einsamkeit zunutze und werben ihn für einen Terrorakt an: Er soll eine Bombe vor einem öffentlichen Gebäude zünden. Tatsächlich lässt er sich überreden und sieht sich schon als Helden in die Geschichte des irischen Befreiungskampfes eingehen. Doch im letzten Moment schreckt er zurück und schmeißt die Bombe von einer Brücke in die Themse, um sie unschädlich zu machen. Wie befreit kehrt er nach Irland heim und trauert doch um die verpasste Gelegenheit. Er wurde kein Held, aber, so heißt es im Schlusssatz, "er wunderte sich über den Mut, den seine Angst ihm gestattet hatte, und flehte darum, dass seine Trauer nie enden möge". "Trauer" ist auch der Titel dieser Geschichte.
Es sind solche komplexen, uneindeutigen Gefühlszustände, die William Trevor in immer neuen Variationen zu fassen versucht. Die Melancholie der vergehenden Zeit ist sein Arbeitsgebiet. 1928 in der irischen Grafschaft Cork geboren, lebt er seit mehr als 40 Jahren im englischen Devon. Als liberaler, irischer Protestant konnte er von hier aus den blutigen Konflikt in seiner Heimat beobachten und beschreiben. Sein Werk, zahlreiche Romane und mittlerweile 17 Erzählungsbände, ist eine große Irlandbeschwörung. Mehr als ein halbes Jahrhundert umfasst der Blick des mittlerweile knapp 80-Jährigen. Beeindruckend ist die thematische Breite seiner Geschichten und die Unterschiedlichkeit des Personals. Er kann Kinder genauso glaubwürdig zeichnen wie Alte, Frauen so genau wie Männer. Trevor ist ein Menschenkenner mit der ruhigen Gelassenheit des Alters.
Da ist der Junggeselle, der nach dem Tod des Vaters auf den elterlichen Hof zurückkehrt, um sich dort um das Land, die Tiere, vor allem aber um die jetzt einsam gewordene Mutter zu kümmern. Vergeblich hält er nach einer Frau Ausschau, die das ländliche Leben mit ihm teilen möchte. Da ist ein alter Mann und seine Tochter und ihr gärtnernder Freund, die, wie sich allmählich herausstellt, durch ein Verbrechen miteinander verbunden sind. Ihr Geheimnis schweißt sie zusammen und macht zugleich eine unbelastete Liebesbeziehung unmöglich. Wieder ist es eine melancholisch grundierte Gefühlsambivalenz, die den Reiz der Geschichte ausmacht. Oft sind es, wie in diesem Fall, Dreiecksverhältnisse, in denen die Gefühle naturgemäß widersprüchlich sind.
In einer Geschichte kommt es in einem Hotelzimmer zu einem kurzen, feurigen Liebesakt, während der Ehemann der Frau als bewusstloser Zeuge betrunken auf dem Bett schnarcht. Der Liebhaber zieht sich bald wieder zurück. "Im kalten, hellen Mondlicht empfand er seine Einsamkeit als tröstlich", kommentiert der Erzähler, und es ist diese tröstliche Einsamkeit, auf die es ihm ankommt.
Vergleichsweise heiter, als Gesellschaftssatire, liest sich die Titelgeschichte. Während sie für ihren Gatten das Frühstück zubereitet, entdeckt die Frau des Professors dessen Todesanzeige in der Zeitung. Sie ist konsterniert, weiß nicht, ob es sich bloß um ein Versehen oder um einen üblen Scherz handelt. Anstatt ihrem Mann davon zu erzählen, lässt sie den Artikel verschwinden. Der Professor kommt deshalb ohne jede Vorwarnung zur Kollegiumssitzung, wo er Spott und Schadenfreude zu ertragen hat. Er übersteht die absurde Situation mit Würde. Sie macht sich Vorwürfe wegen ihrer Feigheit. Doch seltsamerweise bestärkt das Erlebnis nur ihre gegenseitige Liebe. Zwei, die zueinander halten, "unerschütterlich in den Trümmern des Sturms" – auch davon kann Trevor ohne jedes Pathos erzählen.
Rezensiert von Jörg Magenau
William Trevor: Tod des Professors. Erzählungen.
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Hoffmann & Campe, Hamburg 2007
272 Seiten, 19,95 Euro