Trost und Zuspruch statt Lakritz und Zigaretten
Kalk ist ein Kölner Stadtteil mit vielen Problemen: Arbeitslosigkeit, Armut, Gewalt, Suchterkrankungen, kaputte Familienstrukturen, Hoffnungslosigkeit. Es gibt viele soziale Hilfsangebote und Anlaufstellen. Eins davon ist jedoch etwas ganz Besonderes: Die Seelsorge-Ambulanz, untergebracht in einem ehemaligen Kiosk. Reinkommen kann jeder, der sich traut, die Ladentür zu öffnen.
"Ich hab erst mal gezögert, weil ich nicht genau wusste, was verbirgt sich dahinter? Und dann hab ich gedacht: Schauste erst mal rein, lässt du dich überraschen, weil ich eigentlich ein Mensch bin, der schon spontan auf Leute zugehen kann ohne Hemmungen jetzt."
Martina, die neu im Stadtteil ist, hat vor einigen Monaten zum ersten Mal die Seelsorge-Ambulanz betreten und kommt seitdem regelmäßig.
"Sorgen hatte ich auch, aber es war eigentlich erst mal überhaupt irgendwo so ne Stelle, weil ich ja hier nicht zugehörig bin, dass ich mal irgendwo ne Anlaufstelle hatte. Und das war dann für mich eigentlich gut, dass es eben hier so offen zugegangen ist."
Im ehemaligen Kiosk gab es früher Bonbons, Lakritz und Zeitungen - bevor er vor zwei Jahren von "Effata", einer katholischen Netzwerkinitiative mit vielen sozialen Angeboten im Stadtteil, zur Seelsorgeambulanz umgebaut wurde. Geöffnet ist er für alle an jedem Donnerstag von 18 bis 20 Uhr, und jeden Mittag gibt’s hier Essen für die Kinder aus dem Stadtteil.
Der Blick durch's ehemalige Schaufenster des Ladenlokals fällt zuerst auf den großen, gedeckten Tisch. Draußen an der Tür klebt ein unauffälliges Transparent mit der Aufschrift "Effata". Fast alle Besucher werden hierhin geschickt, Laufkundschaft gibt es kaum.
"Am Anfang kamen immer noch Leute rein, wir hatten immer das Gefühl, dass die eigentlich die Zigaretten suchten, die sie kaufen wollten. Aber das hat sich gelegt inzwischen."
Die Initiatorin Dorothee Schuld ist eigentlich Seelsorgerin im Krankenhaus Köln-Kalk um die Ecke. Den Kiosk betreibt sie ehrenamtlich.
"Der Seelsorge-Kiosk ist ne Anlaufstelle für jede und jeden, der kommen möchte, ist halt ne Ladentür, die man aufmachen kann, man steht dann in einem 32-Quadratmeter-Doppelraum, vorne ist der Begegnungsraum, da steht halt ein altes Sofa drin und Tisch und Stühle, und da findet so das gesellige Leben statt, und im hinteren Bereich des (...) ehemaligen Kiosks ist eine kleine Küche, und da gibt’s da ein Bad mit Dusche und einen Schlafplatz und einen Schreibtisch mit Internetzugang und ein Büro und noch nen Tisch hinten, wo man sich eben auch zurückziehen kann zu Zweiergesprächen, (...) und dass da auch mal Menschen übernachten können, wenn da mal Not an der Frau, am Mann ist, ist alles dafür da um auch mal ein paar Tage campieren zu können."
Der Seelsorgekiosk bietet dreierlei: Ein Vier-Augen-Gespräch als sofortige Krisenintervention im Hinterzimmer, menschliches Miteinander am grundsätzlich reich gedeckten Tisch im wohnzimmerartigen Vorderzimmer und konkrete, praktische Hilfe zum Beispiel, wenn ein Umzug ansteht. Oft werden auch einfach Adressen weiterführender Hilfsangebote weitergegeben.
Welches genau ihre Nöte sind, darüber möchten die Besucher des Kiosks nicht öffentlich sprechen. Die Geschichten, die Dorothee Schuld im Hinterzimmer hört, haben immer etwas zu tun mit Sucht, Gewalt, Verwahrlosung, dem Verlust geliebter Menschen und mit Armut.
"Es kommt jemand an und sagt: 'Ich hab nichts zu essen, ich hab kein Geld mehr, ich kann meinen Strom, ich kann meine Miete nicht mehr bezahlen', und dann ist natürlich ganz wichtig, zunächst mal den Haupthilferuf rauszufiltern, das kann ich als Seelsorgerin aber nur, indem ich ne Ordnung reinbringe in dieses ganze Problemkonglomerat, ich muss erst mal so ne Art Gefahrenanalyse machen und dann erst mal gucken: Was muss sofort erledigt werden?"
Die 48-jährige Seelsorgerin gibt offen zu, dass Probleme lösen zu ihren Leidenschaften gehört. Nichts ist ihr zu schwierig, nichts zu komplex. Vielleicht, so vermutet sie, habe es etwas mit ihrem Vater zu tun. Er war schon sehr früh an Multipler Sklerose erkrankt. Sie und ihre fünf Geschwister haben durchweg Helferberufe ergriffen: Sie sind Ärzte und Schmerzforscher. Und auch für die Theologin kam nie etwas anderes infrage, als für Menschen in Not da zu sein.
"Und in Kalk gibt’s Familien, die haben verflixt wenig zu beißen, das mein ich wörtlich oder Familien, die mit den Behörden nicht zurechtkommen, die finden auch bei uns ein offenes Ohr, und wir wollen uns nicht als Beratungsstelle verstehen, wir haben nen partnerschaftlichen Blick auf die Leute und versuchen eben, gemeinsam Wege zu gehen, wo allerdings auch jeder mit anpacken muss. Wenn jemand kommt und sagt: 'Tu mal für mich!' - das schaffen wir nicht, dafür sind wir selber zu schwach."
Die meisten kommen auf Empfehlung: weil sie vorher im Kalker Krankenhaus um die Ecke lagen oder weil sie von anderen sozialen Einrichtungen zu Dorothee Schuld geschickt wurden.
Dass sich jemand wie Martina traut, einfach die Nase reinzustecken, ist sehr ungewöhnlich.
"Ich war ganz erstaunt, wie liebevoll die Dorothee dann gesagt hat: Kommen Sie ruhig rein, hier sind Sie richtig. Und das fand ich also sehr gut, dass man nicht irgendwo das Gefühl hatte: Was willst du denn jetzt hier?"
Auch die erfahrene Seelsorgerin braucht immer eine gewisse Zeit, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen.
Deshalb ist der große, gedeckte Tisch immer ein guter Einstieg, sich dieses besondere Angebot erst mal aus der sicheren Distanz anzugucken. Nach einer Stärkung mit Feldsalat, Bauernbrot und Salami fasst sich vielleicht der eine oder andere leichter ein Herz.
So jedenfalls ging es Elke. Die alleinerziehende Mutter kommt jeden Donnerstag mit ihrer kleinen Tochter vorbei und ist eine der ganz wenigen, die sich zaghaft trauen, über ihren Kummer zu sprechen.
"Weil ich auch Schwierigkeiten mit dem Partner hatte und dafür bin ich jetzt hierhin gekommen, um nicht alleine zu sein mit meiner Tochter und mich austauschen zu können. Die gehen auf meine Tochter einfach zu und kümmern sich um die, spielen mit ihr, singen mit ihr. (...) für mich ist das auch hier. Weil ich auch viel von mir aus erzählen kann. So was mich bewegt und was mich stört ... meine Probleme."
Die Seelsorge-Ambulanz ist eine Insel in einem Stadtteil, in dem es sonst eher rau zugeht. Es kommen Rentner und Kinder aus der Nachbarschaft, Araber und Kölsche, Arbeitslose und Obdachlose - und manchmal eben auch zufällige Passanten.
Schuld: "Dann ist da eine Afrikanerin, dann haben wir auch noch das nigerianische Paar, die da an dem Tisch sitzen, die Rentnerin, die sich entschlossen hat, nach Kalk zu ziehen, die sich entschlossen hat, mit uns zusammen eine neue Perspektive in ihrem Leben zu erarbeiten, und dann ist da auch noch die Ehrenamtliche, die in der Sterbebegleitung eines Krankenhauses vielleicht einsteigen möchte, dann geht die Tür auf, und der Nachbar kommt rein mit seinem Hund und sagt 'Guten Abend', vielleicht kommt gerade der Sozialarbeiter des Hauses Lukas hier vorbei - Haus Lukas ist ne Aidsberatungsstelle hier in Köln, mit der wir sehr befreundet sind - und wenn das Benzingeld reicht, kommt auch noch der ein- oder andere von außerhalb von Köln ..."."
Und so sitzen in der Regel 8 bis 14 fremde Menschen gemeinsam um einen Tisch. Mal sprechen sie über sich, mal nur oberflächlich über’s Wetter. Manchmal gibt es auch Schweigepausen.
Doch von freundlichen Menschen kostenlos aufgenommen zu werden – sei es auch nur für wenige Stunden – kann für den Anfang schon eine kleine Entlastung sein.
Martina: ""Ja, dann hat man sich erst mal unterhalten, hat sich dann so ein bisschen kennengelernt, und ich fand das eigentlich sehr schön und bin dann immer wieder gekommen."
Martina, die neu im Stadtteil ist, hat vor einigen Monaten zum ersten Mal die Seelsorge-Ambulanz betreten und kommt seitdem regelmäßig.
"Sorgen hatte ich auch, aber es war eigentlich erst mal überhaupt irgendwo so ne Stelle, weil ich ja hier nicht zugehörig bin, dass ich mal irgendwo ne Anlaufstelle hatte. Und das war dann für mich eigentlich gut, dass es eben hier so offen zugegangen ist."
Im ehemaligen Kiosk gab es früher Bonbons, Lakritz und Zeitungen - bevor er vor zwei Jahren von "Effata", einer katholischen Netzwerkinitiative mit vielen sozialen Angeboten im Stadtteil, zur Seelsorgeambulanz umgebaut wurde. Geöffnet ist er für alle an jedem Donnerstag von 18 bis 20 Uhr, und jeden Mittag gibt’s hier Essen für die Kinder aus dem Stadtteil.
Der Blick durch's ehemalige Schaufenster des Ladenlokals fällt zuerst auf den großen, gedeckten Tisch. Draußen an der Tür klebt ein unauffälliges Transparent mit der Aufschrift "Effata". Fast alle Besucher werden hierhin geschickt, Laufkundschaft gibt es kaum.
"Am Anfang kamen immer noch Leute rein, wir hatten immer das Gefühl, dass die eigentlich die Zigaretten suchten, die sie kaufen wollten. Aber das hat sich gelegt inzwischen."
Die Initiatorin Dorothee Schuld ist eigentlich Seelsorgerin im Krankenhaus Köln-Kalk um die Ecke. Den Kiosk betreibt sie ehrenamtlich.
"Der Seelsorge-Kiosk ist ne Anlaufstelle für jede und jeden, der kommen möchte, ist halt ne Ladentür, die man aufmachen kann, man steht dann in einem 32-Quadratmeter-Doppelraum, vorne ist der Begegnungsraum, da steht halt ein altes Sofa drin und Tisch und Stühle, und da findet so das gesellige Leben statt, und im hinteren Bereich des (...) ehemaligen Kiosks ist eine kleine Küche, und da gibt’s da ein Bad mit Dusche und einen Schlafplatz und einen Schreibtisch mit Internetzugang und ein Büro und noch nen Tisch hinten, wo man sich eben auch zurückziehen kann zu Zweiergesprächen, (...) und dass da auch mal Menschen übernachten können, wenn da mal Not an der Frau, am Mann ist, ist alles dafür da um auch mal ein paar Tage campieren zu können."
Der Seelsorgekiosk bietet dreierlei: Ein Vier-Augen-Gespräch als sofortige Krisenintervention im Hinterzimmer, menschliches Miteinander am grundsätzlich reich gedeckten Tisch im wohnzimmerartigen Vorderzimmer und konkrete, praktische Hilfe zum Beispiel, wenn ein Umzug ansteht. Oft werden auch einfach Adressen weiterführender Hilfsangebote weitergegeben.
Welches genau ihre Nöte sind, darüber möchten die Besucher des Kiosks nicht öffentlich sprechen. Die Geschichten, die Dorothee Schuld im Hinterzimmer hört, haben immer etwas zu tun mit Sucht, Gewalt, Verwahrlosung, dem Verlust geliebter Menschen und mit Armut.
"Es kommt jemand an und sagt: 'Ich hab nichts zu essen, ich hab kein Geld mehr, ich kann meinen Strom, ich kann meine Miete nicht mehr bezahlen', und dann ist natürlich ganz wichtig, zunächst mal den Haupthilferuf rauszufiltern, das kann ich als Seelsorgerin aber nur, indem ich ne Ordnung reinbringe in dieses ganze Problemkonglomerat, ich muss erst mal so ne Art Gefahrenanalyse machen und dann erst mal gucken: Was muss sofort erledigt werden?"
Die 48-jährige Seelsorgerin gibt offen zu, dass Probleme lösen zu ihren Leidenschaften gehört. Nichts ist ihr zu schwierig, nichts zu komplex. Vielleicht, so vermutet sie, habe es etwas mit ihrem Vater zu tun. Er war schon sehr früh an Multipler Sklerose erkrankt. Sie und ihre fünf Geschwister haben durchweg Helferberufe ergriffen: Sie sind Ärzte und Schmerzforscher. Und auch für die Theologin kam nie etwas anderes infrage, als für Menschen in Not da zu sein.
"Und in Kalk gibt’s Familien, die haben verflixt wenig zu beißen, das mein ich wörtlich oder Familien, die mit den Behörden nicht zurechtkommen, die finden auch bei uns ein offenes Ohr, und wir wollen uns nicht als Beratungsstelle verstehen, wir haben nen partnerschaftlichen Blick auf die Leute und versuchen eben, gemeinsam Wege zu gehen, wo allerdings auch jeder mit anpacken muss. Wenn jemand kommt und sagt: 'Tu mal für mich!' - das schaffen wir nicht, dafür sind wir selber zu schwach."
Die meisten kommen auf Empfehlung: weil sie vorher im Kalker Krankenhaus um die Ecke lagen oder weil sie von anderen sozialen Einrichtungen zu Dorothee Schuld geschickt wurden.
Dass sich jemand wie Martina traut, einfach die Nase reinzustecken, ist sehr ungewöhnlich.
"Ich war ganz erstaunt, wie liebevoll die Dorothee dann gesagt hat: Kommen Sie ruhig rein, hier sind Sie richtig. Und das fand ich also sehr gut, dass man nicht irgendwo das Gefühl hatte: Was willst du denn jetzt hier?"
Auch die erfahrene Seelsorgerin braucht immer eine gewisse Zeit, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen.
Deshalb ist der große, gedeckte Tisch immer ein guter Einstieg, sich dieses besondere Angebot erst mal aus der sicheren Distanz anzugucken. Nach einer Stärkung mit Feldsalat, Bauernbrot und Salami fasst sich vielleicht der eine oder andere leichter ein Herz.
So jedenfalls ging es Elke. Die alleinerziehende Mutter kommt jeden Donnerstag mit ihrer kleinen Tochter vorbei und ist eine der ganz wenigen, die sich zaghaft trauen, über ihren Kummer zu sprechen.
"Weil ich auch Schwierigkeiten mit dem Partner hatte und dafür bin ich jetzt hierhin gekommen, um nicht alleine zu sein mit meiner Tochter und mich austauschen zu können. Die gehen auf meine Tochter einfach zu und kümmern sich um die, spielen mit ihr, singen mit ihr. (...) für mich ist das auch hier. Weil ich auch viel von mir aus erzählen kann. So was mich bewegt und was mich stört ... meine Probleme."
Die Seelsorge-Ambulanz ist eine Insel in einem Stadtteil, in dem es sonst eher rau zugeht. Es kommen Rentner und Kinder aus der Nachbarschaft, Araber und Kölsche, Arbeitslose und Obdachlose - und manchmal eben auch zufällige Passanten.
Schuld: "Dann ist da eine Afrikanerin, dann haben wir auch noch das nigerianische Paar, die da an dem Tisch sitzen, die Rentnerin, die sich entschlossen hat, nach Kalk zu ziehen, die sich entschlossen hat, mit uns zusammen eine neue Perspektive in ihrem Leben zu erarbeiten, und dann ist da auch noch die Ehrenamtliche, die in der Sterbebegleitung eines Krankenhauses vielleicht einsteigen möchte, dann geht die Tür auf, und der Nachbar kommt rein mit seinem Hund und sagt 'Guten Abend', vielleicht kommt gerade der Sozialarbeiter des Hauses Lukas hier vorbei - Haus Lukas ist ne Aidsberatungsstelle hier in Köln, mit der wir sehr befreundet sind - und wenn das Benzingeld reicht, kommt auch noch der ein- oder andere von außerhalb von Köln ..."."
Und so sitzen in der Regel 8 bis 14 fremde Menschen gemeinsam um einen Tisch. Mal sprechen sie über sich, mal nur oberflächlich über’s Wetter. Manchmal gibt es auch Schweigepausen.
Doch von freundlichen Menschen kostenlos aufgenommen zu werden – sei es auch nur für wenige Stunden – kann für den Anfang schon eine kleine Entlastung sein.
Martina: ""Ja, dann hat man sich erst mal unterhalten, hat sich dann so ein bisschen kennengelernt, und ich fand das eigentlich sehr schön und bin dann immer wieder gekommen."