Trotz aller Proteste

Bäderbahn in Schleswig-Holstein vor dem Aus

Demonstranten warten am 12.06.2013 am Bahnhof von Timmendorfer Strand (Schleswig-Holstein) auf Ministerpräsident Albig und Bahnchef Grube. Spitzen von Bahn und Politik hatten sich zur Erörterung der unterschiedlichen Möglichkeiten zum Anschluss des geplanten Fehmarnbelt-Tunnels an das Bahnnetz in Ostholstein getroffen.
Schon 2013 wurde anlässlich eines Treffens von Bahn und Politik am Bahnhof von Timmendorfer Strand gegen die Pläne demonstriert. © picture alliance / dpa / Wolfgang Schmidt
Von Balthasar Hümbs |
Die Bäderbahn in Schleswig-Holstein verbindet Orte wie Lübeck und Timmendorfer Strand. Nach Fertigstellung des Fehmarnbelt-Tunnels könnte es sein, dass sie diese Orte nicht mehr direkt anfährt. In den Badeorten regt sich Widerstand.
"Meine Damen und Herren: Herzlich willkommen im Zug von DB Regio Schleswig-Holstein! Wir wünschen Ihnen eine angenehme Reise!"
Pünktlich auf die Minute schiebt sich Regionalbahn 21714 aus dem Lübecker Hauptbahnhof. Im 60-Minuten-Takt verbindet sie die Hansestadt mit den Badeorten an der Lübecker Bucht. Doch ein geplantes Großprojekt bringt das Bäderbahn-Idyll ins Wanken.
Bernd Homfeldt, Projektleiter bei der Deutschen Bahn: "Im Zuge des Projektes 'Schienenanbindung der Festen Fehmarnbeltquerung' haben wir vor, die Strecke zwischen Lübeck und Puttgarden, die heute eingleisig ist und nicht-elektrifiziert ist, zweigleisig auszubauen."
Visualisierung des geplanten Fehmarnbelt-Tunnels zwischen Deutschland und Dänemark.
Geplanter Fehmarnbelt-Tunnel© dpa / picture-alliance / ICONO A/S für Femern A/S
Die "Feste Fehmarnbeltquerung" ist ein geplanter Tunnel unter der Ostsee. Er soll die Insel Fehmarn mit Dänemark verbinden. Knapp 80 Güterzüge und gut 20 ICEs werden dann täglich durch die Röhren donnern - so der Plan. Damit die Züge auch dort ankommen, muss die Strecke von Lübeck auf die Insel ausgebaut werden.
"Unsere ursprüngliche Planung hieß: Weitestgehend Ausbau der Bestandsstrecke, und dann hat das Land Schleswig-Holstein und die Region gefordert, dass wir ein Raumordnungsverfahren machen sollen", erklärt Bernd Homfeldt.
Denn an der Küste wollte man verhindern, dass die Güterzüge mitten durchs Urlaubsambiente rauschen. Also machte die ehemalige Landesregierung aus SPD, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband mit der Deutschen Bahn einen Deal: Die Bahn baut einen Teil der Strecke neu und macht einen Bogen um die Seebäder. Der Haken für die Orte: Auch die Bäderbahn, die auf dem ersten Teil der Strecke pendelt, fährt künftig auf der neuen Trasse; zum Teil nicht mehr durch die Orte, sondern übers platte Land, parallel zur Autobahn. Die Bahn freut sich, denn sie muss nicht zwei Strecken betreiben. Aber in den Badeorten regt sich Widerstand.

Aktivist: Ein verkehrspolitisches Desaster

Nächster Halt: Timmendorfer Strand. Der Ausstieg ist in Fahrtrichtung rechts.
Das erste Seebad an der Bäderbahn. Trotz winterlicher Temperaturen und norddeutschem Schietwetter steigen etwa zwanzig Leute ein und aus. Am Bahnsteig wartet Heinz Meyer; Vorsitzender der Aktivgruppe Handel und Gewerbe in Timmendorfer Strand. Er sagt: "Sie sehen ja selbst, wie viele hier ein- und aussteigen. Und wir haben heute Donnerstag."
Mehr als 1.000 Ein- und Aussteiger gibt es hier jeden Tag. Tendenz: seit Jahren steigend. Nirgendwo auf der Bäderbahn gibt es mehr Fahrgäste. Der Bahnhof: ein Glücksfall für den Ort, meint Heinz Meyer:
"Man kann fußläufig ins Zentrum gehen, mit dem fest getakteten Bus oder eben halt auch mit den Taxen, was ja auch überschaubar ist von den Taxigebühren. In der Regel fährt man für vier bis fünf Euro dann bis an den Strand."
Doch geht es nach Land und Bahn werden die Wege in Zukunft weiter. Denn die geplante Neubaustrecke liegt weit weg von Stränden, Hotels und Eiscafés.
"Wir fahren jetzt nach Ratekau, ungefähr sechs Kilometer Entfernung", sagt Heinz Meyer. Er nimmt uns mit an den Ort, an dem Timmendorfer Strands neues Tor zur Welt entstehen soll. Über eine schmale Kreisstraße geht es zum Nachbarort Ratekau. 15 Minuten Stop-and-go, vorbei an Bauernhöfen, Wäldchen und einem See.

Zu Fuß kommt niemand mehr zum Zug

Ländliche Einöde zwischen Ackerland und Autobahn. Zu Fuß kommt hier niemand mehr zum Zug. Die Verlegung des Bahnhofs: für Heinz Meyer ein verkehrspolitisches Desaster:
"Samstagvormittag, 25 Grad: Dann kommen 400 Pendler aus einem Zug – plus 30 Bollerwagen, 40 Fahrräder, ein paar aufgeblasene Pinguine und ein paar aufgeblasene Luftmatratzen. Wie wollen wir diese Gäste von Ratekau innerhalb von zehn Minuten nach Timmendorfer Strand transportieren?"
Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Bernd Buchholz, FDP, sieht da kein Problem:
"Natürlich wird es nicht ausreichen, da einfach Busse fahren zu lassen, die über eine verstaute Straße fahren. Aber dafür ist möglicherweise die alte Bahntrasse gut geeignet, dass man auf ihr dann auch schnelle Verkehre von diesem Haltepunkt runter nach Timmendorfer Strand bekommt."

Befürchtung von Umsatzverlusten in Millionenhöhe

Ideen gibt es viele: von Zügen, die zwischen dem neuen und dem alten Bahnhof pendeln, bis zu kleinen Vehikeln, die autonom durch den Ort wuseln. Der Verkehrsfantasie scheinen keine Grenzen gesetzt. Doch ein konkretes Konzept gibt es noch nicht. Auch wie teuer die kühnen Pläne werden, ist noch völlig unklar.
"Das ist nicht zu Ende geplant", ärgert sich Heinz Meyer. Seine Befürchtung: Weil die Bahnfahrt für die Sommerfrischler zur Tortur wird, kommen die Gäste in Zukunft mit dem Auto. Oder noch schlimmer: Sie kommen gar nicht mehr. Im Ort rechnet man mit Umsatzverlusten in Millionenhöhe - jedes Jahr.

Fahrgastverband: Bäderbahn muss erhalten bleiben

Zurück im Zug. Langsam rollt der rot lackierte Triebwagen in die nächste Station. Der Bahnsteig ist frisch renoviert – mit Blindenstreifen, Empfangsgebäude und allem was dazu gehört. Trotzdem tickt auch hier die Uhr. Denn auch in Scharbeutz wandert der Bahnhof raus ins Nirgendwo.
Stefan Barkleit, Landesvorsitzender beim Fahrgastverband "Pro Bahn": "Aus unserer Sicht ist das eine Verkehrspolitik, die wir aus den 1950er bis 1980er-Jahren kennen, wo man die Bahn Stück für Stück zurückgezogen hat." Die Befürchtungen aus Timmendorfer Strand kann er nur bestätigen: "Wir nehmen praktisch die Bahnstrecke aus den Orten heraus, legen sie weit davon entfernt. Das wird aus unserer Sicht von den Fahrgästen nicht angenommen."
Selbst Gutachter im Auftrag der Bahn rechnen mit einem Fahrgasteinbruch von 30 bis über 50 Prozent in Timmendorfer Strand und Scharbeutz. Verkehrsminister Bernd Buchholz widerspricht:
"Wir planen nämlich zum Beispiel, dass die Züge, die heute ausschließlich zwischen Hamburg und Lübeck verkehren, dass wir die durchbinden können bis nach Neustadt in Holstein. Und das heißt, dass der Tagestourist aus Hamburg die Lübecker Bucht direkt und unmittelbar – ohne Umsteigenotwendigkeit in Lübeck – erreichen kann."

Gestrandet auf der grünen Wiese

Doch in den beiden größten Badeorten an der Bucht – in Timmendorfer Strand und Scharbeutz – stranden die Fahrgäste dann auf der grünen Wiese und kommen nicht wie bisher im Ort an. Stefan Barkleit von "Pro Bahn" teilt die Euphorie des Ministers nicht:
"Wenn Sie erst mal zum Bahnhof fahren müssen, um überhaupt Bahn fahren zu können, sei es jetzt mit dem Bus oder wenn Sie mit dem Auto zur Bahn fahren, haben Sie in dem Fall, gerade an der Lübecker Bucht, ja auch gleich die Autobahn um die Ecke. Und wenn Sie schon einmal im Auto sitzen, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass Sie im Auto sitzen bleiben werden und auf der Autobahn Ihre Reise fortsetzen."
Beim Fahrgastverband ist man überzeugt: Um den Verkehrskollaps an der Küste zu verhindern, muss die alte Bäderbahn für den Nahverkehr erhalten bleiben. Der Vorschlag: Die Strecke bekommt Strom. Die vom Minister geplanten Züge könnten dann von Hamburg aus direkt bis in die Orte rollen. Die Kosten für die Oberleitung schätzt Stefan Barkleit auf 25 bis 50 Millionen Euro. Doch Bahn-Projektleiter Bernd Homfeldt meint: Die Bädertrasse muss weg – schon aus juristischen Gründen.
"Ein Bauer, dem wir Fläche wegnehmen, könnte gegen uns klagen und sagen: Pass auf, liebe Bahn, Ihr sollt nur zwei Gleise bauen. Ihr baut drei Gleise, weil Ihr habt ja schon eins. Und damit bricht uns die Planrechtfertigung zusammen und wir haben ein Problem, das Projekt realisieren zu können."

Verkehrsminister: Alte Strecke zu erhalten, lohnt sich nicht

Die Politik müsste ihren Planungsauftrag an die Bahn also ändern. Aber zumindest in Kiel will das niemand. Im Gegenteil: Verkehrsminister Bernd Buchholz ist von der jahrelangen Diskussion um die Bäderbahn genervt. Die alte Strecke zu erhalten, lohne sich nicht. Das habe er längst untersucht:
"Sehr konkret! Und zwar so, dass man durch alle Unterlagen hier durchgegangen ist, dass man sich mit der Deutschen Bahn darüber unterhalten hat, welche Aufwände es machen würde, wenn man tatsächlich Aus- und Einfädelung dieser Gleise, Elektrifizierung der Gleise und andere Dinge machen müsste."
Doch wie genau die Untersuchung aussieht und was konkret dabei herauskam, das bleibt sein Geheimnis. Auf Anfrage von Deutschlandfunk Kultur kann das Ministerium nicht erklären, auf welche Zahlen sich der Minister stützt.
"Nächster Halt: Neustadt in Holstein. Diese Zugfahrt endet dort. Wir bitten alle Fahrgäste auszusteigen."
Nach insgesamt fünf Stationen und knapp 40 Minuten Fahrt rumpelt Regionalbahn 21714 über die letzten Weichen in den Bahnhof von Neustadt. Bis 2025 bleibt auf der Bäderbahn alles beim Alten. Doch die Pläne für die Teil-Verlegung liegen seit Ende Dezember zur Genehmigung beim Eisenbahnbundesamt. Den Aktivisten an der Küste bleibt nicht mehr viel Zeit. Hamburgs Ex-Bürgermeister Ole von Beust soll jetzt die Lobby-Arbeit der Küstenorte koordinieren – für den finalen Kampf um die Bäderbahn.
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