Trotz Japan

Von Luise Sammann |
Bis Ende des Jahrzehnts sollen in der Türkei drei Atommeiler ans Netz gehen – ein lang gehegter Traum am Bosporus. Denn um durchschnittlich acht Prozent wächst der Strombedarf des boomenden Landes jährlich, Tendenz steigend.
"Das hier ist mein Dorf, meine Heimat – ich habe meine Kindheit hier verbracht. Das sind unsere Teeplantagen, hier, an dem kleinen Fluss. Und dies hier sind Lagerhäuser für den Tee, wir sammeln die Blätter und lagern sie bis zum Verkauf dort ein."

Hüseyin Ayaz steht vor einem idyllischen, gold eingerahmten Wandbild. Das Grün der Wiesen ist ein bisschen zu grün, das Blau des Himmels ein bisschen zu blau. Ayaz hat das Foto von seinem Dorf selbst bearbeitet, vergrößert und in seinem Büro in Istanbul an die Wand gehängt. Wenn es mal nicht so gut läuft, sagt er, dann wirft er einen Blick auf die satten Wiesen seiner Kindheit, die Haselnuss- und Teeplantagen der türkischen Schwarzmeerküste. Doch in Ayaz’ Dorf ist heute nichts mehr so idyllisch wie damals, als das Bild entstand. Denn seit 25 Jahren, sagt er verbittert, sterben die Dorfbewohner wie die Fliegen. Der Grund: Die Katastrophe im 1.500 Kilometer entfernten Tschernobyl im Jahr 1986.

Hüseyin Ayaz: "Die radioaktiven Wolken zogen damals ausgerechnet während der Regensaison über unsere Region. Es war genau die Zeit, in der die Ernte reif war. Wenn es im Winter passiert wäre, hätte es vielleicht nicht so sehr geschadet. Aber so?! Die Menschen haben den Tee geerntet, meine Mutter hat grüne Bohnen geholt und abends gekocht. Wir haben die Strahlen entweder gleich gegessen oder die Zukunft verseucht, indem wir die Haselnuss- und Teeernte verkauft haben."

Niemand warnte Ayaz und die Anderen damals vor dem Regen, niemand trug ihnen auf, die Ernte zu vernichten, den Tee nicht zu trinken. Im Gegenteil: Weil die türkische Regierung Angst um ihre Exporte hatte, wurde die Gefahr erst verschwiegen, dann verharmlost. Der türkische Handelsminister beschimpfte öffentlich jeden als "Atheisten" und "Vaterlandsverräter", der behauptete, dass der Schwarzmeer-Tee verstrahlt sei. Ministerpräsident Turgut Özal reiste persönlich an, trank vor laufenden Kameras demonstrativ ein Glas Tee und schwärmte: "Radioaktiver Tee schmeckt umso besser!"

Hüseyin Ayaz: "Die Bürger haben dem Premier damals geglaubt! Er sagte, es gäbe keine Radioaktivität, aber damit nicht genug: Sie führten die Exporte, die andere Länder wegen erhöhter Strahlenwerte abwiesen, zurück in den türkischen Markt. Wir alle haben sie gegessen. Das, was sie nicht verkaufen konnten, verteilten sie kostenlos an Schüler und Soldaten."

Das Ergebnis wird heute, ein Vierteljahrhundert nach der Katastrophe, voll sichtbar: Die Krankenhäuser der türkischen Schwarzmeerküste sind überfüllt mit Krebspatienten, Familien wurden regelrecht ausgelöscht. Ärzte berichten, dass die Krebszahlen in der Region nach der Tschernobyl-Katastrophe rasant anstiegen.

Hüseyin Ayaz: "Ich habe auf den Friedhöfen von 50 Dörfern eine Statistik erstellt, inklusive meinem eigenen Dorf. Die Statistik zeigt die Todesgründe der letzten 15 Jahre. Über 60 Prozent aller Toten hatten demnach Krebs! Als ich merkte, dass die Sache viel weitreichender ist als ich dachte, habe ich meine eigene Familie untersucht: Mein Vater, meine Oma, mein Cousin… In den letzten zehn Jahren mussten wir sieben Krebsopfer begraben!"

Ayaz macht eine kurze Pause, blättert in einer Mappe mit den Ergebnissen jahrelanger Recherchen: Fein säuberlich dokumentierte Familien-Schicksale, Statistiken, Interviews mit Bürgermeistern, Apothekern und Ärzten. Ayaz und weitere Betroffene zogen auf eigene Faust los, weil der türkische Staat jede Untersuchung verweigerte. Erst im letzten Jahr – nach 25 Jahren des Schweigens – reiste ein staatlich finanziertes Expertenteam an die Schwarzmeerküste. Das offizielle Ergebnis der umstrittenen Studie: Die Krebszahlen der Region sind nicht höher als anderswo in der Türkei. Wer Recht hat, ist unklar. Wie eine Trotzreaktion auf die Klagen der Schwarzmeerbewohner scheinen die Pläne der türkischen Regierung, innerhalb der nächsten zehn Jahre selbst zum Produzenten von Kernenergie zu werden.

Ein lang gehegter Traum des Landes, dessen Energie-Heißhunger jährlich um stolze acht Prozent wächst. 80 Prozent ihrer Energie importiert die Türkei bisher vor allem in Form von Erdgas und Kohle aus Russland und Iran. Eine Abhängigkeit, die sich für ein aufstrebendes, vor Selbstbewusstsein strotzendes Land nicht mehr schickt. Ausgerechnet mit Tepco, dem Betreiber der Anlage im japanischen Fukushima, laufen deswegen Verhandlungen für ein Kraftwerk im türkischen Sinop. Das russische Staatsunternehmen Rosatom soll eine weitere Anlage im Süden des Landes errichten. Keine Möglichkeit lässt der türkische Energieminister dieser Tage aus, um im Fernsehen für die Kernenergie zu werben:

"Wir leben in einer expandierenden, sich wandelnden und entwickelnden Türkei. Erneuerbare Energiequellen können bei unseren Wachstumsraten nicht genug Energie liefern. Ein Land, das anstrebt, zu den Top-Ten-Wirtschaftsnationen der Welt zu gehören, kann es sich nicht leisten zu sagen: Wir haben durch unsere lokalen Ressourcen Strom für 22 Stunden des Tages bekommen, aber für die anderen zwei Stunden hat es nicht gereicht. Die Atomkraft wird das umfassendste Werkzeug für Entwicklung und Wachstum der modernen Türkei sein"

In einem Land, in dem die Grüne Partei auf nicht mal ein Prozent der Stimmen kommt, in dem Umweltschutz von vielen mit Fortschrittsverweigerung gleichgesetzt wird, ist die Wirkung solcher Worte groß. Bis Fukushima gab es nur selten kritische Nachfragen an den Minister, die Medien diskutierten das Thema kaum. Die Gleichung vieler Türken heißt: Atomenergie ist gleich entwickelte Industrienation.

Der Kernenergie-Ingenieur Vural Altin – der in seiner Karriere unter anderem für die Nasa arbeitete – gilt in der Türkei als "Vater der türkischen Nuklear-Technik”. Pfeife rauchend sitzt der 61-Jährige in seiner Istanbuler Villa mit Bosporus-Blick. Scheinbar lautlos ziehen am geschlossenen Wohnzimmer-Fenster riesige Containerschiffe vorbei. Während Altin die Vorzüge der Atomenergie für die Türkei erläutert, folgt er ihnen mit den Augen:

"Wenn Nuklearenergie sich in der Türkei verbreitet, wird sie unser Land in Chemie, Physik, Mathematik unterrichten, in Materialproduktion oder Feinmechanik. Auch das ist ein Gewinn!"

Atomenergie als Lehrmeister für ein aufstrebendes Land! Altin nickt zufrieden, pafft genüsslich seine Pfeife. Die Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima sind für ihn Fehler im System. Doch die Kraftwerke der Türkei sollen hochmodern sein, nicht anfällig wie die japanischen – und erst recht nicht wie das in Tschernobyl:

"Risiko ist in diesem Zusammenhang nicht das richtige Wort. Es ist zu emotional. In Tschernobyl starben 47 Menschen direkt während des Unglücks durch Verstrahlung. In den zwanzig Jahren danach starben, sagen wir, 10.000 weitere an Krebs. Aber allein in Chinas Kohlemienen sterben jedes Jahr 5.000! Wenn wir also von Risiken sprechen, müssen wir sie messen. Alles, was man nicht messen kann, hat keinen Platz in der Wissenschaft."

Altin blickt stur auf den glitzernden Bosporus, die Pfeife in seiner Hand ist längst ausgegangen. Auch in Japan war das Risiko für Erdbeben, Tsunami und Ausfall des Kühlsystems rechnerisch gering – das weiß er. Und er weiß, dass immer mehr Türken nun eine Antwort von Experten wie ihm erwarten. Schließlich herrscht auch am Bosporus ständige Erdbebengefahr. Die Katastrophe von Fukushima kam zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt für die türkischen Nuklear-Pläne. Dem Argument des wachsenden Energiehungers ihres aufstrebenden Landes wollte sich noch vor wenigen Wochen kaum ein Kritiker entgegenstellen. Jetzt könnte die Stimmung kippen. Professor Altins Rat an die türkische Regierung lautet deswegen: Kurs halten! Panikreaktionen wie die deutsche hätten lediglich für den Spitznamen "Pudding-Merkel" gesorgt, helfen würden sie niemandem:

"Meine Angst ist die: Wird die Türkei sich jetzt verhalten, als ob es jeden Moment zu einem Stufe-9-Erdbeben und einem Zehn-Meter-Tsunami kommen könnte? Wenn einem Bauarbeiter ein Ziegel auf den Kopf fällt und er danach ständig hochguckt, um zu gucken, ob noch einer kommt, dann ist das unklug. Kein Erdbebenexperte hat jemals ein Erdbeben der Stufe 9 für die Türkei vorausgesagt."

Altin hat Recht, die Voraussagen für türkische Beben bewegen sich zwischen Stufe 6 und 8. Doch im südtürkischen Mersin – wie das Urlaubsparadies Antalya an der türkischen Mittelmeerküste gelegen – kann er damit kaum jemanden beruhigen. Die Kombination aus Erdbebengefahr und Kernenergie verbreitet hier Angst und Schrecken. Denn ausgerechnet in der erdbebengefährdeten Provinz rund um Mersin, im Örtchen Akkuyu, soll das erste türkische Atomkraftwerk entstehen. 25 Kilometer entfernt vom Ecemis-Graben, einer seismisch aktiven Zone. Der kanadische Erdbebenforscher Karl Buckthought warnt: Bei einer Laufzeit von 40 Jahren trifft Akkuyu zu 50 Prozent ein Beben! Doch die türkische Regierung winkt ab: Darauf seien die neuen Werke vorbereitet, statische Berechnungen würden Erdbebenrisiken mit einbeziehen. Für die Bewohner der Region ein schwacher Trost.

Sabahat Aslan: "Niemand kann die Stärke des Bebens genau vorhersagen. Deswegen wollen wir ganz einfach kein Atomkraftwerk im Erdbebengebiet. Erst gestern gab es hier in der Gegend ein Beben der Stärke 6,3 – und niemand kann uns garantieren, dass kein Anderes folgt."

Sabahat Aslan steht auf einem offenen Platz im Zentrum von Mersin. Die zierliche Frau mit langem Rock und ersten grauen Strähnen in den schwarzen Haaren hat die heutige Anti-Atom-Demo organisiert. Während sie spricht, versammeln sich Hunderte Demonstranten mit Flaggen, Plakaten und Megaphonen bewaffnet um sie. Mehmet, Vater von zwei Kindern, steht ganz vorn:

"Wir wollen hier kein Atomkraftwerk! Das Desaster in Japan hat uns eindeutig bestätigt: Die Schäden durch Atomkraft sind größer als ihr Nutzen. Die Türkei liegt geographisch so vorteilhaft, im Sinne von erneuerbaren Energiequellen. Da ist es nichts als Analphabetismus, auf Kernenergie zu beharren!"

Mehmet spricht einen Streit an, wie er nicht erst seit Fukushima weltweit geführt wird: Atomkraftgegner – wie der Journalist und Mitbegründer der türkischen Grünen, Özgür Gürbüz – behaupten, das ganze Land ließe sich problemlos mit Windenergie versorgen. Ganz zu schweigen von dem ungeheuren Solarenergiepotenzial, das in Europas zweitsonnigstem Land steckt. Diese Gruppe verweist auch auf die maroden Verteilungsnetze der Türkei, durch deren Modernisierung sich laut Studien bis zu 25 Prozent Energie einsparen ließen. Drei Mal mehr als das geplante Kraftwerk in Akkuyu bringen soll… Doch auch die türkische Regierung hat Studien durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass erneuerbare Energien den wachsenden Bedarf des Landes nicht decken können. Es steht Aussage gegen Aussage.

Der Zug setzt sich in Bewegung, gut 1.500 Demonstranten marschieren mitten durch das geschäftige Stadtzentrum von Mersin. "Wir wollen hier kein zweites Tschernobyl" schreien sie, "kein zweites Fukushima!". Hausfrauen laufen untergehakt in kleinen Gruppen, die Architektenkammer ist vertreten, die Lehrergewerkschaft und die Ärztevereinigung. Man kennt sich in der Anti-Atombewegung von Mersin. Doch so viel Zulauf wie heute gab es noch nie: "Das haben wir Fukushima zu verdanken", erklärt eine ältere Demonstrantin:

"Vor diesem Unfall war die Aufmerksamkeit nicht so groß, aber jetzt wurden den Leuten die Augen geöffnet. Wenn wir den Jungen vorher von Tschernobyl erzählt haben, haben sie die Bedeutung oft nicht verstehen können. Aber dieser Unfall hat den Bewohnern von Mersin gezeigt, was sie zu verlieren haben. Heute sind wir schon eine wirklich schöne Gruppe – und das werden jetzt mehr und mehr."

Viele der Ladenbesitzer, die links und rechts aus ihren kleinen Shops treten, rufen den Vorbeiziehenden Unterstützung zu. Während das Thema Atomkraft im 15 Stunden entfernten Istanbul gar nicht diskutiert wird oder die Befürworter in der Mehrheit sind, haben die Gegner rund um die geplanten Standorte eine breite Basis.

An einer ruhigen Straßenkreuzung sammeln sich die Demonstranten, eine blonde Mittvierzigerin schnappt sich ein Mikro. Von einem zerknitterten Zettel verliest sie eine Erklärung in die Mikrofone und Kameras türkischer Lokalreporter:

"Seit 35 Jahren haben wir immer wieder die Risiken angesprochen! Wir haben Tschernobyl als ein Beispiel vorgezeigt, und sie haben gekontert: "Guckt doch lieber nach Japan!" Wir haben betont, dass unser Land auf einer Erdbebenlinie liegt – sie haben wieder gekontert: "Guckt nach Japan!" Nun haben wir es gesehen: Wolken voller Radioaktivität ziehen über die Welt. Die Länder, die Atomenergie nutzen, überprüfen ihre Energiepolitik, die Verteidiger von Kernenergie in Deutschland verlieren Wahlen – warum lernt nur bei uns niemand seine Lektion?"

Ein rundlicher älterer Herr steht etwas abseits, blickt nachdenklich auf die Menge der Demonstranten. Es ist nicht ganz klar, ob er als Demonstrant oder als Zuschauer hier ist. Vielleicht weiß Professor Tolga Yarman es selbst nicht genau. Es gab eine Zeit, in der der Nuklear-Ingenieur zu den größten Befürwortern eines Kraftwerks in Akkuyu gehörte:

"Ich bin einer der drei Experten, die im Jahr 1976 die Lizenz für Akkuyu ausstellten. Aber seitdem sind 35 Jahre vergangen! Wir haben damals gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Reaktorunfall so groß ist wie die Gefahr, auf dem Weg zum Marktplatz von einem Blitz getroffen zu werden. Aber der Tschernobyl-Unfall ist auch aus unwahrscheinlichen Gründen passiert, ebenso Fukushima."

Professor Yarman schweigt einen Moment. Bis heute beruft sich die türkische Regierung bei ihren Atomplänen auf seine Lizenz. "Doch mit unseren Möglichkeiten von damals konnten wir die Risiken nicht einschätzen, die wir heute sehen", betont er, wie um sich zu verteidigen. Er, der Nuklear-Ingenieur, ist nach wie vor nicht generell gegen die Atomenergie. Aber Akkuyu, sagt er heute, ist der falsche Standort:

"Wir konnten damals noch nicht abschätzen, wie sich ein Kraftwerk auswirken könnte – auch, wenn es perfekt funktionieren sollte. Wie es die Landwirtschaft und den Tourismus dieser Region beeinträchtigen würde. Wir hatten dafür damals keine Kriterien. Aber heute sind wir in einer völlig anderen Situation!"

Und die sieht so aus: Stolze 21 Milliarden Dollar bringt der türkische Tourismussektor dem Land jährlich, etwa die Hälfte davon erwirtschaftet genau diese Region, die außerdem als "Gewächshaus" der Türkei gilt. Schon die Möglichkeit eines Reaktorunfalls könnte die gesamte ökonomische Grundlage der Gegend zerstören. Die Aussicht auf Strandurlaub neben einem Atomkraftwerk dürfte die Deutschen – als deren Lieblings-Reiseland sich die Türkei gerade entpuppt – gleich wieder vertreiben.

Wer einen Beweis für Professor Yarmans Befürchtungen sucht, der braucht nur ins nahe gelegene Akkuyu selbst zu gucken. Dorthin, wo schon bald das erste Atomkraftwerk der Türkei stehen soll.

Efkan Olaç: "Früher hatten wir hier intensive Landwirtschaft, haben Obst und Gemüse angebaut. Aber die Kraftwerks-Pläne und vor allem die jahrelange Unsicherheit haben die Leute von hier vertrieben. Weil alle abwandern, gibt es keine richtige Produktion mehr hier. Wegen des Kraftwerks gibt es hier auch keine Tourismus-Investitionen. Niemand ist bereit, in ein solches Risiko-Gebiet zu investieren. Auch der Staat investiert nichts – und so müssen die Leute die Gegend verlassen."

Efkan Olaç, 41, kneift geblendet von der Sonne die Augen zusammen. Die kleine Bucht, in der er steht, liegt wie aus dem Werbekatalog ausgeschnitten da. Ein paar bunt bemalte Holzboote schaukeln im türkis-blauen Wasser, Männer sitzen herum und flicken alte Netze, von irgendwo weht Musik herüber. 3.000 Bewohner hatte Akkuyu, als Efkan ein Kind war. Mehr als zwei Drittel sind seitdem abgewandert – 850 Bewohner, schätzt er, sind noch übrig, harren aus in einem halb leeren Ort. Während der Süden der Türkei vom Tourismusgeschäft profitiert, herrscht in Akkuyu seit den 70-ern Stillstand, seit es als Standort für das erste türkische Atomkraftwerk auserkoren wurde.

Efkan Olaç: "Die Indianer sagen: Wir haben die Natur von der Vergangenheit geliehen, und wir sollten sie an die Zukunft weitergeben. Im Moment haben wir eine Regierung, die die Gefahr von Atomkraft mit der von Gaskochern in der Küche vergleicht. Diese Regierung wird nichts an die zukünftigen Generationen weitergeben."

Efkan ist entschlossen zu kämpfen. Die Demonstranten, die sich nun fast wöchentlich in Mersin und anderen türkischen Städten versammeln, machen ihm Hoffnung. Doch gleichzeitig weiß er, dass ihre Chancen schlecht stehen: Kurz nach dem Unglück von Fukushima flog der türkische Ministerpräsident Erdogan demonstrativ nach Moskau, um vor laufenden Kameras den Vertrag über das erste Atomkraftwerk in Akkuyu zu bestätigen. Das türkische Motto nach Fukushima: Jetzt erst recht!
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