True-Crime-Serie "Sons of Sam"

Obsession für Serienkiller und Satanismus

11:18 Minuten
Polizisten sitzen vor einem Röhrenfernseher und schauen Phantombild an.
Tausende Polizisten waren an der Suche nach David Berkowitz beteiligt. © Netflix
Marcus Stiglegger im Gespräch mit Susanne Burg |
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Speziell in den USA üben True-Crime-Serien eine eigentümliche Anziehungskraft aus. So auch "Sons of Sam" von Netflix. Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger erklärt, warum Filmemacher seit jeher von dem Sujet angezogen werden.
Susanne Burg: "Sons of Sam" – so heißt eine neue Doku-Serie, die bei Netflix läuft und deren Titel auf einen der berüchtigtsten Serienmörders New Yorks Bezug nimmt, nämlich David Berkowitz, der in die Kriminalgeschichte als "Son of Sam" eingegangen ist. Er hat zwischen 1976 und 1977 New York in Aufregung gehalten, indem er sechs Menschen tötete und mindestens sieben weitere verletzte.
Nach Doku-Serien über den "Yorkshire Ripper", "Ted Bundy" oder den "Night Stalker" setzt Netflix seine True-Crime-Reihe nun also mit "Sons of Sam" fort. Über die aktuelle Serie und was es mit der sogenannten "Satanic Panic" in den USA auf sich hat und wie Popkultur sie befeuert, darüber spreche ich mit dem Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger.
Der Titel nimmt Bezug auf den Serienmörder David Berkowitz. Aber ist David Berkowitz, der "Son of Sam", auch der Protagonist, um den es in der Doku-Serie wirklich geht?
Stiglegger: Der Titel verweist ja schon mit "Sons of Sam" auf eine ganze Reihe von Killern, die hier angenommen werden, und nicht die Reduktion auf einen Serienmörder. Der Protagonist ist ein Journalist, Maury Terry, der ein Buch geschrieben hat in den späten 70er-Jahren, das heißt "Ultimate Evil", und dieser Journalist ist der eigentliche Protagonist ab der zweiten Folge der Serie.

Sex, Sünde, Ausschweifung

Burg: Welche Rolle spielt dieser Maury Terry im Fall David Berkowitz?
Stiglegger: Maury Terry ist ein eigentlich nicht sonderlich qualifizierter Journalist gewesen, der aber besessen war von der Idee, dass eben der "Son of Sam"-Killer nicht 1976/77 alleine gehandelt hätte, sondern einen ganzen Kult, einen satanistischen Kult, wie er annahm, vertrat und auch Teil dieses Kultes war, und dass auch dieser Kult bis in die 80er-Jahre hinein und später noch aktiv war. Er hat dann privat begonnen zu recherchieren, und das resultierte dann ja in seinem Buch, wo er Verbindungen zu anderen Fällen knüpfen konnte – bis nach Kalifornien, quer durch die USA hat er da Dinge recherchiert – und hat eine Art Verschwörungstheorie daraus geknüpft. Und die macht, wie gesagt, das Ganze bis in die jüngere Zeit verfolgbar, seiner Meinung nach.
Schwarz-weiss Fotografie eines Mannes, der mit einem leeren Blick leicht nach unten schaut.
David Berkowitz, der "Son of Sam" Mörder, hier auf einer undatierten Aufnahme.© picture alliance / AP Photo/ NYPD
Burg: Der Regisseur dieser Doku-Reihe ist Joshua Zeman. Er hat in einem Interview gesagt: Für jeden, der in den 1970ern in New York aufgewachsen ist, war "Son of Sam" der Fall, und er, Zeman, sei ein Fan des New Yorks der 70er-Jahre, das ja so voller Sex, Sünde, Ausschweifung und Verbrechen war, sagt er. Ihn habe interessiert, welchen Preis nun wiederum Maury Terry bezahlt habe, um seine Theorie, die Sie eben beschrieben haben, zu belegen. Wie gut geht das in der Doku-Reihe auf?
Stiglegger: Es ist so, dass die Serie sich schon bemüht, da eine gewisse Ambivalenz aufrechtzuerhalten bis zum Ende. Und in der letzten Folge wird auch sehr deutlich, dass es eigentlich wenig rational greifbare Argumente und auch Beweise gibt für die Richtigkeit von Maury Terry Theorie. Maury Terry hat ja im Grunde aus einer christlichen Perspektive versucht, ein satanistisches Angstbild zu schüren, das sich ergänzte mit dem urbanen Angstbild, das der Serienmörder ohnehin im "Summer of Sam", also 1976/1977, hinterlassen hat und aus New York City eine Fear City machte.
Das ist ja legendär, und es gibt eine ganze Reihe von Spielfilmen, die sich später auf diese Atmosphäre beziehen – darunter übrigens auch "Maniac" von William Lustig und "Fear City" von Abel Ferrara, die in den frühen 80er-Jahren sich genau darauf bezogen und auch aus dieser Erfahrung der Zeit schöpfen konnten. Maury Terry ist eben eigentlich eine konservative Figur, die also besorgten Eltern und natürlich Seelsorgern so eine Art Manual der Angst an die Hand geben wollte, indem das, was später zur "Satanic Panic" sich auswuchs in den 80er-Jahren, so eine Art Grundmuster erfuhr.

Suggestive Fragen des Journalisten

Burg: Nun will "Sons of Sam" ja auch eine True-Crime-Dokumentation sein, und Maury Terrys Ansatz ist, aus heutiger Perspektive, mehr als problematisch und auch nie belegt. Ordnet die Serie denn das auch entsprechend ein?
Stiglegger: Maury Terry hat ausgehend von den sechs tatsächlichen Morden und den sieben Verwundeten, die der "Son of Sam"-Killer hinterlassen hat, in mehreren Gesprächen versucht, sich Bestätigung zu holen bei David Berkowitz, der im Gefängnis einsitzt oder saß zu dem Zeitpunkt. Und der Journalist legt dem Verurteilten Fakten in den Mund, indem er sagt, da war dieser Kameramann, Sie waren also nicht allein. Der Verurteilte sagt immer, ja, das war so, und nein, ich habe nicht immer selbst abgedrückt. Aber wer war’s dann?
Ich kann nicht sagen, wer das war, weil sonst meine Familie bedroht wäre. Also es gibt eigentlich keine wirklichen Aussagen, die nicht suggestiv von Maury Terry in den Mund gelegt wurden. Und das macht eigentlich die Serie sehr klar. Das wird auch an ein, zwei Stellen von anderen Beteiligten angesprochen, aber meines Erachtens ist das ein Schwachpunkt der vier Teile, dass eben diese Aspekte dann doch immer wieder so, als wären es Belege, ernst genommen werden.

Verbindung zur Familie von Charles Manson

Burg: Sie erwähnten schon das Buch, das Maury Terry geschrieben hat, "The Ultimate Evil", und auch die "Satanic Panic", die in den 80ern, frühen 90ern sich in den USA ausbreitete, so eine große Angst vor okkulten und satanischen Praktiken. Welche Rolle spielte denn in dem Zusammenhang Maury Terry?
Stiglegger: Maury Terry hat aus seiner christlich-konservativen Perspektive eine Art Gesamtweltbild gesucht, das quasi die verruchten späten 60er bis in seine Gegenwart in einer Verbindung sehen konnte. Das ist eigentlich ein klassisches Verschwörungsweltbild, was er entwirft. Das beginnt bei dieser These, dass die Manson Family und speziell Charles Manson beeinflusst waren von einem britischen Kult, "The Process Church of the Final Judgment", die aus christlicher Sicht als Satanisten gelten, weil sie nicht nur Jehova, also Gott, sondern auch Satan und Luzifer angebetet haben. Davon soll dann wieder die Charles-Manson-Familie beeinflusst gewesen sein.
Das sind aber alles Thesen, die sich relativ schwer nur belegen lassen. Es ist zum Beispiel bemerkenswert, dass die Process Church 1974 sich offiziell aufgelöst hat und dann mehrfach umbenannt und auch ihr Wesen verändert hat, während Maury Terry eigentlich "The Process" immer wieder so erwähnt, als gäbe es diesen Kult, als wäre er in einer Verbindung mit den Children, die dann der "Son of Sam"-Killer auf seinen Wandschriften und Briefen erwähnt. Als gäbe es also so ein Offspring, der mit Menschen- und Tieropfern arbeitet – alles Dinge, die wirklich nicht belegbar sind und die auch im Nachhinein eigentlich offensichtlich Hirngespinste sind.

Faible für True-Crime-Greuel

Burg: In einem Buch aus dem Jahr 2005 beschreibt ein Autor, Jonathan Mahler, den Einfluss, den David Berkowitz, den der Fall, auf die Medien hatte. Er beschreibt, dass es so eine manische Berichterstattung gab, die ein Gefühl der Angst befeuerte, und das Gefühl der Angst befeuerte dann wiederum die Berichterstattung – eine panische Angst nicht nur vor dieser Mordserie, sondern auch vor dem Okkulten, was sich ja in der Figur des David Berkowitz so vereint. Wie haben sich denn Spielfilme auch hier eingeklinkt und das befeuert?
Ein Mann, in einem Großeraumbüro, schaut direkt in eine Überwachungskamera und damit auch den Betrachter an.
Die Dokumentation "The Sons of Sam" beleuchtet den spektakulären Fall des Serienmörders David Berkowitz.© Netflix
Stiglegger: Die mediale Resonanz überhaupt auf True Crime in Amerika, auf Serienmörder im Speziellen und natürlich auf diese Idee von Kultritualen und Opfermorden und so weiter ist enorm. Man hat das nicht nur in der populären Kultur in Form der Musik, sondern eben auch in Spielfilmen. Wie gesagt, Anfang der 80er-Jahre gab es eine ganze Reihe von slasher-orientierten Filmen, die das wieder aufgriffen. Aber speziell zum Beispiel der Filmemacher David Fincher hat eine wahre Obsession. Die beginnt mit dem Film "Sieben" Anfang der 90er-Jahre und setzt sich dann fort über "Zodiac", den großen Film, in dem er die Spur des Zodiac verfolgt. Der hat ebenfalls einen ganzen Kult ausgelöst und triggert durch diese Symbolwelt und die Wahnvorstellung, die offensichtlich der bis heute ja nicht entlarvte Killer hinterlassen hat, auch die Fantasie.
Und in der Serie "Mindhunter", die von David Fincher produziert wurde, wird nicht nur Berkowitz, sondern Charles Manson und viele andere reale Serienmörder dann in rekonstruierten Interviews noch mal ins Licht gerückt. Wir haben wirklich eine starke Faszination weltweit und speziell in Amerika mit so einer fast ins Heilige überhöhten Position dieses immoralischen, über der Gesellschaft agierenden, destruktiven Killers.

Atmosphäre der Angst

Burg: Und welche Rolle spielt in dem Zusammenhang David Berkowitz? Sie haben schon gesagt, ein paar Spielfilme gab es auch über ihn. Ich denke da zum Beispiel an Spike Lees "Summer of Sam", der sehr gut auch die Atmosphäre New Yorks, diesen heißen Sommer, zeigt. Welches Interesse haben die Spielfilme über David Berkowitz an dem Fall?
Stiglegger: Das Problem mit David Berkowitz ist, dass er ein sehr durchschnittlicher Mann ist, also einer, der eigentlich keine Eigenschaften hat und der eigentlich eher wie viele reale Serienmörder auch ein unauffälliger Charakter ist. Man muss ihn also interessant machen, und das, was er hinterlassen hat, diese Atmosphäre der Angst, ist eigentlich das, was den "Son of Sam" als Phänomen auszeichnet: Dass man also nicht mehr ungestört am Wochenende weggehen konnte, ohne damit rechnen zu müssen, dass man willkürlich erschossen wird. Queens und die Bronx waren ja damals wirklich heimgesucht von diesen Taten.
Die Faszination besteht eben in dieser ultimativen Angst. Das ist eine Terroratmosphäre, in der die Leute lebten. Natürlich wollte man das nicht wirklich zugestehen, dass das so ein ganz einfacher Typ ist, der neben einem wohnen könnte. Deshalb musste man diese Person überhöhen und nahm dann alles ernst, was er geschrieben hat. Etwa, dass er von einem Nachbarshund die Befehle dazu bekommt – Spike Lee setzt das ja fast ironisch direkt ins Bild mit digitalen Effekten. Und der Nachbar heißt dann auch noch Sam, also Sam K., und hatte zwei Söhne.
Und daraus konstruierten dann einige diese Idee, dass das ein Kult war, der sich vorher traf und dann erst die Morde gemeinsam beging, dass daraus Snuff-Filme gedreht wurden, dass damit pädophile Fälle zusammenhängen. Das sind alles Verschwörungstheorien, die bis in die ebenso populären – muss man ja leider sagen – QAnon-Theorien heute hineinreichen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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